29 Juni 2006

Harte Worte

In der FTD äußert sich Thomas Klau zum patriotischen Morast und dem Versagen amerikanischer Medien.

24 Juni 2006

Fußball und Merkel: passt nicht

Heute habe ich mir das WM-Spiel Deutschland gg. Schweden vor einer Großleinwand angesehen, zusammen mit rund tausend Leuten. Fröhliche Stimmung, Familien mit vergnügten Kindern, überall schwenkende Deutschlandfahnen, gute Laune, dann plötzlich: eine Großaufnahme von Frau Merkel auf der Leinwand.

Schlagartig wird es still, dann sinken hunderte von Deutschlandfahnen zu Boden, keine einzige wird mehr geschwenkt, statt Gesängen erschallen zahlreiche Pfiffe und Buhrufe. Sofort, als Merkels Gesicht von der Leinwand verschwand, ging die Party wieder weiter...

22 Juni 2006

Nihilistischer Freiheitsbegriff (Rechtsliberalismus)

Das ist mein schwerster Vorwurf an den Rechtsliberalismus: Er hat im Wesentlichen einen nihilistischen Freiheitsbegriff.
Dadurch, dass der Wirtschaftsliberalismus die "Freiheit" ungeregelter Märkte ins Zentrum seines politischen Wollens rückt, und schlimmer noch, dies sogar noch mit dem Kern menschlicher Freiheiten verwechselt, wird sein Freiheitsbegriff in doppelter Hinsicht nihilistisch.
Er ist einerseits nihilistisch dadurch, dass er die menschliche Erfahrung negiert, z.B. die vielfachen Erfahrungen mit dem Machtproblem und Machtmissbrauch in ungeregelten Märkten.

Und er ist andererseits nihilistisch dadurch, dass er seine Freiheit als ein bloßes, eigentlich leeres, "wovon" versteht. Damit gaukelt der Wirtschaftsliberalismus die alte Chimäre des Manchesterliberalismus vor, und behauptet, dass sich nahezu alle sozialen und menschlichen Fragen mit totaler Gewerbe- und Handelsfreiheit beantworten ließen. Seine Wahnidee, dass aller Fortschritt allein auf einer Freiheit von Staat und Sozialstaat beruhen könne, ist nihilistisch.

Dieser Nihilismus, der sich am Scheingegensatz aus Staat vs Markt entzündet, kann bis zur Demokratiefeindlichkeit wachsen, denn seine Freiheit "wovon" ist reaktionär, das heißt, sie ist von dem Vergangenen bzw. angeblich zu Überwindenden negativ bestimmt. Bedingt durch seinen Nihilismus vermag Wirtschaftsliberalismus nicht ernsthaft danach zu fragen, wie ein besserer Staat, eine bessere Demokratie und bessere Märkte erreicht werden können.

Der Wirtschaftsliberalismus ist weder in der Lage, Rücksicht gegenüber ökonomisch Schwächeren zu üben, womit er Freiheit vernichtet, noch ist er in der Lage zu einer angemessenen Syntheseleistung aus einer Freiheit "wovon" mit einer Freiheit "wofür". Zutiefst unfähig ist er zudem, den Menschen über seine individuelle Natur hinaus auch als soziales Wesen zu verstehen und ihm damit gerecht zu werden. Auch er fordert einen neuen Menschen.

Der Kommunismus war nihilistisch gegenüber dem Menschen, wie er ist, nihilistisch z.B. gegenüber individuellen Freiheitsstreben, und verlangte stattdessen "neue" bzw. sozialistische Menschen. Dafür gingen Stalin und Mao millionenfach über Leichen. Faschismus und Nationalsozialismus waren nihilistisch. Und auch jene, welche Privateigentum rücksichtslos und über alle übrigen Werte hinweg vergötzen, sind dies, auf ihrem trostlosen Weg in die schrankenlose Diktatur der Märkte. Auf diesem Weg negieren radikale Wirtschaftsliberale alles und alle Werte, die diesem Vorhaben entgegen stehen.

Nihilismus.

Eine Frage

«Wenn wir nicht wieder anfangen, die Freude am Menschen zu empfinden, dann wird die Welt nie etwas anderes sein als eine unermessliche Einsamkeit.»
«Letztendlich ist es sehr dumm, nur mit der Pest zu leben. Ein Mann muss natürlich kämpfen (...). Aber wenn es damit endet, dass er sonst nichts mehr liebt, wofür ist dann das Kämpfen gut?»

(Quelle: u.a. aus der Rede: "Den Geist hochhalten!", Lesetipp: Camus, Albert, Fragen der Zeit. ISBN 3-499-22195-0)

18 Juni 2006

Eine Lobbyisten-Karriere

Eine Lobbyistenkarriere konzentriert auf eine Person: Vom Kanzleramt zur Bertelsmann-Stiftung, dann als Politiker-Betreuer und Rüstungslobbyist. Danach "transatlantisch" im Kampf für Hochrüstung, z.B. als Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, sowie als Präsident der deutschen Landesgesellschaft des US-Rüstungskonzerns Boeing. Parallel Honorarprofessor der TU München.

Möge er in der Hölle schmoren!

Die doppelgesichtige Kanzlerin und die Mitmach-Medien

Frau Merkel hat mehrere Gesichter, einmal ein PR-Gesicht für die Bürger, und dann das Gesicht einer politischen Strategin. Den dumm gehaltenen Bürgern zeigt sie ein Binsengesicht, mit dem sie ihre Platitüden zum Besten gibt. Damit veralbert sie die Bürger, statt deutlich zu machen, wofür sie politisch tatsächlich steht.

U
nd die Medien? Machen mit.

Wenn sich Frau Merkel im Kreis von Gesinnungsfreunden wähnt, zum Beispiel in Versammlungen vor Unternehmern oder bei der Tagung der Rüstungslobbyisten in München, so zeigt sie ihr politisches Gesicht, und zwar das einer Frau, welche Deutschland "liberal" umbauen will. Zum Beispiel mit "Lohnabstandsgebot" (gemeint: Sozialhilfeempfänger sollen wieder hungern) und "Liberalisierung der Arbeitsmärkte" (gemeint: Arbeitnehmer sollen endlich schutzloser sein).

Parallel dazu soll der Wehretat um stattliche 14 Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden, der Transrapid erhält Milliarden, und, na klar, die Steuern für Unternehmen "müssen" weiter abgesenkt werden.

Und die Medien? Machen mit.

(Recherchehilfe: 1. Merkel-Interviews, 2. Merkel-Reden)

Gedichtesonntag (3) - Der Krug

Ein Krug aus Ton ist grad zerschollen
Eisern fließt sein Wasser nun
Den Hals recht dick, die Tränen quollen
Doch der Garten begann aufzublühn

Die Vergangenheit beginnt nun morgen
Und jene Zukunft endet gestern schon
Unser fremdes Sehnen war verloren
Was von uns bleibt, das ist ein schöner Ton

16 Juni 2006

Polnische Autoren: Wislawa Szymborska und Ryszard Kapuscinski

Meine beiden polnischischen Lieblingsautoren sind Ryszard Kapuscinski und Wislawa Szymborska. Ich liebe ihr Gedicht "Leben im Handumdrehen" unendlich, und vom politisch orientierten Globetrotter und Interkulturalisten Kapuscinski empfehle ich als Einstieg und Appetithäppchen dies, dies, dies, dies und dies. Enjoy!

NATO-Erfolge: Die "Shanghai"-Gruppe bzw. die Gruendung einer asiatischen Anti-NATO-Gruppe

Die Hegemonial- und Militärpolitik des militaristischen "Verteidungs"bündnisses NATO bewirkt zur Zeit die Gründung einer asiatischen Anti-NATO-Gruppe. Hintergründe dazu hier, hier, hier, hier, hier, und hier..

Demokratie und Freiheit als deformierte Begriffe: Missbrauch als geostrategische Machtworte

Noch nie in der Weltgeschichte war eine nationale Regierung, welche zirka 4,5%* der Weltbevölkerung repräsentiert, derart grenzenlos erfolgreich, die Begriffe "Freiheit" und "Demokratie" auszuhöhlen, weltweit, und zwar als Anagramm für Herrschaftsinteressen.

