26 Oktober 2005

Wie faschistisch ist Russland?

Der mehr minder schöne Schein von "Reformen" kann nicht verbergen, dass Russland Züge eines faschistischen Staates aufweist. Man erkennt Faschismus am einfachsten in der Art und Weise, wie er mit Macht, und vor allem daran, wie er mit politischen Gegnern umgeht.

Während man zulässt, dass eine Mixtur aus KGB, Oligarchen und Mafia frühkapitalistische Verhältnisse entstehen lässt und sich an der Gesellschaft maßlos bereichert, sichert der Staat sich selbst und die mafiöse Oligarchien ab, indem er politische Gegner massiv unterdrückt.

Wer es noch nicht bemerkt hat: Die Mafia in Russland ist der Bluthund des neureichen und staatlich abgesicherten russischen Kapitalismus, welcher fast nur mittels Mafia und Korruption Geschäfte zu machen versteht. Putins eifrig inszenierter "Kampf gegen die Oligarchen" ist zugleich deren gemeinsame Absicherung vor dem Zorn des russischen Volkes.

Die Medien in Russland sind durch eine autoritär-faschistoide Regierung praktisch gleichgeschaltet, das Beamtentum korrupt, Russlands Bodenschätze werden ausgeräubert, die hochgradig privatisierte Ökononomie ist weitgehend gescheitert, was im Übrigen auf gewisse Mängel neoliberaler Dogmen hinweist.

Die Vertragstheorie besagt, dass die soziale Verteilung von Privatisierungen nicht wesentlich sei, solange ökonomischer Wettbewerb in Folge entstehe. Auch die Korruption oder andere Mängel des wirtschaftlichen Wettbewerbes in Russland sind nicht die springenden Punkte; die beiden Hauptfragen sind, erstens, wie eine Sozialstaatlichkeit und Teilhabe am Wohlstand hergestellt werden kann, und zweitens, wie man die breite Bevölkerung produktiv am Wirtschaftsleben zu beteiligen vermag. Die neoliberale Ideologie der Privatisierung weiß darauf keine ernst zu nehmende Antwort.

Doch weiter zu Russland: Hinter der verlogenen Fassade eines angeblichen Rechtsstaates wird die Opposition unterdrückt, teils durch Staatsorgane und Bürokratie, teils mit manipulativer Öffentlichkeitsarbeit, welche modern-unfairer politischer Kommunikation in den USA abgeschaut wurde - jedoch im totalitären Rahmen ungleich effizienter ist. Zur Fassade gehört, dass man auf Inseln von Meinungsfreiheit verweisen kann - während man diese aus dem Mainstream auszusperren versteht, oder übernimmt, falls sie störend wird.

Russland siecht in schwerer Krankheit, während ausländische Regierungschefs die glänzenden Eiterpusteln schwärmend anpreisen, Putin und seine Regierung, um uns anschließend die Anzeichen kräftigster Gesundheit zu vermelden, zuvorderst unser nunmehr ehemaliger eigener Regierungschef, der sich für dieses Schauspiel auch in Zukunft nicht zu schade sein wird.

Im totalitären Staat ist nicht Chancengleichheit, sondern Unfairness und Gewalt die Richtschnur, hinzu kommen einflussreiche Geldinteressen, welche die Begriffe "Gedankenfreiheit", "Demokratie", "Freiheit des Gewissens" und "Meinungsfreiheit" in Russland zu parasitären Kunstworten umformen, oder diese beliebig mit "Ordnung", "nationale Sicherheit" und "Kampf gegen den Terror" vertauschen.

Russische Liberalismus, dessen allererstes Zeichen das völlige Fehlen sozialer Verantwortung ist, konzentriert sich auf die Freiheit, das Land und die Menschen zu berauben - deshalb arrangiert er sich mit Putin und allen übrigen, die ihm dies garantieren können.

