28 Oktober 2005

Demokratie? Innerparteilich??

  1. Demokratie ist eigentlich bedeutend viel mehr als der Kampf von Parteien und der angegliederten Apparate und Medienszene um das Votum der Bürger.

  2. Bietet nun die "große Koalition" eine Chance auf mehr Demokratie, auf mehr innerparteiliche Demokratie? Dies, nachdem Parteitage mehrheitlich in Hinblick auf ihre Medienverwertbarkeit und zum Abfeiern der Spitzenkandidaten konzipiert werden, und nachdem unser Parlament nicht mehr der Raum ist, wo tatsächlich debattiert wird, sondern eine auf die Wirkung in den Medien gestaltete Pseudoveranstaltung, für die es - jedenfalls bei allen bedeutenden Abstimmungen - völlig ausreichen würde, wenn dort einfach die Beschlüsse der Fraktionen vorgelesen werden, während die Öffentlichkeit nicht erfährt, wie die Willensbildung innerhalb der Fraktionen von statten ging.

    Also: Mehr innerparteiliche Demokratie dank großer Koalition?

  3. Der fraktionsdisziplinäre Beton wird auch in Zukunft bis in die kleinsten Parteiniederungen heruntergegossen, und falls es dazwischen allzu aufmüpfiges Grün geben sollten, so wird es zertreten.

    Wir sind wohl kaum eine "mustergültige Demokratie ohne wesentliche Demokratiedefizite", demnach hat bei uns, in diesem unseren Lande, innerparteiliche Demokratie die entsprechend sehr geringe Bedeutung und wird allgemein als "Basisdemokratie" verhöhnt. Die CDU ist faktisch eher eine Kaderpartei, ihren inneren "Volksparteicharakter" hat sie allein in der Regionalpolitik, was, wenn meine Beschreibung stimmt, einen klaren Bruch unserer Verfassung darstellt.

    Was ist, bitteschön, nochmal so schlimm daran, wenn die schmutzige, dumme und plebsnahe Parteibasis realen Einfluss hat?

    Das alles klingt vielleicht pessimistisch, aber ich weiß, worüber ich schreibe. Bei uns, in unserem Land!, geht es sogar so weit, dass in Hamburg Verfassungsrichter das Votum des Souveräns für komplett ungültig erklären (bzw.: Gültigkeit 1 Tag und nicht länger)!!

    Ein Riesenskandal - aber keiner, über den entsprechend berichtet wird. Der Begriff "Souverän" klingt offenkundig recht fremd und theoretisch.

    Die partizipativen Beteiligungsinstitutionen, die in unserem Staat eigentlich vorgesehen sind (Bürgerräte, Bürgerbeteiligung) sind entweder entmachtet, von strammen Parteisoldaten dominiert oder sonstwie außer Betrieb gesetzt.

    Man mag den Bürger nicht, den man regiert.

    All dies unter anderem, weil bei den politischen Eliten unseres Landes der Begriff "Demokratie" sinnentleert ist. Wenn es überhaupt ein Wort gibt, mit dem man der Kaste aus politisch aktiven Richtern, Rechtsanwälten, Beamten, aktiven und ins Parlament gewählten Lobbyisten, Regierungsmitgliedern, Politikern und Abgeordneten auf einen Nenner bringen könnte, dann wäre es jedenfalls nicht:

    Volksherrschaft.

    Eine Regierung durch das Volk, mit dem Volk und für das Volk.

  4. Man verzeihe mir den Zynismus.

    Wir wissen, dass nicht durch das Volk regiert wird, sondern, dort, wo es sich unmittelbar zu Worte meldet, ihm die Rechte genommen werden.

    Wir wissen, dass es nicht die Bürger in ihrer Vielfalt sind, nicht mit dem Volk regiert wird, sondern nur eine höchst eingebildete, phrasendreschende Kaste, die uns mit "Globalisierung!", "weniger Staat!", "Zivilgesellschaft!" oder "Parasiten!" die Ohren voll dröhnt, ohne den eigenen Laden im Griff zu kriegen bzw. tätig nachzuweisen, dass man aufwändige Gesetzes- und Verwaltungsapparate im Sinne der Bürger spürbar verschlanken kann. Stattdessen werden für groß tönende "Verwaltungsreform"en unzählige Unternehmungsberatungen gemästet.

    Wir wissen, dass das Allgemeinwohl als Maßstab für Regierungshandeln mittlerweile fast schon unter Sozialismusverdacht gestellt ist, dass also nicht für das Volk regiert wird - soll doch das Volk möglichst für sich selber sorgen, während man Industrie-, Agrar-, Rüstungs- und andere Lobbies munter mit Steuergeldern zu beschenken weiß, zum Beispiel (sicher kommend) den Transrapid, der auf dem freien Markt (ohne das Aufpäppeln durch den Steuerzahler) nicht einen Hauch einer Chance hat.

