Herr Westerwelle, sind Sie ein Sensibelchen?
Westerwelle: In der Frage, dass die Besserverdiener und Konzerne entlastet werden und dass sie nicht weiter belastet werden, da bin ich in der Tat sehr sensibel.
Wir meinten das Wort von CSU-Chef Horst Seehofer.
Westerwelle: Ich habe eine höllische Engelsgeduld und schaffe es seit Wochen, furchtbare Fouls nicht mit Gegenfouls zu beantworten. Ich bin jetzt alt und gelassen. Herr Seehofer soll es aber ja nicht wagen, seine widerlichen Äußerungen zu wiederholen!
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in dieser Woche sehr klar zu Schwarzgelb bekannt und gesagt, sie würde auch mit nur einer einzigen Stimme Mehrheit schwarzgelb regieren wollen. Freut Sie das?
Westerwelle: Ich begrüße das, denn Politik wird sinnlos ohne Schwarzgelb. Das sage ich seit Wochen und genau deshalb habe ich auch das Seehofers feindselige Politdemagogie, die uns mitten ins Mark und sehr empfindlich traf, abgesehen von einem kurzen Grollen, mit dann doch einigem Gleichmut kommentiert.
Andererseits distanziert sich Angela Merkel inhaltlich von Schwarzgelb, indem sie sagt, die Union sei die Schutzpartei der Arbeitnehmer und stehe in einer solchen Koalition für soziale Politik. Wie empfinden Sie das?
Westerwelle: Die FDP ist mit ihrer Besserverdienerpolitik die allerbeste Schutzpartei, die die Arbeitnehmer in Deutschland finden können. Ich sage Ihnen: Je weniger Schutzrechte der Arbeitnehmer hat, umso besser ist das für ihn. Bedenken Sie bitte auch: 70 Prozent der Arbeitsplätze schafft der Mittelstand. Weitere 20 Prozent die Konzerne. Arbeitnehmer, Gewerkschaften, SPD und Union haben hingegen in der Wirtschaftskrise die Schecks zu den großen Unternehmen getragen.
Für Arbeitnehmer ist der Kündigungsschutz existenziell. Sie wollen ihn verändern.
Westerwelle: So würde ich das nicht formulieren. Es geht hier einmal um die klitzekleine, aber durchaus bedeutende Frage, ob Schutzregeln schon in Betrieben ab zehn Beschäftigten gelten sollen oder erst ab 20. Wir halten 20 Beschäftigte für die bessere Lösung, weil dann weniger Arbeitnehmer Schutzrechte haben. In der Krise stellen Firmen umso leichter Personal ein, je leichter Kündigungen auszusprechen sind. Der gleich nach dem Wahlsieg durchgesetzte Abbau von Kündigungsschutz wird darum zu einer gigantischen Einstellungswelle führen.
Die Kanzlerin sagt aber: Keine Änderung beim Kündigungsschutz.
Westerwelle: Ich verstehe Anforderungen im Rahmen erfolgreicher Polit-PR. Wir aber haben es als Partei der Wirtschaft und der Besserverdiener nicht nötig wie Frau Merkel notzulügen. Mein Ziel, und auch Frau Merkels Ziel ist doch die Schaffung einer bürgerlichen Mehrheit in Deutschland und da lasse ich mich nicht durch rein taktische Äußerungen meines künftigen Koalitionspartners aus der Ruhe bringen.
Merkel will auch den Gesundheitsfonds nicht verändern. Bringt Sie das ebenfalls nicht aus der Ruhe?
Westerwelle: Wer dieses bürokratische Monstrum namens Gesundheitsfonds fortsetzen will, kann Union wählen, wer das nicht will, wählt FDP. Wir werden das sogenannte solidarische Krankenversicherungssystem zum Zusammenbruch bringen. Freiheit ist unser Ziel! Wir wollen freie Versicherungswahl, freie Leistungswahl, freie Tarifwahl. Unternehmen werden entlastet, vor allem wollen wir deutlich niedrigere Tarife für Besserverdiener. Gesundheitsleistungen dürfen, wie an jedem Markt, auch fallweise bezahlt werden und dann auch angemessen teurer sein. Wer krank ist, zahlt doch gerne. Das ist besser als der derzeit praktizierte planwirtschaftliche Kassenmarxismus.
