Scheiß-WM! Plus: Ein bemerkenswertes Fußball-Interview
Dieses Interview im SPIEGEL von Christoph Ruf mit Jürgen Klinsmann zeigt sich innovationsfreudig. Ich würde mich sehr freuen, wenn derartige Anmerkungen über die Interview-Athmosphäre künftig auch z.B. bei politischen Interviews verwendet werden:
Frage: Ihre Art wird manchmal als amerikanisch und oberflächlich kritisiert.Klinsmann: Meine Denkweise hat nichts mit Amerika zu tun, die hatte ich auch als ich in Deutschland, Frankreich, England oder Italien lebte. Sie ist aus Überzeugung optimistisch.
Frage: Sie gelten als knallharter Verhandlungspartner.
Klinsmann:(reagiert emotional) Das ist auch so ein Klischee. Ich habe nach jeder Verhandlungsrunde Dinge aufgeschrieben, die ich besser machen wollte und so ständig dazugelernt. Es gab aber noch nie Verhandlungen, bei denen jemand ausgerastet ist. Dass jemand aufsteht und die Türen zuknallt, wie es in Italien üblich ist, gab es bei mir nie. Auch die Verhandlungen mit dem DFB sind in kürzester Zeit abgeschlossen worden.
Frage: Was ist für Sie Zivilcourage? Greifen Sie ein, wenn jemand angegriffen oder beleidigt wird?
Klinsmann:(schaut skeptisch. Offenbar vermutet er hinter der Frage einen Hinterhalt) Das weiß ich nicht, weil meine Reaktion situationsbedingt wäre. Nächste Frage.
Es ist beruhigend zu wissen, dass die PR-Berater, die für das Öffentlichkeitstraining von Klinsmann zuständig sind, ihn nicht auf alle Thematiken vorbereitet haben.
Frage: Wer verdient den Namen Revolutionär?
Klinsmann: Ich sicherlich nicht. Ich habe keine Revolution gemacht, sondern Dinge vorangetrieben, um eine Leistungsoptimierung zu erreichen.
Frage: Wer ist für Sie ein Revolutionär?
Klinsmann:(reagiert ungehalten) Da halte ich mich raus. Nächste Frage.
Bemerkenswert finde ich auch den Mut von Christoph Ruf, ungewohnte Fragen oder allgemeine Fragen zur Zeit zu stellen. Damit verlässt er die üblichen Bahnen von Trainerinterviews.
Frage: Welches Klischee über die USA trifft am wenigsten zu?
Klinsmann:(wird zunehmend ungeduldig) Ich mache mir keinen Kopf, was der Deutsche über den Amerikaner denkt. Ich habe schon in fünf, sechs Ländern gelebt, kein Land ist perfekt. Ich nehme die Leute so wie sie sind und nicht wie ich sie haben möchte. Dass man damit nicht weit kommt, habe ich schon am Anfang meiner Karriere in Italien gelernt.
Frage: Was halten Sie vom Beratungsunternehmen McKinsey?
Klinsmann: Doktor Henzler, der ehemalige Europa-Chef von McKinsey, hat auf Vermittlung von Oliver Bierhoff vor der Mannschaft einen Vortrag gehalten über Leistungsbereitschaft im Managementbereich. Ich finde das hochinteressant, da kann man viel rausziehen und lernen. McKinsey hat auch Bayern München unter die Lupe genommen, was Uli Hoeneß auch geholfen hat, den FC Bayern zu einer Weltmarke zu machen.
Für mich sieht die Einladung des Europachefs von McKinsey wie eine Form von moderner Priesterherrschaft aus, mit Henzler als Vorturner. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Henzler professionellen Leistungssportlern bedeutend Neues zum Thema Leistungsbereitschaft erzählen kann. Eher schon zum Thema Markenmanagement, aber da gibt es vermutlich bessere und spezialisiertere Fachleute.
Frage: Welche Fehler darf man in der Backstube nie machen?
Klinsmann: (antwortet sehr schnell, seine Stimme überschlägt sich dabei) Die Brezeln verbrennen lassen im Ofen. Dann kracht's!
Frage: Können Sie mit dem Thema Tod umgehen?
Klinsmann:(wirkt unsicher, überlegt sehr lange) Nächste Frage.
Klinsmann verliert viel Souveränität, sobald das Thema nicht Fußball ist. Das mag verständlich sein, aber die Differenz überrascht. Nunja: Würde man mich mit derartigen Fragen bearbeiten, wäre ich zwischendurch auch ziemlich verunsichert. In meinem Fall vermutlich immer dann, wenn es um Fußball geht...Fragen zu Revolution und Tod hätten mir Spaß gemacht.
Auf mich wirkt Klinsmann in der Öffentlichkeit oft so, als ob er eingepaukte Redewendungen von PR-Beratern benutzt, glatteste Werbephrasen. Als ob eine hochgedrechselt-geschmeidige Art modern wäre. Tja, und sobald Klinsmann in der Thematik unverbereitet ist, wirkt er überaus hölzern. Das macht ihn zugleich menschlich.
Was die WM betrifft:Vielleicht ändert sich das noch, aber diese Weltmeisterschaft geht mir immer noch ziemlich gründlich am Arsch vorbei. Keine Ahnung, woran das liegt, vielleicht hat das auch mit diesem Kommerzoverkill und ein Stück weit mit dem FIFA-Terror zu tun. Aber immerhin weiß ich inzwischen, warum Schäuble und Schönbohm bei der WM monatelang nach dem Militär gerufen haben: Leere Sitzplätze sollen mit Soldaten aufgefüllt werden. Vorfreude? Nö.
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