11 Oktober 2005

Ökonomische Gedankensprengsel (2) - Staatsquote

Staatsquote
Es gehört nicht viel Sachverstand dazu, eine anwachsende Staatsquote als grundsätzliches Wachstums- und Wohlstandshemmnis zu begreifen, erst recht, wenn diese 50% und mehr zu überschreiten droht. Doch der Teufel sitzt wie so oft im Detail.
(Hörtipp und absolut legale MP3-Datei!)

Ist das Geschehen im privaten Sektor stets überlegen effizient?
Nicht alles, was staatlicherseits geschieht, muss hochgradig ineffizient, wohlstandsvermindernd oder sonstwie bürgerfeindlich sein, und nicht alles, was sich im nicht-staatlichen Sektor ereignet, hat tatsächlich großen Wert.

Man sollte dazu - fernab der wirtschaftspolitischen Schützengräben - wissen, dass nicht jeder "Markt" gut funktioniert und nicht jeder Besitz und nicht jedes Einkommen die Ergebnisse eines fairen Leistungswettbewerbs repräsentieren. Ich spreche hier nicht nur von Monopolen oder Bereicherungsprozessen, welche im Wesentlichen auf Disfunktionalitäten des Marktgeschehens beruhen. Oft sind "Marktergebnisse" nur Ausdruck von Macht und genutzter Gelegenheit.

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

In meine Augen leisten ideologische Ökonomen, die sich vor dem genauen Hinschauen scheuen, z.B. der staatsfeindliche Miegel und der sinnfreie Sinn, kaum mehr, als die zeitgeistige Stimmung in wohlklingende scheinkompetente Worte zu kleiden. Es ist nicht einmal so, dass ich deren Sichtweisen völlig abseitig finde, ich finde nur, dass diese sie sehr einseitige Ansichten haben, teils sogar komplett erblindet sind.

Offene Fragestellungen
Mich verblüfft das kontinuierliche ökonomische Wachstum und der faktische Wohlstand in einzelnen Ländern mit einer sehr hohen Staatsquote (z.B. Dänemark) im Vergleich zu Ländern mit einer niedrigen Staatsquote. Man sollte denken, dass das ökonomische Wachstum (pro Kopf) mit der Staatsquote korrelliert. Ich meine, dass eine sorgfältige Untersuchung einen verlässlichen Zusammenhang finden wird, wobei dann erstens die Ursächlichkeit noch nicht bewiesen ist, weil ja der Zusammenhang auch in die umgekehrte Richtung laufen könnte. Also: Eine niedrige Staatsquote könnte auch als Ergebnis von Wachstum verstanden werden. Zweitens werden sind dann die Ausnahmen von besonderem Interesse - und man kann jetzt schon sagen, dass Dänemark und Neuseeland zwei interessante Ausnahmen darstellen.

Mich verblüfft, dass Neuseeland, welches seine Staatsquote von 60% auf ca. 35% gesenkt hat, fernab der u.a. von der Bertelsmannstiftung verbreiteten Erfolgsmär ein eher unterdurchschnittliches Wachstum aufweist, während Dänemark zur großen Freude seiner Bürger den üppigen Sozialstaat ohne Verringerung der Staatsquote reformierte - und damit bessere Ergebnisse vorweisen kann. Ein spannendes Paradoxon.

Was steckt dahinter, woran liegt das?

5 Comments:

At 11 Oktober, 2005 22:43, Anonymous Anonym said...

Mich verblüfft, dass Neuseeland, welches seine Staatsquote von über 60% auf ca. 33% gesenkt hat, fernab der u.a. von der Bertelsmannstiftung verbreiteten Erfolgsmär ein eher unterdurchschnittliches Wachstum aufweist, während Dänemark zur großen Freude seiner Bürger den üppigen Sozialstaat ohne Verringerung der Staatsquote reformierte - und damit bessere Ergebnisse vorweisen kann. Ein spannendes Paradoxon.

Tatsächlich?

