Ergänzungen zum "Diskurs" über Gutmenschen
Hier mache ich auf den speziellen "Diskurs" deutscher Neocon-Imitatoren aufmerksam.
Nach Ansicht dieser Neocon-Imitatoren gibt es keine Entschuldigung für die Gutmenschen. Es sei endlich Zeit, das "deutsche Gutmenschentum" zu kritisieren. No blood for Sauerkraut!
Man verflucht "Multikulti-Gutmenschen", gewerkschaftliche Besitzstandswahrer, moralinsaure Toleranz-Fanatiker, Kapitalismus-Bejammerer, Attac-Aktivisten, "Jugendhilfe-Gutmenschen" und friedensbewegte Urwaldretter.
Der Gutmensch hadert "als kleiner Quieker" mit Machtmissbrauch und sei ein treudoof-dünkelhafter "Mensch ohne Eigenschaften", genussfeindlich, humorlos, anmaßend, ein moralischer Aggressor, ja, und eine Gefahr.
Auch für Libertäre und Anarchokapitalisten ist der Begriff "Gutmensch" bedeutsam, stehen diese doch der "Selbstverantwortung" des Individuums in einer "ownership society" entgegen. Man fühlt sich jedenfalls von Gutmenschen bedrängt. Auch Wohltäter werden gerne verlacht, sie sind libertären Streitern für totales Privateigentum suspekt und gelten (teils) als Vorstufe zum Sozialstaat, der ihnen die unbestreitbare Quelle allen Bösen ist.
Es geht also um eine negative Theologie.
Was findet sich, was sind das für Vorwürfe, die von dieser Seite gegen die Gutmenschen gerichtet werden? Wenn man die Vorwürfe der Neocon-Imitatoren zusammenträgt, dann sind die Gutmenschen an all diesem hier schuld:
(a) Hohe Kosten des Sozialstaats
(b) Armut in der Dritten Welt
(c) "Sozialdemokratisierung" der Politik
(d) Unfaire Beurteilungen des Nahostkonflikts
(e) Saddam Hussein
(f) Arafat und Hamas
(g) Weltweiter Terror
(h) Appeasementpolitik im Allgemeinen
(i) Machtergreifung/Machterhalt Hitlers
(j) Holocaust
(k) UNO
Dies ist tatsächlich der “Diskurs”, wie er von von dieser Seite geführt wird - und z.B. in einzelnen Artikeln der WELT oder im SPIEGEL vorgetragen wird. So denken sie - der Tendenz nach. Als moralisierende Empörer folgen deutsche Neocons amerikanischen Vorbildern. Jene nennen ihr Spiel bzw. ihre Haltung "moralische Entschiedenheit". Bei ihrer "klaren Unterscheidung" zwischen "gut und böse" werden abweichende Gedanken und Haltungen ge-basht. Neokonservative Meinungsjournalisten wie Rush Limbaugh sind Beispiele für diese Haltung.
Diese Neocons mögen moralische Vorhaltungen wegen fragwürdiger Praktiken oder Ideen überhaupt nicht. Kritik gilt nicht als heilsam. Auch dies steckt im Begriff "Gutmensch".
Sollte der Begriff “Gutmensch” am Ende sogar rein pejorativ sein und im Wesentlichen ein Pappkamerad darstellen, erschaffen, um auf ihn einzudreschen?
Wäre das möglich? Wenn ja: Was nun?
Das mobbende Wort vom "Gutmenschen" mag mitunter nur "naive Linksmoralisten" oder "Pharisäer" meinen, oder solche Menschen, die mit fremden Geld Gutes tun möchten - tatsächlich erfolgt mit diesem Begriff in erster Linie eine Diffamierung, verblüffend oft seitens von Gruppierungen, welche Ressentiments und Bellizismus zum Angelpunkt ihres politischen Denkens wählen.That's it.
P.S.
so Schnapsideen von Heile Welt
das Paradies herbeigequasselt
und unser bisschen Erden-Glück
wird uns zerredet und vermasselt
(Wolf Biermann hält Zynismus für einen sinnvollen Weg)
Gut, dann lasst uns besser über Naivität reden.
Zynismus ist eine naive Reaktion auf Naivität.
13 Comments:
Kann man hier keine Trackbacks machen? Ich würde diesen Eintrag gern als Trackback mit meinem Blog "das Wort Gutmensch" verlinken - und umgekehrt.
Nixons Kommentar wurde gelöscht.
In meinem Blog ist es so:
1. Der Blog-Autor darf wüten, schmähen und pesten. Er darf im Gegenzug auch dafür kritisiert werden.
2. Die Kommentare sind - gegenüber An- und Abwesenden - von ganz ausgesuchter Höflichkeit gekennzeichnet. Hier ist sozusagen der Dialogbereich.
