13 Dezember 2005

Sinns Basarökonomie nebst Alternativen

Hans Werner Sinn ist einer meiner ganz besonderen, ähm, Lieblinge.

Er steht für mich für eine Generation deutscher Ökonomen, welche aus den ordnungspolitischen Frontstellungen der 50er und 60er Jahre noch nicht herausgefunden hat und in seltsamer Zuspitzung (z.B. ->Hamburger Appell) den Sozialstaat bzw. die Gewerkschaften zu den Ursachen aller deutschen Malaisen erklärt. Sein aktuelles Buch "Die Basar-Ökonomie", veröffentlicht zum ->15. Dezember (Amazon) beweist, dass man als rennomierter Ökonom keineswegs auf die Argumente der Kritiker eingehen muss. Es genügt, die immer gleichen Argumente aufzutischen.


Peinlich allerdings, wenn sogar eine Studie des Arbeitgeberverbands INSM, sowie der Sachverständigenrat seine Basar-These zuvor widerlegt haben (->hier der Wikipedia-Link), wenn Herr Sinn bis dato keine eigene wissenschaftliche Veröffentlichung zum Thema vorweisen kann.

Hat Herr Sinn aber vielleicht dennoch recht?

Ist die Ökonomie in Deutschland dem Untergang geweiht?

Ich meine, dass wir in Deutschland insgesamt nicht schlechter dastehen als andere OECD-Staaten, teils besser. Der Anteil der Exporte an der inländischen Wertschöpfung ist in den letzten 5 Jahren bemerkenswert gestiegen, auf nunmehr über 20% - was für eine insgesamt gute internationale Konkurrenzfähigkeit spricht.

Dennoch meine ich - und das ist mir fast peinlich - dass Herr Sinn in gewisser Hinsicht recht hat (*wegduck*).

Schaut man nämlich auf die Struktur der Im- und Exporte, so lässt sich finden, dass wir (im Trend) mit den Importen Beschäftigung substituieren, während unsere Exporte in stärkeren Maß kapitalintensiv sind. Das heißt, wir haben zwar eine deutlich wachsende Wertschöpfung aus den Exporten, und einen wachsenden Exportüberschuss, aber die Arbeitsplatzwirkung ist dennoch gering, in einigen Bereichen sogar leicht negativ.

Dummerweise gibt es zu dieser Erscheinung der „Globalisierung“ wenig vernünftige Alternativen – und auch keine Alternative für das Erstreben von Wirtschaftswachstum. Und eine "Tobin-Steuer" brächte nur Negativeffekte.

Ein paar Dinge könnte man aber doch tun, ich nenne das jetzt mal spontan:

Rekonstitution sozialstaatlichen Leistungswettbewerbs“:

1. Vereinbarung und Durchsetzung weltweiter Mindeststandards für Arbeitsbedingungen zur Durchsetzung eines weltweiten Wettbewerbs, der nicht einseitig auf dem Rücken der Schwachen stattfinden darf.

2. Erhöhung der Integrativkräfte am Arbeitsmarkt, z.B. über eine Ausbildungsumlage (zugunsten ausbildender Betriebe) sowie effiziente Lohnzuschussprogramme für Langzeitarbeitslose/Problemgruppen. Plus effiziente betriebsnahe Qualifizierungsprogramme für Arbeitnehmer. Staatliche Bekämpfung unfair-ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse (missbräuchliche Praktika usw.) und Schwarzarbeit.

3. Förderung von Bildung, Forschung und Innovationen. Qualitätsoffensiven in diesen Feldern (und nicht einfach Geld hinein pumpen).

4. Sicherung und Ausbau des Sozialstaats in Defizitbereichen – und Umbau in Richtung eines aktivierenden Sozialstaats – Erhaltung und Absicherung der Tarifautonomie - Familienförderung – Sprachtests und Hilfen für Migranten u.a - verbesserte Förderung sozial schwacher Studierender - Erhalt und Ausbau des Volkshochschulwesens.

5. Erhöhung der (teils schon guten!) Effizienz staatlichen Handelns. Hierzu Stärkung des Rechnungshofes, dazu deutliche Deregulierung, Verschlankung aufwändiger Gesetze, besonders im Steuerrecht, sowie Beschleunigung von Antragsverfahren, Einführung wettbewerblicher Verfahren und beschleunigender Optionsmodelle im Genehmigungsbereich. Gezielte Beschleunigung juristischer Verfahren im Wirtschaftsrecht. Weiterhin umfassende Verwaltungsreformen auf Basis des Know How der Beschäftigten (!) statt Mittel in externe Berater zu pumpen.

6. Verbesserung der Steuergrundlage durch gründlichen Abbau von Subventionen/Steuersubventionen (z.B. Agrarbereich usw.) – Wiedereinführung der Besteuerung der Veräußerungsgewinnen – Erbschaftssteuern erhöhen (auch im klagenden Mittelstand) z.B. in Gestalt von an den Staat abzutretenden Anteilen, welche wiederum vom Staat meistbietend versteigert werden – Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug – Charme- und Tempo-Offensiven auf Finanzämtern – Einführung von Entscheidungsrechten der Steuerbürger über Mittelverwendungsschwerpunkte.