Laut OECD betrug das reale Wachstum in Neuseeland (wenn mich meine Tabellenkalkulation nicht belügt)

2001/2000: 3,45%
2002/2001: 4,64%
2003/2002: 3,72%
2004/2003: 4,27%

Im Vergleich dazu Dänemark:

2001/2000: 1,33%
2002/2001: 0,50%
2003/2002: 0,68%
2004/2003: 2,40%

Hm...

 
At 12 Oktober, 2005 01:00, Blogger John Dean said...

Herlichen Dank Rayson!

Ich werde mir das Ganze ohnehin noch genauer anschauen über mehrere Jahre - und auf eine pro/Kopf-Zahl normalisieren.

Ich halte es allerdings für einen Fehler, nur die letzten Jahre zu betrachten. Interessanter fände ich einen Vergleich in der Zeit ab 1994/1995, wo Dänemark mit seinen recht gründlichen Reformen begann. Unter Umständen muss man sogar versuchen, den Einfluss des jeweiligen Wirtschaftsraums mit zu berücksichten bzw. gesondert die relative Performance betrachten.

Wenn z.B. Neuseeland besonders stark mit dem asiatischen Raum verflochten sein würde - und dort im Analysezeitraum ein Niedergang stattfand - dann wäre es unfair, ein geringes Wachstum in Neusseeland allein der Wirtschaftspolitik zuzuschustern.

Mein bisheriger Kenntnisstand Wenn man die Gesamtperiode von Neuseeland seit seinen ausgesprochen drastischen neoliberalen Reformen betrachtet, sieht es - verglichen mit dem Durchschnitt der Weltwirtschaft - nicht so gut aus.

Ich schließe nicht aus, (und zwar: überhaupt nicht!) dass die Reformen in Neuseeland anfangs teils destabilisierend und wachstumsbremsend wirkten, aber für die Phase danach ein gutes Fundament dargestellt haben.

Weiterhin halte ich es für möglich, dass die Kompromisslinie der neuseeländischen Regierungen nach 1999 günstiger ist als die "reine" neoliberale Lehre.

Seit diesem Zeitpunkt haben sich die Neuseeländer von weiteren neoliberalen Reformen verabschiedet - und z.B. die Mindestlöhne bereits dreimal erhöht)

Das entspräche meiner grundsätzlichen Überzeugung, dass ein Mix aus angebots- und nachfragepolitschen Instrumenten (bei gleichzeitiger Effizienzmaximierung der jeweiligen Strategien) einer wirtschaftspolitischen ultima ratio näher kommt als pure Angebotspolitik. Ich glaube z.B. nicht daran, das die Effizienz einer Volkswirtschaft steigt, wenn der Anteil der Arbeitnehmer mit prekär schlecht bezahlten Jobs ansteigt. Ein - sachter und im Fall von Vollbschäftigung ansteigender Mindestlohn hat m.E. Wachstumseffekte, die deutlich über den angebotspolitsichen Nutzen des Abbaus von Arbeitnehmerschutzrechten hinaus gehen.

(Okay: das ist nochmal ein ganz anderes Thema - aber es passt sehr wunderbar auf Neuseeland)

Überdies gibt es Teile der neoliberalen Reformen, die ich aus ökonomischer Sicht als äußerst günstig betrachte, z.B. im Agrarbereich. Die flächendeckende Subvention ganzer Branchen halte ich für einen der übelsten Kardinalfehler von Wirtschaftspolitik schlechthin.

