21 Oktober 2006

Ludwig Mises als Ideenlieferant

Ich halte vielfach angepriesenen Ökonomen Ludwig Mises (selbstredend ohne "von") im Prinzip nur für einen übergeschnappten Dogmatiker mit einer asozialen, sozialdarwinistischen und teils sogar faschistischen Geisteshaltung (wie vom Kommentator T.Albert schön belegt).

Das Kapitalismusverständnis des Ludwig Mises hat eine ideologisch-theologische Struktur. Mises predigt ein "reiner Kapitalismus stellt die beste aller möglichen Welten dar", in Verbindung damit, dass alle tatsächlich auftretenen sozialen, ökologischen und ökonomischen Probleme konsequent klein geredet, aufgehübscht oder ignoriert werden. Das ist, zumal in seiner lebensfernen und dogmatischen Zuspitzung, in etwa genauso bescheuert wie die Haltung von Linksradikalen, welche im kapitalistischen Prinzip "die schlimmste aller möglichen Vorhöllen" erkennen.

Man könnte diesen irren Ideologen also rechts liegen lassen und ihn Sektierern wie den eifrig bloggenden Neocon-Wirtschaftslibertären überlassen. Gegen Mises Ignorierung sprechen m.E. vor allem zwei Gründe:

Erstens ist dieser Ludwig Mises im Laufe der letzten Jahrzehnte, auch aufgrund der Bemühung rechsorientierter amerikanischer Propagandafabriken ("think tanks") zu einer Art Ersatz-Karl-Marx gereift, genauer gesagt, zu einem geistigen Leitstern rechtsgerichteter Sozialstaatsfeinde und Anti-Etatisten, nennen diese sich nun "liberal", "libertär" oder "konservativ".

Die Ideologismen des Ludwig Mises repräsentieren einen recht konsequent formulierten, urzeitlichen "Privateigentum ist primär"-Liberalismus, welcher heutzutage wieder Konjunktur hat, ja, sogar die Anschauungen unserer Eliten stark prägt und somit folgenschwer in Politik und Gesellschaft hineinwirkt.

Zweitens ist Ludwig Mises auch heute noch ein Lieferant origineller Ideen, die in geringfügiger Abwandlung von großem Wert sein können.

Exkurs Preisbildung und Lenkungsordnung

Mises formulierte in der Weimarer Zeit eine Idee, mit der er jeglichen (!) Sozialismus zu widerlegen glaubte. Er meinte, dass in einem sozialistischen Staat keine sinnvollen Verrechnungspreise möglich seien, und somit auch keine sinnvolle Planungssteuerung. Denn infolge nicht vorhandener Märkte gibt es in einer Planwirtschaft kaum noch zuverlässige Informationen über tatsächliche Knappheiten. Somit sei es in einem sozialistischen System unmöglich, Güterströme sinnvoll zu lenken. Jede sozialistische Lenkungsordnung ist infunktionabel, weil sie keine aussagefähigen Preise habe.

In dieser zugespitzten Form, wie sie Ludwig Mises formuliert hat, lässt sich seine Argumentation problemlos widerlegen, allerdings kann man die Mises-Argumentation so abschwächen, dass sie damit unangreifbarer, realistischer wird - und auch empirisch bestätigt werden kann. Zum Beispiel in dieser Form:

Tatsächlich leidet die Aussagekraft von Preisen, und damit die Funktionalität ökonomischer Lenkungsordnungen, je weniger die Preisbildung auf Märkten stattfindet - außerdem leidet die Preisbildung und die Allokationseffizienz ökonomischer Lenkungsordnungen auf schlecht funktionierenden Märkten, seien die Ursachen dieser Funktionsmängel nun Machtungleichheit, soziale Ungleichheit, externe Effekte oder ein zu hoher Staatsverbrauch.

