06 Februar 2011

Ein Bild aus Ägypten: Die neue Normalität - und das, was auf uns zukommt

Statt vieler Worte:

Die Welt fragt sich, wie wohl die neue Normalität in Ägypten aussehen wird. Fröhlich, demokratisch und ganz selbstverständlich wie in Tunesien? Eine Rückkehr zu den Verhältnissen unter Mubarak, nur eben mit dem Unterschied, dass Suleiman den Dikator gibt?

Wenn man bedenkt, welchen großen Einfluss die amerikanische Politik hat, könnte man Schlimmstes befürchten, zumal Dreckschweine wie Frank G. Wisner (der amerikanische Gesandte) offenkundig kein Problem mit der Fortsetzung der ägyptischen Diktatur haben. Diese Geheimdienstler, Waffenschieber bzw. deren politische Helfer mögen zwar von der Obama-Administration zur Zeit gebändigt werden, aber von genau diesem Zuschnitt sind diejenigen, welche auf Arbeitsebene die Zusammenarbeit von Ägypten mit den USA regeln. Wie gesagt: Kleptokratiehelfer. Neoliberale Folterfreunde. Dreckschweine.

Das Bild oben zeigt m.E. aber den dabei entscheidenden Aspekt: Die Ägypter werden sich nicht mehr unterdrücken lassen. Sie haben dem eigenen Militär die entscheidende Richtung gegeben, und sehr vieles deutet jetzt darauf hin, dass in Ägypten eine Entwicklung stattfinden wird, die zwischen dem Kurs der türkischen AKP-Demokraten und dem tunesischen Weg liegen wird. Die vormals völlig verteufelten ägyptischen Muslimbrüder werden zu einem bedeutenden Faktor der Demokratisierung werden und haben bereits angedeutet (imho ist das sensationell), dass sie sich an die Verträge mit Israel gebunden fühlen.

Wenn alles optimal läuft, wird der künftige Präsident in Ägypten Amr Musa heißen - und die Tür weit aufreißen für Frieden, Fortschritt und Demokratie nicht nur in Ägypten, sondern in den meisten arabischen Ländern, vermutlich inkl. der Errichtung eines arabischen Binnenmarktes. Wichtige künftige Schritte hierbei sind imho die Gewährung echter Pressefreiheit in Ägypten und der vollständige Umbau des Polizeiapparates. Wenn die Obama-Administration klug ist, wird sie genau das zur Bedingung der weiteren Zusammenarbeit mit Ägypten machen - und damit ein großes demokratisches Aufbauwerk unterstützen. Der EU kommt u.a. die Aufgabe zu, die ägyptischen Kleptokraten zu enteignen, auch, damit für den Aufbau der ägyptischen Demokratie genügend Geld zur Verfügung steht, z.B. die rund 40 Milliarden Dollar (!), die allein vom Mubarak-Clan dem ägyptischen Volk geraubt wurden.

Nicht das "Kalifat" (die wahnhafte Angst der Tea Party in den USA), sondern die Europäisierung Arabiens steht bevor. Sogar das Schlagwort von "Eurabien" wird in den nächsten Jahren einen gewissen Gehalt gewinnen, allerdings völlig anders, als es von bellizistischen Neocons, xenophoben Islamhysterikern, sozialdarwinistischen Rechtslibertären und anderen gefährlichen Politdeppen voraus gesehen wurde - nämlich als Raum für Frieden, Fortschritt und Demokratie.

Vielleicht wird sogar die von den USA gestützte, weltweit Terror verbreitende wahabitische Diktatur von Saudi Arabien ins Wanken geraten. Das wäre für den Frieden in der Welt, so schätze ich es ein, weitaus wichtiger als jegliches Engagement "des Westens" in Afghanistan und Pakistan.

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9 Comments:

At 06 Februar, 2011 15:19, Blogger John Dean said...

Randbemerkung: Habe aus alter Gewohnheit mal zu den Verbissensten unter den Marktradikalen rübergeschaut. Unter der Überschrift "Bekenntnisse eines Bilderverweigerers" schreibt da jemand über den Prozess in Ägypten und die eigene Ignoranz, der seinen Artikel imho sehr treffend auch "Bekenntnisse eines rechtslibertären Realitätsverweigerers" nennen könnte.

Egal. Aber doch lustig, wie so ein Pseudoliberaler die eigene Ignoranz abfeiert.

Denjenigen, die mehr wissen möchten, empfehle ich u.a. das Live-Blog von Al Dschasira.