//* Allgemeiner formuliert *//

Meiner Meinung muss man beim Rückbau von Staatsquote (was ich grundsätzlich unterstütze) jene Teile der Staatsquote besonders abbauen, die in besonderem Maß folgende drei Verzerrungen erzeugt:

- Allokationsverzerrung
- Wohlstandsverzerrung
- Anreizverzerrung


Dazu gibt es noch ein eigenes Posting. Agrarsubventionen würde ich - mal grob und allgemein - folgende Werte zuordnen:

1. Allokationsvezerrung = 90%

(soll heißen: Mehr als 90% der durch Subventionen erzeugten Allokationsentscheidungen sind Fehlallokationen)

2. Wohlstandsverzerrung = 70%

(Eine gewisse Minderung durch a) Beschäftigungseffekte und b) Senkung der Nahrungsmittelpreise. Insgesamt gehen aber - grob geschätzt - m.E. rund 70% des eingesetzten Wohlstands über derartige Subventionen verloren, denn der erhaltene Gegenwert ist sehr gering)

3. Anreizverzerrung = ca. 70%

(Immerhin wird der Arbeits- und Leistungsanreiz über diese Subventionen nicht direkt gelähmt wie bei manchen Sozialprogrammen, sondern v.a. indirekt über den Effekt der resultierenden Abgabenlast. Vom Standpunkt des Leistungsanreizes im Rahmen einer wettbewerblichen Marktordnung waren die Agrarsubventionen geradezu tödlich und verminderten die Bemühungen um Leistungswettbewerb nachhaltig)

 
At 12 Oktober, 2005 11:51, Anonymous Anonym said...

Ich habe die letzten Jahre genommen, weil ich das auf die Schnelle bei der OECD so gefunden habe. Übrigens ohne vorher zu wissen, ob deine These stimmt oder nicht - ich war einfach mal nur neugierig.

Wenn es denn dazu führt, dass wir die Dinge mal etwas differenzierter betrachten, dann habe ich mein Ziel schon erreicht. Denn natürlich ist der berühmte "ceteris paribus"-Ansatz der Ökonomen im Fall von Dänemark und Neuseeland noch ein Stück realitätsfremder - dazu sind Lage, Struktur und Geschichte der beiden Länder zu unterschiedlich. Dänemark dürfte wohl ebenso unter der deutschen Misere leiden wie Neuseeland vom asiatischen Hoch profitiert. Und es wird noch andere Faktoren geben, die mir ad hoc nicht einfallen.

Was die Staatsquote selbst angeht, werde ich vielleicht als Antwort auch mal was Grundsätzlicheres aus meiner Sicht bloggen.

 
At 12 Oktober, 2005 19:40, Anonymous Anonym said...

Ich glaube, das liegt nicht wirklich an der Höhe der Staatsquote, sondern an der Frage, wie und in was das Geld investiert wird.

Es gibt hierzu eine - in der Entwicklungspolitik leider ziemlich unbeachtete - Studie des Ökonomen Albert O. Hirschmann, "Die Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung" aus den 50er Jahren.
Darin versucht er zwischen Modernisierungs- und Dependenztheorien zu vermitteln, indem er sowohl die "Big-Push"-, als auch die "Zentrums-Peripherie"-Hypothese verneint und ein Wachstum in Schaukelbewegungen, bzw. ungleichmäßiges Wachstum als beste Strategie herausstellt.

Demnach ist eine hohe Staatsquote (Big-Push) v.a. dann schädlich, wenn aus Risikoscheuheit hauptsächlich in vorbereitende Infrastrukturmaßnahmen investiert wird, weil diese kaum Nachfolgeinvestitionen nach sich ziehen. Er schlägt vor, dass Staaten eher in Technologieinnovationen- und Standorte investieren, weil das den Komplementärgütermarkt anheizt.
Dieses Investitionsgebahren lässt sich auch gut auf umfangreiche Sozial- und Subventionsleistungen übertragen. Die sind nämlich zwar nicht billiger, aber zumindest sicherer. Für die Politiker jedenfalls.

Übermäßige Privatisierung ist nach seiner Theorie genauso schädlich, da private Unternehmen risikoscheu sind. Im Großen und Ganzen entspricht seine Theorie dem Entwicklungsgang, den z.B. die asiatischen Tigerstaaten in der Realität gegangen sind.

Für mich wäre es daher interessant, einmal nachzuprüfen, in welche Bereiche Dänemark investiert hat.

 
At 25 Oktober, 2005 03:10, Anonymous Anonym said...

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