31 Januar 2006

Dumme Dänen oder: Hetze schadet

Unter den Völkern Europas ist das dänische Volk zur Zeit am stärksten von Xenophobie geprägt, ja, es scheint in Dänemark inzwischen üblich zu sein, Minderheiten als Sündenböcke zu zeichnen, sogar Wahlen können auf dieser Basis gewonnen werden, denn es herrscht dort zur Zeit ein migrantenfeindlicher Kulturkampf.

Im "Jyllands-Posten" erschien gleich ein Dutzend religionsschmähende Karikaturen, welche den Islam und die Muslime z.B. als Terroristen darstellten. Die Freude in Dänemark darüber war indes nur kurz, denn zur großen Überraschung vieler Dänen fühlen sich Muslime, weltweit, wenig geschmeichelt, ja, sie waren gekränkt.

Das wurde anfangs noch als Lustverstärkung aufgefasst, schließlich ging es ja bei diesen Veröffentlichungen genau darum, die Anhänger des Islam zu verärgern und sie lächerlich zu machen. Wie schön: Sie ärgern sich.

Norwegische Rechtsextremisten druckten die hetzerischen Karikaturen am 10. Januar erneut ab, und gossen neues Öl ins Feuer.
Auch einschlägig bekannte deutsche Hassblogs zeigten sich überaus begeistert über die antisilamische Respektlosigkeit und ihre Wirkung. Mäßigung und Verzicht auf Hetze gelten bei vielen Rechtsbloggern als Zeichen von "Selbsthass".

Aber wie so oft im Leben reagieren Gekränkte nicht unbedingt kooperativ.


Die dänische Regierung war zudem so strunzdumm, die verlangte Entschuldigung zu verweigern - zunächst meinte
Anders Fogh Rasmussen gegenüber der beleidigten islamischen Welt: "Wir bedienten uns in Dänemark des Humors und der Satire." Jens Rohde, der Fraktionschef seiner Partei, legte noch nach: "Da gibt es nichts zu entschuldigen."

Statt jetzt einfach vermehrt dänische Waren zu kaufen, und bis dahin unentschuldigte Religionsschmähung als eine Art "Kommunikationsangebot" freundlich aufzufassen, wurden dänische Waren und Firmen boykottiert. In kurzer Zeit brach zusammen, was von Dänen in arabischen Staaten in Jahrzehnten aufgebaut wurde. Schon jetzt sind Firmeninvestitionen in Zigmillionenhöhe wertlos geworden.

Natürlich sind die ausgelösten arabischen Reaktionen auch überempfindlich.
Derartige Aufrufe zum Völker- und Religionshass sind in Deutschland zwar zurecht illegal, aber insgesamt gibt es keine Pflicht für "den Westen", der islamischen Religion Kritik und Karikatur zu ersparen.

Die derzeitige Aufregung in arabischen Ländern hat gewisse Züge von Scheinheiligkeit, welche die religionsschmähenden Darstellungen auf eigener Seite verkennt, die sich z.B. gegen die christliche oder jüdische Religion richten. Das ändert aber nichts an der Dummheit der Dänen, welche nach ein paar Tagen der Schadenfreude jetzt selber Schäden zu erleiden haben.

Denn das ist die Logik von Hetze: Sie schadet.

29 Januar 2006

Primärtugenden x Sekundärtugenden

Man stelle sich eine Person vor, die zu 95% mit mit lauterster Primärtugendhaftigkeit* und guten Absichten angefüllt ist, diese jedoch - in Ermangelung von Sekundärtugenden - kaum ins Reale zu verwandeln weiß.

Es mag noch so durchdacht und edel sein, am Ende ist ein Mensch deutlich weniger taugenichtig, der vielleicht nur 70% primäre Tugendhaftigkeit erreicht, solange es ihm anhand seiner erworbenen Sekundärtugenden (und: Freude am Tun!) glückt, Absichten zu Taten zu formen.

Das Subjektive** der Formulierung sollte es einfacher machen - und doch irren die meisten Menschen ohne sonderlich viel Orientierung und Plan durch das Leben, sich selbst und den eigenen Möglichkeiten gegenüber untreu. Oja, die meisten Menschen sind Tunichgute oder Wirrköpfe - und doch mag ich sie fast alle, oft auch in ihren schlechteren Momenten.

*Das subjektive Primärtugendgefühl hat dabei die unterschiedlichste Prägung und füllt sich meist verblüffend fern der fünf Kardinaltugenden: 1. Vernunft/Weisheit, 2. Tapferkeit/Willensenergie, 3. Besonnenheit/Maßhalten, 4. Liebe/Freundschaft sowie 5. die ausgleichende Gesamttugend Gerechtigkeit. Auf die Taten kommt es dabei an! Denn was immer wir tun, wirft ein Licht auf das, was wir vorhaben. So möge also jeder Mensch seinen Ort finden und seine Aufgabe, die ihn ausfüllt.

**Eine Randbemerkung an die Neuliberalen

Wer hingegen - im Sinne neuliberaler Vorstellungen - meint, dass eine von Tugend befreite reine Gier als zentrales Leitmotiv genüge, der hat eine
postaufklärerische, unbürgerliche Geisteshaltung. Diese Haltung ist entweder eine lausige Kopie eines Zeitgeistes, welcher RTLII-Niveau kaum merklich übersteigt, oder der Betreffende ist selbst bereits Opfer gründlicher geistiger Desorientierung.

Norbert Bolz holzt mal wieder

Seine Grundthesen beinhalten nicht viel, besagen fast nichts, außer über seine Ressentiments und Missstimmungen. Nimmer konnte er (Foto) die Existenz der Studentenbewegung verwinden, gegen die er knapp 40 Jahre zu spät in einer nie enden wollenden Tirade anschimpft, teils, weil er zu spät dran war um dort Ruhm zu ernten, teils, weil er ihre Erscheinungen bzw. das, was er dafür hält, nicht schätzt.

Er glänzt mit schlampig dahin geworfenen Gedanken, knalligen Wortkombinationen und Provokationen, die ihm trotz allem Mangel an Zuendedenken vielleicht sogar das Gefühl verleihen, ein neuer Habermas zu sein, also ein Philosoph, welcher in der heutigen Gesellschaft tatsächlich etwas bedeutet. Da es ihm als eine Art Anti-Habermas an tief durchdrungenen eigenen Gedanken jedoch fehlt, sieht Norbert Bolz seine Hauptaufgabe darin, gegen alles und jedes anzuwüten, was auch nur entfernt mit "den" 68ern zu tun haben könnte oder irgendwie antibürgerlich sei. Vorhersehbar, langweilig, wortreich und gedankenarm (TAZ-Text).

Ähnlich argumentiert der Blog Existenzielles Besserwissen. Nicht übel, und dazu passend ein schönes Mercedes-Zitat aus ihrem Blog:
Zum Denken ist es irgendwie zu kalt. Folglich Bürgertumspause. Überhaupt Politik: Innenpolitisch verstehen sich alle prima oder wissen nicht so genau. Merkel ist mir fast sogar sympathisch, was zunächst nur dazu führt, dass ich mir selbst suspekt bin.

28 Januar 2006

Hamas erklärt Israel den Krieg

Der Krieg entscheidet nicht darüber, wer Recht hat, sondern nur darüber, wer übrig bleibt. (B. Russel)

Als quasi erste Amtshandlung nach der Wahl erklärt Hamas Israel den Krieg und strebt den Aufbau einer Armee an, welche die Auslöschung Israels zum Ziel hat. Hamas-Chef Chaled Meschaal erklärte, dass er zu diesem Zweck das Zusammengehen der militanten palästinensischen Gruppen anstrebt.

Auch die Al-Aksa-Bridaden beenden den Waffenstillstand, man stimme hierin mit nahezu allen palästinensischen Gruppierungen überein.

Es ist ein Unglück, von dem wir noch nicht genau wissen, wie zäh und explosiv es sich entfalten wird. Wenn es dazu kommt, bedauere ich die vieltausendfachen Frauen und Kinder, die schutzlosen Alten und die vielen Verführten: Sie werden sinnlos sterben.

Zudem befindet sich das Volk im Iran in großer Gefahr - wegen einer kriegslüsternen Führung, welche sich hier einmischen wird und Israel auszulöschen wünscht. Wenn es nicht doch noch zu einem neuen Waffenstillstand kommt.

Die Palästinenser haben Krieg gewählt - teils scheint man darüber erschrocken zu sein. Ich hoffe darauf, dass sie ihn nicht bekommen, und darauf, dass die israelische Führung dem Willen der Israelis folgt, also klug genug ist und verhandelt, um das Blutvergießen abzuwenden. Die Berliner Zeitung schreibt hierzu:

Eine überraschend hohe Anzahl der Israelis denkt schon weiter. Gestrigen Umfragen zufolge sind bis zu 48 Prozent für Gespräche mit einer Hamas-Regierung, zwei Drittel sind es sogar, falls doch eine Koalition zwischen Hamas und Fatah zu Stande kommt. Befürworter eines Kontaktabbruchs zu den Autonomiebehörden sind in der Minderheit. Wenigstens wisse man bei der Hamas, woran man sei, lautet eine verbreitete Meinung.

"Keinen doppelten Zungenschlag im Arafat-Stil mehr und auch keine endlose Ohnmacht wie bei Abbas", befindet Uri Dromi vom Israelischen Demokratie-Institut. Mit einem richtigen Feind komme man besser klar. "Entweder man bekämpft ihn gnadenlos oder man handelt mit ihm, wenn er es aufrichtig will, ein Abkommen aus." Die arabische Minderheit in Israel glaubt sogar, dass mit der islamistischen Widerstandsorganisation eher Frieden zu machen ist. Die Hamas sei stark und besitze die nötige Legitimität. So wie Ariel Scharon, als er den Gaza-Abzug durchsetzte.

Hoffen wir das Beste.

27 Januar 2006

Rücktritt im Namen pro-christlicher Correctness

Soeben wurde bekannt, dass Sozialminister Renner (CDU) wegen einer vermeintlichen Bischofsbeleidigung gezwungen wurde, von seinem Amt zurückzutreten. Sagte er doch angeblich zum Bischof: "Halten Sie sich da raus, fangen Sie doch erst einmal damit an, Kinder zu zeugen".