Wer sich für die Frage nach der Zukunft des Journalismus interessiert, der wird in diesem Blog ebenfalls einige Anregungen finden.

 
At 06 Februar, 2011 16:11, Anonymous Chris said...

wow echt gut geschrieben =)
aber so wies jetzt aussieht gehen die Leute schon weniger auf die Straße, was ich eigentlich richtig schade finde, da schon so viele Leute verletzt und getötet wurden---- für nichts, wenn sie jetzt schon aufgeben :/

 
At 06 Februar, 2011 19:03, Anonymous isabella said...

Guten Tag!

Ich mache eine Umfrage für die Uni bezüglich Blogs und wäre Ihnen für 5 Minuten Ihrer Zeit um den Fragebogen auszufüllen sehr dankbar!

www.voycer.de/umfrage.html?sid=41422

Mit freundlichen Grüßen
Isabella L.

 
At 06 Februar, 2011 20:41, Blogger John Dean said...

Umfrage??

Welche Uni, welcher Prof., welche Zielsetzung, welche kommerziellen Verbindungen?

 
At 07 Februar, 2011 13:49, Anonymous Robin Renitent said...

Ich war im letzten Jahr längere Zeit in Ägypten. Da sind mir keine Leute, wie dieses strahlende Brautpaar untergekommen. Im Gegenteil, dieses von mir gemachte Foto zeigt wohl eher die Realität.
http://www.rebellogblog.com/graphics/egypt_1/egypt1202.JPG

Es ist wie mit den Balkonfotos unserer Mainstreammedien, die zeigen immer den gleichen Platz, von immer den gleichen Balkons. Lächerlich, die Herren Korrespondenten schaffen es nicht ihren Arsch mal in die Strassen zu bewegen.

Sie wollen sich doch wohl hoffentlich nicht daran beteiligen Stimmung für einen "demokratischén Umbau" Ägyptens zu machen, der dann so aussieht wie unsere Demokratie? Und der vielleicht noch mit EU-Geldern angeschoben werden soll?

Welche Illusion, die Mehrheit dieser Dreckspatzen (Müll allerorten) muß erstmal lernen, daß der öffentliche Raum kein Müllabladeplatz ist.

Danach können wir dann weiterfantasieren...

RR. z.Zt. Hanoi

 
At 07 Februar, 2011 16:22, Blogger John Dean said...

@ Robin

Was machen Sie denn in Hanoi? Ist das nicht ein garstiger Ort?

Ich denke, die meisten "Ärsche" der Korrespondenten sind überaus froh, wenn sie sich überhaupt noch frei bewegen können - oder auch nur in die Nähe eines Balkons mit Sichtlinie zum Tahrirplatz kommen.

Wenn Ihnen in Ihrer Zeit in Ägypten keine strahlenden Brautpaare vorgekommen sind, tut mir das leid, aber vielleicht lag das auch ein wenig daran, dass die Lage der Jugend in Ägypten schlicht schlecht ist - und eine Heirat für die meisten (!) jungen Ägypter, die sich das wünschen, einen sternenfernen Traum darstellt.

Der Prozess der Demokratisierung Ägyptens scheint mir hingegen, inzwischen jedenfalls, kein Traum mehr zu sein.

 
At 16 Februar, 2011 11:46, Anonymous Robin Renitent said...

1. Teil

Ich werde versuchen auf Ihre Frage ernsthaft zu antworten. Zunächst aber: Ihr Blog ist der einzige „gegnerische“ Blog den ich lese. Fast immer bin ich genau gegensätzlicher Meinung, (hier sitze ich, ich kann nicht anders – frei nach Luther) und meistens ärgere ich mich über Ihre Artikel krank (über den letzten Iran-Artikel ausnahmsweise nicht.) Es ist also eine Art Masochismus wenn ich hier lese, erklären kann ich es nicht. Komisch nur, daß ich mir Sorgen um Sie machte, als Sie mal `ne Bloggerpause machten.