Die FDP hat auf ihrem letzten Parteitag Mindestlöhne und Flächentarife als, wir zitieren, "Bürokratismus" und "Überregulierung" bezeichnet. Warum sollten Arbeitnehmer eine schwarzgelbe Regierung wählen?
Westerwelle: Weil wir Krisenbewältiger sind und darum werden wir an die Niedriglöhne nicht mit weißer Salbe herangehen. Wir werden sie konsequent abschaffen. Das ist besser für die Arbeitnehmer, dann wissen sie nämlich, dass sich Leistung und Aufstieg in höhere Lohnregionen wirklich lohnt! Überhaupt, was nutzt einem Arbeitnehmer ein höherer Mindestlohn auf seinem Girokonto, wenn dieselbe Regierung anschließend durch Erschaftssteuern und erhöhte Körperschaftssteuern dafür sorgt, dass für die Leistungsträger immer weniger Geld übrig bleibt? Wir sagen: Das ist arbeitnehmerfeindlich, weil es schlecht ist seine Arbeitgeber und damit für den Standort Deutschland. Mindestlöhne sind sozialistisch und wir wollen keinen Sozialismus.
Viele vermissen angesichts der Finanzkrise von der FDP etwas Selbstkritik. Hat die Finanzkrise . . .
Westerwelle: Ich unterbreche Sie nur ungern: Sie vermissen diese Selbstkritik vielleicht. Pardon, ich habe noch nie Selbstkritik vermisst. Nie! Meine Parteifreunde vermissen ebenfalls keine Selbstkritik. Millionen Wähler kommen doch zu uns, und nur deshalb, weil wir auf eine radikale und deregulierte Marktwirtschaft setzen und uns eben von niemanden einreden lassen, beispielsweise, dass der Staat dann, wenn er Banken rettet, im Gegenzug irgendwelche Eigentumsrechte dafür erlösen soll. So geht das nicht! Wir wollen keinen reichen Staat, wir wollen keinen spätsozialistischen Quark wie "bessere Lebenschancen" für Arbeitnehmer und Normalbürger, sondern einen großzügigen Staat für unsere Klientel!
Hat die Finanzkrise bei Ihnen Selbstkritik ausgelöst?
Westerwelle: Wir haben auf den Missstand der zersplitterten Bankenaufsicht am Anfang des Jahrzehnts genau einmal hingewiesen. Danach nicht mehr. Wir klagten dann wiederholt darüber, dass manche der neueren Finanzmarktprodukte, sogenannte Verbriefungen, in Deutschland nicht ausreichend gehandelt werden konnten, wie dies in den angelsächsischen Ländern der Fall war. Unsere liebe Freundin Frau Zypries hat dann aber gerade noch rechtzeitig die rechtlichen Beschränkungen gelöst, sodass sich die deutschen Banken in vollen Umfang am internationalen Verbriefungsgeschäft beteiligen konnten. Das kann so bleiben. Nun hat die Regierung seit letzten Herbst eine Neuregelung der Bankenaufsicht angekündigt, weil sie dem öffentlichen Druck nachgeben musste. Bis heute ist aber nichts Wesentliches verändert worden. Stattdessen flaniert sie auf internationalen Gipfeln herum. Sie redet, aber sie handelt nicht. So werden wir es auch handhaben.
Sie fordern Steuersenkungen. Wie wollen Sie die angesichts der dramatischen Neuverschuldung jemals finanzieren?
