Vorgeschichte (11.10.)
Dr. Dean sitzt in seiner Stammkneipe und wird von rechts von einem nervösen Typen mit Fanatikeraugen und tief schwarz gefärbten Haaren angesprochen. Sofort sprudelt es aus ihm raus:
Das doitsche Volk wird über den Krieg belogen, die Achtundsechziger haben das Land in eisernen Griff, man würde ihn für "reaktionär" halten, überall schädliche Gutmenschen, seine linken Lehrer haben sein Leben ruiniert, er möchte nach Australien auswandern um dort Postpilot zu werden, dank seines Psychiaters gilt er als arbeitsunfähig und überhaupt, dieser Günter Grass ist moralisch auf das Äußerste verkommen.
Ulrich stellte sich sodann als Blogger vor, als rechter Aktivist, es ist schlimm, wie er von den Linken im Spiegelforum verfemt wird, Kapitalismus ist eine gute Sache, Oswald Spengler ist sein intellektueller Held, und, räusper, er würde in seinen diversen Blogs ja nun tatsächlich provokante faschistische Inhalte verbreiten. Sehr stolz ist er darauf, dass "
wir", also er und seine Freunde, "
vier Stunden lang" die Webseite von Polylux abgeschossen haben. Nein, er kommt nicht hier aus der Gegend.
Er tat mir leid. So wie es aussah, war es bei ihm ein bislang tragisch sinnlos verbrachtes Leben, das sich tief in seine Augen und sein Kopf eingebrannt hat. Ein Leben zumal, dass sich nur aus seinen Feindbildern heraus definiert, und kaum aus ihm selbst als Person. Ulrich wirkte auf mich wie ein Christian Worch in Kleinformat, wie ein aktiver Kameradschaftler, der die lokale Bevölkerung in Augenschein nehmen wollte. Keine Ahnung, ob er wirklich Kameradschaftler ist.
Nach dieser etwas merkwürdigen Begegnung fragte ich mich, was da genau los ist. Kurz gegoogelt und - Aha!
Faschistische Kameradschaften und die NPD riefen für den 14.10.2006 zur "Großdemo" in Wandsbek auf. Da ich an diesem Tag, entgegen meinen ursprünglichen Absichten, in Hamburg war, wollte ich diese Mistbrüder mal in Augenschein nehmen.
Der Aufmarsch der Wandbeker NPD (14.10.)
10:50 Uhr:
Überall in der Umgebung beachtliche Mengen an Polizei, aber kaum Neonazis in Sicht - außer diese kleine popelige Gruppe vor einer Plus-Filiale, bestehend aus einem gestikulierenden Typen mit einem schlecht sitzenden grünlichen Anzug sowie ein Haufen beachtlich hässlich aussehender Jugendlicher. Das sind sie? Wo ist Worch? Ist das alles?
11:15 Uhr:
Sie werden nicht mehr. Die ziemlich genau 20 NPD-Heinis und -Gabis gucken derweil ziemlich geknickt aus der Wäsche, sicher nicht nur, weil es mindestens doppelt so viele Fotografen gibt, die sie umkreisen. Ich mustere Person für Person in diesem hooliganisken Haufen, und deutlich öfter als gedacht machen diese auf mich den Eindruck von Zukurzgekommenen und Frühverwelkten. Sie sehen unglücklich aus, lachen nicht (Ausnahme Foto rechts), ihre Hosen weisen zumeist tiefe, vom tagelangen Tragen überdeutlich speckige Falten auf. Wenig überraschend wäre es, wenn der eine oder andere sich jetzt spontan die Hose einnässen würde.
11:45 Uhr:
Jetzt kommt Bewegung in die Szenerie. Weitere Polizeikräfte rücken an, um die nur dürftig zahlreichen Anhänger der NPD Wandsbek (bzw. NPD Hamburg - vermute ich mal) vor Konfrontationen mit den zahlreichen Gegendemonstranten zu schützen. Der Demowagen der NPD fährt vor, dessen Plane in Militärfarben, und die wenig zahlreichen Neonazis watscheln daraufhin in Reih und Glied, ja sogar in Kolonnenanordnung dem schlecht sitzenden Anzug hinterher, herüber zum Demowagen.
Sie entfalten ihr Transparent, auf dem sie, unbehelligt von der Hamburger Polizei, verfassungsfeindliche Parolen (
Bild) verkünden, z.B. "Fuck ZoG - Fight Back" (ZoG ~ Zionist occupied Government). Die wenigen vorhandenen Anwohner, die in der Nähe dieses Haufens waren, kamen i.d.R. aus dem Plus-Markt. Beginnend mit einer ca. 45 Jahr alten weißhaarigen Dame rufen sie den Neonazis sofort "
Nazis raus!" und "
Schämt euch!" laut entgegen.
Einer der Jung-Nazis versucht, mit den Anwohner zu kommunizieren, indem er ihnen sein "Arbeit!"-Schild (inkl. irgendwelchem nationalen Gefasels) entgegenstreckt. Sogleich bekommen er und seine verlotterten Neonazi-Freunde von den Anwohner zu hören: "
Geht arbeiten!", "
Arbeit! Super Idee, geht arbeiten! Raus aus unserem Stadtteil!" und "
Ja, genau, ihr sollt mal arbeiten gehen!". Der Jung-Nazi lässt sein Schild sogleich wieder sinken. Derweil werde ich von NDR-Inforadio interviewt und spotte dort über die Neonazis.
