17 Mai 2006

Smarte Politblogger... (plus: Tucholsky, Mc Cain, und der Stachel im Fleisch)

Leser und Blogger Fischer hat hier diesen beachtlichen und leicht eruptiven Kommentar fabriziert:
@Rayson: <<Hat die Regel wissenschaftlichen und nicht nur volkstümlichen Anspruch, wird aus der Ausnahme eine Falsifizierung>>. Ich kann dieses Gepoppere nicht mehr hören. Real existierende Wissenschaft funktioniert einfach nicht so. Das sollte eigentlich besonders gut wissen, wer sich im Dunstkreis der Wirtschaftswissenschaft bewegt, wo ein simplifizierendes Nutzenmodell seit Urzeiten immer wieder umgebogen wird, um altruistisches oder sonstwie störendes Verhalten doch noch irgendwie unterzukriegen, statt daß irgendwer von Falsifikation redet. Soviel zum Thema "ideologisch begründen" ...
Genauer gesagt: Real existierende Sozialwissenschaft funktioniert nicht so. An Stelle reinen "Gepopperes" tritt ein sozialwissenschaftlicher Stil, der sich nicht über Falsifikationsfreiheit rechtfertigt, sondern über einen prognosebewährten Erklärungsbeitrag. Miteinander ggf. sogar verfeindete, entgegen gesetzte sozialwissenschaftliche Theorien können unabhängig voneinander, unterschiedliche (!), jeweils wichtige Erklärungsbeiträge liefern.

Das ist vermutlich der Preis dafür, dass sich der Mensch als Sozialwesen nicht wie eine biologische Maschine verhält, deren Verhalten vorhersagbar determiniert ist. Stattdessen sind wir Menschen zu höchst paradoxen Verhalten in der Lage. Zum Beispiel sind wir in der Lage, jemanden zuzustimmen, indem wir ihm ein lautes "Nein!" entgegen schleudern. Wie ist es nun mit reinem "Gepoppere"? Nehmen wir hier z.B. die Antwort von Rayson:
"Was ist daran schlimm, dass man für Phänomene unterschiedliche Erklärungen heranzieht? Vielleicht passen gemäß dem "Elefantenmodell" der Erkenntnis ja mehrere [Erklärungen] (...)"
Man könnte jetzt, als unbefangener Beobachter, die Auffassung vertreten, dass Blogger Rayson Blogger Fischer damit ein Stück weit recht gab. Wie gefehlt! Rayson widersprach damit einem anderen Blogger - und, ohne es in der Sache zu bemerken - gab er mit seinem nächsten Kommentar dem Fischer ordentlich Bescheid, dass Fischer gründlich im Irrtum ist, während er, Rayson, erfreulich smart, blitzgescheit und im Besitz einer entgegen gerichteten, unbestreitbaren Wahrheit sei.

Ja, genau, wie wir alle... Wir sind uns hierbei untereinander so verflucht ähnlich!

Ich empfehle hierzu diesen prima Tucholky-Text und diese aktuelle Redepassage von John Mc Cain, mit der er über den ideologischen Starrsinn und den Habitus der Adressaten seiner Rede, die Absolventen eines libertären Umerziehungslagers spottet (via Dialog International):
"When I was a young man, I was quite infatuated with self-expression, and rightly so because, if memory conveniently serves, I was so much more eloquent, well-informed, and wiser than anyone else I knew. It seemed I understood the world and the purpose of life so much more profoundly than most people. I believed that to be especially true with many of my elders, people whose only accomplishment, as far as I could tell, was that they had been born before me, and, consequently, had suffered some number of years deprived of my insights. I had opinions on everything, and I was always right. I loved to argue, and I could become understandably belligerent with people who lacked the grace and intelligence to agree with me. With my superior qualities so obvious, it was an intolerable hardship to have to suffer fools gladly. So I rarely did. All their resistance to my brilliantly conceived and cogently argued views proved was that they possessed an inferior intellect and a weaker character than God had blessed me with, and I felt it was my clear duty to so inform them. It’s a pity that there wasn’t a blogosphere then. I would have felt very much at home in the medium."
Da wir Menschen gerne smart und rechthaberisch sind, anders gesagt, für Bestätigung deutlich dankbarer als für Widerspruch, bleiben wir in unseren wirren Ideengebäuden oft auf kümmerlichste Weise stecken. Wir jubeln selten, wenn uns jemand widerpricht und sagen: "Klasse, mit Deinen Einwand xyz bringst Du mich und meine Vorstellungen ganz schön ins wanken. Super, ich werde darüber sorgfältig nachdenken. Was meinst Du, ..."