Warum ist diese Aussage interessant, sogar überaus interessant? Man bedenke als Beispiel vier schwer wiegende Konsequenzen dieser Aussage:
  1. Erfolgt die Vertrags- und Preisbildung auf Märkten unter Bedingungen erheblicher Machtungleichheit von Vertragspartnern, so folgen daraus erhebliche Fehlsteuerungen, und dies desto mehr, desto stärker die machtüberlegenen Akteure dazu neigen, ihr Machtübergewicht auszuspielen. Um konkret zu werden, im Fall der z.Zt. großen Marktmacht deutscher Energiekonzerne dürfte diese Aussage unmittelbar überzeugen. Ein anderes Beispiel wäre die Lebens- und Arbeitssituation von Selbstständigen und Arbeitnehmern im Fall erheblicher Machtungleichheit, welche (jedenfalls ohne den Schutz durch einen starken Staat) recht schnell indiskutable Züge entwickeln kann.

  2. Ist die gesellschaftliche bzw. materielle Ungleichverteilung in einer Ökonomie allzu stark ausgeprägt, so zeigen die sich hier bildenden Marktpreise immer weniger tatsächliche ökonomische Knappheiten an, während sie tatsächlich desto stärker im Sinne ungleicher sozialer Verteilungen verzerrt sind. Man kann diesen Effekt beispielsweise auf dem Immobilienmarkt beobachten. Der Preisunterschied zwischen hochpreisigen "Reiche-Leute"-Lagen und "Arme-Leute"-Lagen wächst in einer Ökonomie mit zunehmender gesellschaftlicher Ungleichheit an und infolgedessen verfallen nicht nur die Preise von "Arme-Leute"-Vierteln, sondern auch die betroffenen Viertel selbst, und zwar auf eine durchaus irrationale Weise. Die ökonomische Lenkungsordnung wird also bei zu großer sozialer bzw. materieller Ungleichheit disfunktionabel. Dieser sehr wesentliche Zusammenhang gilt übrigens in besonderer Hinsicht auf globaler Ebene!

  3. Interne Verrechnungspreise staatlicher oder privatwirtschaftlicher Bürokratien führen umso stärker zu Fehlsteuerungen, je marktferner sie ausfallen. Beruhen Verrechnungspreise auf dem Vorbild schlecht funktionierender Märkte, resultieren hier ebenfalls Fehlsteuerungen.

  4. Je stärker der Staatsverbrauch den privaten Verbrauch verdrängt, zum Beispiel durch kostenintensive Rüstungs- und Geheimdienstprogramme (in den USA inzwischen 5% des BIP), umso geringer zeigen die am Markt gebildeten Preise tatsächliche ökonomische Knappheiten an.

    D
    ie Bürger eines Landes, das durch einen umfassenden (und zumal kaum wohlstandswirksamen) staatlichen Verbrauch geprägt wird, leiden nicht nur unter daraus resultierenden Steuer-, Abgaben- bzw. Schuldenlasten, sondern auch dadurch, dass sogar das Funktionieren des Preissystems beeinträchtigt wird.

    Hierbei ist allerdings auch die tatsächliche Struktur des Staatsverbrauchs zu beachten, also, inwieweit der staatliche Verbrauch marktnah bzw. wohlstandswirksam ist, und damit mehr oder minder verzerrend. Erfolgt die staatliche Nachfrage für an sich relativ marktnahe Güter, welche einen unmittelbaren und breiten gesellschaftlichen Wohlstandseffekt auslösen, z.B. für zusätzlich bereit gestellte Bildungsgüter, so hat diese Form von Staatsnachfrage einen weniger schädlichen Effekt wie beispielsweise eine Staatsnachfrage, die eine rein wertvernichtende Funktion ausübt, z.B. die Staatsnachfrage nach Rüstungsgütern.
Insofern ist die Kombination von mit Neoconnard-typischer Kriegs- und Rüstungsgeilheitsozialstaatsfeindlichen Anti-Etatismus an sich völlig hirnrissig. Leider ist dieses Denken aber zugleich relativ populär und wird z.B. durch die rechtsradikale AEI gezielt promotet, durch Publizisten wie den Tagesspiegel-Würgin usw. oder auch durch mehr oder minder "liberale" Blogger wie FDOG oder S-Tatler und Wald-Orf.

Wie eine Person zugleich das hohe Lied des Anti-Etatismus trällern kann, im Sinne einer Heilslehre, während sich die gleiche Person für den Rüstungskeynesianismus eines Bush und Reagan vollauf begeistert, das habe ich noch nie verstanden.

