20 Januar 2006

Richtertotalitarismus

Deutsche Richter verfügten, dass von nun an Wikipedia.de abgeschaltet sein müsse. Maßlos. Ich kann kaum glauben, dass ein derart wichtiges Portal wegen einer rechtlich höchst umstrittenen Frage des Persönlichkeitsrechts komplett abgeschaltet wird.

Weitere Infos liefern Burkhard Schröder sowie der SPIEGEL. Wie lange dauert es wohl noch, bis andere Betreiber von Infrastruktur getroffen werden? Das leider oft überzogen genutzte Rechtsinstitut der "einstweiligen Verfügung" sollte entschärft werden.

Update: Es geht nicht "nur" um eine Weiterleitung. Es gibt sind bereits richterliche Verfügungen in Richtung USA auf den Weg, welche auf die Abschaltung des ganzen Portals zielen.

Ich glaube nicht, dass es für die Entwicklung unseres Rechtsstaats in irgendeiner Weise gut ist, wenn wir hierzulande auf dem Wege von Abmahnungen, Unterlassungserklärungen und einstweiligen Verfügungen den gleichen Irrsinn zustande bekommen, wie in den USA, wo z.B. die Gesundheitskosten zu mindestens 10% auf einem überbordenden Rechtswahn beruhen.

Einen guten Rechtsstaat gibt es nicht, wenn das Recht kein Maß hält.

Update: Die Vollstreckung der Anordnung wurde von den Richtern nach dem Einspruch von Wikipedia seit dem 20.1. ausgesetzt. Wikipedia ist wieder online. Es soll Angst vor der öffentlichen Reaktion im Spiel gewesen sein.

5 Comments:

At 20 Januar, 2006 10:37, Anonymous Anonym said...

Naja, mehr als eine Weiterleitung ausser Betrieb setzen können sie nicht. Die deutschsprachige Wikipedia mit allen unzensierten Inhalten ist ja weiterhin über de.wikipedia.org erreichbar. Also halb so wild.

Aber ich gebe dir natürlich Recht, dass da völlige Internet-Ignoranten am Werk waren und kein Mass kannten.

 
At 20 Januar, 2006 17:19, Anonymous Anonym said...

Wollt ich gerade auch sagen. SIe haben ja nur die Weiterleitung ausgesetzt.

ANdererseits geht den Schreiberlingen von Lexika wohl so langsam der Hintern auf Grundeis. Mal schauen, wie sich das weiterentwickelt.

 
At 20 Januar, 2006 17:52, Blogger John Dean said...

"Nur" die Weiterleitung? Wobei die Richter ja bereits Verfügungen in die USA geschickt haben, die auf die Abschaltung des ganzen Portals hinaus laufen.

Wenn es rechtens ist, Wikipedia wegen so einer (im Verhältnis zur Bedeutung von Wikipedia) Kleinstproblematik abzuschalten (nein: die Richter zielen nicht nur auf die Weiterleitung), dann muss es ja eigentlich auch rechtens sein, z.B. dass ganze Internet abzuschalten. Oder alle Autobahnen still zu legen.

Infrastruktur ist nämlich gefährlich, und wird auch für Rechtsverstöße genutzt.

Tja, und der Knüller an der Geschichte ist es m.E., dass nicht mal klar ist, ob überhaupt ein Rechtsverstoß vorliegt, dass tatsächlich ohne jegliche Anhörung der Gegenpartei eine derart drastische Maßnahnme entschieden werden konnte.

Ich glaube nicht, dass es für die Entwicklung unseres Rechtsstaats in irgendeiner Weiste gut ist, wenn wir hierzulande auf dem Wege von Abmahnungen, Unterlassungserklärungen und einstweiligen Verfügungen, den gleichen Klageirrsinn zustände bekommen, in den USA, wo die Gesundheitskosten bereits zu mindestens 10% auf einen überbordenden Rechtswahn beruhen.

 
At 22 Januar, 2006 10:34, Anonymous Anonym said...

von totalirismus zu sprechen ist ja wohl eher eine alberne bloggedummheit.

selbst wenn euch das urteil nicht gefällt hat der richter die einstweilige verfügung nach gutem recht und wissen erlassen.

es gibt in deutschland nun mal das "postmortale Persönlichkeitsrecht"

dumm ist nur, das der richtige name von Tron auf 100ten von sites zu finden ist. von daher ist die einstweilige verfügung als unsinnig zu bewerten.

auch die schlussfolgerung "angst vor der öffentlichkeit" ist albern. als ob sich der staat da beeindrucken lässt. wenn es recht ist, das ist es recht, und wenn es uns bis zum nimmerleinstag nicht passt.

nehmt einfach mal das beispiel mit dem kreuz in schulen. da hat auch alles aufgeschrien, und dennoch ist das urteil geblieben.

die gegenseite hat sich mit dem gericht zusammen gesetzt und es kam zur "vorläufigen Aussetzung der einstweiligen verfügung" d.h. es ist in sachen tron noch garnichts entschieden.

die aufregung ist gekünzelt.

und nicht das da ein falscher verdacht aufkommt: ich hab bei der abschaltung auch nur den kopf geschüttelt. Aber all die untersetllungen, die man gerade auf bloggern lesen kann sind doch ziemlich diletanisch. da passt einem was nicht und schon wird rumgebrüllt.

 
At 22 Januar, 2006 12:47, Blogger John Dean said...

"Nach guten Recht"?

Das mag ja formal der Fall sein, aber dem Inhalt nach konnte ich hier keine gute Anwendung des Rechts erkennen - im Übrigen auch die betroffenen Richter nicht, denn im Nachhinein kam ihnen das eigene Vorgehen selbst maßlos vor.

Sie haben ihre Entscheidung inzwischen aufgehoben bzw. den maßlosen Vollzug.

Ich finde dein Argument sehr gut, dass Richter keine Angst vor der Öffentlichkeit haben dürfen.

Sie dürfen aber auch nicht taub sein, wenn die Kritik berechtigt sein sollte.

Der Kern der Kritik ist, wie ich finde, berechtigt: Eine derart gravierende (millionenfach gravierende!) Maßnahme sollte vor dem Hintergrund einer außerordentlich umstrittenen Rechtsfrage besser abgewogen und daher nicht verfügt werden, und zwar deshalb, weil der Schaden der Verfügung den Nutzen weit überwiegt.

Eine Verfügung sollte angemessen sein - und in diesem Fall war sie das nicht.

Ein Beispiel:

Wenn eine Zeitung einen fehlerhaften Artikel veröffentlicht hat, in dem ggf. (das ist ja noch garnicht geklärt!) ein schützenswertes Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wurde, dann wird ja nicht gleich die Zeitung verboten bzw. das ganze Zeitschriftenportal abgeschaltet!

Die evtl. zu verfügende Maßnahme sollte den bemängelten Artikel treffen, nicht aber gleich das ganze Zeitungsunternehmen, oder?

Eine derart maßlose Übertreibung der richterlichen Verfügungsgewalt halte ich - in diesem Einzelfall - durchaus für einen vereinzelten Ausdruck von Richtertotalitarismus.

Das Wort habe ich, meine und hoffe ich, sorgfältig bedacht und ausgewählt.

Wenn unsere Richter immer und mit dem dort angewendeten Maßstab (!) verfügen würden, dann ergäben sich ziemlich ungute Zustände.

Erfreulicherweise sind die meisten Richter besonnene Menschen - und sogar die im Einzelfall maßlosen Richter im Beispiel zeigten sich lernfähig.

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home