24 November 2005

Nie wieder Nationalismus!

Wie man im Spreeblick lesen kann, hat JvM mit dem Claim "Du bist Deutschland" wohl daneben gegriffen - wurde dieses Motto doch tatsächlich von den Nazis zur Verkörperung ihrer Ideologie eingesetzt.

Ein Skandal?

Ich sehe das Ganze etwas entspannter. Wenn ein Claim massiv mit “Deutschland” wirbt, liegt es halt nahe, dass die Nähe zu Sprüchen der Nazis schnell konstruiert werden kann.


Wenig überraschend - auch, wenn das gefundene Bild schockt.

Beides ist Propaganda - und beides will dem Einzelnen klar machen, was gut und richtig sein soll. Doch während die Nazis eben meinten, dass dieser irre Wahnfried Deutschland sei, meint die misslungene Mutmacher-Kampagne, dass wir alle Deutschland seien.

Das ist schon ein gewisser Gegensatz.

Ich finde es deutlich problematischer, dass die doofe “Mutmacher-Kampagne” allerdings behauptet (implizit), dass nur ein ruckendes Deutschland schön sei. Der Einzelne soll fragen, was er für die Gemeinschaft leisten könne - dafür 150 Prozent geben - soll dafür aber gefälligst nichts erwarten.

Eine bekloppte Message.

Ein Problem der Kampagne liegt m.E. darin, das die Bertelsmann-Stiftung den Willen der Auftraggeber verdreht hat. Wollten die Auftraggeber eine echte (!!) Mutmacher-Kampagne mit einen Schwerpunkt auf Innovationen, so haben sich die Sozialstaatsfeinde der Bertelsmannstiftung auf neoliberales Rucken verlegt.

So betrachtet bin ich nicht traurig, dass der Claim zerbröselt.

Wer sich mit der Entstehungsgeschichte der "Du bist Deutschland"-Kampagne beschäftigt - und zwar vor dem Zeitpunkt, wo die Bertelsmann-Stiftung eingriff und "koordinierte", wird feststellen, dass ursprünglich eine Reihe von Firmen/Forschungseinrichtungen und Bürgern sich mit dem Thema "Innovationen" beschäftigte - in der "Innovationsinitiative Deutschland".

Das war redlich und geschah auf vorbildliche Weise. Das war der eigentliche Ausgangspunkt.

Den dort aktiven Firmen stieß es zunehmend übel auf, dass von neoliberalen Jammerlappen ständig und immer wieder der Standort Deutschland schlechtgeredet wird. Man hielt das erstens für unwahr und zweitens für ein Innovationshemmnis und drittens wünschte sich man sich hier eine Gegenkampage, eine Mutmacher-Kampagne.

Man war in diesen Kreisen sogar sozial gesinnt, durchaus stolz auf den Sozialstaat und gab daher auch Herrn Bofinger (PDF) eine Stimme. Ich zitiere aus dem ursprünglichen Mission Statement:

Wir wollen die Menschen in Deutschland für innovative Ideen und Erfindungen begeistern. Wir werden das Vertrauen des Einzelnen in seine Leistungsfähigkeit stärken, zu Veränderungen ermutigen und die Freude an Kreativität wecken.Wir wollen die Bedingungen für Innovationen in Deutschland verbessern.

Man meinte:

Wer glaubt, Angst mache den Menschen Beine und bringe sie dazu, wieder mehr zu leisten, der verkennt die Seele einer Marktwirtschaft. Diese Wirtschaftsordnung steht und fällt mit den Menschen, die Vertrauen in sich selbst und in die Zukunft ihrer Gesellschaft haben. In einer Atmosphäre der Angst wird der Unternehmergeist gelähmt, die Konsumenten halten ihr Geld zurück, die Qualität der Ausbildung sinkt und die Gesellschaft wird alt undgrau. Angst isst die Seele der Marktwirtschaft auf.

Angst lähmt. Aus diesem Grund unterstützte der ursprügliche Initiatorenkreis neben Bürokratieabbau auch den Sozialstaat. Es gibt kein gutes Innovationsklima, wenn die Menschen sich insgesamt bedroht fühlen.

Wir wissen, was geschehen ist: Die Bertelsmann-Stiftung legte ihre Reputation in die Waagschale, machte das harmlos wirkende Angebot "zu koordinieren" und verdrehte dann zusammen mit JvM die Ausgangsidee in ein neoliberal-nationales Chaka-Chaka im Namen des Sozialstaatsabbaus, wo in einer Zeit ohne "Zuckerwatte" der Einzelne Vollgas geben soll, ohne dafür auch nur das allergeringste für sich selbst erwarten zu dürfen.

Mutmachen geht anders.

+++ Update +++

Wie zu hören ist, bereut Herr Reich-Ranicki (den ich sehr schätze) inzwischen seine Teilnahme an der Kampagne. Nun, sein Statement war doch nicht schlecht - und wer sich für seinen Kanon interessiert, möge hier schauen.

+++ Update 26.11.2005 +++

Eine wirklich sehr schöne und empfehlenswerte Analyse findet sich hier.

Wer Ausgangspunkte der DbD-Kampagne ideengeschichtlich verfolgen möchte, stößt z.B. auf dieses hier - und gerät recht schnell zum heftig ruckenden Bürgerkonvent, in dem sich beachtlich viele Anhänger von Carl Schmitt finden. Wenn der Bügerkonvent-Gründer und Sozialstaatsfeind Meinhard Miegel vom "Niedergang des Westens" schreibt, fast schon in der Diktion Owald Sprenglers, ist man weniger verwundert, dass die von dort beeinflusste DbD-"Mutmacher"-Kampagne einen doch seltsamen Dreh hat.

Miegel, der für die Entmachtung der ihm verhassten demokratisch gewählten Politiker eintritt, meint tatsächlich, dass wir nur die Wahl zwischen radikalem Sozialstaatsabbau und Untergang hätten. So schlägt er z.B. vor, dass die Menschen Kosten für "die Hälfte aller Krankheiten selbst aufkommen" sollten. Miegel schrieb auf sozialdarwinistische Weise kürzlich in der FAZ (27.8.2005):

"Die Versorgung Hilfsbedürftiger, Kranker, Siecher und Alter war für die menschliche Gesellschaft stets eine besondere Herausforderung. Die Natur hat für deren Bewältigung keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen. Das gilt noch weit mehr für die Teilhabe der generell Schwächeren am großen Kuchen - der Langsameren, Schwerfälligeren, Ungeschickteren, Ideenloseren oder Beziehungsärmeren".
Hinter DbD steht die Herz- und Mutlosigkeit unserer Eliten.