Bahnt sich das Ende eines liberalen Meinungsklimas an? Oder ist uns auch hier Amerika wieder einmal 20 Jahre voraus - und dies sind halt die ersten Ausläufer eines Nachholprozesses?

Neue Businesshypes

Ein Stück live erlebte Wirtschaftsgeschichte: Erst versucht man in Deutschland über viele Jahre hinweg, Unternehmen zu verkleinern, Betriebsteile einzustellen, und sei es für das Ziel, die Umsatz- oder Kapitalrentabilität optisch zu verbessern (ulkig: oft wird der absolute Gewinn durch derartige Maßnahmen nicht gesteigert).

Nicht nur ich vermute, dass die zusammen geklaubten und inzwischen überliquiden Milliarden der deutschen Konzerne schon bald zunehmend für Unternehmensübernahmen verwendet werden.

Börsengeschäfte sind ja auch viel lässiger als z.B. eine dauerhafte Bemühung um gute und am Markt erfolgreiche Produktqualität, wie man bei Daimler-Chrysler sehen kann. Am Ende jedenfalls fallen die Vorteile der Fusionen, die groß angepriesenen "Synergieeffekte", deutlich geringer aus als zuvor angenommen. Regelmäßig.

Bin ich hier bereits Opfer meiner Vorurteile? Kennt jemand z.B. deutsche Gegenbeispiele, also eine in jeder Hinsicht geglückte Großfusion eines deutschen Konzerns?

Feindbilder "prowestlich"-ideologischer Rechtsblogger

Wenn es einen Wesenzug gibt, den man bei allen Rechtsextremen jeglicher Färbung in verblüffender Weise immer wieder findet, dann ist es:

Die Fabrikation von Legenden und Mythen.

Es liegt darin etwas Romantisches, Antiaufklärerisches zugrunde, ein Drang zur Verklärung der Welt. Diese Wesenhaftigkeit unterscheidet übrigens von echten Konservativen wie Scheidewasser*.

Die politischen Grundideen, und seien sie noch so dürftig, wachsen in diesem Umfeld schnell zur Ideologie, ja, mitunter sogar ins wahnhaft Hysterische, und dieser tiefe innere Wesenzug betrifft auch die feindselige Sicht auf den politischen Gegner, welche niemals nüchtern und dem Gegenstand angemessen erfolgt - sondern im trüben Licht eigener Ideologie.

Romantische Realitätsflucht.

Eine "Linke" in Deutschland, wie sie z.B. bei "Poli tically Inco rrect" oder bei anderen aus dem Spektrum rechtsbloggender sogenannter "Prow estlicher" gezeichnet wird, die findet sich auf der ganzen Welt nicht, inkl. Deutschland.

Man könnte über "die" Linke, bzw. über viele von ihnen herzlich lästern und spotten, Anlass gibt es genug, indes, der Gegenstand ist so einheitlich nicht, und so müssen teils auch Liberale als Feindbild herhalten, sollten sie den Kardinalfehler begehen und abweichende Sichtweisen pflegen.

Das ertragen nämlich Ideologen nicht: Die Infragestellung eigener Dogmen.

Dann wird übel genommen - und umso herzlicher gegeben, vor allem das, was nicht passt. Wobei das ja nichts daran ändert, dass die eigenen Dogmen, an der sich das Ganze entzündet, so lächerlich und auch hysterisch sind, dass sie ohne Feindbild kaum begründbar wären. So wird also immer wieder gerne irgendein mehr oder minder intellektueller Autor genommen, und dann - in einem seltsamen Kunstgriff - so getan, als sei dieser Autor Leitstern "der" Linken.

An diesem arbeiten sich die gewendeten Vertreter einer Neuen Rechten dann ab. Oder man stürzt sich, knapp 40 Jahre zu spät, auf vermeintliche oder echte Vertreter der 68er-Bewegung.

Sonderfall "prowestliche" Hysteriker

Sie sind ein Sonderfall und z.Zt. ziemlich übertrieben in der deutschen Blogwelt repräsentiert, was auch an Unterstützungsmaßnahmen durch die Friedrich-Naumann-Stiftung liegen mag.

Ich spreche hier von rechtsbloggenden, teils fanatischen "Prow estlichen" aus dem rechtslibertären bis rechtskonservativen Spektrum. Für "Prow estliche" gehört die Zuneigung zu Bush (bloß kein demokratisches Amerika!) und den Republikanern zum unaufgebbaren ideologischen Kern, und noch mehr die Zuneigung zu eher extremistischen Unterstützern von Bush (z.B. Frontpagemag), welche den Maßstab der sogenannten Amerikaliebe prägen.

Transatlantisch wird umgehend zu "pro Bush" und mehr noch "pro Neocon". Das ist doch lachhaft, oder? Im Kern verunsichert, hat man nicht genug Mut, das eigene Land zu lieben, praktiziert aber in Bezug auf Amerika einen aggressiven Nationalismus mit wilheministischer bzw. alldeutscher Attitüde (!), wo man auch einige der geistigen Vorfahren dieser Rechtsblogger findet.

Passend zur romantischen Realitätsflucht dieser Kreise (wir reden von unbedeutenden maximal ca. zwei bis drei Dutzend Anhängern) ist die intensiv gepflegte Hysterie, sowohl dort, wo politisch geliebt wird, wie dort, wo politisch gehasst wird, mit einem Wort: lachhaft.

Echte Konservative sind eher nüchterne Menschen - und man kann sich daher mit ihnen über politische Fragen i.d.R. besser unterhalten als z.B. mit typischen Linken. Sie ziehen im persönlichen Umgang Formen von Anständigkeit vor. Vielleicht ist es dieser grundständige Zug, warum Konservative - unabhängig davon, wofür sie gesellschaftlich tatsächlich stehen - in der Bevölkerung recht starken Anklang finden. Die Bevölkerung nämlich weiß: Ideologen sind eine Seuche.

Kategoriensysteme für Blogs

In der deutschen Blogwelt wurde in den vergangen Tagen kontrovers über Gelbe Seiten, TOP100-Hitliste, Tagclouds, Techorati-generierte Blogcharts bzw. Charts diskutiert, teils in Kategorien aufgeteilt. Nebenbei, der Kategorienkatalog der "Bloxbox" mausert sich. So ist z.B. der Überblick über Politikblogs lesenswert.

Kaum, dass das Wort "Kategorien" ausgesprochen wurde, schon gab es eine entsprechende, optisch hübsche, inhaltlich leider unbrauchbare Neuigkeit bei Technorati. Sie geht am Bedarf der Nutzer ziemlich gründlich vorbei! Tja nun, allzu oft läuft es wohl darauf hinaus:

Diktieren werbewirtschaftliche Motive Ton und Inhalt, so ist das Ergebnis Info-Müll.

26 Januar 2006

Los amigos son así: Deutsche Bank und Pflüger

Kaum jemand wunderte sich bei der schäbigen Kündigung zweier Berliner Boulevardtheater, warum sich die Deutsche Bank weigerte, in dieser Sache mit dem Berliner Bürgermeister zu sprechen. Tja, etwas komisch, oder?

Es muss doch eine ganz besondere innere Bande geben, die erklärt, warum Ackermann nun, kurz nach der Wahl von Fallaci-Pflüger zum Berliner CDU-Chef, die Kündigung der beiden Theater um ein halbes Jahr aufschiebt - angeblich nach Gesprächen mit ihm. Das Lokalblatt von Springer jubelt umgehend: "Erfolg!".

Man ist wohl ein Schelm, vermutet man hier einen taktisch gewählten Zeitpunkt - bzw. politische Sympathien der besonderen Unart.

Kleine Randnote: Die aktuelle Freundin von Fallaci-Pflüger (Foto), die 27-jährige Sybille Hällmayr ist nicht zuletzt auch bekannt für die von ihr gegründete "Initiative junge Frauen für Stoiber".

Fehlendes Feingefühl im Umgang mit der Vergangenheit

Man stelle sich einen großen, ganzseitigen Artikel über Ausschwitz und der Lüneburger Lokalgeschichte vor. So, und nun frage man sich, welche Werbung hier sehr unpassend wäre. Richtig! Z.B. diese grässliche Geschmacklosigkeit hier! (via Tagessau). Mich beschleicht allerdings im Augenblick das Gefühl, dass hier die Bloggerszene verarscht werden soll.

+++ Update 16:38 Uhr +++ Okay: Diesmal ist es noch echt. Die Zeitungredaktion der Landeszeitung Lüneburg hat sich inzwischen entschuldigt:
Guten Tag,
leider haben wir uns tatsächlich den bösen Fehler erlaubt, einen Bericht über das fast vergessene Kapitel der Verfolgung der Lüneburger Sinti über die Werbung eines Energieversorgers mit einem in dem Zusammenhang verfänglichen Slogan zu stellen. Die inhaltliche Aussage der Anzeige war schlicht übersehen worden. Durch diesen Fehler wurde leider auch die Intention des Artikels konterkariert. Wir haben uns in der darauffolgenden Ausgabe bei unseren Lesern für den Fehler entschuldigt.
MfG Joachim Zießler Chef vom Dienst
Via LonesomWolf via TreehugginPussy.

Mal abgesehen von der Verantwortung der Zeitung: Normalerweise prüft ein professioneller Anzeigenkunde wie E.ON, in welchem Umfeld seine Werbung erscheint. Oder?

Der Hamas-Sieg und der Fluch

Ich sehe wieder einmal, dass ich viel zu wenig von diesem Konflikt verstehe.

Ich begreife nicht, weder die Lage in den Palästinensergebieten, noch die Motivation der Wähler. Kaum öffnen sich in Israel vorsichtig die Türen zum Frieden, schon scheinen die Palästinenser beweisen zu wollen, dass sie zum Unglück streben.

Die Geschichte hat schon viele Völker gekannt, die sich über lange Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte beharkten. Und schon oft wurden in diesen Konflikten die Vertreter der Mitte ins Abseits gedrängt. Starkmeierei, Vergeltungwünsche oder auch radikale Heilslehren sind in schweren Konflikten leider zu typisch für unser schwaches Geschlecht.