Vielleicht kann der latent autoritäre Charakter derartiger Protagonisten einen Erklärungsbeitrag liefern. Erkennbar wird diese innere Struktur eines autoritären Charakters z.B. an Indikatoren wie die lächerliche Papstbegeisterung, fundamentalen Ressentiments, einem primitiven Gut-Böse-Schema oder der in hochmoralisch-manichäischen Ton vorgebrachten Absolutierung des außenpolitischen Handelns einzelner Staaten.

7 Comments:

At 21 Oktober, 2006 22:30, Anonymous Anonym said...

Aber wer sind AEI ?

 
At 21 Oktober, 2006 23:40, Blogger John Dean said...

AEI = American Enterprise Institute

Das ist die z.Zt. einflussreichste Propagandafabrik in den USA, mit neokonservativ-rechtsextremistischer Prägung.

Im Februar 2003 lobte Präsident Bush (erneut) in einer Rede beim alljährlichen AEI-Dinner die Arbeit der AEI:

Einige der besten Köpfe unserer Nation arbeiten im AEI. Sie machen eine so gute Arbeit, dass meine Administration 20 ihrer Köpfe ausgeborgt hat.

Entsprechend ihrem pessimistischen Menschenbild sieht die AEI Krieg als Naturzustand an. Frieden hingegen beurteilt sie als utopischen Traum, der zu Weichheit, Dekadenz und Pazifismus führt; man muss ihm misstrauen, Friedensprozesse sind somit immer verdächtig. Wenn Frieden nicht durch militärische Übermacht, sondern durch Diplomatie, Rüstungskontrolle oder Inspektionen bewerkstelligt wurde, lehnen die oft von Rüstungsindustriellen unterstützen Propagandafabriken wie z.B. die AEI ihn ab. Denn mit Feinden kann man aus ihrer Sicht nicht verhandeln. Verhandlungen mit relativ schwachen Feinden der USA oder Israels bezeichnen sie als "appeasement of evil". Ein Vergleich zu Hitler und/oder dem Holocaust liegt dann auch nicht fern. Wer mit Feinden redet, ist ein Verräter. AEI halt.

 
At 23 Oktober, 2006 11:53, Anonymous Anonym said...

Wenn Sie das Zitat von T.Albert aus Ausweis einer faschistischen Haltung Mises sehen wollen, sei das Ihnen überlassen, eine alternative und plausiblere Sichtweise hatte ich in meinem damaligen Kommentar bereits gegeben. eher Herr Albert den Satz, den er in der Wikipedia fand schnell noch bei Mises selbst nachlagen konnte.

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Ihre unorthodoxe Übertragung der miseschen Überlegungen zu den fehlenden Verrechnungspreisen ist in der Tat amüsant zu lesen. Leider versuchen Sie hier nicht eine objektive Anwendung ihrer Kriterien in allen Bereichen staatlichen Handelns, sondern stellen allein darauf ab, ihre vorhandenen Vorurteile ("Rüstung") mit einer pseudomiseschen Theorie zu ergänzen.

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Wieso eigentlich ohne "von"? Normalerweise bestehen Linke, die in der Tradition der Weimarer Verfassung das von als reinen Namensbestandteil sehen wollen, stets darauf es mit Auszuschreiben, während es in aristokratischen Kreisen in der Regel weggelassen wird, das es als Titel und nicht als Namensbestandteil gesehen wird.

Oder gehören Sie zu den Linken, die das "von" weiterhin nicht als gewöhnlichen Namensbestanteil sondern als Titel sehen, und den als echter 1789er bekämpfen müssen?

 
At 23 Oktober, 2006 22:12, Anonymous Anonym said...

