Zwischenstand: In drei Ländern siegte die Revolution der Bevölkerung, in Tunesien, Ägypten und Libyen (abgesehen von einer Armeebasis inmitten von Tripolis ist Libyen inzwischen befreit). Der Irak hat m.E. schlechtere Aussichten bei der Entwicklung wirklich demokratischer Strukturen, trotz seiner Wahlen und die massive Unterstützung durch die USA, könnte aber als "dreiviertelbefreit" gelten. Das sind also vier Staaten, und man könnte - trotz der systematischen Benachteiligung der arabischen Bevökerung auch noch die arabische Bevölkerung Israels als "dreiviertelbefreit" einstufen, was vor dem Hintergrund der Besetzungstätigkeit Israels und ihrer Konsequenzen für die betroffene Bevölkerung vielleicht etwas zynisch wirken mag - aber zutrifft. Auch der Libanon hat schon recht weite Schritte auf dem Weg zu einer Demokratie unternommen, trotz starker interner Spannungen und einer stark geteilten Bevölkerung gibt es dort immerhin Pressefreiheit und einen funktionierenden Parlamentarismus.
Als erstes Fazit könnte man ziehen, möglicherweise aber voreilig: Eine demokratische Befreiung, die mitten aus der Bevölkerung kommt, hat bessere Aussichten als die "militärische Befreiung", wie sie im Irak probiert wurde. In mehrfacher Hinsicht ist jedenfalls die Bush-Doktrin gescheitert, und auch die Verachtung von Al Jazeera seitens der angeblich auf Freiheit setzenden US-Neocons. Der Irak bzw. die demokratisch (und als Abwehr von Massenvernichtungswaffen) gemeinte Besetzung des Irak hat keineswegs die Demokratisierung der arabischen Staaten verursacht, geschweige denn beschleunigt.
Als zweites Fazit könnte man sagen, dass der Versuch einer brutalstmöglichen Unterdrückung einer Demokratisierungsbewegung in Libyen und anderen Staaten gescheitert ist.
In Algerien, Jordanien, Yemen und Bahrain, vielleicht auch in Marokko (sofern ich die Berichterstattung richtig deute), wird es zu einer Art "Demokratisierung von oben" kommen, besonders in Algerien werden hier gerade große Schritte vorgenommen. Wer bleibt von diesen demokratischen Entwicklungen in den arabischen Ländern z.Zt. noch ausgenommen? Wenn ich es richtig sehe, handelt es sich nur noch um einige Kleinstaaten wie Kuwait, Katar, Oman und Mauretanien - sowie um Saudi-Arabien. Eine demokratische arabische Union könnte schon in wenigen Jahren in Greifweite liegen und einen großartigen Kooperationspartner für die EU darstellen.
Als drittes Fazit - und diesen Befund finde ich besonders wichtig - muss man auf die Bedeutung eines demokratisch orientierten Presse- und Medienwesens verweisen. Ohne Al Jazeera wären die neuen und für viele überraschenden demokratischen Entwicklungen in den arabischen Ländern kaum möglich gewesen.
Und so paradox es sein mag: Eine bislang demokratiefernes Regime, nämlich Katar, sowie der Fortschrittswille von Scheich
Hamad bin Chalifa Al Thani, machten Al Jazeera und die Demokratisierung Arabiens möglich. Vermutlich war es seine militärische Ausbildung in Großbritannien, die ihn zum Demokratisierer machte. Und, auch hier ist die Vermutung begründet, die Ausbildung vieler ägyptischer und tunesischer Militärs in Deutschland und den USA war ein bedeutender Faktor dafür, dass sich das Militär dieser Länder auf die Seite der Demokratiebewegung gestellt hat.
Zurück zur Ausgangsfrage: Welcher arabischer Staat kommt als nächster? Ich denke, die zweite Welle der arabischen Demokratisierung wird die oben skizzierte "Demokratisierung von oben" sein, und wir werden in den nächsten Jahren eine Art "demokratisches Wettrüsten" der arabischen Länder erleben - einen Wettkampf darum, wer die besten und schnellsten Demokratisierungsfortschritte macht!
Ich vermute, die ölreichen Kleinstaaten werden bei diesem Demokratierungswettkampf eine Ausnahme bilden, auch Saudi-Arabien - allerdings werden auch in diesen Staaten die modernen und demokratienahen Scheichs und Herrscher an Gewicht gewinnen. Also werden wir in den nächsten Jahren auch aus Saudi-Arabien gute Nachrichten hören. Und der Iran?
Der kommt auch noch. Ich schätze, in spätestens zwei Jahren ist es soweit.
+++ Vorabmeldung: Heute abend wird Comical Gutti der Doktortitel von der Uni Bayreuth in einem Schnellverfahren aberkannt - und zwar schäbiger Weise "auf seine Bitte hin" ganz einwandfrei, weil sein Schummel aufflog. +++Labels: Arabien, Außenpolitik, Demokratie, Iran