Hat die Situation der Besatzung die Bevölkerung so sehr radikalisiert, war der politische Islam als echatologisch verstandene politische Ideologie schon so sehr auf dem Vormarsch, dass mit dem Hamas-Sieg gerechnet werden musste?

Ich weiß nicht. Ich habe im Augenblick keine Idee, wie es weiter geht.

Selbst, wenn am Ende der Auszählung die Gerüchte über einen Hamas-Wahlsieg doch knapp daneben liegen sollten, so ist der Zankapfel noch explosiver geworden und das Misstrauen unüberwindbar?

Es scheint ein Fluch auf diesem Land zu liegen. Eines Tages wird es sich wenden - bis dahin bleibt noch viel zu tun. Auch hier bei uns. Schalom!

25 Januar 2006

Orschluch des Monats: Die gefakten Fakten von Focus

Ein kleiner Skandal und zudem sehr lesenswert, im Weblog von Pantoffelpunk! Leserverarschung als neue Leitkultur der Werber- und Medienszene. Focus halt.

24 Januar 2006

Machtgeilheit

Angeblich liegt eine Machtkonzentration im Medienbereich im "nationalen Interesse", sagt ein weiterer CDU/CSU-Unterstützer von Wirtschaftsmacht, Peter Müller, und er meint mit "nationalen Interesse" den Machtzuwachs für den Springerkonzern.

"Ich glaube, die Frage, wer die Anteile an der Sendergruppe erwirbt, darf nicht nur nach ökonomischen und damit kartellrechtlichen Gesichtspunkten beurteilt werden. (...) Auch unter Wettbewerbsgesichtpunkten muß es deshalb ein Interesse daran geben, in Deutschland starke Player zu haben. (...) Das Votum der KEK ist überprüfungsfähig durch die Landesmedienanstalten. Ich gehe davon aus, daß diese sich bewußt sind, daß wir uns in Deutschland im Medienbereich konkurrenzfähig positionieren müssen."

Konkurrenzfähig? Wie lächerlich! Früher lag Medienvielfalt und eine gute Wettbewerbspolitik im Interesse Deutschlands. Man sieht: CSU/CDU schätzen keine soziale Marktwirtschaft, sondern sie sind Wirtschaftsbüttel, welche ihren Amigos die Mühen des Wettbewerbs ersparen möchten. Auch der Berliner FDP-Fraktionschef Martin Lindner verurteilte die Kartellamtsentscheidung und fordert umgehend eine Ministererlaubnis.

GVU stiftet zu Straftaten an

Wie bei Heise zu lesen ist, arbeitet die GVU mit Provokateuren, welche zur Begehung von Straftaten animieren! Abgesehen davon, dass GVU damit selber (!) das Urheberrecht bricht: Die Übereinstimmung derartiger Provokationsmethoden mit totalitären Regimen ist vermutlich rein zufällig.

Tags: , , , ,

Zwei Kulturtipps

Film: Eine andere Liga von Buket Alakus (Filmstart am 26.01., z.B. in Hamburg) - Kritik in der WamS (!) und von Nicole Kühn. Vielleicht etwas fremdartig - kein Hollywood Fast Food.

Musik: Kitty Hoff (tourt gerade, z.B. Hamburg am 24.01. oder München am 25.01.) bietet jazzige Chansonklänge mit einer Prise Lateinamerika. Wirklich nicht übel!

Nebenbei angemerkt: Eine Kultur, wo unter den Filmemachern und Musikern nicht wenige Frauen sind, beweist meines Erachtens Zivilisation und auch Zukunft. Kulturen hingegen, die in erster Linie von reinen Männerhorden bestimmt sind, die haben etwas Unheilvolles.

Erfreulich: Reaktionär gesinnte FDP-Mitglieder aus Bayern sind bei diesen Kultur-Gelegenheiten nicht zu befürchten.

23 Januar 2006

Schachmatt: Die Demokratie-Ferne der Oberschicht

J.R. vM schreibt in Bezug auf die Unerhörtheit, dass öffentlich relevante Inhalte seines nicht-privaten Rundbriefes kritisch in Blogs diskutiert wurden:

Gilt beim Artikel fünf des Grundgesetzes nur Absatz eins, der das Recht auf Meinungsfreiheit definiert, und nicht Absatz zwei, der dieses Recht einschränkt, wenn die persönliche Ehre verletzt wird? Kennt die Blogosphäre etwa keine Privatsphäre? Viele von Euch schreiben, ich hätte mit meiner Mail ein Eigentor geschossen. Okay, eins vielleicht. Aber wie viele Eigentore schießt ihr gerade, indem Ihr mein Schlagwort „Klowände des Internets“ teils empört, teils genüsslich aufgreift im Sinne eines Agenda Setting verbreitet?

Unglaublich: So sieht tatsächlich eine Entschuldigung seitens eines Oberschichtenvertreters aus. Er hält es für ein "Eigentor", wenn sein gegenüber Bürgern verächtlicher Spruch von der Klowand kritisch und öffentlich diskutiert wird.

Seltsam, oder?

Dann spricht er von seiner persönlichen Ehre. Huch? Wird seine Ehre angegriffen, wenn öffentlich wird, wie die Werberelite unseres Landes über die Bürger denkt? Nämlich so: "Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern?".

Seltsam.

Rundbriefe, die sogar extern versandt wurden, sind keine "Privatsphäre". Wenn überhaupt: Geschäftsgeheimnis. In Betracht der Relevanz des Inhalts muss dieses hier gegenüber dem öffentlichen Interesse zurückstehen. Trotzdem behauptet er, seine "Privatsphäre" wäre missachtet worden.

Seltsam, oder?

Und dann wirft er kritischen Bürgern, welche Aufklärung in Bezug auf seine Bürger- und Demokratieverachtung leisten, "Agenda-Setting" vor. Holla, die Waldfee! Das ist besonders ulkig; gehört er nicht zu denjenigen, welche gegenüber den Bürgern tagein und tagaus ein verlogenes und manipulatives Agendasetting betreiben?

Die Hypekiller sind zurück - Dotcomtod heißt jetzt Boocompany

Dotcomtod ist jetzt Boocompany. Erweitertes Tätigkeitsfeld! Special Feature: Baron der Woche.

Negative Unternehmensmeldungen mit eingebauter Großkotzigkeitsbremse

Ein paar Hinweise zum von mir (als Redaktionsexterner) im Voraus erahnten und zusammengefassten Redaktionsstatut, zu den Kriterien der Freischaltung der anonymen Hinweise:

  • Das Unternehmen sollte eine gewisse Relevanz aufweisen
  • Die Meldung muss wahr sein - darf nicht aus einem anderen Artikel kopiert werden
  • Wenn der Meldung ein online verfügbarer Artikel zugrunde liegt, muss die Quelle direkt verlinkt werden
  • Der Inhalt sollte möglichst unterhaltsam dargestellt werden, zwei Absätze Minimum
  • Gut: Die Unternehmens-, Hintergrund- und Insiderinformationen mit alten Jubelmeldungen kontrastieren
  • Gut: Amüsanter Ton. Dieser darf zudem brutal, zynisch und bösartig bis an die Grenze der Meinungsfreiheit gehen
  • Bei Insider-Meldungen ohne Quellenangabe behält sich die Redaktion das Recht vor, nachzufragen oder anderweitig Informationen einzuholen
  • Kommentare werden von den Nutzern eigenverantwortlich verfasst. Verantwortlich! Trolle werden entvokalisiert oder mitleidslos getötet
  • Positive Unternehmens-PR ist als Meldung nicht zulässig. Im Kommentar kann jede Firma die Situation aus ihrer Sicht darstellen
  • Gezielte Fehlinformationen über Konkurrenten führen u.a. zum Ausschluss

Staatsknete und der wissenschaftliche Fortschritt

Bezweifelnswert ist die Kompetenz staatlicher Gremien, sinnvolle Forschungsschwerpunkte definieren zu können.

Sie lassen sich dabei, zumal meist fachfremd, ungemein stark von Modewellen und Scharlatanen beeinflussen. Nun ist staatlicher Einfluss in der Forschung nicht grundsätzlich etwas Schlechtes.

Der Staat könnte z.B. auch dahingehend wirken, dass der Wissenschaftspluralismus zunimmt. Staatliche Einflüsse in die Forschungsthematik sollten m.E. nicht so stark ausfallen, dass bestimmte Wissenschaftsgegenstände grob übertrieben werden (z.B. gigantische Teilchenbeschleuniger ohne großen Erkenntniswert). Der Einfluss sollte auch nicht einengend sein, sodass in der Konsequenz ganze Forschungsrichtungen (zu Gunsten angeblich "moderner" Verfahren wie z.B. Gentechnik) unterdrückt werden. Ein Beispiel aus dem SPIEGEL:
Der Biologe bedauert, dass er mit seiner englischen Manteca nur schleppend vorankommt. Das erste Exemplar seiner gelben Bohne zog Leakey schon 1989 auf, "doch bis zum Anbau in erntefähigen Mengen ist es ein weiter Weg". Der war besonders steinig, weil Leakey nicht an Fördermittel der EU kam. Die flossen zwar, doch nicht in die klassische Züchtung. Ein Antrag zusammen mit einem französischen Partner sei abgelehnt, Geld nur für Projekte mit transgenen Pflanzen bewilligt worden, so der enttäuschte Brite: "Wir waren denen nicht modern genug."
Ulkig oder? Eine andere Problematik ist die Verknüpfung anwendungsorientierter Forschung z.B. mit privaten Patenten, wenn sie staatlich gefördert wird. Ich meine: Wenn anwendungsorientierte Forschung exklusives Wissen befördert, welches nicht der Allgemeinheit zur Verfügung steht, dann handelt es sich um eine verdeckte Form der Subvention.

Man könnte es auch eine Ausräuberung des Staates nennen.

Wir haben derartige Erscheinungen z.B. im Bereich der Anwendungsforschung im Maschinenbau oder für die Automobiltechnik. Recht unbeachtet von der Öffentlichkeit werden dort erhebliche öffentliche Mittel für "Forschungsprojekte" zur Verfügung gestellt, welche z.B. allein deutschen Autobauern zu Gute kommen.