(*Exkurs: 62 Mio Stimmen von 200 Mio Wahlberechtigten bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2004 entsprechen 31% der amerikanischen Bevölkerung bzw. repräsentieren 92, 4 Mio Amerikaner, d.h. 1,4 % der Weltbevölkerung)

Anagramm für Herrschaftsinteressen? Leider ja.

Ob ein Land in internationalen Vergleich als "Demokratie" eingestuft wird, das hängt wesentlich von geopolitischen Interessen ab. Ein aktuelles Beispiel ist die Diktatur in Usbekistan, welches bis 2004 von interessierten europäischen und amerikanischen Militaristen sogar als "parlamentarische Demokratie" eingestuft wurde. Diese positive Einschätzung änderte sich nach der von Usbekistan und der "Shanghai-Gruppe" erzwungenen Räumung der Militärbasen...

Die folternde Diktatur in Usbekistan galt Europa und den USA solange als "Demokratie", solange sie sich als nützlich erwies. Der Begriff "Demokratie" verkümmert in der Hand von Neocons und Militaristen zu einem Anagramm von Herrschaftsinteressen. (Beispiel)

Neocons in den USA erklärten die brutale Pinochet-Diktatur zur förderungswürdigen "Demokratie", während der tatsächlich teildemokratische Iran als uneingeschränkte "Diktatur" gilt oder sogar als "Hitlerherrschaft" betrachtet wird. Auch deutsche Regierungen sind von geostrategisch deformierten Fehleinschätzungen nicht frei, man denke z.B. an Schröders Aussage über den "lupenreinen Demokraten" Putin oder an perverse Hitlervergleiche von Merkel. Ich meine: Derartige machtstrategische Deformationen sind bei den rüstungsgeilen Neocons besonders stark ausgeprägt. Diesen Satz halte ich für wahr:
Die in der Praxis immer militaristisch und oft sogar faschistoid wirkende Neocon-Ideologie interessiert sich nicht für den Inhalt von Demokratie (=reale Volksherrschaft) und Freiheit (=reale Wahlmöglichkeiten).
Es verwundert daher nicht, dass Rumsfeld und andere Neocons mit Menschenrechtsgruppen regelmäßig Probleme haben oder AIPAC oder AI zum Feindbild erklären. Noch nie ging es den neokonservativen Macht- und Militärfetischisten darum, z.B. das Bildungswesen zu demokratisieren, und nur selten darum, die tatsächlichen Wahlmöglichkeiten der normalen Bevölkerung zu verbessern. Neocons kämen daher nicht einmal ansatzweise auf die Idee, die irakische Bevölkerung über die Dauer der US-Besatzung abstimmen zu lassen.

14 Juni 2006

Verfassungsfeind: Stefan Müller (CSU)

Kaum reden wir hier im Blog vom unheilvollen Erbe des Hitlerismus, drängt sich ein professioneller Politwiderling mit verfassungsfeindlichen Forderungen in die Öffentlichkeit.

Das heute beschlossene Elterngeld ist übel

Die verblüffend konsequent inkompetente "Ministerin" Leyen hat dafür gesorgt, dass heute ein schlechtes Gesetz beschlossen wurde: Das Elterngeldgesetz. Dieser Dreckmist wird von einer willfährigen Presse als "familienpolitische Wende" gefeiert und fast niemand merkt, dass die beschlossenen Regelungen vor allem zur Desintegration von Frauen aus dem Arbeitsmarkt beitragen werden.

Ein massiver Negativeffekt, begleitet von lächerlichstem Versorgungsstaatsdenken nebst Aufblähung der Bürokratur. Kindern bringt dieses Gesetz nichts, denn nach 14 Monaten (also: ab dem Zeitpunkt, wo es für die Entwicklung von Kindern wichtig wäre) fällt die "Förderung" ersatzlos fort.

Ein reaktionäres Appetithäppchen, mit dem die CDU auf Kosten der finanzierenden Arbeitnehmer plant, Frauen aus dem Beruf zu drängen.

Ethik, Wirtschaftsordnung und die Aufgabe von Medien

Wenn nach dem Primat der Ökonomie oder dem Primat der Politik gefragt wird, so ist dies in Bezug auf die Regulierung der Wirtschaftsordnung eine falsche Fragestellung. Denn die Antwort lautet:

Alles Wirtschaften muss sich dem Primat von Ethik und Fairness unterwerfen.

Die Unterwerfung der Wirtschaft unter das demokratische Recht zielt auf ein menschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft. Jeder ökonomische Akteur muss sich also einem sozialen und ethischen Ordnungswillen unterwerfen, auch deshalb, weil enthemmte Märkte humane Werte, Ethik, Gemeinwohl und sogar die Wettbewerbsordnung aufzulösen trachten - zugunsten der Geld- und Machtinteressen ökonomisch mächtiger Individuen.

Es ist die Aufgabe des Staates (unserer ist leider allzusehr in der Hand wirtschaftlicher Interessengruppen und Bürokratieinteressen), darauf hinzuwirken, dass das Wirtschaften zugleich sozial und ethisch verantwortlich erfolgt. Dem Staat stehen für diese Zielsetzung viele Instrumente zur Verfügung: Transparenzerzwingung, Steuerung bzw. aktive Kontrolle, Setzen und Durchsetzen von Spielregeln, Förderung des Guten und Restriktion des Üblen*.

Die Zentrale Aufgabe von Medien in einer demokratischen Gesellschaft liegt hierbei darin, Verstöße gegen Anforderungen der Ethik offen zu legen, damit Menschenwürde und Gemeinwohl Maßstab für Ökonomie und Politik sein können. Besonders kritisch müssen demokratische Medien sein, wenn Partikularinteressen sich in das Gewand des Gemeinwohls hüllen, zudem müssen sie sich strikt an den realen Gegebenheiten und Tatsachen orientieren und diese adäquat darstellen.

Jede Form von Spin und Agenda Setting ist für die Demokratie Gift - und jeder Journalist gehört erschlagen, der derartigen Betrug am Publikum betreibt.

*Die Regulierung der Wirtschaft durch den Staat erfolgt vor allem durch Ordnung des Marktgeschehens unter der Prämisse eines sozialverträglichen Leistungswettbewerbs, durch ein angemessenes Angebot öffentlicher Güter und der sozialstaatlichen Absicherung von Elementarrisiken.

13 Juni 2006

Vom Zweck des Arbeitszwangs - HartzVI und wir

Die teils offene und teils unterschwellige Stigmatisierung von Sozialleistungsbeziehern, hier besonders Arbeitssuchenden, wird voraussichtlich auch in Zukunft fortgesetzt werden. Der strategische Zweck der verdrehten Missbrauchsdebatte, in Verbindung mit angeblich "explodierenden Kosten" besteht darin, erstens, damit zugleich den Sozialstaat insgesamt zu diskreditieren, und zweitens darin, die Betroffenen von Arbeitslosigkeit zum eigentlichen Problem und zur relevanten Problemursache zu erklären.

In Zusammenhang mit HartzIV und der überaus schrägen Missbrauchsdebatte, sei hier ein Zitat beigesteuert. Spargelstechen und der Arbeitszwang dienen dazu:
"die Deutschen zu zwingen, die körperliche Arbeit kennenzulernen, um damit das Verständnis zu finden für jene (...), die auf dem Acker oder sonstwo in der Fabrik stehen. Wir müssen ihnen sinnfällig den Hochmut abtöten (...)"
Quizfragen: Von wem stammt das Zitat? Was genau macht es zynisch?

12 Juni 2006

Tagesaktuell: ...alle aus dem liberalen Spektrum...

