Lage und Aussichten in Bolivien
Kaum irgendwo auf der Welt treten Klassengegensätze und Ideologien stärker hervor als in Südamerika. Neben den üblichen Verdächtigen bzw. sozialistischen Träumern sind in diesem Land auch Klasenkämpfer von oben zu sehen, regelrechte reaktionäre Arschlöcher. Die Gegensätze scheinen den Menschen nicht gut zu tun, die politische Szenerie ist stark polarisiert.
Insofern sind die aktuellen Entwicklungen in Bolivien interessant, ist dort doch mit Evo Morales ein in der Praxis gemäßigter Linker demokratisch an die Macht gekommen, mit 54% der Wählerstimmen, der sich neben antikapitalistischer Rhetorik dem Ausgleich von Interessen und einer kulturellen Öffnung verschrieben hat. In diesem Zusammenhang ist seine breite Unterstützung durch die bolivianischen Mittelschichten bemerkenswert, die nicht nur die Korruption satt hatten, sondern sich auch zunehmend als Verlierer eines unausgewogenen Kapitalismus verstehen.
Die radikale ("neoliberale") Formulierung des Kapitalismus verliert in Lateinamerika ganz allgemein an gesellschaftlicher Unterstützung.
Forderungen von Evo Morales
- Chancengleichheit
- Verzicht auf Rache
- Kultur des Konsenses
- Konsumismus mäßigen
- Kampf gegen Korruption
- Pragmatismus und Fairness
- Gerechtigkeit im Welthandel
- Stärkung des Bildungswesens
- Legalisierung des Koka-Anbaus
- Bekämpfung des Kokainhandels
- Öl- und Gasverträge verbessern
- Bekämpfung von US-Hegemonie
- Autonomie für bäuerliche Strukturen
- Neoliberales Wirtschaftsmodell ändern
- Bodenschätze des Landes für alle nutzen
- Außenpolitik im Sinne friedlicher Koexistenz
- Außenpolitische Anlehnung an Venezuela und Kuba
- Mindeststandards für Gesundheit, Bildung und Ernährung
"Ich möchte im Interesse eines würdigen Boliviens lernen, die Ungleichheit zu beseitigen, das Schicksal unseres Volkes zu verbessern und das neoliberale Modell zu ändern"
Innenpolitische Probleme
Die Macht von Evo Morales geht zu guten Teilen auf die Kokabauern und Gewerkschaften zurück - und deren Erwartungen sind groß wie unmäßig. Dazu kommen lebendige sozialistische Massenbewegungen in Bolivien, die sich seit dem Sieg über die US-Firma Bechtel (Wasserprivatisierung) gestärkt sehen. Dort schätzt man seine Konsenskultur nicht. Man fordert von ihm z.B. binnen drei Monaten eine vollständige Verstaatlichung aller Öl- und Gasausbeutung - und droht mit Massenprotesten, was z.B. seinen jüngsten Zusagen gegenüber Total Fina Elf zuwider läuft. Die indigene Landbewegung verlangt eine Bodenreform - und setzt diese gegenüber Großgrundbesitzern teils gewaltsam durch, während Morales bereits den Schutz des Eigentums der Großgrundbesitzer zugesagt hat. Die Gewerkschaften verlangen wiederum erhebliche Lohnerhöhungen für staatlich Beschäftigte.
Bedrängnis gibt es auch von anderer Seite.
