18 Mai 2006

Die "liberale" Erweckungbrigade und Wikipedia

Bin gerade drüber gestolpert: Liest man in Wikipedia den Artikel zum Thema "Manchesterliberalismus", so findet sich dort zur Arbeiterarmut und sozialen Not: Nichts, bzw. eine demagogische rechtsliberale Umdeutung. Fast so, als ob die FNS den Wikipedia-Artikel in Auftrag gegeben hätte.

Liest man hingegen in Wikipedia den fast identischen Begriff "Manchesterkapitalismus", so findet sich z.B. diese Perle:

Sicherlich ist es recht schwierig, heutige ökonomische Fragestellungen aus dem Licht der Geschichte zu beurteilen, aber man könnte im historischen Vergleich durchaus zum Schluss gelangen, dass eine Fokussierung auf Bildung, wissenschaftlichen, technischen, aber auch sozialen Fortschritt einen günstigen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat, in Kombination mit einem starken Rechtsstaat, Freihandel und einer auf Fairness gegründeten Marktwirtschaft.

Die These, dass schlimme soziale Verhältnisse sich von allein bessern, wenn man den Kräften des Marktes freien Lauf lässt, auf Basis ungeregelter Verträge, findet vielleicht in der zukünftigen Geschichte Bestätigung - die Geschichte der industriellen Revolution sowie das Elend im Frühkapitalismus in Großbritannien bestätigt eher die Notwendigkeit einer Zivilisierung des Kapitalismus, während anarchokapitalistische Vorstellungen hier eher wenig Bestätigung finden.

Das ist so ausgewogen und brillant; es könnte von mir sein. Im anderen Artikel (also: "Manchesterliberalismus") gewinnt man hingegen den Eindruck, dass hier eine rechtliberale Erweckungsbrigade am Werk war.

Ist Wikipedia ein Tummelplatz für einen politkulturellen Kampf um Diskurshegemonie? Und ist es möglich, dass dieser Kampf von bestimmten "liberalen" Kräften mit großer Dreistigkeit geführt wird?

Man könnte fast meinen, diese "Liberalen" hielten sich im Besitz einer "wissenschaftlichen Weltanschauung", im Besitz einer einmaligen und unbezweifelbaren Wahrheit, ohne jedes Gefühl z.B. dafür, dass viele politische Auffassungen des Dampfplauderers HW Sinn aus guten Gründen umstritten sind.

Träfe dieser Eindruck zu, könnte man innerhalb dieser ideologischen Richtung sogar von totalitären Zügen sprechen, sichtbar daran, dass alternative Sichtweisen ignoriert werden und der eigene einseitige Standpunkt, für "total" gehalten wird, also zur unbestreitbaren Wahrheit und einzigen Möglichkeit von Wissenschaft erklärt.

Randnotiz: Statler, Sie wollten doch noch erläutern, warum Studiengebühren inkl. Begleitbürokratie klasse sind, während Steuerprogression böse ist und Gymnasialgebühren wiederum nicht klasse?

11 Comments:

At 18 Mai, 2006 22:42, Anonymous Anonym said...

Wikipedia ist ein Tummelplatz für Ideologen - politische Themen und Stichworte sind da größtenteils unbrauchbar. Schade, Wiki war eine tolle Idee, aber verlassen kann man sich darauf nicht. Ich nutze die gar nicht mehr - Zeitverschwendung, da man alles, aber auch wirklich alles nachrecherchieren muss. Also mach ich das gleich selbst und spare mir den Umweg.

 
At 19 Mai, 2006 10:39, Anonymous Anonym said...

Habt ihr schon einmal daran gedacht, die Menschheit zu retten und den Artikel wahrheitsgemäßg (d.h. euren Vorstellungen nach) zu ändern? Gerüchte sprechen davon, dass sich jeder bei Wikipedia beteiligen kann.
Und schlecht finde ich Wikipedia nun wirklich nicht. Immerhin findet man auch weiterführende Links, meistens gibt es Diskussionen zum Thema und wenn die Meinungen über einen Artikel zu stark divergieren, wird das auch angedeutet (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Meinungsbilder)

 
At 19 Mai, 2006 13:19, Anonymous Anonym said...