Es ist überaus lustig, wie sich die K-gruppenartige Diskurskultur bei S-Tatler gerade offenbart. Der Knaller ist aber der Kommentar des Hausherren zum Sektierer-Treiben:
"Jetzt reicht’s aber. Muß wirklich ein harmloser Beitrag über Fußball dazu führen, daß sich Leute, die eigentlich alle aus dem liberalen Spektrum kommen, auf’s Schärfste anpöbeln?"
S-Tatler sagt zu diesen Extremisten: "alle aus dem liberalen Spektrum" *Gnihihi*

Hoder kommt nach Deutschland!!

Freude! Hoder sieht den unfreiwilligen Ortswechsel vermutlich mit gemischten Gefühlen, aber ich freue mich darüber, dass unser Land mit einen so freiheitlichen, klugen, demokratischen und linksliberalen Mann begrüßen kann. Herzlich willkommen!

11 Juni 2006

Verschwörungstheorien in Bezug auf die USA

Bei Telepolis gibt es zu lesen:
Die Argumentation von Bush zur Rechtfertigung seiner Abhörpraktiken ist überdies absurd. Die bestehenden Vorschriften geben der Regierung bereits im Rahmen des FISA-Gesetzes die Möglichkeit, Überwachungen ad hoc durchzuführen und erst nachträglich das Gericht über diese Maßnahmen zu informieren. Offenbar zieht die amerikanische Regierung es jedoch vor, lieber im Dunkeln, jenseits jeglicher Kontrolle zu operieren.
Tatsächlich ist der Umfang "geheimer" und vor allem unkontrollierter staatlicher Repressionstätigkeit in den USA erstaunlich und nicht minder, dass häufig normale Bürger zu Zielobjekten angeblicher Terrorabwehr werden.
Zumindest wird neben der angeblichen Abwehr des Terrorismus damit auch versucht, Gegner der Regierung auszuhorchen oder zumindest zu verunsichern. Außerdem besteht mit diesem unkontrollierten Überwachungsprogramm auch die Möglichkeit, politische Kontrahenten kompromittierbar zu machen. Viele Beobachter wundern sich ja schon länger, angesichts der zahmen Haltung der Demokraten im Kongress. Hat die Bush Regierung den Kongress mittels Geheimdienstmethoden bereits unter ihre Kontrolle gebracht?
Das Üble ist: Angesichts des Umfangs der Geheimdiensstätigkeit im "land of the free", angesichts der häufigen (!) und gezielten Obstruktion von Oppositionstätigkeit und oppositioneller politischer Betätigung amerikanischer Bürger liegen derartige Verschwörungstheorien nicht einmal fern...

Es dürfte aber m.E. den Tatsachen deutlich näher kommen, dass das insgesamt zunehmend repressive gesamtgesellschaftliche Klima in den USA, in Verbindung mit hocheffizienten Lobbygruppen diese "zahme Haltung" der demokratischen Abgeordneten bewirken. Oder glaubt jemand ernsthaft, amerikanische Geheimdienste würden es wagen, sich selbst in Gefahr zu bringen, wenn sie massiv und regelmäßig Druck z.B. auf Kongressabgeordnete ausüben würden? Wenn da nur ein einziger Fall auffliegt, sind die beteiligten Dienste am Arsch.

Der Telepolisautor Hans Boës liegt mit seiner Verschwörungsidee also weit daneben, und doch bleiben diese StaSi-ähnliche Erscheinungen schlimm, zum Beispiel, dass harmlose Friedensgruppen in den USA zu regelmäßigen Zielobjekten teils massiver Repression geworden sind. Der Schritt von systematischer Schikane und Spionage bei gewöhnlicher und harmloser Oppositionstätigkeit - bis zum offenen Angriff auf Verfassungsorgane ist m.E. nicht sonderlich groß.

10 Juni 2006

Ein Schiff mit 8 Segeln und 15 Kanonen

Wollen wir die unerträgliche Situation "illegaler" Migranten in unserem Land verbessern, so benötigen wir ein Schiff mit 8 Segeln und 15 Kanonen. Das heißt: Ein breites Bündnis gesellschaftlicher Kräfte und die Medien. (Jennys Lied) (Bezug auf Che)

Coka Cola: Eine stinkende braune Brause

Es gibt so wunderbare Konkurrenzprodukte! Für nur 39 Cent für sattte 1 1/2 Liter bekommt man bei LIDL und bei PLUS hervorragend schmeckende Diätcola. Außerdem unterstützt man dann nicht diesen Dreck, diesen Dreck bzw. diesen Mistdreck. Alles klar?

Sorry: Wer noch Coca Cola kauft, ist ein Volltrottel!

Fett ist Schlank
Faulige Zähne sind Gute Zähne
Diabetis 2 und Du bist Dabei !

P.S.
Die UNO hat eine weltweite Umfrage durchgeführt. Die Frage lautet: " Sagen Sie bitte ehrlich Ihre Meinung zur Lebensmittel-Knappheit im Rest der Welt!". Hier das Ergebnis der Umfrage:
Die Europäer haben nicht verstanden, was "Knappheit" bedeutet.
Die Afrikaner wussten nicht, was "Lebensmittel" sind.
Die Amerikaner fragten, was unter dem "Rest der Welt" zu verstehen sei.
Im italienischen Parlament stritt man über die Bedeutung des Wortes "ehrlich".
Die Chinesen baten verwundert um zusätzliche Erklärungen zum Begriff "Meinung".
(via Frosta-Blog)

09 Juni 2006

77 Prozent

Aktuelle Umfragewerte: 77 Prozent aller Palästinenser wollen eine Volksabstimmung, um dann, gegen die Hamas, den Weg zum Frieden mit Israel zu gehen. Termin der Volksabstimmung: 31. Juli. Weitere Hintergründe: Hier, hier, hier, hier, hier sowie der Artikel von Carsten Hoffmann.

08 Juni 2006

NATO und Minister Jung: Skandalöser Beschluss

Wie der Standard berichtet, ist es auf der NATO-Tagung der Verteidigungsminister zu skandalösen Beschlüssen gekommen:
Die Verteidigungsminister hätten zudem ihren Willen bekräftigt, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Militär auszugeben. Diese Vorgabe sei allerdings verpflichtend, sagte der Sprecher. Sie werde derzeit von sieben Ländern erfüllt.
Dazu muss man wissen, dass die Rüstungslasten in Deutschland zur Zeit unter 1,3 % des BIP liegen! Der teilnehmende Bundesverteidigungsminister Jung hat also bei der NATO-"Verteidigungs"planung verpflichtend erklärt, die deutschen Rüstungslasten künftig um ca. 55% bzw. deutlich mehr als 14 Milliarden Euro zu erhöhen.

Skandal!

Unsere politische Elite unterhält sich in Deutschland darüber, die Zahl der Studienplätze weiter abzusenken und sogar darüber Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern weniger als das Existenzminimum zu geben, um jährlich ggf. bis zu 500 Mio Euro zu sparen und dieser Herr Jung schenkte soeben locker-flockig über 14 Milliarden weg. Pro Jahr!!

Die aktuellen Verteidungslasten (2005) betragen 23,9 Milliarden Euro (Quelle), das BIP 2005 rund 2247 Milliarden (Quelle). Das sind also immerhin 1,07 Prozent bzw. nach NATO-Kriterien (leider online nicht verfügbar) 1,26 Prozent.

2 Prozent, wie von "Verteidungs"minister Jung heute verbindlich zugesagt, entsprechen dann einen Zuwachs (von heute 1,26 Prozent auf 2 Prozent) um wahnwitzige 14 Milliarden pro Jahr bzw. einem prozentualen Zuwachs des Etats um weit über 50%! Ich zitiere eine parlamentarische Anfrage (PDF/Quelle):
Die deutschen Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien liegen im Jahr
2004 bei 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auf der Basis des Regierungsentwurfs 2005 bleiben sie konstant, in der Finanzplanung für 2006 bis 2008 sinken sie geringfügig auf 1,3 Prozent.
Dann schreibt der Standard:
Brüssel - Die Nato will künftig in der Lage sein, bis zu 300.000 Soldaten gleichzeitig in Kämpfe zu schicken.
Wozu das denn?? Hat das Irak-Desaster nicht gereicht?
Die Verteidigungsminister hätten eine "Anpassung der Planung des Bündnisses an die Realitäten des 21. Jahrhunderts" beschlossen, sagte Bündnissprecher James Appathurai.
Die Realität ist: Wir benötigen keine so großen Armeen mehr. Sie nützen uns nicht, sondern sie schaden uns. Militarisierung schadet uns finanziell, aber auch politisch.