Naja, Herr Lapide, man muss nun keiner sein, den Sie vielleicht für einen bösen Marxisten halten, um der von Ihnen referierten marxistischen Ansicht, dass Faschismus und Kapitalismus zwei Seiten derselben Medaille seien, zuzustimmen. Drum habe ich ja populistisch dieses von-Mises-Zitat aus Wikipedia exzerpiert:
"Was die liberale Taktik von der faszistischen scheidet, ist nicht die Auffassung über die Notwendigkeit, bewaffneten Angreifern mit den Waffen Widerstand zu leisten, sondern die grundsätzliche Einschätzung der Rolle, die der Gewalt im Machtkampfe zukommt. "
Herr von Mises selber ist hier doch offensichtlich dieser (marxistischen ) Ansicht. Da steht der bewaffnete liberale Taktiker doch klar an der Seite des bewaffneten faschistischen Taktikers im Machtkampf gegen den inneren Gegner.(Vom äusseren ist hier nicht die Rede.) Und dankt ihm dann für sein historisches Verdienst der Rettung europäischer Gesittung, das in der Geschichte ewig fortleben würde.
Diese ganze Debatte krankt an ihrer deutschen Verlogenheit, die es momentan so weit schafft, die Dinge endgültig auf den Kopf zu stellen. Die Weimarer Republik wurde systematisch zerstört von Leuten, die ganz grundsätzlich dadurch "die europäische Gesittung" retten wollten. NIcht nur von Bolschewisten. Herr von Mises hat obiges bereits 1927 geschrieben, und er hatte doch recht damit, "dass der Faszismus und alle ähnlichen Diktaturbestrebungen voll von den besten Absichten sind und daß ihr Eingreifen für den Augenblick die europäische Gesittung gerettet hat."
Eben damals schon war dem das klar, bevor deutsche Faschisten entsprechend ihren rassistischen und antisemitischen italienischen Kameraden die Macht endgültig ergriffen. Er sagt nicht, dass er 1927 etwas dagegen hätte. Er hatte nur Angst vor dem " Glauben an die durchschlagende Wirkung der Gewalt" der Faschisten und ähnlich Bestrebter, er glaubte nicht so sehr an deren Durchschlagskraft, wie die Faschisten. Da könnte man ihm, wie anderen auch, konzedieren sich vertan zu haben.

 
At 25 Oktober, 2006 22:16, Anonymous Anonym said...

Wer sich, statt mit Hilfe von bei Wikipedia zusammengesuchten Zitatfetzen, ein objektiveres Bild von L.v.Mises Meinung über den Faschismus machen will, dem sei das Kapitel "Das Argument des Faszismus" aus seinem Buch Liberalismus zur Lektüre empfohlen.

http://www.mises.de/texte/Liberalismus/index.html

Manche Meinungen sollte man schon im Zusammenhang lesen um Mißverständnisse zu vermeiden.

 
At 26 Oktober, 2006 22:08, Anonymous Anonym said...

Ja, der Zusammenhang:

"Der Faszismus war ein Notbehelf des
Augenblicks; ihn als mehr anzusehen, wäre ein verhängnisvoller
Irrtum. "-So endet das Kapitel. Ansonsten gibt`s Kritik am Bekenntnis zum Gewaltprinzip des Faschismus. Mehr nicht. Mises warnt nur davor, den F. sozusagen überzubewerten. Das Wort "Notbehelf" trifft die Sache genau: Gut, Herr von Mises war kein Faschist. Er sah den Faschismus als Notbehelf gegen die bolschwistischen Barbaren im Innern und "zu beiden Seiten des Ural, deren Verhältnis zur menschlichen Zivilisation nie ein
anderes gewesen ist als das von Wald- und Wüstenräubern, die von Zeit
zu Zeit Raubzüge in das Land der Zivilisierten unternehmen, um dort
etwas zu ergattern. "(p43)

Zusammenhang: dass auch Herr Hitler sein beliebtes Buch, das keiner gelesen hatte, als reine Reaktion auf den bolschewistischen, unzivilisierten, untermenschlichen Räuber geschrieben habe, ist eine Sichtweise, die man als deutsches Kind noch in den sechziger Jahren übermittelt bekam.

 
At 28 Oktober, 2006 03:05, Anonymous Anonym said...

"Zusammenhang: dass auch Herr Hitler sein beliebtes Buch, das keiner gelesen hatte, als reine Reaktion auf den bolschewistischen, unzivilisierten, untermenschlichen Räuber geschrieben habe, ist eine Sichtweise, die man als deutsches Kind noch in den sechziger Jahren übermittelt bekam."

Und? Stimmt diese Sichtweise denn?

Und wenn schon, Mises argumentiert schließlich aus der Position eines überzeugten Liberalen heraus und stellt bei der Bewertung des Kampfes der antiliberalen Ideologien lediglich den vermeintlichen Verdienst des italienischen Faschismus heraus. Das ist alles.

 

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