Evo Morales mit seinen zahlreichen antiamerikanischen Ansichten gilt den USA als "rotes Tuch", was auf behaglicher Gegenseitigkeit beruht. Wirtschaftsrestriktionen der USA drohen, sowie die Revision von Zusagen des IWF. Die geplanten Änderungen der Gas- und Öl-Lizenzen werden voraussichtlich von Weltbank und WTO blockiert werden. Zudem wird Morales den Kampf rechtsgerichteter Kräfte anziehen, angefangen von der FAES von José María Aznar bis hin zu den Netzwerken amerikanischer Neokonservativer, welche die schnelle Entmachtung von Morales, Chavez und Castro für eine Menschheitsaufgabe halten. Sollte es diesen gelingen, die US-Administration bzw. den CIA ähnlich wie beim Kampf gegen die Sandinisten einzubinden, wird Bolivien ausgesprochen unruhige Zeiten erleben. Absehbare Unruhe wird auch aus den wieder eskalierenden Gegensätzen zwischen Bewohnern des Hochlandes und des Tieflandes resultieren.
Forderungen des Auslands
- Ausbau der Zusammenarbeit (China)
- Schutz ausländischen Besitzes in Bolivien (USA)
- Rechtssicherheit für europäische Investoren (EU)
Was wird geschehen?
Die Aussichten laufen m.E. darauf hinaus, dass Evo Morales ein "Sozialist der Worte" sein wird, dem es nicht gelingen wird, seine Machtbasis zufrieden zu stellen. Die Rohstoffausbeutung wird sich nur in kleinen Teilbereichen verändern, der Kokaanbau wird weitergehen, vielleicht wird die wirtschaftliche Koordination von Lateinamerika voran getrieben. Letztes passt auch gut zum absehbaren Wahlsieg von Michelle Bachelet in Chile, womit die traditionellen Spannungen zwischen den Ländern verringert werden können.
Unter der Präsidentschaft von Morales werden staatliche Ausgaben stärker wachsen als die Einnahmen - und in diesem Ungleichgewicht liegt ein Faktor künftiger Krisen. Bolivien wird, auch wenn es außenpolitisch keine Probleme bekommt, voraussichtlich schon bald einige innenpolitische Turbulenzen erleben. Mitte 2006 steht eine Verfassungsreform an, bei der sozialistische und indigene Forderungen einfließen werden.
Die notwendige Modernisierung wird m.E. ausbleiben oder jedenfalls deutlich zäher verlaufen als erhofft. Bolivien wird ein armes Land bleiben.
5 Comments:
Ich glaube, das ist aus dem Text deutlich hervorgegangen: Nein.
...sage ich jetzt mal dem kundigen Leser.
@che
darum wollen alle ja nur dollares oder gleich in die USA ;)
@topic
Morales hängt außen- und wirtschaftspolitisch von Brasilien ab. Die Petrobras wird ihre Hilfe bei der Erschließung der Erdgasressourcen nicht durch Enteignung belohnt sehen wollen.
Niedlich finde ich ja die Zusammenstellung der Forderungen. Man könnte ja fast glauben, Morales sei ein Ordoliberaler.
Bislang habe ich von Morales den Eindruck, daß er im Gegensatz zu Chavéz, kein komplettes Arschloch ist . Sorry für den Ausdruck, aber ich passe mich darin an im Eintrag zu findende Wortwahl an ;-)
Morales ist - der bisherigen Praxis nach - ein sozialistisch gefärbter Pragmatiker. Das zeigen seine jüngsten programmatischen Äußerungen (hoffentlich recht akkurat von mir zusammengestellt), die ja nicht zufällig davon sprechen, dass er "lernen möchte", wie er die angestrebten Ziele erreichen könnte. So spricht niemand, der als Ideologe mit fertigen Rezepten an die Macht gelangt ist.
Gleichheitig ist er ein begnadeter Rhetoriker und ein Sozialist mit revolutionär gekleideten Worten, der hierfür kaum ein antiamerikanisches Klischee auslässt, wenn er nur Gelegenheit dazu erhält.
Man könnte Beides als Zeichen der Unerfahrenheit werten.
Als ich mich an meinen Artikel ranmachte und recherchierte, hatte ich tatsächlich ein wenig die Hoffnung, jemand vorzufinden, der zumindestens tendenziell (ählich wie die neue Präsidentin in Chile) einen Linksliberalen darstellt.