Dieser Zusammenhang zeigt sich u.a. bei der Militarisierung der amerikanischen Gesellschaft. Die einflussreichen militaristischen Propagandafabriken (euphemistischer Begriff: "think tanks") üben eine übel deformierende Wirkung auf die Gesellschaft aus. Zum Beipiel dadurch, dass diese gezielt Hysterie, eine Kultur der Bedrohung und den Aufbau von Feindbildern betreiben.

Das wäre jetzt richtig:
  • Sofortige Entlassung des Rüstungsministers Jung wegen empörender Kompetenzüberschreitung

  • Halbierung des atavistisch übersteigerten deutschen Wehretats, denn wir lösen unsere Probleme nicht mit "mehr Militär" und größeren Armeen

  • Die USA müssen ihre Militäretats um 2/3 kürzen - mit 150 Milliarden Dollar Rüstungsetat ist Amerika gewiss so sicher wie mit den zur weit über 450 Milliarden Dollar - immer noch Nummer 1

  • Die NATO muss sich insgesamt demilitarisieren, sie muss friedfertiger und weniger bedrohlicher werden, dies auch, u.a. damit es nicht zu Problemen wie in der Ukraine kommt
Schluss mit dem gefährlichen Rüstungsetatismus!

Übrigens:

Neoliberale Drecksäcke jammern gerne und laut über "Etatismus", wenn aber unter Bezug auf dubiose "Bündnisverpflichtungen" eine sklerotische Wucherung der Rüstungslasten (Steigerung um weit über 50 % bzw. Erhöhung auf 38 Milliarden Euro pro Jahr!!) beschlossen wird, dann kommt nicht etwa das von dieser Ecke vertraute "Schmarotzer"-Gerede, sondern i.d.R. nur noch wohliges und zustimmendes Schweigen!

Der "Arbeitskreis Wehrtechnik", fordert sogar 3%, erhebliche Steigerungen verlangt ebenfalls die hochrüstungsgeile Bertelsmannstiftung (PDF). Derartige Machenschaften sollten näher betrachtet werden, damit man versteht, wie es zu derartigen "Verpflichtungen" kommt. Gute Informationen zur europäischen Militarisierung, an Stelle derartigen Schweigens, erhält man u.a. von der Linzer Friedenswerkstatt hier und hier.

Ökonomie als Religion

Der wirtschaftsliberale Glaube an unbeschränkte Selbstheilungskräfte eines unbeschränkten Marktes ist in seinem Kern ein religiöses System. Besonders peinlich in dieser Hinsicht ist die Sekte der Hayekianer, in der die Analyse tatsächlicher Marktverhältnisse und die Prüfung von Vorbedingungen und Funktionsbedingungen von Märkten völlig aufgegeben wurden.

Leseempfehlung: ISBN 3-89518-349-0,
Alexander Rüstow: Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus

05 Juni 2006

Freiheit und Freiheitsquellen - Grundlagen des Linksliberalismus (3)

Freiheit ist das Vorhandensein und die Schaffung von Wahlmöglichkeiten.

Hanna Ahrend meinte:
"Ursprünglich erfahre ich Freiheit im Verkehr mit anderen und nicht im Verkehr mit mir selbst. Frei SEIN können Menschen nur in Bezug aufeinander, also nur im Bereich des Politischen und des Handelns; nur dort erfahren sie, was Freiheit positiv ist und dass sie mehr ist als ein Nichtgezwungen-werden."
Ein selbstbestimmtes und ausgefülltes Dasein ist stets mehr als die bloße Folge davon, von staatlichen Zwang verschont zu sein. Auch sind „freie“ Märkte, Privateigentum und privatrechtlich begründete Vertragsabhängigkeiten noch keine hinreichende Freiheitsbedingung.

Freiheitsquellen sind darüber hinaus:

Bildung/Empowering/Talententfaltung, innere Freiheit, individuelle und soziale Wahlmöglichkeiten, ökonomische und gesellschaftliche Teilhabe/Mitwirkungsmöglichkeiten, Rede- und Handlungsfreiheit, materieller Wohlstand/Freiheit vor Not, Zugang zu Informationen und Märkten, Autonomie/Selbstverantwortung, Vorhandensein und Qualität sozialer Netzwerke, mitmenschliche Solidarität, Gesundheit, Gewaltlosigkeit, Zugang zu Natur, Kultur und öffentlichen Gütern, Toleranz, Schutz vor Machtmissbrauch bzw. Freiheit von Zwang/Repression.

Freiheiten sind keine Automatismen, sondern setzen ihre Benutzung, Pflege und Weiterentwicklung voraus, und zwar nicht allein in individueller Hinsicht, sondern auch in sozialer Hinsicht.

Der Mensch ist keine Insel.

(das bedeutet auch, dass ich diesen Artikel in den nächsten Tagen mehrfach umschreiben werde und für Anregung dankbar bin - Diskussion auch hier und hier)

+++ Update 08.06.06 +++
Diskussion jetzt auch bei Metalust . Über meine neuen Anmerkungen im Kommentarbereich hinaus stelle ich die Frage (auch: mir selbst), in welchem Zusammenhang die
Bedürfnisse nach Bindung und Freiheit, nach Liebe und Ichstärke, Sozialität und Selbstbehauptung stehen. Individuelle Freiheit ohne Bindung wird ein „einsamer Weg“ (Theaterstück Arthur Schnitzler, 1904). Die Spur von Thaleia zur Antike und ihrem Freiheitsbegriff werde ich auch noch genauer verfolgen. Das Gespräch über den Begriff der Freiheit geht weiter.

03 Juni 2006

Liberale Hexenjagd

Die Geschichte Europas und der Wissenschaften ist angefüllt mit Ketzerverfolgungen und Hexenjagden. Wir wissen inzwischen, dass der Umgang mit Abweichlern und lautstarken Kritikern ein guter Indikator für das geistige Klima ist. Liberale zeichnen sich, jedenfalls in der Theorie, durch Toleranz aus und üblicherweise erwarten wir von einem echten Liberalen nicht, dass er Andersdenkende offen bedroht oder zur Jagd aufruft.

Was zur Hölle ist also eine "liberale Hexenjagd", wie passen Liberalismus und Hexenjagd zusammen?

Nun, heutzutage ist alles möglich, und genauso gut, wie heute von deutschen Bushfans behauptet wird, dass Neokonservatismus und Liberalismus identisch seien, so ist es auch möglich, dass der Rechtsblogger und FDP-aktive Vorturner "Statler" einem Kritiker hinterherspürt, zusammen mit mit seinem "liberalen" Kollektiv, um diesen Kritiker unter Druck zu setzen. Sie drohen dem missliebigen Blogger unverhohlen:
Seine Anonymität, hinter der er sich bisher so schön verschanzen konnte, beginnt zu bröckeln. Dann kann er nur noch hoffen (...) Dann wird es für ihn richtig spannend.
Dieser "ihn"ist Nixxon, ein Politblogger, der mit seinen oft sehr leidenschaftlichen und deftigen Kommentaren deutlich macht, dass er von der Weltanschauung der Rechtsblogger nichts hält. Wie wird Nixxon von den ihn bedrohenden (s.o.) "liberalen" Aktivisten beschrieben?
...Verlierer aus der zweiten Reihe...drittklassig...alternder Dauerpraktikant...Anfang vierzig, stramm links ... unerträglicher Job in der Werbebranche...Verbitterung über sein armseliges Leben... trostlose Existenz....echte psychische Probleme...Und so betreibt man dann mit einundvierzig Jahren ein Weblog auf dem sprachlichen Niveau eines Sechzehnjährigen...lausige Magisterabschlüsse, halten sich für kreativ und enden dann damit, als Dauerpraktikanten den Kopierer und die Kaffeemaschine in Frankfurter Werbeagenturen zu bedienen...
Entscheidend ist aber die klare Aussage hier, sobald man weiß, wer er ist:
"Dann allerdings ziehen wirklich dunkle Wolken in seinem Kopierraum auf. Seine Anonymität, hinter der er sich bisher so schön verschanzen konnte, beginnt zu bröckeln. Dann kann er nur noch hoffen (...) Dann wird es für ihn richtig spannend."
Nixxon: Ich warne Dich vor diesen Leuten! Du hast richtig erkannt, das diese "liberal" lackierten Rechten in ihrem Kommunikationsverhalten faschistischen Ideen folgen, und dass sie mit Vertretern der Neuen Rechten zusammen arbeiten. Nimm die Drohung ernst!

