Die sieben Fragen zur Ordo
Viele grundsätzliche Fragen werden m.E. zu selten gestellt. Aber auch nicht gestellte Fragen können Wert haben – was ich hier belegen möchte.*
Was ist „Ordoliberalismus“ – wofür ist das gut?
Zunächst: Ordoliberalismus geht im Gegensatz zu Libertären und zu reinen Liberalen davon aus, dass Chaos und Ungerechtigkeit das Ergebnis anarchistischer Gesellschaftsgestaltung wären, z.B. die Diktatur des Kapitals. Eine gute, d.h. auf Schaffung von Frieden, Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit orientierte Staats- und Wirtschaftsordnung ist nur durch intensive politische (d.h. die Gestaltung des Gemeinwesen beeinflussende) Aktivität erreichbar.
Hierfür benötigt es eine „Ordo“ – ein ordnendes Strukturprinzip. Auch der totalitäre Bürokratismus unter Stalin hat seine Ordo. Ein Ordo-Liberaler bevorzugt allerdings möglichst freiheitliche und Menschenwürde achtende Gestaltungen der Ordo.
Dies lässt aber Ziele, Art und Umfang einer Ordnungspolitik immer noch offen.
Die sieben Fragen zur Ordo
- (1) Was für eine Ordnung ist gewollt?
- (2) Worauf fußt die jeweils gewollte Ordnung?
- (3) Welchen Mängeln soll die gewollte Ordnung abhelfen?**
- (4) Welche Interessen werden durch die gewollte Ordnung gefördert?
- (5) Wie wird das Machtgleichgewicht durch die geschaffene Ordnung beeinflusst?
- (6) Wie wird der bürokratische Aufwand durch die angestrebte Ordnung beeinflusst?
- (7) Was für Leistungsanreize werden gesetzt – wie wird der wirtschaftliche Wettbewerb organisiert?
Ergänzend zu (5) kann man fragen, welche gesellschaftlichen Gruppen von einer Ordnung bzw. die Einflussnahme auf eine Ordnung profitieren.
Der Verzicht auf ausgleichende Ordo läuft häufig auf das Recht des Stärkeren hinaus.
Wonach strebt ein Ordoliberaler?
Ein klassischer Ordoliberaler strebt danach, die Wettbewerbsordnung in den Dienst der Menschen zu stellen, also Kunden, Arbeitnehmern usw. Er versucht dabei, das jeweils mildeste, nachhaltig erfolgversprechende Mittel einzusetzen, vor allem durch Machtausgleich, Machtteilung, Intensivierung des Wettbewerbs, Implementierung/Korrektur von Wettbewerbszielen und die Erhöhung der Verfügbarkeit von Information. Es geht hierbei darum, auftretende Mängel** abzustellen, jedoch auf eine dauerhaft erfolgreiche Weise, sodass die Gefahren von Interventionalismus, Gruppenegoismus und Bürokratismus vermieden werden können.
*Rayson hat mir inzwischen jegliches ordoliberales Denken abgesprochen, wenn ich ihn richtig verstehe. Ich vermute: Es hat ihn wohl etwas verschreckt, dass ich eine ausgesprochen soziale und sozialstaatliche Ordnung für erstrebenswert halte – dies als aktiv zu gestaltendes Ordnungsziel – und hier anderen Wegen bevorzuge als es bei Liberalen wie Rayson der Fall ist. Fasst man es in zwei Worte, heißt mein Leitbild: Sozialstaatlicher Leistungswettbewerb. Eucken sprach hier von einer „funktionsfähigen und menschenwürdigen Ordnung“.
**Die grundlegenden Mängel sind: (1) Staatsversagen (2) Marktversagen (3) Institutionenversagen. Punkt (2) meint z.B. Schädigungswettbewerb oder externe Effekte. Unter Punkt (3) wäre z.B. das Versagen von Medien als Ganzes (also unter institutioneller Betrachtungsweise der Aufgaben von Medien) oder der Gewerkschaften zu nennen, als Beispiele für bedeutende Institutionen. Fundamentalursachen dieses Versagens sind vor allem Machtmissbrauch und Übermacht, Unwissen, aber auch dysfunktionale oder ineffektive Ordo – wie aktuell beim „Fleischskandal“ zu sehen.
***Nicht alles, was sich in einer "freien" Marktwirtschaft ereignet, erhöht die menschliche Freiheit.
4 Comments:
Es hat ihn wohl etwas verschreckt, dass ich eine ausgesprochen soziale und sozialstaatliche Ordnung für erstrebenswert halte
Quatsch. "Verschreckt" hat mich höchstens, dass Gegenargumente von dir als "Scheinargumente" bezeichnet werden und du denen, die sie äußern, in typischer AK-Manier den Dienst für eine dunkle Macht unterstellst.
Aber jemand, der das Prinzip der Konkurrenz für sich reklamiert, dieses aber überall da nicht mehr angewendet sehen will, wo angeblich soziale Belange berührt werden, der hat zwar viel von "ordo", aber wenig von "liberal".
Ich mag da viel zu empfindlich sein, aber alleine ein solcher Satz passt nicht zu dem Etikett, dass du dir gerne selbst verleihen möchtest:
Ordoliberalismus geht im Gegensatz zu Libertären und zu reinen Liberalen davon aus, dass Chaos und Ungerechtigkeit das Ergebnis anarchistischer Gesellschaftsgestaltung wären, z.B. die Diktatur des Kapitals.