Forschung, die nicht auf allgemein verfügbares Wissen zielt, sollte nicht durch staatliche Mittel gefördert werden.

Darüber hinaus: Gierige Professoren, die ihr Amt vor allem dazu benutzen, um ihren privaten Wohlstand auf Kosten der Allgemeinheit zu mehren (z.B. viele beschisssene Klinikprofessoren), die verdienen v.a. Tritte in den Hintern. Im neuliberalen Zeitalter nimmt die Erscheinung überhand, dass immer mehr deutsche Professoren vor allem den Eigennutz pflegen und ihre Ämter missbrauchen. Indes: Ein problematisches Arbeitsverständnis.

Ich bin von Kopf bis Fuß auf Eigennutz eingestellt
Denn das ist meine Welt - und sonst garnichts
Gremien umschwirrn mich wie Motten das Licht

Was ich dann forsch, regelt mein Geldbeutel für mich
Das ist, was soll ich machen, meine Prof-Natur

Ich kann halt raffen nur - und sonst garnichts

Dann gibt es noch eine andere Schieflage: Zur Zeit haben sich die deuschen Eliten scheinbar dahingehend verständigt, die Ausbildung, Bildung und Lehre für überflüssigen Ballast zu halten. Anders ist kaum zu erklären, dass die sogenannte "Exzellenzinitiative", nur noch der Forschung dienen soll. Schlimmer noch: Es geht hier lediglich darum, in einem Schönheitswettbewerb wild formulierter Anträge das Rennen zu machen. Ein Hirnfick aus vermeintlicher Reputation, dünkelndem Eliteverständnis und wohlklingenden Wortgewittern.

Deutsche Exzellenz.

Bush log

Wie einige Fotos laut dem Time-Magazin belegen, kannte Bush den korrupten Neocon Abramoff.
In one shot that TIME saw, Bush appears with Abramoff, several unidentified people and Raul Garza Sr., a Texan Abramoff represented who was then chairman of the Kickapoo Indians, which owned a casino in southern Texas. Garza, who is wearing jeans and a bolo tie in the picture, told TIME that Bush greeted him as "Jefe," or "chief" in Spanish.

Oh oh, ein Lügenpräsident: Er kannte sogar die ganze Bagage.

22 Januar 2006

Anthropologisches Basiswissen (1) - von Strafe, Mitgefühl und Politik

Wie in diesem Telepolis-Beitrag von Katja Seefeldt dargestellt, gibt es offenbar einige Grundmuster des Menschen im Umgang mit Strafe und Mitgefühl. In einem Experiment wurden Schauspieler eingesetzt, welche sich gezielt unfair verhielten - und die Reaktion der Probanden gemessen. Im Ergebnis erhielt man u.a.:

Diese Resultate zeigen, dass Fairness im sozialen Umgang die gefühlsmäßigen Beziehungen formt, die uns mit unseren Mitmenschen verbinden. Die Menschen fühlen mit anderen mit, wenn diese kooperieren und fair handeln. Wohingegen eigennütziges und unfaires Verhalten dieser emphatischen Beziehung entgegenläuft. Wenn also ein unfairer Spieler einen schmerzhaften Elektroschock erleidet, zeichnet sich bei den Männern so gut wie keine Reaktionen in den mit Mitgefühl korrelierten Gehirnregionen, wohingegen das Belohnungs-Areal aktiv wurde. Männer scheinen mehr Zufriedenheit zu empfinden, wenn unfaire Menschen körperliche Strafe bekommen, die sie als gerecht empfinden.

Wird eine Person als unfair, böse oder feindlich betrachtet, so wächst der Strafwunsch (besonders bei Männern), und das Mitgefühl nimmt ab.

Vieles kann daraus ableitet werden, auch für den Bereich des Politischen. Zum Beispiel, wie politische "Strafwünsche" gezielt ausgelöst und intensiviert werden können, nämlich durch eine "Verböserung" bzw. Dämonisierung politischer oder sozialer Gruppen. Man arbeitet mit Hysterie, es werden Ängste aufgebaut und Feindbilder erschaffen.

Wir wissen, wie weit das führen kann.

Es ist gefährlich, wenn Politik in erster Linie als Feld feindlicher Gegensätze verstanden und betrieben wird, statt als gemeinsame Bemühung um das Allgemeinwohl und den Ausgleich von Interessen.

Mit Vernunft, Fairness, Dialog und Ausgewogenheit, mit Anständigkeit, Respekt und der wahrhaftigen Bemühung um Wahrheit und realistischer Sichtweise: Damit wird politische Kultur zivilisiert.

Eine gewisse Gefahr liegt also z.B. in denen, die dem Nazi-Theoretiker Carl Schmitt explizit nachfolgen, z.B. amerikanischen Neocons, welche dem Schmittbegleiter Leo Strauss folgen, oder in den Hassblogs deutscher Neoconnards. Hier wird die Kultur von Hysterie, Feindsinnigkeit und Dialogverweigerung gepflegt. Unkultur.

Ohne ohne zivilisatorische Mäßigung erhalten wir in der Politik Barberei. Daher müssen (!) politische Ansätze bekämpft, entkräftet oder auf dem Weg von Überzeugungskraft gemindert werden, welche zu Ressentiment, Feindlichkeit und Krieg aufrufen.

Das ist eine Frage politischer Kultur: Unkultur eindämmen.

An Obdachlose denken!

Die Kältewelle kommt. Lasst uns an die Obdachlosen in unserem Land denken. Ein Dasein kann schon nach einer einzelnen Nacht, sich im bibbernden Leid in tote Vergangenheit wandeln. Schon etwas Mitgefühl und Beachtung, vielleicht eine Decke oder ein Hinweis bei der Polizei vermögen Leben zu retten.

21 Januar 2006

Satire: Jean-Remy von Matt ist "Klowand-affin" !

Okay, nicht wenige Blogger werden denken, dass zwischen dem "ist" und der "Klowand" im Titel evtl. noch das Wort "eine" gehört. Tatsache jedenfalls ist, dass dem Herrn J.R. vM die Gedanken in der Regel erst im Klo reifen.

Lauschen wir seinen Worten:

“Auf der Toilette habe ich immer die besten Ideen. Ich habe mir zwar vorgenommen, dies nicht mehr zu erzählen, weil es mir ein Lebensmittelkunde nie verzieh, als ich öffentlich sagte, die Idee für seine Werbung hatte ich auf dem WC.”

Aha! Wenn Herr J.R. vM von "Klowand" spricht, dann ist das also sein erster Gedanke, sozusagen eine Auszeichnung. Wie geht er nun vor, wenn er eine kreative Idee sucht?

“Bei mir hat sich das ungezielte Vorgehen bewährt. Darum habe ich meine Arbeitsweise nie hinterfragt. Ich nehme ein Blatt, beginne zu malen, und habe ich einige Blätter vollgekritzelt, werte ich sie nach Brauchbarem aus.”

Kolossal! So sieht das also aus.

“Auch wenn was dabei ist, mache ich weiter, es könnte noch was Besseres folgen. So gebäre ich auf eigentlich naive Weise Ideen wie vor 20 Jahren, als ich als Texter begann.”

Daher atmet das wirre sogenannte Manifest von "Du-bist-Deutschland" den Geist von Chaka-Chaka. Wie sieht er sich als Person?

“In der Agentur habe ich den Ruf, ein Autist zu sein. Da ich sonst keine Macken habe, empfinde ich diese Exotik als ganz angenehm.”

Exotischer Autist ohne Macken. Sehr schön, und welche Arbeitsphilosophie hat er?

“Die Agentur ist gut durchstrukturiert, so dass ein Minimum an Manager-Arbeiten für mich anfallen. (....) Wenn man nicht zu pingelig ist und nicht überall dreinredet, ist man insgesamt glücklicher. So kann ich trotz der Firmengrösse noch immer frei atmen und einen halben Tag wegbleiben, (...)”

Frei atmen, und den halben Tag lang den Wind kosten. Was für ein Traum! Wie steht es mit der Arbeitsplatzsicherheit?

“Das haben wir irgendwann beschlossen: Alle sechs Monate verliert jeder Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz aber auch seinen Büropartner.”

Klingt tödlich, aber Sie meinten bestimmt nur den Arbeits-Sitzplatz. Was wäre die Todsünde Ihrer Agentur für Sie?

“Wenn sie keine Eigenwerbung betreibt. Die meisten Werbeleute verhalten sich wie Ärzte oder Anwälte und betrachten Eigenwerbung als verboten. (...) Wer unsere Anzeige las, fand sie nett, lustig und charmant, doch im Kern verkaufte sie eine Botschaft, ohne dass es die Leute merkten.”

Ihre Frage "Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern? " klingt nach einem harten Urteil, ist aber wohl ebenfalls
nett, lustig und charmant gemeinte Eigenwerbung gewesen. Nach welchem Muster beurteilt Herr J.R. vM z.B. Kreative?

“So beurteile ich auch Kreative: Erstens: Ist Qualität da? Zweitens: Ist es jemandem möglich, nicht eine, sondern zehn Ideen zu produzieren?”

Qualität und Quantität sind also die entscheidenden Maßstäbe in Ihrer Agentur. Da kann eigentlich nichts schief gehen. Wie läuft z.B. die Präsentation einer Kampagne in Ihrem Haus ab?

“Sie müssen dabei vor einem unerbittlichen Gremium bestehen. Nicht selten kommt es zu Buh-Rufen.”

Es kommt zu Buh-Rufen? Und wann lehnen Sie einen Werbeauftrag ab?

“Wir lehnen Kunden immer dann ab, wenn uns die Zeit fehlt oder eine Firma nicht unserer Checkliste, unserem sogenannten Beuteraster entspricht.”

In jedem Klo ein Beuteraster. Was hat Ihnen bislang das eingebracht?

“Ich habe gar keinen Besitz: kein Auto, kein Haus, keine Wohnung, nichteinmal ein Surfbrett.”

Sie arbeiten quasi gemeinnützig. Wenn sowenig rumkommt, wo haben Sie denn Ihre Firma untergebracht?