Das ist nicht der Fall und auch sonst, ich hoffe, das ist in meinem Artikel deutlich geworden, sehe ich für Bolivien eher eine verdunkelte Zukunft voller Spannungen und Krisen.
Immerhin - insofern ein Trost, jedenfalls für mich, diktieren meine politischer Hoffnungen und Ideen nicht das Bild, das ich wahrnehme.
Ganz im Gegensatz z.B. zu den Puppen und anderen ideologischen Rechtsbloggern.
Ich bezweifle, ob ein tatsächlicher Wandel in Südamerika zu erwarten ist. Die jetzigen Linksregierungen könne auch nicht zaubern, und die alten sozialistischen Rezepte funktionieren ja auch nur, wenn sie von dritten (z.B. den Autofahrern der USA ;) ) bezahlt werden.
In Chile wird sich soviel nicht ändern. Die jetzige Koalition regiert set 15 Jahren und erfeut sich an der relativ guten wirtschaftlichen Lage, die auch ein Ergebnis der Diktatur und deren friedlichen Endes ist. Wie Blair wenig am Thatcherismus geändert hat, so haben es auch die Linken in Chile gehalten. Und wenn man nach Brasislien schaut, so sieht man ebenfalls, daß der hierzulande bejubelte "Linksruck" auch eher harmlos und pragmatisch verlaufen ist.
Ich sehe zwar auch schwarz für die Zukunft Boliviens, aber nicht unbedingt durch Konflikte mit den USA. Denn Cola braucht Coco und die Coca-Bauern werden es auch verkaufen wollen.
Als Abschlußbemerkung bleibt festzuhalten, daß mir es schwerer fällt, sozialistische Bewegungen in Lateinamerika zu verteufeln, als anderswo. Zwar halte ich deren Programme für schädlich und kontraproduktiv, aber ich sehe auch, daß die feudal-oligarchischen Strukturen in manchen Ländern gewissermaßen zu Fundamentalopposition herausfordern.
Che, aus der Sicht reiner Ökonomie ist sowas mit Recht *völlig* irrelevant. Die Frage lautet vielmehr:
1. Wie ist das Wachstum?
2. Wie sicher können die Auslandskredite bedient werden?
3. Wie ist der Schutz des Eigentums?
4. Wie stark hält man sich an die Vorgaben und Vorschläge des IWF?
Wenn Punkt 1. scheitert (wie z.B. in Neuseeland zwischen 1984 bis 1900, das sich in dieser Zeit im OECD-Vergleich extrem unterdurchschnittlich entwickelt hat), dann ist man dann immer noch eine Art "Musterland". Ein gepriesenes Vorbild, ob nun mit oder ohne Sklaverei.
Außerdem ist immer wichtig, ob das Eigentum der Feudalherren bzw. Großgrundbesitzer (das zuvor, ähem, brutal geraubt war) erhalten und vollkommen unangetastet bleibt.
Vor diesem Hintergrund sind Sklavenbefreiungen oder Landreformen nun einmal eher negativ zu sehen, quaasi als Ausdruck von sozialistischer bzw. linksliberaler Schwärmerei. Völlig unwichtig. Wichtig wäre jedoch, eine bessere Beteiligung am "Kampf gegen den Terror!"
So musst du das sehen!
//* Ironiemodus off *//
* Ergänzung zu Neuseeland: Seit man dort die strikten neoliberalen "Reformen" auf Druck der Bevölkerung gelockert hat, und nicht nur Mindestlöhne einführte, sondern diese sogar dreimal in Folge erhöhte, tja, seitdem galoppiert dort das Wachstum.
Die reine neoliberale Lehre ist in der Praxis ein Wachstumskiller. Ein wenig ökonomischer "Neoliberalismus", wenn er denn sozial abgefedert ist, scheint hingegen - messbar - nützlich zu sein. Nützlich, dank der Abfederung und sozialen Gestaltung, vor allem auch für die Betroffenen...
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