    Realistisch betrachtet (also unter der Voraussetzung: innerparteiliche Demokratie gibt es kaum) - und abgesehen von der Hoffnung, alle vier Jahre das richtige Kreuz zu treffen :

    Bleibt uns mehr als Zynismus, gegenüber der angeblich "demokratischen" realen Verfassung unseres Staatswesens?

  5. Gut: Es bleibt uns mehr: Medien.

    Parteien und Regierungen sind bei uns, jedenfalls bei allen empfindlichen Themen, welche die Schicht der Medienöffentlichkeit durchstoßen, sensibel, zur Berücksichtigung aller Sachverhalte verdammt, welche das Wählervotum prägen könnten.

    So gibt es also immer den lebendige Demokratie fördernden Ansatzpunkt, über die Medien zu gehen. Was aber, wenn ein Thema nicht skandalträchtig genug ist, um ein Medienthema zu sein? Ein Thema wie die innere Verfassung unserer "Volksparteien", zum Beispiel beim Thema Europapolitik, das hat nicht die geringste Chance auf Medienwirkung, obwohl man mit guten Argumenten behaupten kann, dass es ein bedeutendes Thema ist.
    Können wir uns erlauben, dass unsere Demokratie versagt, wo unsere Medien versagen?
    Und was ist, wenn unsere Medien selbst schon deformiert sind, und sich eben nicht vom Bürgerwillen leiten lassen, sondern zu einem Gutteil von Partikular- und Geldinteressen?

    Wenn zum Beispiel - über den Umweg der Medien - miese Tamiflu-Lobbyisten sich bedienen können, indem sie sich die Nachrichten in den Medien teils schlicht kaufen? Anmerkung: Ich kann meine Behauptung für BILD konkret nachweisen und im Fall des SPIEGELS vermute ich hier (aus guten Gründen heraus) : Käuflichkeit
    . Pssst!
    Was ist, wenn Verlagsspitzen aus Partikularinteressen heraus in wesentlichen Fragen eine völlig andere Haltung als die Bürger einnehmen und sich zu Kampagnen verabreden, um auf diesem Weg Einfluss auf unsere Demokratie auszuüben?

  6. Gut: Es bleibt uns mehr: Menschen.

    Man kann, Geschick und Hartnäckigkeit vorausgesetzt, auch innerhalb von Parteien wirken. Der tatsächlich mögliche Einfluss wird von den meisten Bürgern in unserem Land völig unterschätzt. Man kann sogar, wenn man sich innerhalb der Parteien an die richtigen Addressaten wendet, als einzelner Mensch große und bedeutende politische Vorhaben nachhaltig beeinflussen.

    Die Anzahl tatsächlich aktiver Bürger ist in den deutschen Parteien ziemlich begrenzt. Jeder einzelne Mensch, der geschickt und hartnäckig genug ist, kann in einer großen Volkspartei bedeutende Dinge anstoßen bzw. beerdigen.

    Jeder.

    Was im Prinzip ja auch wieder beunruhigend ist. Ich als Person muss von mir sagen, dass meine "Guerilla-Taktik" innerhalb von Parteien bzw. Parlamenten bereits einen zigmillionen schweren Einfluss entfaltet hat (und das ist eher stark untertrieben). Ich habe keine Gewissensnot dabei, denn in dem einen Fall wurden unnötige Staatsausgaben verhindert, und in dem anderen, deutlich kleineren Fall, segensreiche Staatsausgaben im Umfang von 20 Mio DM erzwungen. Dazu kommen dann noch zahlreiche Kleinigkeiten, bei denen jeweils erstaunlich ist, wieviel ein einzelner Mensch, zudem in gehöriger Entfernung zum tagtäglichen Partei- und Parlamentsapparat zu bewegen vermag. Man kann zum Beispiel - solange man sich als Teil der eigenen Truppe ausgibt - als Guerilla-Aktivist mit kleinen Zetteln und kurzen Gesprächen Ministerentscheidungen in Minutentempo ändern.

    Einfluss ist möglich. Und nötig.

    Was aber, wenn unsere Parteien innerlich so beschaffen sind, dass die Mitwirkung für den Normalbürger tatsächlich unzumutbar ist?

  7. Man hat nicht den Eindruck, dass sich die Volksparteien um Bürgerbeteiligung sonderlich intensive Gedanken machen.

    Man hat erst recht nicht den Eindruck, dass die angeblich "liberale" Partei in Deutschland sich Gedanken um Bürgerbeteilung macht, außer dahingehend, Bürgerbeteiligung als Investitionshemmnis zu verstehen.
  8. Bürgerbeteiligung und "liberale Partei": Das passt wohl nicht zusammen.

5 Comments:

At 29 Oktober, 2005 00:51, Blogger mspro said...

Aplaus!

Ich persönlich fordere ja die Abschaffung der Zweitstimme, die man gut und gerne auch "Opportunismusstimme" nennen könnte.
All die Listenplätze sind eh nur Stimmvieh und fressen für ihr Kopfgenicke auch noch teure Steuergelder.