Die russischen Eliten, welche allein schon aus Desinteresse keine Perspektive für 90 Prozent des Landes bieten können, sie glauben, dass man der Bevölkerung jeden Unfug, jede Lüge und jeden Irrsinn wie ein glattes Reklamemärchen oder als Heilsgewissheit verkaufen könne, dass man überdies noch die Trumpfkarte des Nationalismus als Ass im Ärmel frei hat, falls es unvermutet eng werden sollte.

Die faschistische und faschistoide Struktur des heutigen Russlands, an dessen Spitze sich Putin als leibhaftige und allmächtige Inkarnation des Rechtsstaats inszeniert, dient neben der russischen Bürokratie vor allem ökonomischen Interessen, z.B. von Privatisierungsgewinnern und Großinvestoren, welche sich fernab störender Zivilgesellschaft und Sozialgesetzgebung vor allem "Freiheit" für fortgesetzte Raubzüge wünschen.

Russlands Transformation seit 1990 ist bislang kaum mehr als eine Transformation in einen neuen Typus:
marktwirtschaftlichen Faschismus.

Väterchen Russland, mache deine Augen auf!

4 Comments:

At 27 Oktober, 2005 15:48, Blogger John Dean said...

@Boche

1. Dass Russland die Züge eines geschickten Totalitarismus aufweist (z.B. nur so viel Pressefreiheit gestattet - systematisch - dass der vom Staat manipulierte Mainstream ungefährdet bleibt) kann meiner Meinung nach mit Argumenten nicht ernstlich bestritten werden. Oder siehst du keine totalitären Züge in Russland?

2. Nicht ich bringe hier etwas in eine logische Übereinstimmung, sondern ich stelle eine Entwicklung dar. Habe ich falsch beobachtet? Es ist - wenn man auf Russland schaut - in der Tat eine fragile Übereinstimmung, denn die russische Freiheit des (Groß)Eigentums hat einen eigentümlich fragilen Charakter, hat Züge einer Günstlingswirtschaft, und bedient sich einerseits einer korrumpierbaren Staatskaste, wie sie (sehr verblüffend) sich teils auch in Konkurrenz zu ihr befindet und sich ihrer Zugriffe erwehren muss. Die Staatskaste ist ein mächtiger Player auch innerhalb des Spiels des Privateigentums.

Anders gesagt: Es gibt wegen teilweiser Konkurrenz gewiss keine Übereinstimmung, aber die Gemeinsamkeiten überwiegen.

Der russische "Rechtstaat" dient de fakto mehr den Privatisierungsgewinnern, als dass er ihnen schadet, zum Beispiel dadurch, indem er selbstverständliche zivilgesellschaftliche Ansprüche (z.B. Lohnzahlung) eben nicht durchsetzt.

Die Übereinstimmung und Kumpanei zwischen faschistoid-faschistischem Staat und (Groß)Privateigentum überwiegt - nicht nur in diesem Fall.

Man kann m.E. im Fall Russland behaupten, dass Faschismus und Marktwirtschaft sich nicht per se ausschließen, sondern dabei sind, eine neue Form der Kooperation zu finden.

Die (Groß)Unternehmen in Russland benötigen keine echte Zivilgesellschaft! (dazu gehören neben Gewerkschaften auch die sozialen Ansprüche aus der breiten Bevölkerung)

Sie benötigen vor allem den Schutz ihrer Eigentumsprivelegien und ökonomische Freiheit, und diese nicht einmal auf klassische Weise.

Ich behaupte, dass sich in Russland zeigt, dass die liberale Zivilgesellschaft, wie wir sie verstehen, sich in direkter Wertekonkurrenz zum Großeigentum befindet, nicht nur in sozialen Fragen und ökologischen Fragen, sondern auch in Fragen der Demokratie.

Für Großinvestoren und (Groß)Privatisierungsgewinner ist es deutlich bequemer, eine staatliche Kaste (die einen neuen Typus von Faschismus organisiert) zu bestechen als sich mit Ansprüchen der Bürger auseinander setzen zu müssen, z.B. Lohnzahlung (die in Russland mitunter kaum durchgesetzt werden kann) oder Umweltauflagen.