Westerwelle: Wer glaubt, man bekomme Staatsfinanzen gesund, indem man die Steuern erhöht, der soll halt andere Parteien wählen. Herausstellen möche ich zudem, dass wir eine gleichermaßen großartige wie geheime 400-Punkte-Liste zur Senkung der Staatsausgaben haben, die wir erst nach den Wahlen offen liegen werden. Damit bekommen wir die Ausgaben sofort in Griff. Dazu sind wir sicher, dass man Steuern senken kann, und damit das Steueraufkommen sogar erhöht. Wir werden vor allem für diejenigen Entlastungen schaffen, welche Spitzenleistungen erbringen und nennen das "faires Steuersystem". Eine solche Umverteilung ist aber keine Gefahr für die Staatsfinanzen, sondern die Voraussetzung für den Wohlstand derjenigen, die wir entlastet haben. Geht es den Wohlhabenden gut und besser, und nur dann, dann erst gibt es Investitionen, Leistungsgerechtigkeit, Kaufkraft, Binnenkonjunktur, steigende Tantiemen und Wachstum. Wir sehen doch, wohin das verkorkste deutsche Steuersystem führt. Schwarzarbeit hat bereits einen Umfang von 350 Milliarden Euro im Jahr. Wir wollen das ändern, und zwar unter konsequentesten Verzicht auf staatliche Zwangsmaßnahmen. Immer mehr Besserverdiener nutzen Steuerlücken, lassen sich von Steueroptimierern beraten oder parken ihre Gelder in Steueroasen. Wir verstehen das gut. Wenn die Verschuldung des Staates steigt, ist das allemal die hässliche Folge und Erblast tiefroter SPD-Finanzminister.
Angenommen, Sie säßen in der Regierung und realisierten nächstes Jahr Ihre Steuersenkungspläne. Dann müssten Sie mit einem noch größeren Haushaltsdefizit umgehen. Wo werden Sie sparen? Im sozialen Bereich?
Westerwelle: Wir werden beim Sozialstaat sparen, und zwar selbstverständlich einschneidend. Auf diese Weise versuchen wir das Haushaltsdefizit ausgleichen. Einen anderen Weg sehe ich nicht. Ich finde Sozialschmarotzer widerwärtig und unerträglich, zum Beispiel, wenn manche in Talk-Shows erklären, sie lebten vom Sozialstaat und arbeiteten schwarz und noch das Publikum dafür beschimpfen, dass es morgens aufsteht und zur Arbeit geht. Ich sehe sehr gerne solche Talk-Shows, die bringen mich so schön auf Touren. Wir werden diese Sende-Formate mit unseren Stiftungen verstärkt unterstützen und diese passend zurechtgetürkten Sendungen dann für Kampagnen gegen Bezieher von Sozialleistungen nutzen. Überhaupt, was ist so schlecht an der Idee, die Regelsätze abzusenken? Anders lassen sich keine Anreize für eine Arbeitsaufnahme schaffen. Und wir sagen: Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit. Andererseits möchte ich kurz vor der Wahl verhindern, dass wir Neoliberalen von den Wählern als neoliberal empfunden werden. Darum finde ich es jetzt ungerecht, wenn jemand mit Mitte 50 arbeitslos wird und dann alles, was er sich zurückgelegt hat, durch den Schornstein geht. Das werde ich ändern. Das Schonvermögen für ältere Hartz IV-Empfänger werden wir aufwandsneutral verdreifachen.
Steuererhöhungen wird es definitiv nicht geben?
Westerwelle: Schon bei dem Wort Steuererhöhungen bin ich taub. Auf beiden Ohren. Wenn sie mir allerdings heimlich einen Zettel mit den Worten "höhere Mehrwertsteuer" zustecken, dann kann ich Ihnen die Notwendigkeit dafür kaum verschweigen. Pardon, aber es kann doch nicht sein, dass Lebensmittel mit nur 7 Prozent zu versteuern sind!
Hört die Union da auch nichts?
Westerwelle: Ich will ja nicht irgendeine schwarzgelbe Mehrheit zustande bringen, sondern eine mit einer sehr starken FDP, damit wir das Staatsschiff wirklich radikal umsteuern. Für uns ist ein komplett neues Steuer- und Abgabensystem die Mutter aller Reformen, was auch für Konjunktur, viele Millionen neuer Arbeitsplätze und gesunde Staatsfinanzen sorgt.
In den letzten zehn Jahren sind in Deutschland die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden. Sehen Sie dieses Problem überhaupt?