7. Reduzierung wohlstandsmindernder staatlicher Ausgaben wie z.B. Rüstung oder "Strukturausgleichsfonds" oder Förderdschungel zur angeblichen Förderung der Gründung von Unternehmen. Stattdessen Wiedereinführung der "Ich-AG" in verschlankter und stärker Erfolg verprechender Form, dazu Mikro-Kredite.

8. Entlastung des Faktor Arbeit von Abgaben- und Steuerlasten – hierzu Umkehrung der einseitigen Entwicklung der letzten Jahrzehnte, welche die Beiträge von Unternehmen am Gesamtsteueraufkommen verringerten. Außerdem Senkung von "Sozialstaatskosten" durch gezielter Reduzierung deutlich überdurchschnittliche Pensionen/Renten. Das heißt u.a. volle Besteuerung und Abgabenbelastung ab einer bestimmten Grenze.

9. Aufteilung der Sozialversicherungen in einen von allen zu finanzierenden staatlichen Anteil und einen versicherungsgleichen Anteil. (hierzu kommt noch ein begründender Beitrag von mir) mit dem Ziel, die Lohnnebenkosten mit einem Schlag zu halbieren!!

10. Erhöhung der Wettbewerbsgüte durch intensivierte Förderung von Verbraucherzentralen, Qualitätsmonitoring und staatlicher Qualitätsaufsicht, z.B. im Fall der überwiegend zu hohen Nebenkostenabrechnungen.

11. Scharfe Bekämpfung des grauen Kapitalmarktes und von Finanzprodukten mit einem hohen Anteil von Vertriebskosten – zur Erhöhung der Effizienz der Finanzmärkte

12. Förderung geistigen Allgemeinguts, Reduzierung von Schutzfristen geistigem Eigentum auf 7 Jahre bzw. 14 Jahre (je Schöpfungshöhe) zwecks Erhöhung des Austauschs geistiger Güter in der Gesellschaft. Die aktuellen Verschärfungen hemmen Wirtschaftstätigkeit und lassen Klagekosten explodieren.

7 Comments:

At 14 Dezember, 2005 11:22, Anonymous Anonym said...

Sein aktuelles Buch "Die Basar-Ökonomie", veröffentlicht zum ->15. Dezember (Amazon) beweist, dass man als rennomierter Ökonom keineswegs auf die Argumente der Kritiker eingehen muss.

Ich kenne das Buch naturgemäß nicht. Aber ich kenne die Sonderausgabe des ifo Schnelldiensts 6/2005, und darauf bezogen ist diese Behauptung Unfug.

Ebenso wie die Behauptung, eine Studie der INSM habe die These Sinns "widerlegt". Die Bewertung ist nur eine andere, und auch auf diese geht Sinn in seinem Aufsatz ein. Schade übrigens, dass in Wikipedia kein Link dazu zu finden ist - wer, der sich online für so ein Thema interessiert, will schon den Verweis auf ein Buch?

Auf eine Unkenntnis oder wissentliche Verzerrung von Sinns Aussagen lässt auch die Behauptung schließen, Sinn sehe die Ökonomie in Deutschland "dem Untergang geweiht". Im o.g. Aufsatz bezeichnet er die Entwicklung zur Basar-Ökonomie als Chance, kritisiert aber, dass der dazu nötige beschleunigte Strukturwandel in Deutschland nicht zustande kommt.

Die Kritik an Sinn ist oft vom Standpunkt des Kritikers her verständlich, aber leider finden sich gerade in der politischen Blogosphäre genug Leute, die das Parolenschreien der geistigen Auseinandersetzung vorziehen, und denen leistest du, fürchte ich, mit derart verkürzenden Darstellungen Vorschub.

 
At 14 Dezember, 2005 13:43, Anonymous Anonym said...

Che, das Konzept von der "aktivierenden(!) Sozialhilfe" hat mit dem von dir hier Beschriebenen nichts zu tun. Und von einer "Flexibilisierung der Arbeitgeberverbände" kann ich im Aufsatz auch nichts finden.

Ich begreife ehrlich nicht, warum solche Missverständnisse oder Verdrehungen entstehen bzw. in die Welt gesetzt werden.

 
At 14 Dezember, 2005 20:15, Blogger John Dean said...

Che spricht einen relevanten Punkt an. Der Herr Sinn betreibt eine völlig überzogene Sozialstaatshetze, und scheut sich nicht einmal davor zurück, Elend einzufordern.

Dem Herrn Sinn geht es m.E. zu gut.