+++ Update 06.06.06 +++
Nixxon hat die Warnung berücksichtigt und zwischen den Beteiligten herrscht nunmehr eine Art Friedensschluss, zudem bricht sich ein angenehmes Maß an Selbstkritik Bahn. Nixxon hat sein komplettes Blog gelöscht, sich bei Statler entschuldigt sowie sich endgültig aus dem Internet zurückgezogen. Genosse Statler ruft wiederum sein Kollektiv zur Mäßigung auf, und hat überdies seinen Beitrag, seinen Angriff auf Nixxon inkl. der damit verbundenen Drohung zurückgezogen.

Scheiß-WM! Plus: Ein bemerkenswertes Fußball-Interview

Dieses Interview im SPIEGEL von Christoph Ruf mit Jürgen Klinsmann zeigt sich innovationsfreudig. Ich würde mich sehr freuen, wenn derartige Anmerkungen über die Interview-Athmosphäre künftig auch z.B. bei politischen Interviews verwendet werden:
Frage: Ihre Art wird manchmal als amerikanisch und oberflächlich kritisiert.

Klinsmann: Meine Denkweise hat nichts mit Amerika zu tun, die hatte ich auch als ich in Deutschland, Frankreich, England oder Italien lebte. Sie ist aus Überzeugung optimistisch.

Frage: Sie gelten als knallharter Verhandlungspartner.

Klinsmann:(reagiert emotional) Das ist auch so ein Klischee. Ich habe nach jeder Verhandlungsrunde Dinge aufgeschrieben, die ich besser machen wollte und so ständig dazugelernt. Es gab aber noch nie Verhandlungen, bei denen jemand ausgerastet ist. Dass jemand aufsteht und die Türen zuknallt, wie es in Italien üblich ist, gab es bei mir nie. Auch die Verhandlungen mit dem DFB sind in kürzester Zeit abgeschlossen worden.

Frage: Was ist für Sie Zivilcourage? Greifen Sie ein, wenn jemand angegriffen oder beleidigt wird?

Klinsmann:(schaut skeptisch. Offenbar vermutet er hinter der Frage einen Hinterhalt) Das weiß ich nicht, weil meine Reaktion situationsbedingt wäre. Nächste Frage.

Es ist beruhigend zu wissen, dass die PR-Berater, die für das Öffentlichkeitstraining von Klinsmann zuständig sind, ihn nicht auf alle Thematiken vorbereitet haben.

Frage: Wer verdient den Namen Revolutionär?

Klinsmann: Ich sicherlich nicht. Ich habe keine Revolution gemacht, sondern Dinge vorangetrieben, um eine Leistungsoptimierung zu erreichen.

Frage: Wer ist für Sie ein Revolutionär?

Klinsmann:(reagiert ungehalten) Da halte ich mich raus. Nächste Frage.

Bemerkenswert finde ich auch den Mut von Christoph Ruf, ungewohnte Fragen oder allgemeine Fragen zur Zeit zu stellen. Damit verlässt er die üblichen Bahnen von Trainerinterviews.

Frage: Welches Klischee über die USA trifft am wenigsten zu?

Klinsmann:(wird zunehmend ungeduldig) Ich mache mir keinen Kopf, was der Deutsche über den Amerikaner denkt. Ich habe schon in fünf, sechs Ländern gelebt, kein Land ist perfekt. Ich nehme die Leute so wie sie sind und nicht wie ich sie haben möchte. Dass man damit nicht weit kommt, habe ich schon am Anfang meiner Karriere in Italien gelernt.

Frage: Was halten Sie vom Beratungsunternehmen McKinsey?

Klinsmann: Doktor Henzler, der ehemalige Europa-Chef von McKinsey, hat auf Vermittlung von Oliver Bierhoff vor der Mannschaft einen Vortrag gehalten über Leistungsbereitschaft im Managementbereich. Ich finde das hochinteressant, da kann man viel rausziehen und lernen. McKinsey hat auch Bayern München unter die Lupe genommen, was Uli Hoeneß auch geholfen hat, den FC Bayern zu einer Weltmarke zu machen.

Für mich sieht die Einladung des Europachefs von McKinsey wie eine Form von moderner Priesterherrschaft aus, mit Henzler als Vorturner. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Henzler professionellen Leistungssportlern bedeutend Neues zum Thema Leistungsbereitschaft erzählen kann. Eher schon zum Thema Markenmanagement, aber da gibt es vermutlich bessere und spezialisiertere Fachleute.

Frage: Welche Fehler darf man in der Backstube nie machen?

Klinsmann: (antwortet sehr schnell, seine Stimme überschlägt sich dabei) Die Brezeln verbrennen lassen im Ofen. Dann kracht's!

Frage: Können Sie mit dem Thema Tod umgehen?

Klinsmann:(wirkt unsicher, überlegt sehr lange) Nächste Frage.

Klinsmann verliert viel Souveränität, sobald das Thema nicht Fußball ist. Das mag verständlich sein, aber die Differenz überrascht. Nunja: Würde man mich mit derartigen Fragen bearbeiten, wäre ich zwischendurch auch ziemlich verunsichert. In meinem Fall vermutlich immer dann, wenn es um Fußball geht...Fragen zu Revolution und Tod hätten mir Spaß gemacht.

Auf mich wirkt Klinsmann in der Öffentlichkeit oft so, als ob er eingepaukte Redewendungen von PR-Beratern benutzt, glatteste Werbephrasen. Als ob eine hochgedrechselt-geschmeidige Art modern wäre. Tja, und sobald Klinsmann in der Thematik unverbereitet ist, wirkt er überaus hölzern. Das macht ihn zugleich menschlich.

Was die WM betrifft:

Vielleicht ändert sich das noch, aber diese Weltmeisterschaft geht mir immer noch ziemlich gründlich am Arsch vorbei. Keine Ahnung, woran das liegt, vielleicht hat das auch mit diesem Kommerzoverkill und ein Stück weit mit dem FIFA-Terror zu tun. Aber immerhin weiß ich inzwischen, warum Schäuble und Schönbohm bei der WM monatelang nach dem Militär gerufen haben: Leere Sitzplätze sollen mit Soldaten aufgefüllt werden. Vorfreude? Nö.

Die Bedeutung von Interkulturalismus - einige Überlegungen

Ich meine: Eine entscheidende Wurzel von Militarismus, Krieg und Hass liegt in nationalistischen Denken. Die entscheidende Quelle für kulturellen Fortschritt liegt hingegen in Kulturaustausch. Beide Aussagen sind etwas zu plakativ, aber es ist m.E. eine absolute Notwendigkeit, mit allen Konsequenzen daran zu erinnern, dass wir alle Menschen sind, und natürlich gleichgestellt. Von einem interkulturellen Ansatz könnte unser Umgang mit Migranten, Flüchtlingen, inländischen "Ausländern"ungemein profitieren.

Gleichzeitig ist die Nation ein Raum, in dem sich Demokratie entfalten kann. Eine fortgesetzte Verlagerung demokratischer Kompetenzen z.B. auf die EU-Ebene wird m.E. nicht gegen nationalistisches Denken wirken, sondern wirkt in erster Linie gegen Bürgersouveränität. Die Gefahr, die ich sehe, besteht dabei darin, dass der auf nationaler Ebene entmündigte und zunehmend machtlose Bürger Zuflucht in nationalistischem Denken oder gar Rassismus sucht oder aber in außenpolitischem Chauvinismus, um sich auf diese Weise seiner politischen Macht zu versichern.