Zu Ihrer Frage ob Hanoi ein garstiger Ort ist. Dazu vorweg: Ich mache mit Frau und Kindern eine gut vierjährige Weltreise. In jedem Land, das uns interessiert bleiben wir zwischen 1 und 3 Monaten. Es ist unser selbstgewählter Erziehungsauftrag den Kindern die Welt nicht nur aus Büchern oder etwa dem grässlichen TV kennenlernen zu lassen, sondern vor Ort. Bis jetzt sprechen sie fließend Deutsch und Englisch und gut Russisch. Chinesisch und Spanisch sollen noch hinzukommen.
Wir unterlaufen also bewußt mit unserem Homeschooling die deutsche Rechtsprechung (ein Wohnsitz in Nordamerika machts möglich) und lassen unsere Kinder auch nicht von GEW- oder sonstigen verkorksten Lehrern ideologisch verbiegen. Ausserdem entziehen wir uns natürlich der deutschen (und jeder anderen) Steuerpflicht, ein für mich besonders wichtiger Punkt, da ich mit Murray N. Rothbard der Meinung bin, daß „Tax stolen money“ ist. Ich habe in meinem Leben mal soviel Steuern gezahlt, daß ich locker ein Asylantenheim durchfuttern konnte – das ist nun endgültig aus und vorbei. 2 Jahre unserer Reise sind schon um.

Zu Hanoi, Vietnam: Ich habe selber als Jugendlicher die Flachzangen des SDS in Berlin erlebt und wie eine ganze Studentengeneration den US-Imperialismus in Vietnam überwinden (helfen) wollte. Man warf Farbbeutel gegen das Amerikahaus in der Hardenbergstrasse und skandierte untergehakt den Ku’damm entlangmarschierend: Ho-Ho-Ho-Chi-Minh. Das waren Bürgersöhnchen und angehendes akademisches Proletariat, die unter der, von den Amerikanern garantierten, Demonstrationsfreiheit gegen eben diese Amerikaner„demonstrierten“. Schon das Wort „demonstrieren“ ist eine Beschönigung angesichts der materiellen Schäden, die die Chaoten anrichteten. Es waren die gleichen Knallschoten, die mit der Maobibel in der Hosentasche rumliefen und die Worte des großen Vorsitzenden auswendig kannten. Sie konnten es wissen und sie wußten es, aber es interessierte sie nicht die Bohne: Das Mao ein Massenmörder war, der Millionen auf dem Gewissen hatte (heute spricht man von etwa 45 Millionen) und das sein vietnamesischer Bruder im Geiste immer noch über 1 Million verschrottet hat. Demnächst besuchen wir die Erben Pol Pots in Kambodscha.

 
At 16 Februar, 2011 11:48, Anonymous Robin Renitent said...

2. Teil

In diesem einst von den Vietkong und den Amerikanern verwüsteten Land herrscht heute, in dieser sozialistischen Volksrepublik, der reine Kapitalismus. Wundervoll, wenn ich „reine“ schreibe, meine ich das auch. Keine Knebelung und Korsettierung durch Sozialstaatsmaßnahmen, keine Alimentierung fauler und unmotivierter Mitbürger und Migranten. Keine einschränkenden EU-Regelungen und Gängelungen der Bürger die Initiative zeigen. Keine 29 000 Seiten Kakaoverordnung und keine Gurken die man grade biegen muß, damit sie in den Karton passen. Das hat was. Der Kapitalismus ist also viel ursprünglicher, viel direkter und freier als in unseren EU- und Gutmenschengeknechteten Umverteilungsvolkswirtschaften, davon kann selbst das in die Flucht geschlagene Amerika nur noch träumen. Wiewohl hier auch Kentucky Fried Chicken und McDonald omnipräsent sind.

Schön auch die alte koloniale Architektur der Franzosen in Hanoi zu sehen. Den Franzmännern verdanken wir das Sitzklo neben der Hocktoilette, die Baguette und den Charme den ein französisches Erbe eben ausstrahlt. Das daneben die eigenen kulturellen Fingerprints der vietnamesischen Dynastien und die überaus sympathische Art der Vietnamesen nicht vergessen werden soll ist klar. Es sind leider viele deutsche Billigheimer hier, Vietnam hat offensichtlich das Putzfraueneldorado Mallorca abgelöst. Worum geht es den normalen Touristen, Heidi und Gudrun? Darum billig zu fressen. Na, denn. Wir sind keine Touristen, wir sind Reisende!

So, das war total OT. Dafür entschuldige ich mich ausdrücklich. Löschen Sie es einfach, wenn Sie es nicht mögen. Ich werde nicht böse sein. Ansonsten erlaube ich mir, mich gelegentlich wieder über Sie, nein, Ihre Meinung zu ärgern....

 
At 16 Februar, 2011 14:25, Blogger John Dean said...

Ganz im Gegenteil: Ich danke für den Bericht!

Und hoffe, es geht Ihnen und Ihrer Familie weiterhin gut.

 

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