19 Oktober 2006

Sadomasochismus im Wirtschaftsleben - ein Einzelfall

Bei einer Begegnung mit einem Ingenieur, der für das Site-Management eines Großunternehmens tätig ist, fiel mir auf, wie stark dieser kompetente und zugleich arme Mann die an Arbeitnehmer formulierten Ansprüche verinnerlicht hat. Kurzum: Richtig ist, was die Wirtschaft denkt. Andere sinnvolle Interessen gibt es nicht. Oliver akzeptiert das vollauf, er unterstützt dies mit Lust, auch dann, wenn es sich gegen ihn selbst richtet.

Dieser Ingenieur arbeitet im Regelfall 12 Stunden lang (von morgens 7:00 Uhr bis abends 19:oo Uhr), auf seiner Gesichtshaut zeichnen sich kleine, stressbedingte Neurodermitis-Flecken ab. Nur mit Not bekommt er seine Kinder noch aus den Kindergarten abgeholt. Oliver reagiert, ohne, dass ihm das bewusst ist, recht schnell aggressiv und gereizt.

Schildert Oliver seinem Chef, dass eine vorgegebene Zielstellung nur schwer realisierbar ist, bekommt er von seinem Chef i.d.R. eine Tempo-Packung gereicht, garniert mit den Worten: "Wollen Sie weinen?". Oliver findet das wirklich witzig. Nein, weinen will er nicht. Man muss hier im Jahr mindestens 115 Überstunden (unbezahlt) auf seinem Arbeitszeitkonto ansammeln, anderenfalls gilt man als faul bzw. als Underachiever. Wer sich beschwert, der kann gehen, und das ist richtig so. Meint Oliver. Was sein muss, muss sein. Woanders ist es ja auch nicht besser.

Stösst Oliver seinerseits auf Schwächere bzw. vermeintlich Schwächere, so zeigt er grundsätzlich Härte und Aggressivität, ja sogar die Vorstufe eines lustvollen Sadismusses. Er muss das ja auch aushalten. Drogenabhängige? In den Knast! Arbeitslose? Stütze runter! Belegschaften? Entlassen! Ziele müssen erreicht werden; alles andere wäre doch Quatsch.

Mir kommt das so vor:

Aus ungleichen Machtverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt entstehen bei allzu großer Differenz auch Gewaltverhältnisse. Werden diese Gewaltverhältnisse mit Lust angenommen und akzeptiert, so kann auf beiden Seiten des Gewaltverhältnisses, gemäß der Organisationshierarchie bzw. sozialen Hierarchie, Sadomasochismus entstehen.

Vielleicht könnte man die Zunahme von Mobbing im Wirtschaftsalltag, zum Teil, als Ventil und Ausdruck sadomasochistischer Strukturen im Arbeitsleben betrachten. Vielleicht, sicher bin ich mir nicht. Ich bin mir aber sicher, dass ökonomische Machtungleichheit in destruktive Strukturen und Abläufe münden kann, bis hin zu Sadomasochismus in sozialen Beziehungen.

5 Comments:

At 20 Oktober, 2006 09:56, Anonymous Anonym said...

Ist das nicht der von Adorno beschriebene, autoritäre Charakter? Freudianisch gesprochen besetzen ökonomische Systemimperative die Postion des Über-Ich, und aus realen Machtverhältnissen entsteht Ich-Schwäche. Und wir warten alle in Ruhe ab, was das Es daraus so machen wird ...

 
At 20 Oktober, 2006 15:28, Anonymous Anonym said...

Wikipedia: "Autoritäre Persönlichkeit".

Es ist ja ziemlich außer Mode gekommen, über diese Dinge zu sprechen, fast schon ein Tabu, dafür begegnet man diesem Typus inzwischen wieder auf Schritt und Tritt im realen Leben.

Und, fein beobachtet, die Aggression, die sich bei so einem "Leben" zwangsläufig anstaut, entlädt sich dann nach "unten". Da sind auch Abstiegsängste im Spiel. Und auf der anderen Seite eine große Ehrfurcht vor "Elite" und "Führern", zu denen man aufblickt, deren weise Entscheidungen nicht hinterfragt werden dürfen. Die gute alte deutsche Untertanenmentalität eben.

Der Volksmund nennt das auch anschaulich das "Radfahrerprinzip": "Nach oben buckeln, nach unten treten". Es ist eine würdelose, erbärmliche Haltung.

 
At 20 Oktober, 2006 17:43, Anonymous Anonym said...

so sinse halt, die hausmeister.

 
At 22 Oktober, 2006 14:19, Anonymous Anonym said...

Oliver wird schon wissen was er warum macht, will, lässt, denkt und fühlt. Ob er Sie wohl als Psychoanalytiker (Diagnose: Masochist) braucht?

 
At 22 Oktober, 2006 15:45, Anonymous Anonym said...

An vorstehenden Anonymus: Verhält es sich nicht eher andersrum? Versuchen nicht die Olivers dieser Welt, und vor allem ihre Vorbeter aus Politik und Wirtschaft, die gesamte Bevölkerung einem neoliberalem Psycho"therapie"-Programm zu unterwerfen?

"Sei immer flexibel" (bedeutet übrigens: biegsam). "Lächeln, immer lächeln." "Schluss mit Miesmacherei und Nörgelei". "Jeder kann es schaffen, wer es nicht schafft, hat sich eben nicht genug angestrengt." "Verkauf dich gut". "Sei nicht so solidarisch, du bist doch kein Gutmensch". "Vergiss deine Wünsche, sei pragmatisch". "Neide nicht". - uswusf.

"Der neue Mensch" eben. Menschen am ideologischen Reißbrett zu planen hat aber noch nie funktioniert.

Besonders bizarr ist das ganze natürlich, wenn es von selbsternannten "Liberalen" kommt, dieser ganze Volksbeglückungsgestus, diese idealistische Schwärmerei, dieses ideologisch gestanzte Menschenbild aus staubigen Büchern des 19. Jhrds...

 

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