Ich ziehe folgenden Schluss aus diesem Dilemma und meine:

Echte und auch als echt erlebte Demokratie, auf allen Ebenen, ist in Verbindung mit Interkulturalismus, und gesellschaftlicher Teilhabe die wirkungsvollste Abhilfe gegen nationalistisches Denken.

Vielleicht ist meine Beobachtung falsch, aber für mich sieht es in der Betrachtung der Geschichte so aus, dass Staaten, welche eine entsprechende Orientierung haben, weniger zu Nationalismus neigen. Dänemark könnte man hier als Gegenbeispiel anführen, außerdem lässt sich sagen, dass nationalistische und chauvinistische Aufhetzungen ein typisches Merkmal von vielen Volkstribunen waren - hmm.

Vielleicht kann man daraus den Schluss ziehen, wie immens wichtig die Abwehr von Chauvinismus und die Pflege von Interkulturalismus sind, ob nun im Sinne von Völkerfreundschaft oder im Sinne einer Freude an kultureller Begegnung.

Man könnte ggf. einige Schritte weiter gehen, bis hin zum anthropologischen Freund-Feind-Gegensatz. Wenn ich z.B. sehe, wie bei Attac aus den internationalen Finanzmärken ein universelles, für fast alle Probleme der Welt taugliches Feindbild gezimmert wird, inklusive alberner Militanz gegen internationale Konferenzen, scheinen mir die Ursachen tiefer zu liegen als bloß im Nationalismus. Mit der intensiven Konzentration auf das konstruierte Feindbild hängt es m.E. zusammen, dass sowohl die Analysen der gesellschaftlichen Realität überaus flach ausfallen, wie auch die formulierten gesellschaftlichen Zielvorstellungen und Lösungsvorschläge (z.B. die Tobin-Steuer).

Nationalismus und Chauvinismus sind Unterkategorien von Feindseligkeit bzw. eine feindselige Abgrenzung gegen das Fremde. Wenn das stimmt, dann ist der Mechanismus von Feindseligkeit und Abgrenzung an sich: ein wesentliches politisches Problem.

*Grübel*

Neue Kriegsschreie amerikanischer Militaristen

Die einflussreiche konservativ-faschistoide Propagandafabrik "American Enterprise Institute" (u.a. Arbeitgeber der Kulturalistin Hirsi Ali) brüllt immer noch für einen baldigen Krieg mit dem Iran:
"(...) we may have to fight a war--perhaps sooner rather than later--to stop such evil men from obtaining the worst weapons we know." (Quelle).
Gemeint ist hier nicht etwa eine Gefahren abwehrende selektive Bombardierung für den Fall, dass sich der Iran in 5 oder 10 Jahren der internationalen Kontrolle seines Atomprogramms entzieht, sondern ein groß angelegter mörderischer Krieg, und zwar "sooner", um damit "such evil men" zu vernichten...

Bemerkenswert ist auch, dass das FDP-nahe Friedrich-Naumann-Institut mit dem konservativ-faschistoiden AEI überaus real und umfassend zusammenarbeitet.

Irak-Krieg: Die Fehlinformierung des amerikanischen Volkes

Joerg vom Atlantic Review weist auf einen wichtigen Zusammenhang (Quelle) hin:

Asked, “If, before the war, US intelligence services had concluded that Iraq did not have weapons of mass destruction and was not providing substantial support to al-Qaeda,” a clear majority of 71 percent said that the US should not have gone to war, while just 27 percent said that the US should still have gone to war with Iraq for other reasons.” This is a bipartisan majority. Fifty-three percent of Republicans and 87 percent of Democrats think that in this case, the US should not have gone to war.

Grob übersetzt:
Eine klare Mehrheit von 71 Prozent der Befragten sagte, dass die USA nicht in den Irakkrieg ziehen sollten, während nur 27 Prozent den Irakkrieg vorbehaltlos unterstützen, wenn die US-Geheimdienste vor dem Irakkrieg festgestellt hätten, dass der Irak a) nicht über Massenvernichtungswaffen verfügt und b) Al-Kaida keine bedeutende Unterstützung gewährt hat. Die Kriegsablehnung hätten beide politische Großlager Amerikas geteilt: 53 Prozent der Republikaner und 87 der Demokraten hätten in diesem Fall gemeint, dass die USA besser nicht in den Krieg ziehen sollten.
Dies zeigt meiner Meinung nach zugleich, wie richtig die Aussage von Rumsfeld (Quelle) ist, dass das wahre Schlachtfeld der Kampf um die öffentliche Meinung ist:
"Das Kraftzentrum des Irak-Kriegs liegt nicht im Irak. Wir verlieren nicht dort Schlachten und Scharmützel. Schauen Sie, die wirklichen Schlachtfelder sind die Öffentlichkeiten in Ihrem Land und unserem Land. (...) mit der Zeit werden wir die Dinge richten."
Im Irak wird von Tag zu Tag immer deutlicher, was Rumsfeld und seine militaristischen Neocon-Brüder angerichtet haben. Die öffentliche Ordnung im Irak ist vielfach zusammen gebrochen, es herrscht offener Bürgerkrieg, mit Amphetamin aufgeputschte US-Soldaten drehen durch (ist Faludscha schon vergessen?) und diese Mörder werden durch parteiliche "Untersuchungen" der US-Armee geschützt, welche die Verbrechen an Zivilisten systematisch wegleugnen. Man redet vom "Kampf für Demokratie" und verhindert gleichzeitig z.B. unabhängige Untersuchungen: Dreister Doublespeak.

Rechtsorienterte Medien und Blogs beteiligen sich trotz der drückenden Faktenlage nahezu unverändert an diesem Lügenspiel und relativieren die üble Lage im Irak in der Machart neonazistischer Geschichtsrevisionisten.

irrepressible: Der Kampf um die Meinungsfreiheit

Auf vielfache Anregung hin (Netbitch, Liberale Stimme, Rabenhorst, Don), verweise ich auf eine internationale Übersicht über Online-Zensur und habe diesen Code-Schnipsel im Blog eingebaut:

02 Juni 2006

Lese-Empfehlungen zu Zeitfragen

Ein paar Einblicke in die Zustände im Iraq bietet Alsharq, die Sueddeutsche über die Wut der Irakischen Regierung sowie Back-to-iraq 3.0, ein wohltuender Kontrast zu den Lügenmärchen prowestlicher Blogs und Medien. Die Presse sagt aber auch, warum diese ekelhaften Massaker auf die öffentliche Meinung in den USA kaum Einflusss ausüben werden. Frau Albright sagt im aktuellen Interview mit der Sueddeutschen zum Islam:
"Der Islam ist keine Religion des Krieges. Viele Leute bringen Terroristen und Islam zusammen - das ist falsch. (...) Wir lassen das Christentum ja auch nicht vom Ku-Klux-Klan definieren."
Sie weist darauf hin, dass eine Regierung in der Lage sein muss, zu reden, auch mit dem Feind:
Man kann sich die Leute nicht immer aussuchen, mit denen man reden muss. (...) Helfen würde eine neue Führung in den USA, das Eingeständnis schwerer Fehler, ein Ende des Krieges im Irak und ein ernsthafter Versuch für einen besseren Umgang mit anderen Ländern.
Außerdem lesenswert: Axonas über die ungeduldige Zynik unserer gehobenen Mittelschicht und der erforderlichen Zeit für etwas Neues, sowie mit einem Plädoyer für kulturellen Austausch, verstehbar als Interkulturalimus. Sven Scholz schimpft mit Furor und: hat leider recht. Ulysses stellt das (geringe!) Ausmaß von ALGII-Missbrauch heraus und BadAssMood berichtet über neue Pläne im EU-Bürokrarment-Parlament, Emails zu besteuern.