3. Meine Schlussfolgerungen, wo ich überhaupt welche vornehme, erscheinen weit mir besser durchdacht als das Festhalten am Dogma, dass sich gesellschaftliche Probleme bzw. die Entwicklung der Gesellschaft zuallererst auf dem Wege von Privatisierungen lösen lassen.

Was soll man denn in Russland - ausgehend von diesem Dogma - noch unternehmen? Weniger Staat und noch mehr Freiraum für die Mafia? Weit weniger Korruption und damit wären alle bedeutenden Fehlentwicklungen beseitigt, und die vernachlässigten 90 Prozent in Russland können endlich auf deutlich bessere Zeiten hoffen?

Nicht im im Ernst!

Das Versprechen, dass Marktwirtchaft, Privatisierungen, Demokratie und Liberalität zusammen gehören, ist in Russland inzwischen eine fade und vor allem völlig haltlose Story, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nichts zu tun hat.

Nicht die Verhältnisse in Russland sind erschreckend, sondern m.E. ist es vielmehr erschreckend, dass die Entwicklungen in Russland unsere (hier meine ich mich selbstveständlich mit) Vorstellungen von Liberalität in Frage stellen.

Es scheint eine ökonomische Liberalität zu geben, die man von politischer Liberalität getrennt denken kann.

Meine Abschlussthese im Text, nämlich ein neuer Typus "marktwirtschaflichen Faschismus" mag schräg, vor allem aber ungewohnt klingen, lässt sich aber mit den Verhältnissen in Russland und z.B. auch mit den Verhältnissen in Singapur belegen, wobei - das unbenommen - über die Begrifflichkeit, wie man solche Entwicklungen nun nennen sollte, gerne noch gestritten werden kann.

Marktwirtschaftlicher Autokratismus?

Nun, wer tatsächlich eng am Umgang mit politischen Gegnern die russischen Verhältnisse untersucht, der kommt meiner Meinung nach - im Fall von Russland - am Begriff des Faschismus nicht vorbei.

Es wäre beunruhigend, wenn man behaupten könne, dass sich faschistische Entwicklungen (neuen Typs, nicht so umfassend totalitär wie wir es in der Idealform annehmen, sondern geschickter) und Marktwirtschaft ohne allzu große Probleme in Deckung bringen lassen.

Jedenfalls bin ich keineswegs verwirrt, wenn ich behaupte, dass ökonomische Freiheit für (Groß)Privateigentum keine gesellschaftliche (und soziale) Freiheit zwingend nach sich zieht.

Verwirrt sind für mich nach den Erfahrungen in Russland diejenigen, die von Marktwirtschaft und politischer Freiheit meinen, dass diese zwingend zusammen gehören.

Das ist leider nicht der Fall.

4. Im Übrigen geht man fehl, wenn man von mir meint, dass ich mit als Gegenmodell zu solchen Entwicklungen Bürokratismus vorstelle.

5. Mag ich auch meinen, dass Hermes ein Gott der Diebe und Kaufleute ist, dass ich also die Verteilung von privaten Eigentum nicht für sankrosankt halte, und, sehr unmodern in den heutigen "liberalen" Zeiten, zum Beispiel die Enteignung von Fürsteneigentum und eine möglichst breite Verteilung von Eigentum für wünschenswert halte, unabhängig von dieser erheblichen weltanschaulichen Differenz kann man sich bestens darüber unterhalten, was getan werden muss, um Marktwirtschaft und politischen Liberalismus in Deckung zu bringen.

Denn dies ist kein Automatismus.

So ist es zum Beispiel eine spannende Frage, wie verhindert werden kann, im Fall einer tatsächlich freien öffentlichen Meinungsbildung in Russland, dass sich der aufgestaute berechtigte Zorn der Bevölkerung dahingehend entlädt, dass sie dann nationalitischen, kommunistischen, militaristisch-chauvinistischen oder anderen demokratievernichtenden Fehlentwicklungen das Tor zur Macht öffnet.