“Wir sind hier im Hamburger Karolinenviertel, das ist eine Gegend, wo Freaks und Zigeuner wohnen. Unser Nachbar ist ein Schlachthof. Die Räume hier sind sehr billig, wir bezahlen durchschnittlich 12 Mark Miete pro Quadratmeter und Monat. Wir mieten immer alle freiwerdenden Räume in der Gegend dazu und lassen sie freistehen, (...)”

Freaks und Zigeuner. Das klingt etwas despektierlich, ja sogar respektlos - wieviel Respekt verlangen Sie für sich selbst?

“Ich bin sogar irritiert, wenn mir Leute einen besonderen Respekt zollen und sich kaum trauen, mich zu Duzen. Ich ziehe es vor, wenn die Leute mich wie jedes andere Team-Mitglied behandeln.”

Schon klar. Wie gehen Sie denn nun mit Kritik um? Was ist, wenn jemand an Ihrem Ruf kratzt?

“Wenn der Ruf allerdings plötzlich ins Negative dreht, kann der Effekt so verheerend sein wie er zuvor gewinnbringend war.”

Aah! Also doch besser nicht kritisieren. Hätten Sie denn Schwachpunkte?

“Die Sprache ist für mich das Mittel zum Zweck, und ich bin noch heute weder besonders redegewandt, noch habe ich einen grossen Wortschatz, noch bin ich ein Meister in der Rechtschreibung. Aber ich habe Ideen.”

Sie sind ja auch der Schmetterling, der einen Taifun furzend entwurzelt. A
uthentisch. Und ein Riesendemokrat, der Bürger und Kunden respektvoll behandelt. Oder so.

Via PR-Blogger - und hier ist die Quelle:
Dieses PDF.

Der Scoop: Osthoff trug Lösegeld bei sich

Wie im Focus zu erfahren ist, trug Frau Osthoff mehrere tausend Dollar des Lösegelds bei sich.

"Susanne Osthoff hatte, wie jetzt bekannt wurde, zum Zeitpunkt ihrer Freilassung einen Teil des Lösegeldes bei sich. Mitarbeiter der deutschen Botschaft entdeckten in Bagdad mehrere tausend US-Dollar, wie FOCUS erfuhr. Sie fanden die mit Gummibändern zu Bündeln zusammengebundenen Scheine in Osthoffs Kleidern, als die Archäologin die Dusche der diplomatischen Vertretung benutzte. Als Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) die Seriennummern der Dollarscheine untersuchten, stellten sie eine Übereinstimmung mit dem von der Bundesregierung gezahlten Lösegeld fest."
Das wirft mehrere Fragen auf.

Erstens, in Bezug auf die Medientätigkeit unserer Geheimdienste bzw. des BKA. Es kann kaum Zufall sein, dass aus diesen Quellen wiederholt vertrauliche Informationen zu Frau Osthoff an die Öffentlichkeit gelangen. Verblüffend ist auch, dass diese Medientätigkeit unserer Dienste bislang ohne Gegenmaßnahmen durch die beaufsichtigende Regierung stattfinden.

Zweitens wäre zu fragen, ob diese Dollar sich vom Betrag her decken mit den Dollarbetrag, den Frau Osthoff während ihrer Entführung bei sich trug. Immerhin plante sie eine teilweise Barbezahlung von Mitarbeitern beim Aufbau der Karawanserei. Auf dem Weg dorthin ist sie gekidnappt worden. Vermutlich wurden die Kleider von Frau Osthoff auch von ihren Entführern intensiv gefilzt. Ich halte es demnach für durchaus denkbar - bei aller Vorsicht gegenüber dieser Erwägung - dass Frau Osthoff der ursprünglich beigeführte Dollarbetrag (von den ersten Entführern) abgenommen wurde - und sie diesen Betrag später dann zurück erhielt.

Drittens wird hier m.E. ein Licht auf die Rolle von Frau Osthoff während der letzten Jahre im Irak geworfen - und auch in Bezug auf den Widerstand gegen die Besatzung. Ihr Verhältnis zu ihren Entführern war wohl etwas besser, als man es im Fall einer entführten Achäologin vermuten kann. Dazu passt es, dass die Gewährung humanitärer Hilfe zu dem Lösegeld-Paket der Geiselnahme gehört hat.

Mir kommt das Ganze zunehmend wie eine Art Doppelagenten-Geschichte vor, bei der sich deutsche Geheimdienstkreise, warum auch immer, ausgesprochen verstimmt zeigen.

P.S. Wie diese BKA-Medienzusammenarbeit konkret funktioniert, sollte man den überaus sendungsbewussten Bruno Schirra fragen bzw. diese Leute mit dem seltsamen Alpenglühen in den Augen aus dem Iblis-Umfeld (mail2iblis@hotmail.com), welche - wie bei den gefakten Friktionen zu lesen - nicht nur einen Zugang zu Redaktionsmeldungen des Focus haben, und gerade an ihrem "zweiten Buch über radikalen Islam" schreiben, während sie aktuell "zwischen good ol' Europe und dem Nahen Osten" pendeln, sondern auch Scoops im Sinne der eigenen Ideologie landen. Sein "erstes" Hysteriebuch über den Islam hat übrigens die ISBN 3430179572.

+++ Update 22:19 Uhr +++
Der SPIEGEL meldet zur Sache:

"Gerüchte, die Summe könne aus einem möglicherweise gezahlten Lösegeld stammen, haben sich bisher nicht bestätigt."
+++ Update 23.01. (Hinweis von Hellblazer +++
Die Sueddeutsche meldet:

Susanne Osthoff sagt, ihre Entführer hätten ihr Teile des Lösegeldes gegeben, um sie "nicht mittellos" gehen zu lassen. Das Bundeskriminalamt bezeichnet den Fall als "etwas dubios", widerspricht aber Spekulationen, Osthoff habe mit den Geiselnehmern gemeinsame Geschäfte gemacht.

Das muss also auch dem BKA bekannt gewesen sein.

Was die Öffentlichkeitstätigkeit bestimmter Geheimdienstkreise angeht: Offenbar gibt es regelmäßige Versuche, mit Indiskretionen gezielt Einfluss auf die Öffentlichkeit nehmen zu wollen. Diese Kreise haben intime Kenntnis z.B. über Vorgänge in der deutschen Botschaft in Bagdad. Die Bundesregierung hat ein Problem. Übrigens auch die deutsche Presse, die sich in diesem Spiel bislang teils recht einfach funktionalisieren ließ.

20 Januar 2006

Ökonomische Gedankensprengsel (9) - Subrationales Verhalten

Liebhaber der neoklassischen reinen Lehre, z.B. die postliberalen Kapitalismusanbeter in der Blogosphäre, gehen in Fragen wirtschaftlichen Verhalten vom rational handelnden und eigennützigen Homo Oeconomicus (Achtung, klasse Link!) aus. Das ist nicht verkehrt, indes die Praxis ist eine andere.

Der zivilisierte Mensch mag sich um Rationalität bemühen, aber erstens berücksichtigt er dabei nur einen Teil der Handlungsalternativen, und ist in der komplexen Wirklichkeit oftmals von erlernten Verhalten, Leitideen, den Zeitgeist und Ideologien beeinflusst, zweitens gibt er sich in der Regel zufrieden, sobald er eine hinreichend attraktive Option gewählt hat. Drittens folgt der in der realen Wirtschaftswelt aktive Mensch nicht allein dem Motiv der Einkommens- und Vermögensmaximierung, sondern strebt auch nach Fairness.

Es scheint auch in der Wirtschaft zahlreiche Werte zu geben, die keine Geldwerte sind.

Nun ist es beispielsweise denkbar, dass eine ganze Volkswirtschaft von einer Art Angststörung befallen ist, ein Erscheinung subrationalen Verhaltens. Die Bürger haben Angst vor der Zukunft, verzichten sogar auf Familiengründungen. Es wird übertrieben gespart, statt normal zu konsumieren. Die Banken stellen diese Mittel nicht der einheimischen Wirtschaft zur Verfügung, die ihrerseits seit vielen Jahren von übertriebener Investitionszurückhaltung gekennzeichnet ist.

Die Wirtschaftslenker wiederum neigen zur Jammerei, beklagen z.B. gerne den Wirtschaftsstandort und eine angeblich krebsartig wuchernde Staatsquote (die übrigens z.Zt. nicht weit vom Stand von 1970 entfernt ist!) und achten bei ihren Dispositionsenscheidungen daher übertrieben auf die Möglichkeiten von Stellenabbau, sie vernachlässigen in der Tendenz alternative Handlungsoptionen - was wiederum den Gesamtprozess beeinflusst.

Wir erhalten: Die deutsche Lähmung (bitte das Dürerbild großklicken!).

Es ist m.E. kein guter Ausweg, nicht einmal im Ansatz, wenn die Politik in Reaktion darauf 25 Milliarden Euro (das ist viel) in ein sogenanntes Investitionsprogramm verpulvert. Ich will nicht sagen, dass alle Maßnahmen in diesem Paket unsinnig sind, aber ein guter Teil wird einfach versickern. Es wäre also besser, zumal diese Aufwendungen mit Zins und Zinseszins bezahlt werden müssen, weitgehend auf dieses Maßnahmenpaket zu verzichten.

Man kommt aus der Falle eines gesamtwirtschaftlich subrationalen Verhaltens nicht heraus, indem man verfügbare Mittel suboptimal einsetzt. Anderes wäre nützlicher und günstiger zu haben, z.B. die Abschaffung ineffizienter Steuerarten und Regularien. Wirkungsvoll wäre z.B. auch ein Sozialabgaben-Freibetrag (bes. für den unteren Mittelstand), gegenfinanziert durch Aufhebung der Bemessungsgrenzen und maßvolle Erhöhung der Abgaben für 400-Euro-Jobs.

Im Übrigen empfehle ich den Züricher Spitzenökonomen Ernst Fehr, einem kommenden Nobelpreisträger, z.B. "A Theory of Fairness, Competition and Cooperation" (PDF).

Richtertotalitarismus

Deutsche Richter verfügten, dass von nun an Wikipedia.de abgeschaltet sein müsse. Maßlos. Ich kann kaum glauben, dass ein derart wichtiges Portal wegen einer rechtlich höchst umstrittenen Frage des Persönlichkeitsrechts komplett abgeschaltet wird.

