Musik und das Prinzip dogmatischer Unfreude
Meine Erfahrung mit Musik ist, in doppelter Hinsicht, dass Schaffensfreude positiv wirkt. Damit ist beileibe nicht "Kraft durch Freude" oder Getöne in der Art von Gotthilf Fischer gemeint. Auch für düstere und melancholische Musik hat die freie Entfaltung von Schaffensfreude einen großen Wert - dort vielleicht sogar besonders. Auch das Verfolgen von eigentlich absurden Kompositionsregeln (z.B. 12-Ton-Musik) kann Ausdruck von Experimentier- und Schaffensfreude sein. Wenn aber die Macht des Dogmas hinzutritt, dann kann ein eigentlich kreativer und neue Möglichkeiten erforschender Ansatz sich in sein Gegenteil verkehren.
Das wäre, kurz gefasst, mein Lob und meine Kritik an der 12-Ton-Kompositionstechnik.
Schaffensfreude wirkt positiv auf die Musik, aber auch bei der Zusammenarbeit von Musikern. Dazu gehört auch der Mut, mit Regeln zu brechen. Umgekehrt ist es meine persönliche Erfahrung, dass Dogmatismus in der Musik nur selten nützt, besonders, wenn er ein bestimmtes Maß überschreitet. Er verkrüppelt die Beziehung des Musikers zur Musik bzw. schränkt seine Entfaltung ein. Auch in sozialer Hinsicht wirkt Dogmatismus einschränkend und destruktiv. Der kleinste Nenner des Dogmatismus ist für mich Rechthaberei.
Wird die Freude am (z.B. musikalischen) Dialog mit dem anderen vergessen, tritt die Rechthaberei in den Vordergrund (die ansonsten als Teil menschlicher Regungen natürlich sein mag und oft auch ein nützlicher Antrieb ist) - gewinnt Dogmatismus ein Übergewicht gebenüber dem Respekt und der Freude am Dialog, so wird sie schnell Quelle persönlicher Gegnerschaften, Kränkungen und Aversionen. Vielleicht erklärt das auch die Instabilität dogmatischer Gruppierungen.
Der Dogmatiker mag sich seine eigene Welt erschaffen haben, in der er sich auskennt und wohl fühlt, er mag diese Welt verfeinern, bedeutende Entdeckungen machen und sie sogar prächtig ausbreiten - er wird jedoch fast immer Probleme mit dem Dialog haben bzw. in der Gefahr stehen, diesen mit Unfreude und Gehässigkeiten zu vergiften. Sehr leicht fühlt sich beleidigt, wenn man ihn nicht versteht oder ihm widerspricht.
Ich bedaure das - und ich empfinde dogmatische Streitereien immer auch als einen Mangel an Musikalität.
6 Comments:
Das Problem, das ich als "Musiker" sehe, wäre eher weniger das des Dogmatismus als vielmehr und nicht weniger problematisch das des nötigen Dezisionismus. Man muss für sich, und ab und an auch für andere entscheiden, auch wenn sie es anders sehen.
Demokratischer Dezisionismus ist in der Musik häufig lähmend.
Zwölftonmusik ist allerdings nicht absurd, sondern strikt logisch, da sie alle zwölf Tonalitäten, die es im vom menschlichen Ohr wahrnehmbaren Bereich gibt, anwendet und gleichberechtigt behandelt. Übrigens ist zu bemerken, dass etwa Adorno in seiner Auffassung von Zwölftonmusik antidogmatisch argumentierte, für ihn stand die künstlerische Freiheit im Vordergrund.
MfG Che2001
Logisch würde ich nicht sagen. Und das Ohr hört selbstverständlich viel mehr Töne als mit der 12-stufigen Chromatik dargestellt werden kann. (Aber das nur nebenbei.)
@Che
Auch unsinnige Regeln können "logisch" sein bzw. - präziser gesagt - eine mehr oder minder plausible Grundidee verfolgen. Gerade das Absurde und Neuartige kann kreative Freiräume eröffnen. Es bleibt aber absurd vor allem in dem Sinne, dass es willkürlich ist. Warum keine 8-Ton-Komposition?
Warum keine 13 Töne, bei denen innerhalb einer Reihe zwei Töne wiederholt werden und ein Ton der chromatischen Tonleiter ausgelassen wird?
Warum soll - eine absurde und enge Idee verfolgend - ausgerechnet die 12-Tonsatzregel "Fortschritt" darstellen und jegliche andere Musik, jegliche andere Idee von Komposition Ausdruck "gesellschaftlicher Regression" sein?
Nun?
Meiner Meinung nach verwandelt sich die 12-Ton-Kompositionstechnik in eine Plage, wenn sie zum Dogma erhoben wird. Aus der Befreiungstat wird ein Gefängnis.