Westerwelle: Armut macht mich schon irgendwie betroffen und es ist natürlich auch ein Problem für die abrutschende, bisherige Mittelschicht der Bevölkerung, die sich mit unserer Politik auf weitere Belastungen einstellen muss, zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Wir sind traurig darüber, dass die Mittelschicht und das dort vorhandene Besteuerungspotential schrumpft. Vor elf Jahren machte sie noch zwei Drittel der Bevölkerung aus, jetzt nur noch gut die Hälfte. Wie kann das sein? Ich will lieber in einer Gesellschaft leben, die vorwiegend aus Reichen besteht! Das ist meine Vision. Ich will eine Wirtschaftspolitik, die auf den Mittelstand schaut. Mein Thema sind auch die DAX-Konzerne, Unternehmensberater, Steuerkanzleien, Rechtsanwälte und Ärzte. Wenn es dort zu Einkommensrückgängen kommt, dann gehen in Deutschland die Lichter aus. Der Vorwurf, die FDP sei mit ihrer Steuerpolitik nur an den Reichen interessiert, ist darum an Dummheit nicht zu überbieten. Wir sind durchaus auch an denen interessiert, die lediglich als wohlhabend oder gar nur als potentiell gutsituiert zu bezeichnen sind. Weil jeder gerne wohlhabend wäre, sind wir zugleich eine Partei für das ganze Volk.
Sie wenden sich gegen staatliche Konjunkturpolitik. Wie wollen Sie die Konjunktur flott kriegen?
Westerwelle: Konjunkturprogramme sind leider wirkungslos und verhindern notwendige Anpassungsmaßnahmen der Wirtschaft. Wir erleben das doch gerade: Sobald die staatliche Konjunkturpolitik beendet wird, brechen Konjunktur und Absatz ein. Dazwischen gehen tausende von Betrieben pleite. Der Industrie geht es nur langfristig gut, wenn die Leistungsträger genug Geld haben, um Produkte kaufen zu können. Deshalb ist eine Steuerstrukturreform, wie wir sie planen, der Schlüssel für mehr Wachstum. Wir wollen dass der, der mehr arbeitet, auch mehr hat als der, der lange schläft und faul im Bett herum liegt.
Skizzieren Sie uns bitte die liberale Umweltpolitik. Was möchten Sie hier erreichen?
Westerwelle: Es wäre töricht, aus sauberer Kohle und sicherer Kernkraft gleichzeitig aussteigen zu wollen. Wir wollen darum beides erhalten und die Gängelung der Wirtschaft mit Umweltauflagen so weit beenden, wie es möglich ist. Wenn wir regieren, dann drücken wir auch mal ein Auge zu. Als Liberale wollen wir Freiheit und somit auch eine freie Nutzung der Umwelt.
Was sagen Sie zum Atomlager Asse?
Westerwelle: Asse sagt mir nichts und hat mir nichts zu sagen. Atomkraft ist sicher, war schon immer sicher und wird auch immer sicher bleiben. Es wäre unverantwortlich, die Chancen nicht zu nutzen, die Atomkraft hat. Wir werden Asse ausbauen. Das ist zugleich günstig, als auch für mindestens 10 Jahre ziemlich sicher. Übrigens wollen wir längere Laufzeiten den Energieunternehmen nicht schenken - sie müssen dafür zahlen, indem sie uns rechtlich unverbindlich zusagen, dass sie in die Energieforschung investieren werden. Der Staat darf nichts kriegen!
Wie heißt der nächste deutsche Fußballmeister?
Westerwelle: Erstens sind wir viel zu früh in der Bundesliga-Saison, als dass sich schon ein Meisterschafts-Favorit abzeichnen würde, und zweitens bin ich lokalpatriotischer Rheinländer. Sorry, Wolfsburg.
Falls es am 27. September mit Schwarzgelb klappt, heißt der neue Außenminister dann Westerwelle?
Westerwelle: Das ist bereits fest verabredet. Wir haben uns mit Frau Merkel in Geheimverhandlungen bereits umfangreiche Gedanken dazu gemacht. Vielleicht erklären die getroffenen Verabredungen die Missstimmungen in den Reihen der CSU. Wir konnten unsere Vorstellungen durchsetzen. Deshalb wird jeder nach der Wahl an der Stelle in der Regierung arbeiten, wo er Deutschland am besten dienen kann.
- satirisches Interview frei nach Westerwelle-Interview in der Saarbrücker Zeitung -
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