07 Dezember 2005

Von der heilsamen Kraft der Kritik

Die US-Regierung ändert ihre Richtlinien zu Verhören von Terrorverdächtigen. "Vertretern des Landes ist es von sofort an weltweit verboten, Gefangene grausam zu behandeln", sagte US-Außenministerin Condoleezza Rice während ihres Besuchs in der Ukraine.

Demokratien zeichnen sich gegenüber totalitären Regierungsformen dadurch aus, dass dort die heilsame Kraft der Krtik einen höheren Stellenwert genießt. In einem demokratisch-pluralistischen System wird ein "gegnerischer" Standpunkt nicht einfach verworfen und ein Meinungsgegensatz im Namen totalitärer Ansprüche unterdrückt.

Was alles zur Begründung totalitärer Ansprüche genommen werden kann: Ruhm und Ehre des Dritten Reichs, Unangreifbarkeit von Autoritäten, die Idee totaler Sicherheit, religiöse Tabus, apodiktische Weltanschauungen, Nationalismus, Dogmen oder z.B. auch "patriotic correctness"*.

Sondern: Die Öffentlichkeit wird nicht belogen. Es wird diskutiert. Es wird abgewogen und die Wahrheit gesucht. Das führt nicht immer zum richtigen Ergebnis, aber, immerhin, lässt eine
pluralitische Meinungsfindung eine deutlich bessere Chance zu, dass sich vernünftige Ergebnisse durchsetzen.

Die deutliche Handschrift von Frau Rice in der Folterfrage könnte auch mit ihren eigenen Ambitionen auf eine Präsidentschaft zusammenhängen. Als wahrheitsleugnende Folterfreundin wäre sie für die Mehrheit der Amerikaner unwählbar.

Die Erklärung von Frau Rice war so betrachtet eine Flucht nach vorn. Wenn Sie so weitermacht und weiterhin Oberhand gegenüber Cheney und dessen Kamarilla gewinnt, hat sie gute Chancen, die kommende Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden.


*"patriotic correctness" ist nur vermeintlich prowestlich. Dies zielt auf die Dogmatik sektiererischer politischer Gruppierungen, zum Beispiel auf einen verdrehten und mit erheblich durch Nationalismus, Kulturalismus und Ressentiments ausgefüllten Begriff von "Freiheit". Jedoch: Dogmatismus - und auch dieser Dogmatismus - ist i.d.R. strukturell antiwestlich!

3 Comments:

At 08 Dezember, 2005 01:21, Anonymous Anonym said...

Habe ich eine andere Condoleezza Rice gesehen als Sie? Ich habe mir aufmerksam das Interview durch Gaby Bauer in den Tagesthemen angesehen und fand, dass sie ständig in ausweichenden Allgemeinplätzen antwortete. Irgendeine Kritik hat sie nicht angenommen. Sie hat die Haltung der USA nur nicht so brutal ausgedrückt.

 
At 08 Dezember, 2005 10:56, Anonymous Anonym said...

"gute Chancen, die kommende Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden."

God help us!

 
At 08 Dezember, 2005 14:14, Blogger John Dean said...

@Eule70

Sie haben natürlich recht: Sie weicht oftmals aus. Dennoch ist ihre Bemerkung hinsichtlich der Grausamkeit von Befragungsmethoden m.E. in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert.

Erstens: Frau Rice stellt sich der Öffentlichkeit! Sie lässt die Fragen zu. Frau Rice betrachtet die Öffentlichkeit nicht einfach als ein Manipulationsfeld (wie es Cheney und Bush tun), sondern sie stellt sich. Das sollte m.E. nicht unterschätzt werden. Okay, sie windet sich - aber wie wir sehen, bleibt es nicht dabei.

Zweitens: Frau Rice hat - im Gegensatz zum neokonservativen Club Washington - Werte. Für sie ist Folter schlicht "Grausamkeit" bei der Befragung. Damit setzt sich Frau Rice in Gegensatz zu den Begriffe-Verdrehern ihrer eigenen Partei.

Drittens: Es ist Ausdruck eines inner-konservativen Machtkampfes in Washington - und die Hauptfront lautet hier Cheney gegen Rice! Von der Öffentlichkeit bislang unbeachtet, hat Frau Rice im Rahmen dieses Machtkampfes bereits einige Neocons in die Wüste geschickt, besonders aus dem Cheney-Umfeld der Bande für ein "American Century". Die Leute, die hier auf der Liste stehen, werden in Washington von Rice (bzw. ihren Unterstützern) systematisch bekämpft.

Und Bush schaut bloß zu - was bestimmten Gerüchten neue Nahrung gibt.

 

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