(im Übrigen wäre eine Welt ohne Schönberg ärmer)
@Hufi
Wenn man so will, wirkt sich ein Bandkontext wie ein Dogma aus, insofern, als es die freie musikalische Entfaltung seiner Mitglieder hemmen kann.
Vielleicht spielt da auch eine Rolle, inwieweit die Bandmitglieder in der Lage sind, eine für alle Seiten befriedigende Arbeitsteilung zu bewerkstelligen. Vielleicht ist es auch so, dass die Nutzung von Musik a) als persönliches Ausdrucksmittel und b) Inszenierung von Persönlichkeit im Bandkontext zu Konkurrenzsituationen führt.
Ich weiß es nicht. Ich selber hatte diese Probleme bisher nicht. Ich persönlich halte es sowieso mehr mit offenen Bandkontexten und freier Kooperation. Ich fand das immer enorm bereichernd. Zu Deinem zweiten Kommentar:
Wenn man sich die Welt der Musik als nahezu unendliches Meer vorstellt, dann mag die Musik, die mit einer strikten Regel erzeugt wurde (z.B. Dodekaphonie oder Deans 13-Ton-Technik) eine Menge Wasser darstellen - und ist im Vergleich zum Meer doch nur ein kleiner Schluck.
Puuh. Da haben wir einen letzten Kenner der Musik Adornos. Dr. Dean, es ist ja in der Tat so, dass Adorno in seinen eigenen Werken zu derartigen Reihenentwürfen geneigt hat. Im Steichquartett (aus der Erinnerung) im zweiten Satz sind es entweder 13 oder 21 Töne. In Liedern geht das nach meiner Erinnerung in bis zu 78 Tönen.
Das Interessante ist ja, wo ist der Unterschied in der handwerkichen Handhabung der 12-Tontechnik gegenüber meinetwegen der Dur-Moll-Tonalität (mit Kadenzen etc.). Eimert hat hat meines Wissen sogar einmal zeigen können, dass mit der 12-Tontechnik sogar im alten Stil komponiert werden könne.
Andererseits, wenn alles geht, wozu braucht man dann das. Adornos Antwort war, zur Entlastung. Die ganze motivisch-thematische Arbeit liegt quasi in der Reihe selbst schon. (Und er zeigt dies an den Werken des Übergangs bei Schönberg, wie da langsam die motivische Arbeit zu Reihen sich verdichtet.)
Soviel dazu ganz knapp.
warum soll 12-Ton-Musik dogmatisch sein?
Schönberg und Webern, oder Hauer, waren doch eben keine Dogmatiker. Versteh ich nicht.Adornro stllt sich in der "Ästhetischen Theorie" nun auch nicht als Dogmatiker dar, aber er hält die 12-Ton-Musik für zeitentsprechend angemessen, als eine Kompositionsschule. Schönbergs Privatschüler Cage beschäftigt sich ja denn mit der Erfindung von undogmatischen Methoden. (Adorno fand Cage nett, aber seine Musik "scheusslich"; aber Cage ist auch nur eine Kompositionsschule.)
Dem Kubimus hält man ja auch gerne mal Dogmatismus vor, aber, wie Picasso sagte, folgt er denselben Regeln wie alle andern Schulen der Malerei auch. Nur: wollten die Kubisten die Möglichkeiten ihrer Entdeckungen auch durchspielen und entwickeln, da interessierten sie sich auch für die innerbildliche Logik, die zustande kommen würde. Das war eine Methode der Darstellung neuer psychologischer und technologischer Bedingungen der Gegenstandswelt, es gab gleichzeitig auch andere Schulen, die ihre Logik entwickeln mussten, damit schlüssige Bilder rauskommen konnten. Wenn ich Dean und hufi folgen soll, dann muss ich scheinbar physiologisch argumentieren, was gar nicht geht, weilmir noch keiner gesagt hat, wie sich "die Musik" denn nun anhören würde, oder "die Malerei" aussähe. Mal abgesehen davon , dass dann unterschlagen wird, dass es sich um Denk- und Ausdrucksweisen handelt, die allenfalls um das Absolute kreisen können, aber ihre Verdinglichhungen selbst sind keineswegs absolut, sondern eben diskursiv, auch untereinander. Wir landen bei merkwürdigen Vorschriften für Kunst, wenn wir das vergessen, und dann haben wir das Dogma. - Shönberg ist doch nicht absurder als irgendein anderer Komponist irgendeiner anderen Zeit. Und ich z.B. war ja selten so beeindruckt von Musik und dem, was sie kann, als ich erstmals Xenakis gehört habe, der hat ja wieder andere Methoden.
T. Albert
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