Neben der Aufklärung von möglichst vielen Menschen über den wahren, sozialistischen Charakter des Nationalsozialismus, sollte vor allem das Bild des Frühkapitalismus und das Bild von einer angeblichen "Zähmung" von Kapitalismus und Markt durch sozialstaatliche Strukturen, einer gründlichen Revision unterzogen werden.

Wie man bei Wikipedia sieht, hat diese Entwicklung eine durchaus positive Form angenommen.

Das Beispiel der USA zeigte ja gerade, daß, im Gegensatz zu z.B. Europa, auch mit weitestgehender Abwesenheit sozialstaatlicher Strukturen ein "ungezähmter Kapitalismus" zum sozialen und materiellen Aufstieg breiter Bevölkerungsschichten führt.

Während die USA zur Weltmacht Nr.1 aufstiegen, versank Deutschland im sozialistischen Sumpf.

Die antikapitalistische Diskurshegemonie bei diesem Thema über Jahrzehnte hinweg weicht nun zumindest in Ansätzen einer historisch präziseren Interpretation der damaligen Verhältnisse.

Weiter so!

 
At 19 Mai, 2006 15:06, Anonymous Anonym said...

@Askobe, ot

Ich weiß nicht, ob man hier off topic kommentieren darf, ich versuch's einfach mal:

Ja, ich habe das schon versucht. Aber leider läuft es meist darauf hinaus, dass der mit dem dickeren Sitzfleisch und genügend Kumpels mit ebensolchem sich durchsetzt. Der Artikel über die INSM oder Neoliberalismus ist da ein gutes Beispiel. Auch die Nahostthematik ist heiß umkämpft. Es kann ja sein, dass manche Zeit haben, sich mit so etwas herumzuschlagen, aber Leute, die wirklich gut sind auf ihrem Gebiet, haben einfach besseres zu tun. Meistens. Wenn man also nicht gerade Infos über die gemeine Sumpfdotterblume sucht (falls es die gibt), kann man sich den Wiki-Umweg sparen.

Was die Links angeht: Ja, das stimmt teilweise. Aber nur als ersten Anhaltspunkt und meistens sind die Scroogle-Ergebnisse da mindestens genauso gut. Wenn man also nicht gerade Schwierigkeiten hat, aussagekräftige Stichworte zu finden und die bei Scroogle einzugeben, dann ist Wikipedia auch in dem Punkt überflüssig.

Auch das mit den Meinungsbildern hilft nicht wirklich: Wer hat schon Zeit und Lust, sich den Artikel, die Diskussion und die Versionsgeschichte durchzulesen, um dann anschließend auch noch nach einem Meinungsbild zu suchen? Von einer Enzyklopädie erwarte ich vor allem verlässliche Informationen - das ist bei Wikipedia nicht der Fall. IMO: Eine überflüssige Seite.

Sorry, ich will keinen beleidigen, aber das sind die Erfahrungen, die ich mit Wiki-"Propaganda" gemacht habe.

Grüße.

 
At 19 Mai, 2006 15:23, Blogger John Dean said...

@ask-obe
"Habt ihr schon einmal daran gedacht, die Menschheit zu retten und den Artikel wahrheitsgemäßg (d.h. euren Vorstellungen nach) zu ändern?"

Nein. Aber, das Du fragst, woran ich denke: Ich denke, dass die gleichen Mechanismen, wie wir sie bei Wikipedia sehen, auch im Bereich der Wissenschaft gibt, also parteiliche Manipulation, mutmaßlich dann, wenn starke ökonomische oder politische Interessen berührt sind.

Aber schön ask-obe, dass Dir der Wikipedia-Artikel zu "Manchesterliberalismus" so vorzüglich gefällt.

Dann weiß man gleich, dass Du entweder
a) ein Schwachkopf
b) ein Drecksack
c) völlig inkompentent
d) FDP-Anhänger oder
e) ignorant bist.

Ich tippe auf in Deinem Fall auf e).