Weitere Infos liefern Burkhard Schröder sowie der SPIEGEL. Wie lange dauert es wohl noch, bis andere Betreiber von Infrastruktur getroffen werden? Das leider oft überzogen genutzte Rechtsinstitut der "einstweiligen Verfügung" sollte entschärft werden.

Update: Es geht nicht "nur" um eine Weiterleitung. Es gibt sind bereits richterliche Verfügungen in Richtung USA auf den Weg, welche auf die Abschaltung des ganzen Portals zielen.

Ich glaube nicht, dass es für die Entwicklung unseres Rechtsstaats in irgendeiner Weise gut ist, wenn wir hierzulande auf dem Wege von Abmahnungen, Unterlassungserklärungen und einstweiligen Verfügungen den gleichen Irrsinn zustande bekommen, wie in den USA, wo z.B. die Gesundheitskosten zu mindestens 10% auf einem überbordenden Rechtswahn beruhen.

Einen guten Rechtsstaat gibt es nicht, wenn das Recht kein Maß hält.

Update: Die Vollstreckung der Anordnung wurde von den Richtern nach dem Einspruch von Wikipedia seit dem 20.1. ausgesetzt. Wikipedia ist wieder online. Es soll Angst vor der öffentlichen Reaktion im Spiel gewesen sein.

19 Januar 2006

Anagramme elitärer Tugendlosigkeit

Anagramme lassen sich hiermit prima suchen. Folgende Anagramme zur "Tugendlosigkeit der Eliten" fand ich:

Geldlotterie kundenseitig, Destruktion geil geleitend, eitrig diensttuend Kollege,
Gegenidee toll du Stinktier, dein Delikt treulos geneigt, geduldig in Tod selektieren,
Lustigkeit tod niederlegen, Geld detonieren ulkig Sitte, Elitegeld gut diskontieren,
Kriegstote tilgen die Nudel, Und Ostkredite gleiten geil,
Lustigkeit geordnet leiden,
goldig Urinedelsteinkette, Diktion redet Legeleistung, Genie litt Deduktionsregel,
Idiot trug Ekel edelgesinnt, stetig linke Underdogelite, Geldkrise Leitidee nun tot,
Gier leiten gesudelt Doktrin, Delierien du geneigt Klosett.

Nicht übel die englischen Versionen:

Gendered likeliest touting, greeted kindest guillotine, steroid needlelike gutting,
deserting touted kill genie, rutledge doglike intestine, unlettered doglike ignites,
keeler destitution niggled, egregious dent ilk entitled, relinkings dilute toted gee,
interlinked egotist deluge, drugget eellike distention, egregious dent ilk entitled,
kernelled institute doggie, tout gene deleting disliker, ledger keeling destitution,
skeltering guideline toted, grudge likeliest detention, deleter tonguelike tidings,
gettered likeliest undoing, deeding killer tune egotist.


Die Tugendlosigkeit von Eliten ist ein Anagramm des Niedergangs. Was sagen eigentlich Historiker bzw. Kenner der Geschichte zu dieser Ausgangsthese?

Tugendlose Eliten als Anagramm

Passend zum Zeitgeist: Wie soeben bekannt wurde, hat Hilmar Kopper Insiderinformationen für Börsenspekulationen weitergegeben.

Die Tugendlosigkeit von Eliten ist ein Anagramm des Niedergangs.

Die matten Jungs bei JvM

Es grenzt schon an Hirnfick, wenn der sich als Troll betätigende Jean-Remy von Matt (Beleg hier), in einer Rundmail als entscheidendes Argument schreibt, wie sehr er sich vom eigenen Werbespot "berührt bis ergriffen" fühlt, noch "nach dem 50. Mal gucken".

Nun, nach Marcel Reich-Ranicki hat sich auch Alice Schwarzer entschieden von der Kampagne distanziert. Sie wurde ungefragt von der DbD-Kampagne ergriffen. Vielleicht sollte man die beteiligten Promis mal systematisch befragen, ob sie auch sowas unterstützen:
Meine Mutter hat mir beigebracht, dass man sich für ein Geschenk bedankt, selbst wenn man damit nichts anfangen kann. Wie Recht sie hatte, ist mir gerade wieder klar geworden.

Vor zwei Wochen startete "Du bist Deutschland", die größte gemeinnützige Kampagne aller Zeiten und ein riesiges Geschenk.

Die großen Verlage haben Zeit und Raum im Wert von 35 Millionen Euro geschenkt. 30 Promis der ersten Liga haben Zeit und ihr Gesicht geschenkt. Wir und kempertrautmann haben Zeit und Herzblut geschenkt.

Das Ziel: Die Miesepetrigkeit bekämpfen.

Der Dank: Miesepetrigkeit. Glücklicherweise nur von den Gruppen, von denen man nichts besseres erwarten konnte:

1. Von den Werbekollegen, die sich in den Branchenblättern eifrig zu Wort meldeten. Viele von ihnen finden die Kampagne nutzlos, "weil Werbung doch nicht das gegeignete Mittel sein kann, eine Nation wirtschaftlich wieder nach vorn zu bringen". Nicht gut, wenn unsere Branche selber nicht mehr an die Kraft von Kommunikation glaubt.

2. Von den Weblogs, den Klowänden des Internets. (Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern? Und die meisten Blogger sondern einfach nur ab. Dieser neue Tiefststand der Meinungsbildung wird deutlich, wenn man unter www.technorati.com eingibt: Du bist Deutschland.)

3. Von den intellektuellen Journalisten von FAZ bis TAZ, die ihre Meinung zwar insofern gefragt absondern als sie eine nachweisbare Leserschaft haben, aber: "Den Höhepunkt an Zynismus gewinnt die Kampagne aber in dem Fernsehspot, der Schwule und Behinderte auf dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals versammelt" (Die Zeit).

Blöd, wenn man soviel Kopf hat, dass einem jedes Bauchgefühl verloren gegangen ist.

Übrigens: Sebastian Turner findet die Kampagne einfach nur falsch.

Falsch, was ist das? Auch nach dem 50. Mal gucken, bin ich von dem TV-Spot immer noch berührt bis ergriffen - obwohl ich nicht einmal Deutschland bin.

Kann das falsch sein?
Euer Jean-Remy

Quellen: Blog von Jens Scholz und Blog von Pantoffelpunk sowie Don Alphonso

Absondern? Klowand? Wenn man die beteiligten Promis genauer befragt, könnte man ggf. auch an die ausgebeuteten Praktikanten von JvM denken. Die haben ggf. auch was zu erzählen. Thomas Knüwer spottet derweil bitterböse über die Kommunikationskraft von Jean-Remy. Matt, matter, schachmatt.

Du bist Deutschland?

(via Werbeblogger): Von wegen Mutmacher-Kampagne:

Dass die beschissene NLP-Sprüche verbreitenden Macher der "Du bist Deutschland"-Kampagne Kritik nicht ertragen und kleine Leute u.a. wegen angeblicher Rufschädigung abmahnen, verdeutlicht den moralischen Tiefstand der Kampagne der matten Jungs von JvM.

Bürger wehrt euch!

Vom Wesen des Wettbewerbs

Manche Dinge sind so einfach, dass es sich fast nicht lohnt, darüber zu sprechen. Vom Wettbewerb wissen wir im Prinzip drei Dinge:
  • Das Wettbewerbsprinzip gehört zu den stärksten Anreizsystemen
  • Die Ergebnisse des Wettbewerbs sind von seinen Regeln abhängig
  • Wettbewerb wird von kulturellen Zusammenhängen geprägt - und übt selbst kulturellen Einfluss aus
Regeln?

Der Glaube, dass ein ungeregelter Wettbewerb die besten Ergebnisse erbringt, ist ein haltloser Mythos. Es mag zwar ideologische Systeme geben, welche De-Regulierung für das Entscheidende halten, indes, diese Sichtweise wird von der Wirklichkeit völlig widerlegt.

Ja, Kern des Wettbewerbs ist nicht nur der Wettbewerb selbst, sondern seine Regelsetzung! Die Ergebnisse von Wettbewerb sind vor allem (!) von Regeln abhängig, und davon, wie erfolgreich diese durchgesetzt werden. Hilfreich zudem ist eine Kultur von Fairplay.

Nehmen wir zum Beispiel den Stabhochsprung: Die Regel lautet hier: Wer mit normierten Sportgerät am höchsten springt, gewinnt. Im Ergebnis erhält man sagenhafte Spitzenleistungen auf dem Gebiet des Stabhochsprungs. Manipulation wird streng geahndet. Im Fall vom Fußball ist es ähnlich, nur, dass man es hier mit einem komplexeren Regelwerk zu tun hat, das Fairness brutal erzwingt und die Gestaltung des Spiels im Einzelnen regelt. Eben nicht: Tore und gut.

Dazu kommt, was die Anreize maximiert, dass die Wettbewerbe untereinander vielfältig verflochten sind, mit regionalen, nationalen und internationalen Wettbewerben, für die einheitliche Regeln gelten. Zu viel Regeln vermindern den Spaß am Spiel, zu wenig Regeln wären verheerend. Ohne Schiedsrichter würden z.B. die Fußball-WM in allerübelstem Chaos enden - und womöglich eine Reihe veritabler Kriegsgründe zwischen den beteiligten Nationen liefern.

Egoismus und Gruppendynamik müssen zivilisiert werden, anderenfalls erhält man Anarchie.

Der ökonomische Wettbewerb hat den Vorzug, dass er Anreize für produktives und nachhaltigtes Wirtschaften schafft. Es wird nicht einfach Wohlstand aufgezehrt. So weit so gut. Nein, sogar hervorragend, nur, dass damit die Fragen längst noch nicht geklärt sind, welche Regeln hier gut und sinnvoll sind.

Auch hier wird man zahlreiche Notwendigkeiten für Fairnessregeln finden, damit es zu einem Leistungswettbewerb kommt. Schädigungswettbewerb, z.B. Betrug oder sozial schädliche Formen von Wettbewerb müssen brutal unterbunden werden, während die Erzielung positiver Wettbewerbsergebnisse gefördert werden muss. Regeln und effektive Schiedsrichter, welche die Befolgung von Regeln erzwingen: Denn jedes Spiel erzeugt Ergebnisse gemäß seinen Regeln.