Also, nur noch Parlamantarier per Wahlkreisentscheid in den Bundestag. Die sind dann wenigstens wirklich dem Bürger verplichtet, der sie gewählt hat, und der sie das nächste mal nicht wiederwählt, wenn sie nur nach Parteiräson entscheiden.

 
At 29 Oktober, 2005 01:53, Blogger John Dean said...

A bisserl Bundespartei muss a sein. Wenn die z.B. ihren drögen, aber kompetetenten xyz-Experten unbedingt drin haben will, dann ist eine Landesliste schon eine gute Sache.

Um mal wild zu fantasieren:

Wie wäre es denn, wenn 1/3 der Abgeordneten aus der Landesliste kommen (wie gehabt via Zweitstimme), ein weiteres Drittel via Erststimme (wie gehabt) und - tara! - 1/3 der Politiker per Drittstimme?

Und zwar: Aus einer landesweiten Liste können sich die Bürger bei der Wahl drei Politiker aussuchen, ganz unabhängig von der Partei (also eine wilde Mischung aus Parteikandidaten und freien Bewerbern). Je nach Ländergewicht werden dann pro Land die 2-6 Kandidaten mit den meisten Stimmen in den Bundestag geschickt.

So könnte man: Den Parteiapparaten etwas Feuer machen und den Bundestag von der Zusammensetzung her öffnen.

 
At 29 Oktober, 2005 10:46, Anonymous Anonym said...

Wie wäre es denn, wenn 1/3 der Abgeordneten aus der Landesliste kommen (wie gehabt via Zweitstimme), ein weiteres Drittel via Erststimme (wie gehabt) und - tara! - 1/3 der Politiker per Drittstimme?

Ich bin da etwas skeptisch, weil ich nicht glaube, dass die Mehrzahl der Menschen den nötigen Aufwand betreiben wird, um Informationen über diese Kandidaten einzuholen. Wir sehen ja auch auf Gemeindeebene, wer gewählt wird, wenn man kumulieren und panaschieren kann: der Vorsitzende der freiwilligen Feuerwehr oder des Sportvereins. Oder der, der immer in der Lokalpresse steht.

Die Drittelverteilung könnte man dann auch so sehen: 1/3 arbeitet im Bundestag in den Ausschüssen, 1/3 tritt bei den Dorffesten im Wahlkreis auf, und 1/3 wird bei Christiansen & Co. durchgereicht..

 
At 29 Oktober, 2005 12:56, Blogger mspro said...

Drittstimme? Bewahre. Nicht noch komplizierter machen den Scheiß. Viele Wahberechtigte sind mit der Erst- und Zweitstimme schon überfordert.

Ihre sogennenten "Experten" hohlen sich die Parteien so oder so. Hier einen korrupten Hartz, dort einen versifften Rürup, da brauchen die keine Listenplätze für.

Ich finde die Parteien als Institutionen müssen geschwächt werden. Ich halte das ganze Parteiengeklüngel für eines der Probleme in diesem Land.

Und dort, tatsächlich, schaue ich neidisch nach USA, wo die Parteien nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen, es in der Partei offene Wahlkämpfe der Spitzenkanditaten gibt, und ein Sammelsurieum der abweichensten Meinungen. Dort gibt es nur Einzelpolitiker in einem losen Zusammeschluss, der selber keinerlei Macht hat.
Das gefällt mir. Sicher auch diese Politiker entscheiden nicht nach ihrem Gewissen (das wirds nie geben), aber sie entscheiden nach ihrem Wahlkreis und das wäre hier schon ein Fortschritt.
In USA sind die gewählten Politiker dann zusätzlich auch noch die direkten Ansprechpartner des Bürgers für seine Belange in Washington. Abgeordnete sind dort tatsächlich so in der Art mächtige Lobbisten ihres Wahlvolkes.

 
At 29 Oktober, 2005 13:11, Blogger John Dean said...

Ich bin weiß nicht, was ich von meiner Idee der Drittstimme halten soll, aber wenn ich höre:

--------Zitat Rayson--------
Die Drittelverteilung könnte man dann auch so sehen: 1/3 arbeitet im Bundestag in den Ausschüssen, 1/3 tritt bei den Dorffesten im Wahlkreis auf, und 1/3 wird bei Christiansen & Co. durchgereicht.
--------Zitat Rayson-------

So klingt das schon sehr fair und vernünftig. Man hätte sogar einen kleinen Anteil parteifremder Leute im Parlament.

Ob eine Drittstimme wirklich so kompliziert wäre? Glaub ich nicht, jedenfalls verglichen mit dem Panaschieren und Kumulieren auf Gemeindeebene, was ja auch klappt, obwohl da teils bis zu 40 Stimmen wie in Heidelberg zu verteilen sind.

 

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