20 September 2006

Nachlese zur DbD-Kampagne: Historiker lügen für Lobbyisten

Die verlogene wie aufwändige DbD-Kampagne bekam kurzfristig Probleme, als Blogger aufdeckten, dass der Spruch "Du bist Deutschland" zum Repertoire des Nationalsozialismus gehörte. Das war gar nicht schön für die Propagandafritzen bei Jung von Matt. Prompt wurden von den Kampagnenmachern renommierte Historiker verpflichtet, Hans-Ulrich Wehler und Hans Mommsen, welche den benötigten Persilschein ausstellten. Aber nein, "Du bist Deutschland" gehöre nicht zum Propaganda-Arsenal der Nazis.

Das ist eine Lüge.

Dies kann man z.B. dem Tagebucheintrag von Victor Klemperer vom 11. September 1934 entnehmen, aber auch aus vielen anderen Quellen.

Die Historiker, sofern sie ihren Beruf ernst nehmen, mussten es besser wissen. Sie haben sich aber willfährig für ein gezieltes Agenda-Cutting zur Verfügung gestellt, schlimmer noch, als vorgeplanter Teil einer werbewirtschaftlichen Kommunikations-Allianz. Nun, die Krisenkommunikation von Fischer-Appelt war erfolgreich, der öffentliche Diskurs konnte eingedämmt werden. Dennoch wirkt der Ärger über die frechen Blogs nach.

Immer noch teilt Lars-Christian Cords aus, sobald er über das Thema Blogs spricht, zum Beispiel am 19.9.06 auf dem media coffee (via wirres hier und hier). Es tut Werbefritzen offenbar sehr weh, dass sie Kommunikation nicht mehr reibungslos top-down planen können, wenn die Bürger keine wehrlose, planbare, problemlos manipulierbare Masse darstellen. Wenn auch mal etwas zurück kommt. Der elitäre Werbefritze Cords meinte zu Blogs:
Bei Blogs sind die „Risiken“ zu hoch, die deutsche Unternehmenskultur ist noch nicht so weit, es herrscht auf allen Seiten nicht genügend Vertrauen und außerdem kann eh niemand die Responses handleln.
Hähä.

6 Comments:

At 20 September, 2006 12:03, Anonymous Anonym said...

Hi, Dr. Dean. Kannst Du die anderen Quellen mal benennen? Dass Wehler nicht jeden Tagebucheintrag Klemperers im Kopf hat würd ich ihm schon zugestehen wollen...

Zudem spricht zumindest die Netzeitung so davon:
"Der Nationalsozialismus-Experte Hans-Ulrich Wehler sagte, nur weil vor Jahrzehnten eine ähnliche Formulierung gebraucht worden sei, spreche nichts gegen die Verwendung des neuen Slogans."

Und da würde ich ihm zustimmen, auch wenn ich die Kampagne nicht gutgeheißen habe.

 
At 20 September, 2006 13:05, Anonymous Anonym said...

Die Kampagne heiße ich überhaupt nicht gut, und der Slogan ist schlicht peinlich, allerdings stimme ich Wehler grundsätzlich zu - und schwäche den Vorwurf der Lüge in den des Opportunismus ab.

Die NS-Propaganda arbeitete im extremen Ausmaß mit "markigen" Sinnsprüchen, entsprechend viele dieser Slogans wurden verwendet. Sie wurden teil dem allgemeinen Sprachgebrauch entlehnt (z. B. "Jedem das Seine" oder der Winterhilfswerkslogan: "Keiner soll hungern, keiner soll frieren"), teils gingen Sprüche aus der NS-Propaganda in den normalen Sprachgebrauch ein (z. B. "Die Polizei, dein Freund und Helfer").
Meine Schlußfolgerung: 1. Es macht keinen Sinn, jeden Werbespruch und jede politische Parole auf eine mögliche Verwendung in der NS-Zeit abzuklopfen. 2. Es ist aber generell sehr fragwürdig, politische bzw. gesellschaftliche Propanda im Stil agressiver Produktwerbung um einen ebenso markigen wie simplen Slogan herum aufzubauen. Wenn dieser Spruch auch noch "NS-belastet" sein sollte, ist die Schadenfreude ganz auf meiner Seite. Trotzdem: nicht jeder Spruch aus braunen Zeiten ist automatisch für aller Zeiten Tabu.

 
At 20 September, 2006 13:40, Anonymous Anonym said...

Ich fand weder die Kampagne gut, noch bin ich ein besonderer Freund von Mommensen und Wehler, was deren politsche (eher linke) Einstellung betrifft. Aber zwei international renommierten Professoren vorzuwerfen, sie würden für eine blödsinnige Kampagne "lügen" und Gefälligkeitsgutachten ausstellen deutet eher auf eine gewisse Hybris des Blogautors als auf sein ausgeprägtes geschichtliches Verständnis hin.