3. Ich weiß: Das ist unlogisch. Aber es wird hier nunmal so gemacht:
Nixon schrieb zuvor in etwa:
Schön, dass du Dich dieser [Fehlgeleiteten], die [teils] selbst Liebesbeziehungen als eine rein marktwirtschaftlich zu wertende Vertragspartnerschaft definieren, annimmst. [Möglicherweise hat diese Idee zu den Liebesbeziehungen private Ursachen]
Antwort Dr. Dean:
Die Neigung für Angriffe bzw. Pauschalangriffe ad hominem hat möglicherweise ebenfalls private Ursachen. Z.B. ein hitziges Temperament.
Wir lernen alle dazu.
@Eule70
Danke für den Hinweis!
Hab jetzt eine Kleinigkeit umgestellt. Jetzt sollte es eine Funktion "Links to this post" geben - allerdings wohl nur von "außen" - also nach Verlassen dieser Kommentarrolle erreichbar.
@Boche
Pappkamerad?
1. Den giftigen Begriff "Gutmensch" gibt es.
2. Dieser Begriff wird von Extremisten aus dem faschistischen Spektrum sehr gerne und häufig eingesetzt.
3. Eine erhöhte Einsatzfrequenz lässt sich bei rechtslibertären und konservativen Blogs finden - und ganz besonders bei den selbsternannten "prowestlichen" Blogs. Der "Gutmensch" ist dort ein gern genutztes Feindbild - teils mit separater Kategorie.
Das ist ein Fakt.
4. Die beschreibenden Attribute im Artikel (die beantworten sollen, wie ein "Gutmensch" beschrieben wird) sind nicht etwa willkürlich zusammengetragen worden, sondern Resultat einer kleinen Sprachstudie in Welt, BILD und SPIEGEL, bei der die negativen Attributierungen erstens gezählt und zweitens mühsam systematisiert wurden. Übrigens: BILD hat hier null Verwendungen dieses Begriffs. Eine Gegenprüfung im FR-Archiv ergab nur einmal eine Verwendung, und zwar "naiver Gutmensch"...
Boche: Wo ist hier der Pappkamerad?
Ruf mal diesen Link auf - und staune! Du wirst über 600 Verwendungen in der deutschen Blogosphäre finden. Und dann vergleiche mal ganz unbefangen mit diesem Befund...
In der Blogosphäre vorne dabei bei der Verwendung dieser Schmähsprache: Die "prowestlichen" Blogs.
Pappkamerad? Inwieweit, Boche?
Nichts gegen den Artikel ansich. Aber bevor du die Negative Theologie diskreditierst solltest Du dich vorher besser schlau machen, was das eigentlich ist.
@Boche
1. Habe ich dich Neocon genannt?
2. Falls ja: Wäre der Begriff in gleicher Weise pejorativ (herabsetzend)?
Vermutete Antwort: Nein. Nein.
@mspro
Oh, ich wusste nicht, dass es sich hierbei um eine feststehende Begrifflichkeit für eine Spielart des Agnostizismus handelt. Ich finde aber, hmm, so völlig unplausibel ist mein Verwendungsvorschlag auch nicht.
Aus den Religionswissenschaften/Philosophie fand ich zur "negativen Theologie":
--------- schnipp -----------
Die Negative Theologie geht davon aus, daß Gott nicht vollkommen erkannt werden kann (z. B. Dionysius Areopagita, Neuplatonismus), oder daß über Gott bzw. das Absolute gar keine Aussagen gemacht werden können. (Z. B. Cusanus.)
--------- schnapp -----------
Nicht weiter schlimm. Und ja, vielleicht kann man sogar einen impliziten Bezug herstellen. Die NT arbeitet immer im sprachlichen Weder-noch-Modus, wenn sie Aussagen über Gott macht. Denn Gott ist eben nicht aussagbar. Das führt dann zu solchen fast ketzerischen Sätzen wie: "Gott ist nicht gut." oder gar "Gott ist nicht.", denn er ist schließlich die Ursache für alles "Sein" und kann deshalb nicht selber "sein" usw. Die NT bemüht sich dadurch Gott vor jeder Pejoration oder sonstiger Umdeutung zu schützen. Das zeitigt dann interessante linguistische Effekte, weil sie sich eben bemüht, Gott aus jeglicher Aussagelogik herauszuhalten und dennoch dieses Bemühen immer in (beinahe pejorativen) Aussagen mündet.
Was "Gutmensch" angeht ist es etwa dasselbe, wie beim Begriff "Intellektueller" im Paris des frühen 20ten Jahrhunderts. Nur umgekehrt. Der Begriff wurde von Konservativen während der Dreyfus-Affäire geprägt und sollte dessen Verteidiger diskreditieren. Diese machten sich den Begriff aber zu eigen und besetzten ihn einfach positiv. Der Begriff hat sich seit dem schon wieder Tausendfach verändert und ist heute immer noch teils negativ, teils positiv konnotiert. Damals aber war es ein historischer Sieg der aufklärerischen Kräfte. Vielleicht ein gutes Beispiel: wir könnten uns alle „Gutmenschen“ nennen und den Begriff positiv vereinnahmen.