6. Ich behaupte: Die Unfähigkeit "der" Liberalen, eine funktionierende und nachhaltige Idee von Sozialstaatlichkeit (fernab verlogener Hinweise auf privates Wohltätertum) zu entwickeln, ist zugleich eine Krise des Liberalismus schlechthin.

Dies macht seine Unattraktivität aus, auf lange Zeit hin, und ist auch sonst keine Petitesse.

Verglichen damit ist das in manchen Ländern zu beobachtende Auseinanderdriften von Marktwirtschaft und politischen Liberalismus eher eine Randfrage.

Ich vermute: Sobald die soziale Frage im Liberalismus ernsthaft und nachhaltig gelöst wird, und sei es in einer neuen liberalen Richtung, ist damit zugleich auch das russische Problem gelöst.

 
At 05 November, 2005 00:10, Anonymous Anonym said...

Das Wort "Markt" ist da völlig unangebracht, Russland hat gezeigt wohin ein wuchernder Kapitalismus führt und zwar zur Oligarchenherrschaft die ihrerseits wiederum die Regeln des Marktes ausser Kraft setzt. Darin liegt ja das Paradox der "Marktwirtschaft", Unternehmen versucht sich einen möglichst grossen Marktanteil zu sichern, sobald dies gelungen ist wird versucht das entstehen von Konkurrenz mit allen Mitteln auszuschalten. Durch Klagewellen oder durch Bestechung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Allerdings ist der Kapitalismus keine Marktwirtschaft, auch wenn er daraus entsteht. Der Kapitalismus ist die Dikatatur des Kapitals, indem allein das Recht des Stärkeren und die Auslöschung von Konkurrenz mit allen Mitteln steht. Genau deshalb ist es auch ein Faschismus weil eben ausschliesslich das Recht des stärkeren gilt, im Kampf um Profite und die alleinige Marktdominanz, die man allein zur Abschaffung des Marktes anstrebt, zeigt sich die faschistischen Züge. Die stabile Marktwirtschaft hingegen kann nur staatlich (demokratisch) gelenkt existieren, der Staat muss die Oberhand behalten um die Chancengleichheit garantieren zu können. Tatsächlich gab es bereits zu Zeiten der Sowjetunion florierende Märkte, zwar nicht offiziell, aber doch sehr zahlreich. Möglicherweise war das überhaupt die einzige Marktwirtschaft, da kaum jemand darauf angewiesen war seinen Lebensunterhalt dadurch bestreiten zu müssen, daher verlief der Tausch von Waren und Dienstleistungen (Handwerker, etc.) im allgemeinen friedlich und fair. Der Markt wird gemeinhin als "System von Tauschgefschäften gesehen" wobei ein Tausch immer ein freiwilliger(!) Wechsel von Waren und Dienstleistungen ist. Wenn jemand darauf angewiesen ist etwas zu verkaufen (bspweise die Arbeitskraft um seinen Lebensunterhalt zu verdienen) ist das wohl eher Zwang oder Erpressung. Da der Anbieter hier uner Druck steht verkaufen zu müssen kann der Käufer den Preis praktisch beliebig nach unten drücken.

 
At 12 November, 2005 18:53, Blogger John Dean said...

@ Anonym
Sehe den Beitrag von Ihnen jetzt erst. Ihren Teminus "Kapitalismus ist die Diktatur des Kapitals" werde ich wegen seiner Gelungenheit bei Gelegenheit nutzen und recyceln.

Danke dafür!

Oh, ich sehe/google gerade, es gibt schon knapp 10.000 Nennungen von diesem Terminus. Christina Kreuz hat dies sogar zum Titel einer CD gewählt.

 
At 12 November, 2005 18:57, Blogger John Dean said...

Verbesserung:
1. Christian Kreuz
2. Mit Hörbeispielen: http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/B0000D9R28/qid=1131818145/sr=8-11/ref=sr_8_xs_ap_i11_xgl/028-0076334-6272515

 

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