Danach radle ich in Richtung S-Bhf. Hasselbrook, um auf dem Weg dorthin eine aus dem LIDL-Markt kommende, völlig verängstigte Gruppe von Anwohnern zu beruhigen und an den Polizeiabsperrungen vorbeizuleiten, in denen sie sich eingeschlossen sahen. "
Wo sind denn die Neonazis?" wurde gefragt, als die drei Hausfrauen wieder mutiger wurden und "
Sind das Neonazis?". Nein, diese schwarz gekleideten Leute, die sich am S-Bhf. Hasselbrook versammelt haben, sind keine Neonazis, bekamen sie erläutert. "
Aha!"
Warten in Hasselbrook (14.10.)
Hunderte von AntiFa-Aktivisten warteten am S-Bhf. Hasselbrook nervös auf die angekündigten NPD-Demo. Zunächst umsonst. Je nach Gerüchtelage zogen größere Gruppen wieder ab, nervös die von der Polizei sorgsam abgesperrte NPD-Demo umkreisend, oder kamen wieder. Es fiel auf, wie gering der Anteil der Ortskundigen war.
Der Dönermann im S-Bhf., der sich über die geringe Zahl der Neonazi-Aktivisten sehr freute, bekräftigte derweil, "
Ich mag die Jungs,... ich meine natürlich die Gegner der Nazis!" Insgesamt ist die Szenerie am S-Bhf. Hasselbrook sehr friedlich, die Hammer Bürger gucken neugierig aus den Fenstern, einige begaben sich auch auf die Straße, teils sogar mit Kinderanhang, um die erwarteten Neonazis protestierend zu empfangen. Doch nichts tut sich, wenn man mal vom ständigen nervösen Hin-und-her-laufen der AntiFA-Gruppen absieht.
Verblüfft war ich allerdings, dass einige der jüngeren AntiFa-Anhänger Londsdale-Kleidung trugen! Aber gut, ich wurde aufgeklärt: Dies hänge mit dem deutlichen antirechten Kurs der Firma Londsdale zusammen. Mir wurde berichtet, während ich gemütlich im Straßencafé wartete, dass es wegen linker Krawallkids in Höhe Ritterstraße Wasserwerfereinsatz gab, sowie anschließend brennende Mülleimer und idiotischen Vandalismus in den Nebenstraßen. Dort kam es u.a. zu Schlägereien zwischen AntiFa und Antideutschen. Die
Hamburger Morgenpost berichtet (ein
guter ausführlicher Bericht von Wiebke Strehlow) sogar von einer Plünderung des lokalen Penny-Marktes, (Korrektur 17.10.) was allerdings eine Fehlmeldung darstellt. Außerdem haben die berichteten "Straßenschlachten" einen eher folkloristischen Happeningcharakter mit Polonaise auf Seiten der AntiFa und i.d.R. rücksichtsvollen, nur sachte schubsenden Polizeibeamten.
Schlägereien zwischen AntiFa und Antideutschen? Der berichtende AntiFa bekam höchstselbst Schläge ins Gesicht und wurde von den Antideutschen als "
Volksdeutscher" beschimpft, weil er zusammen mit anderen den Anwohnern half, das angerichtete Chaos wieder aufzuräumen. Im Übrigen berichtete er vom AntiFA-Erfolg in St. Pauli, bei dem er beteiligt war, wo man ein Nazi-Veranstaltungszentrum verhindern konnte, nicht zuletzt deshalb, weil die übrigen Hausbewohner dem ursprünglich vermietungswilligen Vermieter kollektiv mit Mietminderung drohten.
Hamm/S-Bhf. Hasselbrook, 15:00 Uhr
Immer noch keine Neonazis in Sicht. Allerdings sollen sie sich seit ca. 13:00 Uhr von 20 Stück auf rund 170 vermehrt haben. Ursprünglich wurden nämlich von der Polizei in Bergedorf rund 100 anreisende Neonazis festgehalten, aber diese konnten dann doch bis zur "Großdemo" weiterreisen.
BewertungUnter anderem wegen der sehr gründlichen (und notwendigen) Absperrung der Nazi-Demo, vermute ich mal, dass viele Gegendemonstranten vom Verlauf des Samstags frustriert waren. Die Neonazis dürften jedoch noch deutlich frustrierter gewesen sein, zumal sie es wieder einmal kaum in die Medien geschafft haben.
Interessant war in Hamm v.a. das Verhalten der Antideutschen, welche neben Eskalation darauf zielten, die linke Gegendemonstration zu diskreditieren und der AntiFa im wortwörtlichen Sinn ins Gesicht schlugen.
Die Antideutschen agierten in Hamm wie eine NPD-Helfertruppe.Soweit meine Eindrücke. Mehr gibt es
bei Indymedia und
beim Kiezkicker (mit kurzem Video). +++
Update (19.10.) +++ Weitere Berichte gibt es bei
RP mit Bildern, bei
Meat sucks und sehr schön von
Mister Madonna.