Das alte Europa zieht eine Parallele zum Reichtsarbeitsdienst und den neuesten HartzIV-Reformen, Ulysses kämpft mit Arbeitsplatzergonomie, Distelfliege bastelt sich die ideale Frau, Externspeicher lobt den Sprachwitz von Stoiber, Gedanken-Los räsoniert über die Zwangsehe für Neonazis, FPI weist auf Subventionsverheimlichung hin, und Flötenfuchs kann vermelden, dass Marx und Engels nunmehr flügge sind.

Weitere gute Nachrichten: Der Abmahnsumpf könnte von Zypries endgültig trocken gelegt werden, lässt Eoraptor hoffen, IT & W hat schöne Literaturempfehlungen, während Spreeblick den Grimmepreis (Gratulation!) bekommt. Hokey erklärt über die Machtfrage schlüssig, warum PR-Großkotze nichts in Blogs verloren hat. MartinM schrieb einen guten Artikel über den mörderischen Flottenkrieg vor 90 Jahren, passend dazu kredenzt Pantoffelpunk ein Bild von Frau Worch.

Auf einen Schocker von orwellschen Ausmaß weist Owl Content hin: Die angestrebte Implantation von RFID-Chips in Gastarbeiter zur besseren Kontrolle. 24Stunden zeigt auf Rassismus in Deutschland. Noah Sow macht Vorschläge zur Rassismusbekämpfung. Metalust stellt den Freiheitsbegriff von Hannah Arendt gegen Hayek - dazu passt unmittelbar ein Artikel von Mercedes.

Internationales: Einen gutes und langes Essay zur multilateralen Zukunft internationaler Beziehungen schrieb Su-Shee 2.0, Telepolis warnt vor islamfaschistische Tendenzen, CC:Welt weist auf Verstöße gegen die Abgeordnetenimmunität in den USA hin und Lawblog auf einen seltsamen Fall von Druck der US-Regierung auf Schweden. Atlantic Review bietet einen informative Einblicke in die Iranfrage, und Dialog International erhellt die politische Mechanik von cold war democrats.

Franz Oppenheimer und die Freilandtheorie

Ein Leben aus dem Irrtum heraus kann Licht ausstrahlen. Franz Oppenheimer (u.a. der von Ludwig Erhhard verehrte Lehrvater) ist ein Beispiel dafür. Der Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Laufbahn war ein Riesenirrtum, seine Freilandtheorie: Ein Irrlicht, dem er bis zum Ende seiner Tage nachjagte. Ein Irrtum, aber wichtiger war seine Neugierde, seine geistige Offenheit, das hoffnungsfrohe Leuchten des Kometenschweifs, das Franz Oppenheimer verbreitete. Hier lesen wir aus seiner Biografie die Geschichte, wie er zu seinem lebensbestimmenden Irrtum fand:
"Meine Kritik an Hertzkas „Freiland“ hatte bewiesen, daß der von ihm vorgeschlagene Weg ungangbar war. Aber ich begnügte mich nicht mit der Negation, sondern ich zeigte einen anderen gangbaren Weg (...): "Freiland in Deutschland“. Ich behauptete, daß es möglich sei, zum Ziel zu gelangen (...) Um dieses Argument kreisten meine Gedanken rastlos; (...) Und da kam mir in einer unvergeßlichen Nacht Ende 1893 die blitzartige Erkenntnis, die über mein Leben und Streben entschied, sozusagen der Augenblick der „Gnadenwahl“. Von da an war ich im wörtlichsten Sinne des Wortes „besessen“: ein Gedanke von ungeheuerster Tragweite hatte von mir Besitz genommen; ich gehörte nicht mehr mir, meiner kleinen empirischen Person, sondern fortan nur noch der Sache. (...)
Die Freilandtheorie, die er anschließend schildert, lohnt die Darstellung nicht, nicht einmal die recht einfache Wiederlegung. Aber genau dieser prägende Moment des Irrtums packte und bewegte den Arzt Franz Oppenheimer Wirtschaftswissenschaftler zu werden:
(...) Mit dieser Erkenntnis hatte ich den Anfang des Fadens ergriffen, (...) Ich habe dazu geschrieben: „Wie man in dunkler Nacht im Gebirge in einem Wetterleuchten eine ganze Kette von Gipfeln und Gletschern vor sich sieht, so sah ich damals in einem einzigen Augenblick die ganze Arbeit meines Lebens scharf vorgezeichnet vor mir.“ Es hat dann fast ein Menschenalter gedauert, bis ich diese Arbeit vollenden konnte, harte und schwere Jahre, namentlich im ersten Jahrzehnt, wo mir kaum das geringste Echo zurückkam, wo ich in geradezu vernichtender Einsamkeit meinen Weg zu gehen hatte. Oft und oft, wenn sich in schlafloser Nacht meine letzten Ergebnisse mir nackt und bloß, sozusagen brutal, plötzlich vor die Augen stellten, fragte ich mich zu Tode erschreckt, ob ich nicht vielleicht doch in schwerem Irrtum, ob ich nicht vielleicht doch geistesgestört sei, wie meine ersten Kritiker es zuweilen andeuteten. Dann fragte ich mich: „Wie kamst du zu diesen Sätzen?“ Ging zurück auf ihre Voraussetzung und wieder auf deren Voraussetzungen und so fort bis auf meine grundlegenden Feststellungen, um zuletzt, in kaltem Schweiß gebadet, aufzuatmen und mich zu getrösten: „Und wenn die Welt voll Teufel wär‘, es ist doch richtig!“
Leider nein. Oppenheimers sogar recht simple Fundamental-Irrtümer (u.a. der von ihm postulierte Preismechanismus) sind lehrreich in Bezug auf auf die grundsätzliche Schwäche der theoretischen Wirtschaftswissenschaften:

Die verheerende Leichtigkeit von Deduktionsfehlern.

Schnell werden wesentliche Einflussfaktoren verkannt oder falsche Ursache-Wirkungsketten postuliert. Tja, und am Ende dominiert die weltanschauliche Orientierung über die Wissenschaft,... bei Franz Oppenheimer war es sein brennender Wunsch nach einer gerechten Bodenordnung.

Ein dummer Irrtum macht einen großen Wissenschaftler nicht zum Idioten. Ein Wirrkopf aber verachtet den ganzen Wissenschaftler wegen einzelner Irrtümer. Besser, man prüft und trennt das Gute vom Falschen.

Meine Leseempfehlung: Die Online-Memoiren von Franz Oppenheimer.

01 Juni 2006

Schmollers Kapitalismuskritik

Gustav Schmollers Werk ist fast vergessen, nicht immer zurecht. Seine Verdienste als Sozialreformer in der Weimarer Republik wirken bis in die heutige Zeit hinein. Kein Vergessen verdient z.B. Schmollers sozialwissenschaftlich orientierte Kapitalismuskritik. Zwei Zitate vorab:
"Besitzlos, ohne Hoffnung auf die Zukunft, steht der Arbeiter seinem Herrn gegenüber (...) Das Bewusstsein, auf sich selbst zu stehen, erzeugt neues Leben, eine gesteigerte geistige und ökonomische Produktion und Produktivität."
[Die Arbeiterfrage]
Schmoller fragt nach den Ursachen für gesellschaftlichen und sozialen Fortschritt und meint, dass diese in einer Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft zu suchen sind, darin, dass auf das Individuum eine "Einwirkung der Erfahrung, der Gesellschaft, der Ideenwelt" stattfindet. Das Individuum wird erst durch einen kollektiven Zusammenhang zur Person geformt, ausgestattet auch mit sittlichem Empfinden.

Gustav Schmoller wirft der klassischen Wirtschaftswissenschaft vor, ausschließlich vom individuellen Erwerbstrieb auszugehen und damit die psychologischen, sittlichen und kulturellen Voraussetzungen von Wirtschaft zu verkürzen. Diese sind Schmoller wichtig zur Sicherung eines "gewaltlosen Erwerbtriebes".

