15 Oktober 2006

Elitenförderung vs Begabtenförderung

Ein ehemaliger Spitzenmanager von Siemens-Nixdorf unterschied beim gestrigen gemeinsamen Bier spontan wie präzis zwischen Eliteförderung [1], Begabtenförderung [2] und Privilegiertenförderung [3]. Die Eliteförderung in unserem Land laufe allzusehr auf Privilegiertenförderung hinaus, auf die Förderung also derjenigen Schichten, welche diese Förderung nicht benötigen.

Unsere Gesellschaft benötigt Begabtenförderung statt Privilegiertenförderung.

Als Beispiel dafür: Ein großartiger Mediziner und Sozialpolitiker wie Rudolf Virchow (Bild), der von den Nationalsozialisten systematisch angefeindet wurde (u.a. wegen Virchows Schrift: "Gegen den Antisemitismus", 1880), hätte ohne die Begabtenförderung des preußischen Staates keine Chance gehabt. Rudolf Virchow wurde mit einem staatlichen Stipendium in der Pépinière ausgebildet, welche sich an Kinder aus weniger begüterten Haus richtete.

Die Bereitschaft der deutschen Wirtschaft, sich an der Begabtenförderung benachteiligter Schichten zu beteiligen, ist indes zumeist extrem gering, und dies, obwohl sie in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit hiervon stark profitieren könnte. Ich zitiere Gerhard Roth aus Quelle [2]:
Sollte die Bereitschaft dazu in der Wirtschaft vorhanden sein, dann entwickelt sie sich nur sehr langsam - um es positiv auszudrücken. Der deutschen Wirtschaft ist offenbar nicht genügend klar, daß Begabtenförderung mehr ist, als ein Praktikum bei Siemens anzubieten - und dass die überwiegend staatlich finanzierten Institutionen der Begabtenförderung für die Unternehmen ungeheuer viel leisten. Diese Haltung steht im krassen Gegensatz zu der Tatsache, daß viele führende Unternehmer ehemalige Studienstiftler sind. Das Engagement der hiesigen Wirtschaft steht in keinem Verhältnis zu dem, was etwa in den USA geleistet wird.
Ich vermute, dass die etablierten Einfluss- und Wohlstandseliten Deutschlands ihre gesellschaftlichen Vormachtpositionen durch eine umfassende, die ganze Gesellschaft einschließende, Begabtenförderung bedroht sehen würden.

Insofern macht es rechtsgerichteten Wirtschaftsbossen wie z.B. Stefan Quandt (welcher seinen Milliardenbesitz u.a. Verbrechen der Nazis verdankt) oder Josef Ackermann deutlich mehr Freude, sofern sie überhaupt als Mäzene auftreten, an Stelle von Menschen und Bildung eine für sie i.d.R. harmlose und überaus schmückende Kunstszene zu fördern. Konsequent.