So einfach ist das.

18 Januar 2006

Wettbewerbsstrategien (1)

"Die Kunden finden mich" sagt er, der erfolgreiche Kaufmann auf meine Frage, was er denn tue, damit er Kunden finde. Er betreibt keine Werbung und seine Ware ist nichtssagend bis hässlich verpackt. Die Preise sind hoch. Mundpropaganda zufriedener Kunden. Es stimmt, was er sagt. Anderes Beispiel: Ein Musikproduzent. Erfolgreich ist er - warum gerade er, ist unklar. Viel Zufall war es, dass er zur rechten Zeit am rechten Ort Musikproduzent wurde. Vielleicht ist das ein Geheimnis gut funktionierender Marktwirtschaften: Dem Zufall eine Chance geben.

16 Januar 2006

Ideologie und Wirklichkeit

Ich beschäftige mich gerade ein wenig mit Wissenschaftsgeschichte. Eine für mich wichtige Fragestellung ist dabei, welche Faktoren Erkenntnisse bzw. deren Verbreitung behindern. Nun, es sind gewiss viele Faktoren, aber zwei Sachen sind mir bislang besonders aufgefallen, nämlich die Faktoren Ideologie und Autorität.

Die Sache mit der Autorität dürfte klar sein. Je aufgeschlossener eine Autorität ist, umso besser. Mich interessiert jedoch im Augenblick mehr der Faktor Ideologie und dessen Scheinautorität.

Ideologien

Unter Ideologie verstehe ich ein umfassenendes System zur Erklärung von Wirklichkeit mit teils selbstreferenziellem Inhalt und Anspruch auf Alternativlosigkeit. Sozusagen die Anmaßung von Wahrheit - wobei dies wahre Bestandteile keineswegs ausschließt. Entscheidend ist hier jedoch, dass jene Teile von Erkenntnis systematisch abwiesen werden, die dem ideologischen System entgegen stehen.

Wenn man so will, eine Art Wissenschaftstalinismus. Je abgeschlossener und ausgearbeiteter eine Ideologie ist, je stärker ihr unbedingter Geltungsanspruch für ihre Wahrheiten ist, umso stärker tritt dieser Charakter hervor.

Ignaz Semmelweis und der Retter der Mütter

Es hat in der Wissenschaftsgeschichte wahre Helden gegeben, z.B. Ignaz Semmelweis, der als ungarischer Arzt mit seinen Erkenntnissen Tausenden von Frauen das Leben gerettet hat. Nur: Es hätten viele Hunderttausend sein können - indes, die Ideologie der Zeit und die Autorität ihrer Vertreter standen seiner Sichtweise schroff und abweisend entgegen. Höchst merkwürdige Ansichten herrschten zu Beginn des 19. Jahrhunderts über das Wesen einer Infektionskrankheit und den Ansteckungsvorgang

Dabei war das, was er fand, im Grunde genommen eine Kleinigkeit.

Er fand heraus, wie man bei der Geburtshilfe das Kindbettfieber der Mütter verhindern kann. Die Wiener Klinik, in der er als junger Assistenzarzt angestellt wurde, hatte zwei Abteilungen. Die Sterblichkeit (pro Geburt!) betrug nahezu 20 %. Damals war es lebensgefährlich für eine Frau, ein Kind zur Welt zu bringen. Diese Todesrate bestand seit Jahren, man hatte sich seitens der Fachleute daran gewöhnt - außerdem hatte man ja hochgradig anerkannte Erklärungen: kosmische Kräfte, athmosphärische Einflüsse usw. usf.

Zwei Jahre lang sah er die jungen Mütter reihenweise sterben. Semmelweis ließ dies jedoch keine Ruhe und er begann, systematisch zu beobachten. Schon die erste Tatsache, auf die er aufmerksam wurde, ließ ihn aufhorchen. Die benachbarte zweite Abteilung der Klinik hatte nur ein Bruchteil der Todesfälle! Und dies, obwohl hier die Entbindungen nicht von den Ärzten, sondern nur von den Hebammen vorgenommen wurden. Die Tatsache war in Wien so bekannt, dass die Mütter geradezu verweifelt versuchten, in die zweite Abteilung aufgenommen zu werden.

Semmelweis pflegte, wie die anderen Ärzte, jeden Morgen im benachbarten Leichenhaus mit seinen Studenten die gerade verstorbenen Frauen zu obduzieren. Noch mit süßlich-penetranten Geruch der Leichen in den Kleidern eilte er dann in die erste Abteilung der Klinik zu den Gebärenden. Eines Tages starb ein Freund von Semmelweis, ein Pathologe, an den Folgen einer eigentlich geringfügigen Schnittverletzung. Er studierte den Leichnam eingehend und fand zu seiner Überrraschung exakt die gleichen Symptome, wie bei den verstorbenen Frauen, die dem Kindbettfieber erlagen.

Wie ein Blitz durcheilte ihn der Gedanke, dass er selbst, die Ärzte und seine Studenten den Tod Tag für Tag vom Leichenhaus in die erste Gebärabteilung trugen! Sie wuschen sich zwar, aber offenbar unzureichend: Der penetrante Leichengeruch blieb ja an ihnen haften! Die zweite Gebärabteilung, wo Hebammen ohne Kontakt mit Leichen arbeiteten, hatte deshalb eine viel geringere Sterblichkeit!

Semmelweis handelte sofort. Schon nach wenigen Tagen machte er die eiserne Vorschrift, dass jeder, der eine Gebärende untersuchte, vorher seine Hände in Chlorkalklösung tauchte, und zwar, bis jeglicher Leichengeruch verflog. Der Erfolg war schlagend. Im folgenden Monat fiel die Sterberate auf zwei von 100 Fällen.

Der Beweis war erbracht.

Der noch nicht einmal 33-jährige Assistenzarzt hatte mit seiner simplen Waschmethode die Vorurteile der wissenschaftlichen Welt über den Haufen geworfen. Das wurde ihm weder von seinen Studenten, noch vom Vorgesetzten, noch von den Experten verziehen, denn seine Befunde standen der bevorzugten medizinischen Deutung diametral entgegen.

Semmelweis musste nach Budapest umziehen, die lästige Waschung mit Chlorkalklösung wurde in Wien wieder eingestellt und die Todesrate stieg wieder auf die alte, furchtbare Höhe.

Die Fachwelt fand auf Basis des bisherigen Ideengebäudes, soweit sie diese Vorgänge überhaupt für beachtlich hielt, schnell passende Erklärungen. Hygiene galt als unsinnige Zeitverschwendung. In Budapest indes, anfangs in unbezahlter Stellung, gelangen Semmelweis die gleichen großartigen Erfolge! Elf lange Jahre lang. Die Experten, die ihren Irrtum nicht wahr haben wollten, hielten Semmelweis für einen Häretiker.

Weiterhin starben überall auf der Welt Mütter am Kindbettfieber, serienweise. Semmelweis predigte in taube Ohren.

Weder seine 1861 veröffentliche leidenschaftliche Schrift über Ursachen und Bekämpfung des Kindbettfiebers, noch seine Vorträge und Briefe an die Ärzteschaft fanden Echo. Nur zäh und langsam neigte sich die Waage der Wissenschaft weg vom althergebrachten Ideengebäude hin zu seinen neuen Ansichten, zumal sich erst spät einige wenige Autoritäten der Medizin auf seine Seite stellten.

Als "unverschämter Sonderling aus Budapest" galt er teils sogar als Bedrohung. Nicht nur, dass man sich stur weigerte, seine Ansichten überhaupt zu diskutieren oder die gefundenen Erkenntnisse probehalber auszuprobieren, man verfolgte ihn solange, bis man seiner habhaft wurde und den Abweichler mit Hilfe einer Intrige in ein Irrenhaus verfrachtete, in dem er nach zwei Wochen, ausgerechnet an einer Wundinfektion, am 13. August 1865 grausig verstarb.

Die Wirklichkeitsverachtung von Ideologien

Interessant an dieser Geschichte ist auch die Art und Weise, wie seine Argumente bekämpft wurden. Statt sich mit seinen Argumenten tatsächlich in der Sache auseinander zu setzen, tischte man immer wieder auf Neue die althergebrachten und hochgradig anerkannten Sichtweisen auf, die wie ein abgeschlossenes ideologisches System funktionierten. War man doch gewohnt, Infektionskrankheiten auf kosmisch-athmosphärische oder geheimnisvolle Kräfte wortgewaltig zurückzuführen.

Dieses System wies Züge der Wirklichkeitsleugnung und Ignoranz auf, dazu Einseitigkeit in der Betrachtung, aber es hatte ein hochgradig verfeinertes Deutungs- und Erklärungssystem anzubieten. Daher war es geschätzt und galt für die meisten bekannten, damit verbundenen Problemstellungen als hinreichend.

Seine Ansichten und seine Befunde wurden von der vorherrschenen Ideologie wie ein Magnet mit falscher Ladung immer wieder neu abgestoßen. Zudem zeigten sich die Ideologen als überlegene Taktiker im Gebrauch von Worten, bei der Deutung von Befunden und medizinischer Zusammenhänge, die überaus "passend" gemacht wurden, um eventuelle Widersprüche zu übertünchen.

Ideologien haben ein taktisches Verhältnis zur Wirklichkeit.
Nebenbei bemerkt: Ideologen haben oft auch ein taktisches Verhältnis zur Geschichte. Sie suchen sich heraus, was passt und verteidigen auf diese Weise ihren Deutungsschlüssel. Statt über offenbarte Widersprüche und abweichende Sichtweisen froh zu sein, werden diese abgewiesen, und im "ideologischen Idealfall" garnicht erst diskutiert. Stattdessen kommt es zur endlosen Wiederholung des ideologischen Systems, was von Insidern des ideologischen Systems als genügende Argumentation bzw. Wahrheitsbeleg betrachtet wird.