 
At 20 September, 2006 16:45, Anonymous Anonym said...

Im Gegensatz zu Hokey finde ich es durchaus bedenklich, wenn Werbefuzzys für einen neuen Soft-Nationalismus auf eine NS-Parole zurückgreifen, und sei es unwissentlich. Warum spricht nichts dagegen? Es geht doch um den Inhalt, oder täusche ich mich?

Und was bedeutet es denn, dieses "Du bist"? Es ist eine Anweisung, eine Zuweisung, man fragt sich, wer denn da spricht (Deutschland? Man selbst also?) und, das schlagendste Argument: Man ist ja nicht Deutschland, sondern man selbst. So etwas wie Deutschland entsteht erst aus vielen verschiedenen und gegensätzlichen Wünschen und Handlungen vieler einzelner Individuen in Gegenwart und Vergangenheit. Sie alle sind zunächst mal sie selbst. Was von den Fratzen zu halten ist, die nicht sie selbst, sondern "Deutschland" o.ä. sein wollen, und dafür dann ihr Leben geben wollen, usw., lehrt uns ja eben die Geschichte.

Was die Nazis dmals meinten: Deutschland als höhere heilige Idee steht über dir als Individuum, deine Interessen sind mit denen des (damaligen diktatorischen NS)-Staates identisch.

Was DbD meint: Deutschland als Unternehmen ist auf deine Kooperation angewiesen, verzettele dich deshalb nicht in sozialen kämpfen, die Interessen von dir und die deines Chefs sind angesichts der globalisierung identisch, fühle dich für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands mitverantwortlich, arbeite fleissig mit und stänkere nicht.

Beidesmal geht es nicht um D. als Summe von individuen, beidesmal findet man als Individuum ein deutschland vor, und soll sich, aus irgendwelchen Gründen, stärker damit als mit den eigenen, möglicherweise disperaten, Wünschen identifizieren.

Beidesmal spricht aber eine "Elite" zum "Volk", die nicht demokratisch gewählt wurde und über Möglichkeiten der Meinungsbeinflussung verfügt, die in Theorien der Demokratie auch kritisch gesehen werden.

 
At 21 September, 2006 01:31, Anonymous Anonym said...

Achja, das Wichtigste fast vergessen:

Beidesmal wird Politik emotionalisiert und mythisiert. Es wird nicht erklärt und rational überzeugt, sondern es wird ein Gefühlsappell an einen gerichtet: Geh auf, in (d)einer Masse, da gehörst du dazu, fühl dich wohl da, mach die La Ola. Vgl. dazu auch Canetti.

Während aber über dem "Denn du bist Deutschland"-Banner der Nazis (glaube ich) noch ein überdimensionaler Führerkopf prangte, wie um zu verdeutlichen, wer hier schon Deutschland ist und wem es also nachzueifern gilt, oder wer da als quasi personifiziertes Deutschland diesen Appell an einen richtet, gab es bei DbD hingegen diese Möglichkeit, eigene Fotos und Statements zum Thema auf die Website zu stellen. Die Unbeholfenheit und fröhliche Naivität dieser Darstellungen, aber auch die Schludrigkeit oder Toleranz von DbD, die dazu führte, dass auch mehr oder weniger witzige erkennbare Parodien und Albernheiten sowie auch bittere Kritik dort mit erschienen, verdeutlicht wiederum den Unterschied zwischen damals und heute.
Parodien auf das Nazi-Banner hätten wohl zu kurzfristigen Besuchen der Gestapo und schnellen Standgerichten (wegen Defätismus) geführt.

 
At 21 September, 2006 02:45, Anonymous Anonym said...

Ich finde man sollte sich nicht auf seinen Lohrbeeren ausruhen. Die ausgebuddelte Verbindung zwischen DbD und den Nazis war ein Erfolg der Blogs. Sauber recherchiert und einer Medienkampagne und einer Größe in dem Geschäft so sehr "an den Karren gepisst" das er von Klowänden des Internets gesprochen hat. Ein Profi mit völlig runtergelassener Hose.

Das ist wie man so schön sagt Geschichte. Aber es geht um die Gegenwart und um Gegenwärtigkeit.

Ob die Kampagne jetzt eine Nazivergangenheit hat oder nicht ist IMHO für das Scheitern der Kampagne nur marginal relevant gewesen. Das ganze Ding ist an der breiten Masse voll vorbeigegangen. Das währe es auch ohne den Link in die Vergangenheit.

@Anonym: Full Acc. Du schreibst mir aus der Seele. Aber die Tatsache das wir 'dürfen' macht das ganze Dilemma leider nicht besser.

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home