@Mattias b.
Du hast das im Ausgangsbeitrag Geschriebene offenkundig nicht begriffen, aber entblödest Dich in aller Öffentlichkeit in Bezug auf einen unobjektiven Wikipedia-Artikel zu einem Kommentar, geradezu johlend jubelnd, ich zitiere Dich:

"Die antikapitalistische Diskurshegemonie bei diesem Thema über Jahrzehnte hinweg weicht nun zumindest in Ansätzen einer historisch präziseren Interpretation der damaligen Verhältnisse."

Präzise? Detmar Doering ist nicht "präzise", bei der Darstellung sozialer Not. Er ist ein dreckiger Lügner und Geschichtsverdreher, ein "prokapitalistisher Revisionist", ein höchstparteilicher "Historiker" (lol), bezahlt u.a. von der FNS.

Sorry: Es sollte in Wikipedia eben nicht um die Erringung von Diskurshegemonie gehen.

Kapiert?

Dieser Gedanke sollte auch in das düsterste Spatzenhirn noch hinein passen, oder?

Dazu schreibst Du:

"Das Beispiel der USA zeigte ja gerade, daß, im Gegensatz zu z.B. Europa, auch mit weitestgehender Abwesenheit sozialstaatlicher Strukturen ein "ungezähmter Kapitalismus" zum sozialen und materiellen Aufstieg breiter Bevölkerungsschichten führt."

Matthias B, Du musst ein richtiger [zensiert] sein. Es geht bei der Darstellung sozialer Entwicklungen im Frühkapitalismus sicherlich nicht um einen Vergleich der OECD-Staaten von heute.

@note 2 myself

Kaum zu glauben, dass genau diejenigen, die seltsamer Praktiken beschuldigt werden, sich hier in der Kommentarsektion auch noch jubelnd melden, um zu sagen:

"Wollja! Wir lieben es, in Lexika unobjektiv zu sein. Alles für die Diskurshegemonie! Sieg!"

*sichwunder*

 
At 19 Mai, 2006 15:39, Anonymous Anonym said...

@Dr. Dean

Ich sehe mein Beitrag hat seine Wirkung nicht verfehlt.

"Es sollte in Wikipedia eben nicht um die Erringung von Diskurshegemonie gehen."

Ich habe nirgendwo geschrieben, daß es mir um Diskurshegemonie geht, sondern daß diese besteht und zugunsten differenzierter Meinungen aufgebrochen werden muss.

"Matthias B, Du musst ein richtiger [zensiert] sein. Es geht bei der Darstellung sozialer Entwicklungen im Frühkapitalismus sicherlich nicht um einen Vergleich der OECD-Staaten von heute."

Ich meinte damit ja auch die USA damals z.b. im 19. Jahrhundert. Die USA hatten im Prinzip auch ihren Frühkapitalismus nur sah man sich dort nicht genötigt einen Sozialstaat zu errichten. Bis zum 1.Weltkrieg gab es, so habe ich mal gelesen, eine Staatsquote von unter 10%.

 
At 19 Mai, 2006 17:02, Anonymous Anonym said...

Deanchen (um bei der Kindergarten-Verarsche zu bleiben),

wäre schön, wenn du deine Halluzinationen und Ausflüchte in Schimpforgien (die du normalerweise als Lulubär gar nicht verträgst, siehe Diskussion bei Statler) wieder in den Griff bekommen könntest.
Nicht mal ansatzweise habe ich angedeutet, dass mir der Wiki-Artikel so "vorzüglich gefällt". Lediglich die Art, wie du dich darüber aufregst hielt ich für amüsant. Damit hat sichs. Jetzt ist es einfach nur noch ärgerlich.

Warum regst du dich auf, versuchst aber nicht, es zu ändern? Wenn die...moment ich schlage mal in deinem verwurschtelten Kommentar nach..."rechtliberale Erweckungsbrigade" so etwas schreiben kann, warum kannst es du nicht? Wenn du nicht entgegensätzliche Artikel schreiben möchtest, kannst du ihn ja immer noch auf die richtige Bahn lenken (zu versuchen). Sind die Ordolinken zu blöd dafür? Genug Zeit dürftest DU ganz bestimmt haben...obwohl...an so etwas hast DU natürlich noch nicht gedacht, wirst es wahrscheinlich auch nie. Das würde ich dann wohl ignorant bezeichnen.

So, und jetzt packen wir uns bei der Hand, singen ein Lied und kehren zum normalen Niveau (normalerweise hier vorhanden) zurück.