Das passiert so gut wie nie, oder? Wir neigen vielmehr dazu, Widerspruch als Form persönlicher Feindschaft aufzufassen und gründlich auszugrenzen, wir Deutschen vielleicht mehr als jedes andere Volk, und reagieren dementsprechend: Ideologisch, d.h. feindselig oder ignorant. Diesem Reaktionsmuster folgen wir umso mehr, je regelmäßiger wir störende Kritik vernehmen, je stärker an den Eckpfeilern unserer geistigen Lithurgie gerüttelt wird.

Wir formen Zerrbilder aus den Ideen unserer ideologischen Gegner, formen jegliche Dialektik (z.B. "die Welt der Freiheit" vs "die Welt des Islam") ganz, wie es uns gefällt. Und so gibt es mitunter sogar "Freunde der Freiheit", denen nicht unangenehmer ist als Differenzierung. In geistiger Hinsicht zieht es uns allzu leicht in die widerspruchsfreie Wüste und nicht etwa ins bunte Leben. Wenn uns etwas ganz besonders unangenehm ist, dann erklären wir es für nicht existent.

Wir Linksliberalen sind der Stachel im eitlen Fleisch satter Wirtschaftsliberaler und Neocon-Libertärer. Die modernen Sozialdarwinisten haben ein Problem: uns.

4 Comments:

At 17 Mai, 2006 14:19, Anonymous Anonym said...

So ein Quark. Wenn sich hier einer in Selbsterhöhungszeremonien feiert, bist du das. Ich werde wohl meine Diskussionspräferenzen überdenken müssen.

 
At 17 Mai, 2006 22:09, Blogger John Dean said...

Hmm. Da habe ich nun extra die Linksliberalen als "klein" (maximal: Stachel) und Rechtsliberale als "groß" (Fleisch) gezeichnet. Übrigens gibt es in der dt. Blogosphäre rund 40 Blogger, die sich selbst in etwa als linksliberal einstufen. "Klein" haut dann doch hin - oder hätte ich besser von "winzig" sprechen sollen?

Fragt interessiert: Der Morgen.

P.S.
Aber gut, zu ideologischen Reaktionsschematas habe ich genau in diesem Beitrag (hier! vor der Kommenatarsektion) etwas geschrieben...

(und würd mich freuen, wenn ich hier daneben läge)

 
At 18 Mai, 2006 14:01, Blogger Fischer said...

Gut gesprochen, Mighty Doctor! Ich denke allerdings, ganz ohne Ideologie geht es bei niemandem: Denken als Kontingenzbewältigung wäre unmöglich, hätte man nicht einen halbwegs fixen Standpunkt zur Verortung und Bewertung neuer Informationen. Sicher sollte man sich nicht scheuen, diesen Standpunkt von Zeit zu Zeit kritisch zu hinterfragen, aber das kann auch nicht im luftleeren Raum einer reinen Rationalität geschehen. Ausgesprochen hellhörig sollte man daher immer dann werden, sobald jemand behauptet, man selbst würde "rein sachlich" argumentieren, und nur der Gegner sei ideologisch vorbelastet. Ideologiekritik im besten Sinne ist es, die impliziten Vorannahmen, die gerade hinter vorgeblich reiner Sachlichkeit stecken, explizit zu machen und zu überprüfen. Besonders zu beachten im Zeitalter des globalisierten Neoliberalismus und seiner "Sachzwänge".

Eine kleine Randbemerkung zur Einschränkung auf die Sozialwissenschaften, die meines Erachtens zweierlei übersieht: (a) Gerade in den Naturwissenschaften gibt es große Anreize, lieber irgendwas sensationell Neues zu entdecken, statt sich mit der mühsamen Brotarbeit der Falsifikation von Ergebnissen anderer aufzuhalten. Das Modell eines Erkenntnisgewinns durch Falsifikation funktioniert wissenschaftspraktisch auch hier nicht eins zu eins. (b) Je größer und kosmischer die Theorien in ihrer Reichweite werden, desto schwieriger wird es paradoxerweise, sie durch Falsifizieren einzelner Punkte komplett abzuschießen. Das Konzept des Paradigmenwandels (Thomas S. Kuhn), nach dem in bestimmten Zeitintervallen bisherige Ergebnisse in einem gänzlich neuen Licht erscheinen, statt daß der Erkenntnisgewinn sich nur an der Falsifikation abarbeitet, war ja ursprünglich für die Naturwissenschaften gedacht. Und heute leben Relativitätstheorie und Quantenphysik auch ganz fröhlich nebeneinander her, obwohl sie sich eigentlich ausschließen müßten, wenn ich das als physikalischer Laie richtig sehe. Will hier aber kein Faß aufmachen, daher: Randbemerkung, gegebenenfalls ignorieren.

 
At 04 August, 2009 13:50, Anonymous Anwalt said...

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