(Quelle: U.a. Hans-Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft, Band 2, Seite 181-183)

14 Januar 2006

Peter Peterchens Problem

Der Geschäftsführer des Fußballvereins Schalke 04, Herr Peter Petersen sieht sich "verpflichtet", "gegen diese fehlerhafte, subjektive, diffamierende und schädigende Berichterstattung der Stiftung Warentest vorzugehen".

Schlechte Nachricht wird unumwunden|
wie Kritik als störend empfunden|
"Ha!" ruft der Peter zornigen Muts|
"ich verklag sie!", die schädliche Brut|

13 Januar 2006

Merkels USA-Reise

Beide Politiker haben gute Nachrichten nötig, Bush noch mehr als Merkel - in beiden Fällen frei nach dem Motto: "Seht her, wir können miteinander, es lag doch nur an Schröder". Dabei sollte nicht vergessen werden, dass es Frau Rice war, welche die ersten größeren Schritte einer Annäherung ging.

Athmosphäre ist nicht unwichtig, in der Sache bleibt vieles wie es war. Auch unter Merkel hätte es Skepsis beim Irak-Abenteuer gegeben. Vielleicht gibt es jetzt etwas mehr Unterstützung für den Aufbau des Irak nach amerikanischen Vorstellungen - gemessen an rund 300 Mrd. Dollar Gesamtkosten wird der deutsche Beitrag klein ausfallen.

Recht so. Es kann nicht Aufgabe deutscher internationaler Politik sein, gegen jeden Diktator in den Krieg zu ziehen oder die Versuche amerikanischer Politik nach Hegemonie im arabischen Raum zu unterstützen.

Dazu kommen Veränderungen auf amerikanischer Seite, die in der deutschen Öffentlichkeit kaum beachtet wurden. Einerseits wurden einige Scharfmacher in der US-Administration ausgetauscht und die Macht von Rummy begrenzt. Andererseits gibt es eine vorsichtige Annäherung der US-Administration an internationales Recht und an seine internationalen Partner. Der Atomstreit mit dem Iran wird weiterhin - und das ist bemerkenswert - nach europäischer Vorgabe ausgetragen.

Die USA hätten sich außenpolitisch geschadet, wenn sie sich tiefer in die Isolation begeben hätten. So war es von Frau Merkel doppelt klug, den "Besuch der Freundschaft" mit einer deutlichen Botschaft zu verbinden, in welche Richtung die Entwicklung verlaufen soll. Klug nicht nur, um einen Wandel und die internationale Re-Integration der US-Administration zu beschleunigen, klug auch, weil Frau Merkel damit den Ruch hündischer Folgsamkeit meidet.

Es geht um Kooperation und nicht um angebliche amerikanische Leadership. Die Botschaft scheint angekommen zu sein. Vielleicht gibt es dann in ferner Zukunft wieder einmal US-Botschafter, die in der Lage sind, die Sprache des Gastlandes zu sprechen oder zu verstehen.

Der Sozialstaat, Sozialstaat hat immer schuld

Der Strafverteidiger Bossi sagt:
"Die deutschen Strafgerichte sind so ungerecht, dass man die Urteile auch auswürfeln könnte," sagt Rolf Bossi, Deutschlands bekanntester Strafverteidiger. Justizirrtümer seien demnach "sozialstaatlich sanktionierte Kunstfehler".

Bin zufällig drüber gestolpert. Nebenbei, diese Maischberger-Folge (Video) ist spannend.

Der Witz an der Formulierung ("sozialstaatlich sanktioniert...") besteht darin, dass man den Begriff "Sozialstaat" scheinbar rein pejorativ (abwertend) verwenden kann. Das heißt, auch dort, wo es ü-b-e-r-h-a-u-p-t nicht um den Sozialstaat geht (sondern um den Rechtsstaat), dort wird stattdessen dieser Begriff zum Zweck der Herabsetzung verwendet.

Das passt schön zur Schieflage des pseudokompetenten Ökonomensprech, welche in Verkennung der Bandbreite der Probleme immer wieder auf "den" Sozialstaat zu sprechen kommen (statt z.B. auf das Zustandekommen seiner Finanzierung und andere Problemstellungen). So, als bestände das wesentlichen ökonomische Problem unserer Gesellschaft im Bestehen eines Sozialstaats - wobei diese Ökonomen darunter weniger die Rentner verstehen, die den Kostenschwerpunkt repräsentieren.

Vermutlich haben diese Ökonomen die eigenen Rente im Visier. Macht ja auch Sinn.

12 Januar 2006

Lage und Aussichten in Bolivien

Kaum irgendwo auf der Welt treten Klassengegensätze und Ideologien stärker hervor als in Südamerika. Neben den üblichen Verdächtigen bzw. sozialistischen Träumern sind in diesem Land auch Klasenkämpfer von oben zu sehen, regelrechte reaktionäre Arschlöcher. Die Gegensätze scheinen den Menschen nicht gut zu tun, die politische Szenerie ist stark polarisiert.

Insofern sind die aktuellen Entwicklungen in Bolivien interessant, ist dort doch mit Evo Morales ein in der Praxis gemäßigter Linker demokratisch an die Macht gekommen, mit 54% der Wählerstimmen, der sich neben antikapitalistischer Rhetorik dem Ausgleich von Interessen und einer kulturellen Öffnung verschrieben hat. In diesem Zusammenhang ist seine breite Unterstützung durch die bolivianischen Mittelschichten bemerkenswert, die nicht nur die Korruption satt hatten, sondern sich auch zunehmend als Verlierer eines unausgewogenen Kapitalismus verstehen.

Die radikale ("neoliberale") Formulierung des Kapitalismus verliert in Lateinamerika ganz allgemein an gesellschaftlicher Unterstützung.

Forderungen von Evo Morales
  • Chancengleichheit
  • Verzicht auf Rache
  • Kultur des Konsenses
  • Konsumismus mäßigen
  • Kampf gegen Korruption
  • Pragmatismus und Fairness
  • Gerechtigkeit im Welthandel
  • Stärkung des Bildungswesens
  • Legalisierung des Koka-Anbaus
  • Bekämpfung des Kokainhandels
  • Öl- und Gasverträge verbessern
  • Bekämpfung von US-Hegemonie
  • Autonomie für bäuerliche Strukturen
  • Neoliberales Wirtschaftsmodell ändern
  • Bodenschätze des Landes für alle nutzen
  • Außenpolitik im Sinne friedlicher Koexistenz
  • Außenpolitische Anlehnung an Venezuela und Kuba
  • Mindeststandards für Gesundheit, Bildung und Ernährung
"Ich möchte im Interesse eines würdigen Boliviens lernen, die Ungleichheit zu beseitigen, das Schicksal unseres Volkes zu verbessern und das neoliberale Modell zu ändern"

Innenpolitische Probleme

Die Macht von Evo Morales geht zu guten Teilen auf die Kokabauern und Gewerkschaften zurück - und deren Erwartungen sind groß wie unmäßig. Dazu kommen lebendige sozialistische Massenbewegungen in Bolivien, die sich seit dem Sieg über die US-Firma Bechtel (Wasserprivatisierung) gestärkt sehen. Dort schätzt man seine Konsenskultur nicht. Man fordert von ihm z.B. binnen drei Monaten eine vollständige Verstaatlichung aller Öl- und Gasausbeutung - und droht mit Massenprotesten, was z.B. seinen jüngsten Zusagen gegenüber Total Fina Elf zuwider läuft. Die indigene Landbewegung verlangt eine Bodenreform - und setzt diese gegenüber Großgrundbesitzern teils gewaltsam durch, während Morales bereits den Schutz des Eigentums der Großgrundbesitzer zugesagt hat. Die Gewerkschaften verlangen wiederum erhebliche Lohnerhöhungen für staatlich Beschäftigte.

Bedrängnis gibt es auch von anderer Seite.

Evo Morales mit seinen zahlreichen antiamerikanischen Ansichten gilt den USA als "rotes Tuch", was auf behaglicher Gegenseitigkeit beruht. Wirtschaftsrestriktionen der USA drohen, sowie die Revision von Zusagen des IWF. Die geplanten Änderungen der Gas- und Öl-Lizenzen werden voraussichtlich von Weltbank und WTO blockiert werden. Zudem wird Morales den Kampf rechtsgerichteter Kräfte anziehen, angefangen von der FAES von José María Aznar bis hin zu den Netzwerken amerikanischer Neokonservativer, welche die schnelle Entmachtung von Morales, Chavez und Castro für eine Menschheitsaufgabe halten. Sollte es diesen gelingen, die US-Administration bzw. den CIA ähnlich wie beim Kampf gegen die Sandinisten einzubinden, wird Bolivien ausgesprochen unruhige Zeiten erleben. Absehbare Unruhe wird auch aus den wieder eskalierenden Gegensätzen zwischen Bewohnern des Hochlandes und des Tieflandes resultieren.

Forderungen des Auslands
  • Ausbau der Zusammenarbeit (China)
  • Schutz ausländischen Besitzes in Bolivien (USA)
  • Rechtssicherheit für europäische Investoren (EU)

Was wird geschehen?

Die Aussichten laufen m.E. darauf hinaus, dass Evo Morales ein "Sozialist der Worte" sein wird, dem es nicht gelingen wird, seine Machtbasis zufrieden zu stellen. Die Rohstoffausbeutung wird sich nur in kleinen Teilbereichen verändern, der Kokaanbau wird weitergehen, vielleicht wird die wirtschaftliche Koordination von Lateinamerika voran getrieben. Letztes passt auch gut zum absehbaren Wahlsieg von Michelle Bachelet in Chile, womit die traditionellen Spannungen zwischen den Ländern verringert werden können.

Unter der Präsidentschaft von Morales werden staatliche Ausgaben stärker wachsen als die Einnahmen - und in diesem Ungleichgewicht liegt ein Faktor künftiger Krisen. Bolivien wird, auch wenn es außenpolitisch keine Probleme bekommt, voraussichtlich schon bald einige innenpolitische Turbulenzen erleben. Mitte 2006 steht eine Verfassungsreform an, bei der sozialistische und indigene Forderungen einfließen werden.

Die notwendige Modernisierung wird m.E. ausbleiben oder jedenfalls deutlich zäher verlaufen als erhofft. Bolivien wird ein armes Land bleiben.