 
At 19 Mai, 2006 20:22, Anonymous Anonym said...

Ich hab auch noch einen Kleks Senf:

Das Thema Wikipedia ist natürlich sehr komplex. Ich kann die Leute verstehen, die sagen, das Ihnen die Informationen zu unsicher sind. Aber ich kann nicht verstehen wieso man deswegen das ganze ablehnt. Das Ding ist noch nicht mal in der Pubertät und deswegen kann man das noch nicht final bewerten. Und es kommt wirklich darauf an, ob man sich die Mühe macht sowas zu korregieren, oder sich nur drüber auszulassen.

Deutungshoheit über bestimmte Begriffe ist sonst immer ein Spiel der Mächtigen gewesen. Jetzt ist es ein Spiel der globalen Masse geworden. Und ich finde diese Entwicklung gut. Auch wenn viele viele viele Lemma jetzt noch nicht gut geschrieben sind.

 
At 19 Mai, 2006 22:34, Anonymous Anonym said...

@ Martin

Wie gesagt, bei unpolitischen Themen - kein Problem.

Ich habe allerdings versucht, mitzumachen und ganz so einfach ist es ja nicht. Ein paar Rechtschreibfehler kann man problemlos korrigieren oder auch mal stilistische Verbesserungen vornehmen. Aber sobald es ans Eingemachte geht, also Artikel, deren Neutralität umstritten ist, muss man sich auf endlose Diskussionen einstellen. Und meine Erfahrung war so, dass manche partout nicht einsehen wollen, dass ihr Standpunkt POV ist. Dann wurde so getan, als ob das eingesehen wurde und nachdem man ein paar Wochen nicht hingeguckt hat und dann wieder den Artikel aufgerufen hat: Die gleiche Chose. Also einen Nachmittag Zeit investiert, nur um zwei Fan-Sätze zu korrigieren. Bei einem anderen Artikel wurde ich praktisch gezwungen, mich durch sämtliche Wikipedia-Seiten zu lesen, nur um herauszufinden, dass der Admin mir Mist erzählt hat, um seinen POV durchzudrücken. Dann ignoriert der meine Anfragen auf der Disk.seite einfach und kritzelt meinen Absatz zu einem nichtssagenden Teil zusammen und lässt seinen POV natürlich stehen und setzt noch einen drauf. Der betreffende Artikel ist eine einzige Aneinanderreihung von Voreingenommenheiten und von NPOV keine Spur. Das ging noch ein paar mal so und seitdem halte ich mich aus den politischen Artikeln raus und beschränke mich auf Kleinigkeiten. Das hat allerdings auch dazu geführt, dass ich die übrigen Artikel für überflüssig halte, aus den genannten Gründen. Teilweise ist da übelste Propaganda zu finden und an der Stelle finde ich Wikipedia sogar schädlich. Nicht immer ist die Meinung der breiten Masse auch die richtige, wie man an weitverbreiteten Dumpfbacken wie denen bei PI sehen kann.

Es wäre gut, wenn die Artikel auch mal Fachleuten vorgelegt werden würden, die allzu krasse Verzerrungen korrigieren und Wikipedia etwas verlässlicher werden würde. Aber solange da jeder seine eigene Agenda einbringt, halte ich mich lieber an richtige Enzyklopädien und verlasse mich auf meine Recherche-Fähigkeiten. Mehr tun die anderen ja auch nicht - sie recherchieren. Das machen auch die meisten, die ich kenne, aus den gleichen Gründen. Im Endeffekt spart es Zeit und Nerven und man spart sich fruchtlose Streitereien.

Und nein, ich habe keine Lust, nur weil andere rumpfuschen, ebenfalls meinen POV durchzudrücken. Wenn ich eine Meinung veröffentlichen will, dann tue ich das anderswo.

 
At 20 Mai, 2006 10:16, Blogger John Dean said...

Immer nur her mit dem Senf!

Schöne Diskussion! Schon mal schönen Dank von mir für die Beiträge!

 
At 20 Mai, 2006 10:17, Blogger John Dean said...

Ergänzender Hinweis: Der Dank geht an alle Diskutanten.

 

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