10 Dezember 2006

TEMPO - diesmal okay

Die ehemals zeitgeistige TEMPO ist in der Jubiläumsausgabe kein Yuppie-Gewichse mehr, jedenfalls, wenn man großzügig darüber hinwegliest, dass dort einige politisch minderbemittelte Publizisten ablaichen durften.


The eight worst of the new TEMPO

1. Karstadt-Chef Thomas Middelhoff wünscht einer faschistischen Nationalakademie
"bei Ihrem Vorhaben des weiteren Ausbaus der Deutschen Nationalakademie alles erdenklich Gute"
2. Frei von jeglicher politischen Kultur schreibt Nida-Rümelin den Nazis, dass er
"die Ziele und das Programm der Deutschen Nationalakademie ohne jeden Vorbehalt unterstützen kann."
3. Ulf Poschardt beweist seine Liebe zum wortreichen Schwachfug:
"Die Liebe zur Freiheit war in der Bonner Republik regrediert zum Hass auf alles Etablierte. (...) Die Ahnen der der Postmoderne, Pop und Margeret Thatcher bereiteten anderes vor. Punk war eine libertäre Bewegung, deren ästhetischer Feinsinn (...) Die ökonomisch-revolutionäre Vernunft der Premierministerin (...) ergab kombiniert mit der (...) rauen Energie des Punk einen Mix, der England wieder zum Vorbild Europas werden ließ. Deutschland fehlt diese Mixtur. (...) Den Deutschen fehlen zu jenem Alltagsheroismus Mut und Disziplin. (...) Dadurch, dass die [deutsche] Gesellschaft durch das Band der Umverteilung so eng miteinander verschlungen ist, spürt der Fleißige und Leistungswillige jede neue Belastung derjenigen, die das soziale Netz ausnutzen."
Puff Oschardt ist halt ein primitiver Politspinner simpel gestrickter Wirtschaftslibertärer, der nicht einmal die aktuellen Staatsquoten von Deutschland und Großbritannien kennt (jeweils 46%), geschweige denn zu vergleichen vermag.

4. Michael Jürgs übt sich derweil als Islamphobiker und warnt vor einer politischen Partei der "Deutschen Muslime", während Jobst Siedler die Sozialsysteme und die (im OECD-Vergleich durchschnittliche) deutsche Staatsverschuldung zum Grundübel aller Politik erklärt.

5. Der militaristisch-prowestliche Josef Joffe wiederum füllt den Begriff "xenophob-reaktionäre Dumpfbacke" sehr eifrig mit Inhalten, indem er die "muslim takeover"-Theorien des amerikanischen Rechtsextremisten Mark Steyn* plagiiert, z.B.:
"Der Kampf der Kulturen wird ganz unblutig enden: EUland - Eurabien 1,4 zu 3,5. (...) Geburtenraten (...) Muslime werden Europa in einigen Jahrzehnten in einen muslimischen Kontinent verwandeln. (...) Zwar müssen wir Arabisch lernen, aber was ist diese Sprache der Poetik und Philosophie denn schon gegen den Sprachimperialismus der Amis?"
6. Ausgerechnet Wolfgang Joop hält sich für eine pädagogische Instanz und irrlichtert:
"Ein paar Fortschritte haben wir ja bereits gemacht. Sehr junge Menschen sind höflich, können abwarten, stellen sich zur Begrüßung vor und: Sie haben sich hygienisch und ästhetisch unter Kontrolle. (...) Diskretion und Disziplin lässt sich am Besten durch eine gesunde Distanz herstellen. Wenn möglich, sollte man die Kinder (...) ins Internat stecken."
7. Frank Schirrmacher erklärt seine eigene, überdies schon seit längerem bestehende intellektuelle Erstarrung:
"Im Frühjahr 1989 erstarrte der Journalismus, weil ein Staat den Autor des Buches «Die satanischen Verse» für vogelfrei erklärte. (...) [Das] war der Anfang vom Ende unserer alten Welt."
Ja, der Schirrmacherfrank ist schon ein dämlicher Hysteriker empfindliches Seelchen und sieht jegliche "liberale Lebensformen" bedroht, nein, schon verloren. LOL.

8. Matthias Horx stammelt über "endzeitvergreiste Alt-68er-Journalisten" und wirft seinem Feindbild in wirren Satzkonstruktionen vor, den Menschen die gute Laune geraubt zu haben.

Und nun das Gute

Dean sagt: Die neue TEMPO kaufen!

Allein schon die bestens recherchierten Stories über die rechtsextremistische Verführbarkeit unserer Eliten und über europäische Armenviertel sind die 4,50 EUR wert. Sogar der Modeteil lohnt sich. Und dass Gabor Steingart erkennbar dazugelernt hat, auch das ist erfreulich. Aus einem Leitartikler der Marke "Hinfort mit dem Sozialstaat" ist einer geworden, der sich darüber Gedanken macht, wie die ungerechten Härten der Globalisierung bekämpft werden können.

* Mark Steyn wird regelmäßig von Glenn Greenwald gerupft.

6 Comments:

At 10 Dezember, 2006 23:26, Anonymous Anonym said...

Och nöö,
ich bin ja hellauf begeistert, wie Du Dich durch das Heft gekaut hast, um davon Kunde zu tun. Die Peinlichkeit, von irgendwem mit "Tempo" im Anschlag beobachtet zu werden, wäre mit heute nicht unerträglicher als in den 80ern. Aber Hut ab - das war echt tapfer! ;-)

 
At 11 Dezember, 2006 01:52, Anonymous Anonym said...

Da bleib ich doch lieber bei den gleichnamigen Taschentüchern!

 
At 11 Dezember, 2006 03:09, Anonymous Anonym said...

Tempo? Das ist das Organ der kleinbürgerlichen Provinzspiesser gewesen... Wie uncool ist denn das?

 
At 18 Dezember, 2006 12:02, Anonymous Anonym said...

Wie "ucool" muss man wohl sein, um ein Un-Wort wie "uncool" zu verwenden ...
kann sich nur um einen echten "Provinzspießer" handeln, denn der Kommentator weiß ja offenbar noch nicht einmal, dass man (auch nach den Regeln der neuen Rechtschreibreform) das Wort "Spießer" immer noch mit "ß" schreibt ...

 
At 26 Dezember, 2006 08:20, Anonymous Anonym said...

>Rushdie/vogelfrei

>Ja, der Schirrmacherfrank ist schon
>ein dämlicher Hysteriker/empfindliches
>Seelchen und sieht jegliche "liberale
>Lebensformen" bedroht, nein, schon
>verloren. LOL.

Machen wir uns nichts vor, das linksliberal im header ist ein Scherz - und über Leichen geht man gut aktivistisch nonchalant, vorzugsweise über die anderer. Heck, why should Dubbya have all the fun?

 
At 28 Dezember, 2006 00:45, Blogger John Dean said...

Seltsame Kommentare schlagen hier auf. Ein "Marek Möhling" versuchts mit Stürmersprache und erklärt mich zum Dr. Mengele.

Naja, wird wohl ein Fall eines Weihnachtsirren sein.

Lieber "Marek Möhling": +

Gute Besserung!

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home