Er warnt davor, dass ein enthemmter und von sozialen Gefühlen losgelöster Erwerbstrieb schädlich ist, da enthemmter Erwerbstrieb
"die sozialen Beziehungen vergiftet, den Frieden in der Gesellschaft vernichtet und durch die erzeugte Gehässigkeit und sittliche Roheit, durch die entstehenden Kämpfe den vorhandenen Wohlstand untergraben und verschütten kann."
Schmoller sagt, die
"Harmonie der Gesellschaft und das innere Gleichgewicht der Individuen"
werden bei einer rein egoistischen Gesellschaft geschädigt. Es kommt im enthemmten Kapitalismus zur Degeneration der oberen Schichten durch Genuss- und Habsucht und der unteren Schichten durch Unterdrückung und Regression. Dies führt letzten Endes zur Erosion sittlicher und geistiger Fähigkeiten und zum Untergang in inneren und äußeren Kämpfen, besonders dann, wenn es der Elite an vorbildlich wirkender Sittlichkeit mangelt.

Schmoller warnt vor dem resultierenden gesamtgesellschaftlichen Verfall, der beschleunigt wird, wenn die sozialen Schichten stark voneinander getrennt sind und wenn der Machtmissbrauch der Eliten ein destabilisierendes Ausmaß annimmt. Eine Gesellschaft mit mangelnder Durchlässigkeit, mit mangelhaften "verjüngen" der Oberschicht läuft wegen der Elitendegeneration darauf hinaus, dass die Oberchicht als Ganze ersetzt werden muss.

Mangelnde Sittlichkeit der Eliten, die Verschärfung von Missständen der "privatrechtlich" begründeten Abhängigkeiten, die Herrschaft von elitären Partikularinteressen über das Gesamtwohl, die zunehmende Formung von Recht, staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen nach den Interessen der herrschenden Schichten lässt nach Schmoller letztlich nur folgende Wahl:

Reform oder Revolution!

Eine gesunde staatliche Entwicklung beruht auf "Kämpfen und Friedensschlüssen der sozialen Klassen", Gerechtigkeit, sozialen Frieden, Bildung, Rechtsstaat, einer zivilisierten öffentlichen Meinung und vor allem auf die Durchsetzung von Gemeinwohl.

Damit können Klassen- und Verteilungskämpfe zwar nicht beseitigt werden, aber "die Konfliktlösung durch soziale Reform schwächt eine Gesellschaft nicht". Sympathie, Gemeingefühl, das Mitleid, "die Mitempfindung auch mit Nichtverwandten", sowie eine "feste, starke, gerechte Regierung" sind der Kitt der Gesellschaft. Griechenland und das römische Reich gingen unter, in einem "Erlöschen ihrer sittlichen Kräfte", weil sie nicht in der Lage waren, die Klassenkämpfe auszugleichen.

Der individuelle Erwerbstrieb ist nur soweit von Nutzen, wie er der "Wohlfahrt des Ganzen" dient und muss "sich den höheren Zwecken richtig eingliedern", im Sinne einer selbst verstandenen oder staatlich erzwungenen Unterordnung unter sittliche Ge- und Verbote. Schmoller sieht in der "Wohlfahrt des Ganzen" keinen Automatismus, er sieht keine unsichtbare Hand, auf die man vertrauen könne, sondern fordert eine sittliche Zügelung des Kapitalismus,
"wobei dem egoistischen Interesse der einzelnen und der Gruppen ein gewisser Spielraum zu gönnen, aber zugleich eine Grenze zu setzen ist."
Der Kampf der Egoisten untereinander soll nicht ganz ausgeschaltet werden, weil der egoistische Kampf "Energie und Tatkraft" fördert. Konflikt und Wettbewerb sollen begrenzt werden, aber Freiräume zulasssen; dann ist Fortschritt möglich. Schmoller hält einen Mittelweg für ideal:
"Alle Gesellschaft ist ein Kompromiss zwischen Frieden und Streit".
Nach Schmoller bedarf es in jeder wirtschaftlichen Organisation und Institution eines
"bestimmten Verhältnisses zwischen Sittlichkeit, die sich in Normen und Institutionen ausdrückt, und den egoistischen Gefühlen und Trieben, um Entwicklung möglich zu machen"

Damit kommt Schmoller, der viele Jahre (1890-1917) Vorsitzender des "Verein für Socialpolik" war, den modernen Befunden der Experimentalökonomie erstaunlich nahe. Jede Volkswirtschaft benötigt nach Schmoller sowohl sittlich (gemeint: kollektive oder öffentliche) wie auch egoistisch (gemeint: private) geleitete Wirtschaftsorgane. Damit und mit seinen zugleich marktwirtschaftlichen wie sozialreformerischen Vorstellungen nimmt er den "ökonomischen Humanismus" des Ordoliberalen Alexander Rüstow vorweg. Beide, Alexander Rüstow und Gustav Schmoller standen in ausdrücklichen Gegensatz zur österreichischen Schule, den "Paläoliberalen" Hayek und von Mises.

Gustav Schmoller trennt zwischen individuellem und kollektivem Nutzen und forderte von der Gesellschaft, dass hier "jedem das seine" gegeben wird, verstanden als Rücksicht auf unterschiedliche individuelle Bedürfnisse, Erfordernisse und Möglichkeiten. An die Perversion der Nazis, die aus "jedem das seine" eine sozialdarwinistisch-hassende Menschenfeindlichkeit machten, dachte Schmoller gewiss nicht.

Ahmadinedshad, Demokratieverachtung, Neue Rechte und Rechtsliberalismus

Der lächerliche Ahmadinedshad meinte ggüber dem SPIEGEL im Interview:
Wir sind natürlich dafür, dass der freie Wille des Volkes herrscht, aber wir brauchen nachhaltige Prinzipien, die alle akzeptieren - zum Beispiel Gerechtigkeit.
Übersetzung: Mit "Gerechtigkeit" meinte A. den Revolutionsgarden-Islamismus, und dass dieser als "nachhaltiges Prinzip" über die Iraner und deren demokratischen Willen dominiert. Mit "nachhaltiges" Prinzip sind nicht etwa Freiheits- und Menschenrechte gemeint, sondern ein Primat des Islamismus über die Demokratie. A. akzeptiert nur eine eingeschränkte Demokratie.

In gewisser Hinsicht erinnert Ahmadinedshad in seinem Verhältnis zur Demokratie an Marktradikalinskis, extremistische Wirtschaftsliberale, welche von einem Primat der Ökonomie gegenüber der Politik träumen und einer Einschränkung von Demokratie. Ach, und wo wir schon im Sudelbereich deutscher Blogs sind, habe ich hier ein typisches Zitat für das Denken der Neuen Rechten, und eigentlich aller Rechtsextremisten (gefunden bei Statler):
"Deine pc Differenzierungscheiße kannst du für Dich behalten, Wolfram. Jeder hier weiß, worüber ich rede." [Rechtsblogger Tuotrams]
Übersetzung: Dieser Vertreter der Neuen Rechten erklärt "Differenzierungsscheiße" zu pc. Er meint also, dass ein differenzierendes Denken generell "scheiße" ist. Diese Abneigung gegenüber Differenzierungen ist ein Abwehrversuch zur Aufrechterhaltung extremistischer Dogmen, zudem ist hier ein totalitäres Denkverbot enthalten, verbunden mit einem dümmlichen Stolz auf eine "inkorrekte" politische Sichtweise.

Denken und angemessene Differenzierung ist für Extremisten doof. Mit "Jeder hier weiß, worüber ich rede" meint Tuotrams seine Feindseligkeit gegenüber Minderheiten und enthemmte, rechtsextremistisch gefärbte Islamphobie. Das stören ihn Differenzierungen.

Ja, so sind viele unter den extremistischen Rechtsbloggern, ob nun mit "liberalem" Käppi oder oder ohne. Hauptsache: Undifferenziert und feindselig. Und die Rechtsliberalen? Sie stellen oft die nützlichen Idioten und verlinken Hassblogs wie Gegenstimme oder Geisteswelt.