Nicht nur, dass er z.B. auch den "Nutzen" von Migranten anhand von Zahlungströmen vom und zum Staat ausrechnet, und zum Schluss kommt, dass eine 5-köpfige Auländerfamlie 100.000 Euro kostet. Die Vorbilder dieses nationalökonomischen Verfahrens dürften zur Allgemeinbildung gehören. Dieser m.E. stark kritisierenswerte Fachmann und Sozialdarwinist blendet dabei den gezielt Umstand aus seinen selbst genutzten Daten weg, dass diese Negativbilanz nur für die ersten 10 Jahre der Einwanderung gilt, denn danach erwirtschaftet der Staat Überschüsse mit den Migranten.

Und nicht nur hier: Ich halte Herrn Sinn erstens für ausgesprochen einseitig und seine Darstellungen für stark verzerrend.

Er ist angreifbar.

Seine Schlussfolgerungen - z.B. in Bezug auf die "Basar-Ökonomie" sind widerlegt, Rayson. Und du findest die dazu entscheidenden Argumente sehr wohl bei Wikipedia.

Auch seinen übigen Schlussfolgerungen vertraue ich aus gutem Grund nicht.

Ich halte ihn darüber hinaus für einen Idiologen mit Neigung zum Sozialdarwinismus - und diesen Vorwurf kann ich - mit objektiven Maßstäben beliebig gründlich belegen.

Deshalb mag ich den Sinn nicht. Er ist ein Experte für Demographie und das Rentenwesen. Dort hat er seine Meriten. Unter einen herausragenden Ökonomen, der berufen ist, um in der Öffentlichkeit gute Ratschläge zu gben, stelle ich mir gewiss andere Leute vor.

 
At 14 Dezember, 2005 20:18, Anonymous Anonym said...

Che,

bedeutet Punkt 1 eine massive Verelendung vin jetzt schonm im Elend lebenden Menschen.

Sind wir uns einig darin, dass es sich da dann um solche handelt, die Arbeitsmöglichkeiten ausschlagen? Die Idee der "aktivierenden Sozialhilfe" besteht eben darin, dass Arbeitsaufnahme attraktiv gemacht werden soll. Einerseits durch Abbau der faktischen Grenzsteuern (Wegfall von Hilfe) und staatliches Restangebot, andererseits durch materielle Notwendigkeiten.

Der Teufel steckt natürlich wie immer im Detail (Stichwort "Zumutbarkeit"), aber mir war es hier wichtig, das Konzept gegen ungerechtfertigte Kritik in Schutz zu nehmen.

 
At 14 Dezember, 2005 20:20, Anonymous Anonym said...

Seine Schlussfolgerungen - z.B. in Bezug auf die "Basar-Ökonomie" sind widerlegt, Rayson. Und du findest die dazu entscheidenden Argumente sehr wohl bei Wikipedia.

Sehe ich nicht so. Kann an mir liegen. Muss es aber nicht.

 
At 15 Dezember, 2005 23:49, Anonymous Anonym said...

Das Modell geht immer noch von der Illusion aus, es gäbe genug Arbeitsplätze.

Das Modell geht von der richtigen Annahme aus, es gäbe genug zu tun. Aus diesen Möglichkeiten entstehen derzeit keine Arbeitsplätze, weil es entweder keine Nachfrage danach gibt oder sie künstlich verhindert wird.

Einen absolut Arbeitswilligen, von dem klar ist, dass er eh in wenigen Monaten hochqualifizierte Arbeit haben wird, setzt man mit allen erdenklichen Mitteln unter Druck, um ihn entweder zum arbeiten oder zur Aufgabe seiner Ansprüche gegenüber demSozialamt zu zwingen.

Erstens wundert mich, warum man einen absolut Arbeitswilligen zum Arbeiten zwingen muss. Aber ich habe schon verstanden: Die angebotenen Jobs entsprachen nicht deiner Qualifikation, und du wolltest die wenigen Monate nur das Geld, aber nichts dafür tun müssen. Deine individuelle Sicht kann ich verstehen, es fällt mir nur schwer, sie auch als Maßstab sehen zu wollen.

Für die Überbrückung von "wenigen Monaten" gibt es ja in den allermeisten Fällen noch Arbeitslosengeld I. Das heißt, wer zum ALG-II-Empfänger wird, muss mindestens schon ein Jahr arbeitslos sein. Das sind dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Problemfälle allererster Güte, auf die tatsächlich kein Arbeitsplatz in unserem ersten Arbeitsmarkt, dem für die hochproduktiven Jobs, wartet.

Wenn man die jetzt nur noch fürs Nichstun alimentiert, darf man sich über hohe Arbeitslosenzahlen und hohe Staatsausgaben nicht wundern.

Wenn aber die Vermittlung von Jobs, durch die sich die Bezieher von ALG II auch finanziell besser stehen, als etwas aufgefasst wird, wogegen diese sich "wehren" sollten, dann brauchen wir über das Modell tatsächlich nicht weiter zu reden.

 
At 07 Februar, 2006 22:32, Anonymous Anonym said...

Über die Heilsversprechen liberaler Ökonomen à la Sinn gibt es einen interessanten Beitrag vom dradio ...

 

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