Aber es ist ein ewiges Hin und Her, dieser Kampf um die Begriffe kann eben nur Zeitweilig gewonnen werden. Ein Begriff kann sich schnell verselbständigen, außer Rand und Band geraten, vielleicht sogar verrückt werden. Kein Wunder, dass die NT Gott da raushalten wollte. Aber hätten Augustinus und Dionysius etc. gewusst, womit du sie jetzt in Verbindung bringst, hätten sie dir sicher vorgeworfen die NT pejorativ zu besetzten und hätten lautstark protestiert. ;-)
Ach ja, Che. tatsächlich passt der Pharisäer durchaus auch in diesen Zusammenhang. Pharisäer ist ja nur in und durch das Neue Testament negativ besetzt, also als dieser immer schon ein christlicher Gebrauch des Wortes. Die Pharisäer waren einfach die jüdischen Geistlichen mit denen sich Jesus gezofft hatte. Im Judentum ist der Begriff natürlich nicht negativ besetzt. Vielleicht kann man sogar soweit gehen, diese Art der Benutzung des Wortes als antisemitisch zu bezeichnen.
Ebenso wie die "Sophisten" im antiken Griechenland einfach die (hoch geschätzten) Gelehrten waren und die negative Konnotation des Wortes erst durch die sokratisch/platonischen Polemiken negativ besetzt wurde.
Der Begriff „Philosoph“ war dagegen eher negativ besetzt und bezeichnete die Jünglinge, die von den Sophisten erzogen wurden. Philosophen waren also Schüler, Unwissende. Sokrates bezeichnete sich als Philosoph in positiver Abgrenzung zu den Sophisten, eben als jemand der keine Weisheit besitzt, sonders sie erst zu erlangen trachtet.
Wie gesagt, der ewige Kampf um die Begriffe...
@mspro
Da ich ein Schachspieler bin, nimmst du mir gerade die Freude an einem geplanten Zug. Ich ätte gerne von Boche eine positive Aussage zum Begriff "Pharisäer" eingeworben, um dann damit zu sticheln, dass dies ja nun ein antisemitischer Begriff sei...
Um der Wahrheit genüge zu tun: Das NT hat an diesem Punkt recht und unrecht zugleich. Im Judentum gab es ja durchaus (sogar sichtbar im Talmud) Kritik an einzelnen pharisäischen Rechtsschulen. Man kann einen gewissen Parallellauf der Kritik von Rabbi Jesus und der pharisäischen Überlieferung an bestimmten Rechtsschulen feststellen - wenn man mag.
Wie auch immer: Selbstgerechte verlogene Eiferer waren halt noch nie sonderlich geschätzt.
Ich halte den ostentativen Gebrauch des unscharfen und (!) pejorativen Begriffs "Gutmensch" für ein Anzeichen einer eifernden Haltung.
@ che. Schon klar. Aber Pharisäer lässt sich dort auch einordnen, ganz unabhängig davon, ob Jesus nun dies oder das war. Es gibt keine inhaltliche Bestimmung nur politische. Pharisäer ist nun mal negativ besetzt, und diese Besetzung ist zumindest eine antisemitisch konforme. Kampfbegriffe sind immer und überall, das haben die Nazis nicht angefangen. Die Frage ist nur, wie man darauf reagiert. Wer dem Feind seine Begriffe lässt, oder sie verbietet, hat den Kampf um sie schon aufgegeben ...
Vorschlag
Das gute an solchen xenophoben Menschenhasser ist, dass man sie mit einem Baseballschläger zusammenschlagen kann, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Denn wäre man selbst ein Gutmensch, dann würde man vielleicht nur grüßen. Alles andere wäre "Shit Happens!", denn man hat es ja nicht mit Gutmenschen zu tun.
Den zur Hilfe eilenden Notarzt bitte auch gleich mit dem Baseballschläger bearbeiten, denn ein xenophober Menschenhasser wird es bestimmt nicht gerne sehen, wenn er von einem Berufsgutmenschen geholfen bekommt.
Nicht so heftig, Kirke!
Wenn jemand schon so zynisch ist, dass er "Gutmenschen" bzw. die Bemühung um das Gute für sein Feindbild hält, wird ihn eine Baseballschläger-Massage auch nicht umstimmen.
Auf sprachlicher Ebene kann man den verdrehten Vorwurf "Gutmensch" entwerten, indem man ihn gezielt sprachinflationiert.
Also, man wirft einfach dem politischen Gegner z.B. vor, dass dieser ein "naiver proamerikanischer Gutmensch" sei. Oder, um den Begriff gleich nochmal ins Lächerliche zu ziehen, man nennt ihn einen "militaristischen Halbgutmenschen".
Sprachlich kann auch geantwortet werden, indem man sich nur Teilen der Diffamierungssprache des politischen Gegners widmet - und diese Teile dann recycelt. So nennt man Xenophobe Idioten einfach "Hassmenschen". Andere dann je nach Bedarf "Guthysteriker", "proidiotischer Gutfalke" oder "ostentativer Schlechtmensch".
Oder man nimmt halt einen Antwortbegriff wie Neoconnard, der schon in taktisch klugen kleinen Dosen eingesetzt gequältes Protestgeschrei der davon Getroffenen auslöst.
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