Die Ordoliberalen wenden sich zwar gegen das Laissez-faire, aber sie unterstellen ihm keineswegs eine zwangsläufige Fehlentwicklung. Nur, dass wenn eine solche eintritt, sie von den Laissez-faire-Anhängern konsequent ignoriert wird. Und wenn du irgendwo einen klassischen Ordoliberalen findest, der sich linke Sprüche wie die "Diktatur des Kapitals" zu eigen gemacht hat, dann gebe ich dir mal einen aus.
Es geht nämlich nicht darum, dass "das" Kapital zu viel Macht hat, es geht darum, dass vielleicht einige Kapitalisten davon zu viel bekommen.
Das Grundprinzip des Ordoliberalismus ist die Aufrechterhaltung funktionsfähiger Märkte. Dem Abschnitt deines Textes, in dem das beschrieben ist, ist zuzustimmen. Aber sogar die Sozialpolitik fällt zunächst unter dieses Prinzip, erst sekundär können korrigierende Eingriffe des Staates erforderlich werden - aber stets unter dem Vorbehalt, dass sie selbst auf wichtige ökonomische Größen keinen schädlichen Einfluss nehmen.
Der Staat soll einen Rahmen schaffen, aber er soll sich aus den Prozessen selbst heraushalten. Deine Forderung nach "intensiver politischer Aktivität" lässt mich daran zweifeln, ob das wirklich deine Welt ist.
Ordoliberale, wie ich sie aus der Wirtschaftsgeschichte kenne, sind auch zunächst einmal Liberale. Heute würde man sie aber als "Neoliberale" bezeichnen, während du versuchst, eine Politik nach Art des Godesberger Programms als "Ordoliberalismus" auszugeben.
@Rayson
Ich persönlich stufe dich z.Zt. zwischen Ordoliberalismus und Liberalismus stehend ein, teils sogar mit einem Schlacks libertären Denkens. Das ist durchaus ehrenvoll.
Ich will nicht verkennen, dass sich der Ordoliberalismus seit den 40´er und 50´er Jahren weiter entwickelt hat. Insofern bin ich hier eher einer klassischen, älteren Linie treu, vielleicht auch mit zu großem Vertrauen in das Potential von "Ordo".
Mag sein.
Ich betone die sozialstaatliche Verpflichtung, während sich die modernen Ordoliberalen davon in der Tendenz eher entfernt haben.
Dennoch bin ich nicht a-liberal, nicht im Mindesten.
Ich behaupte, dass die modernen Ordoliberalen recht stark von bestimmten Perspektiven geprägt sind, erstens und vor allem dem tatsächlich überragenden Erfolg der Marktwirtschaft in Deutschland, aber zweitens auch aufgrund einer - so nenne ich das mal - gewachsenen Nähe zu Wirtschaftsinteressen, aber auch einer allgmeinen Entwicklung in den Wirtschaftswissenschaften folgend.
Ich behaupte also, um es etwas überspitzt darzustellen, dass es bem modernen Ordoliberalismus einen Drift bei den Zielsetzungen gegeben hat - und neben einem Mangel an Kreativität auch eine gewachsene Skepsis gegenüber "Ordo".
Bei mir wird - und das ist sehr wohl ordoliberal - vieles (natürlich nicht alles) auch unter dem Aspekt von Marktversagen betrachtet.
Ich behaupte, dass sich bei den modernen Ordoliberalen (bei anderen Liberalen ohnehin noch mehr) eine Art "ideologischen Fundamentalvertrauens" in Märkte gebildet hat - fernab der tatsächlichen Ergebnisse (!) - kombiniert mit einer angewachsenen Fundamentalskepsis gegenüber "dem" Staat, auch dort, wo er lediglich regulierend wirkt.
Ich kann mich kaum entsinnen, aber da mag ich mich täuschen, dass moderne Ordoliberale das Thema "Marktversagen" über die theoretische Ebene hinaus überhaupt noch aktiv diskutieren.
Täusche ich mich?
Das ist - meine ich - neben Unterschieden Akzenten in der Zielsetzung ein wesentlicher Hauptunterschied.
Mit dem polemischen und - für die heutigen Verhältnisse - sowieso überzogenen Begriff "Diktatur des Kapitals" zeigt sich eben dieser Unterschied.
Das war Absicht.
Dies soll eben auch zeigen, wofür Ordolibealismus nicht stehen darf:
Freie Bahn für das Recht des Stärkeren*
Das macht mich aber keineswegs zu einem Sozialisten oder Etatisten**. Ich bin - auch wenn es für moderne Ordolibale vielleicht sogar ausgesprochen befremdlich ist - sogar ein ausgesprochen reinrassiger Ordoliberaler.
*Dies hier ist übrigens eine Formulierung der "alten" Ordoliberalen - in diesem Fall von Herrn Eucken.
**Meine Formulierung "sozialstaatlicher Leistungswettbewerb" ist nicht Godesberg, sondern ausgesprochen ordoliberal.
Gerade das Thema "Marktversagen" ist doch eher neuerer Herkunft und wurde von Leuten wie Eucken gar nicht explizit behandelt, wenn man von der Gefahr der Monopolisierung absieht.
Es ist doch nun wirklich nicht so, dass die öffentliche Gegenposition zum herrschenden Sozialstaat von "Marktradikalen" formuliert wird. Selbst das Programm der FDP zur Gesundheitspolitik, nur um mal ein Beispiel zu nennen, enthält einen Kontrahierungszwang und eine steuerliche Umverteilung - Laissez-faire sieht anders aus.
Auch im Bereich der Umweltpolitik sind z.B. Verschmutzungsrechte eine Antwort auf "Marktversagen", auch wenn Linke viel lieber auf direktere Einflussnahmen setzen würden.
Ich sehe es völlig anders als du. Ich sehe in Deutschland mittlerweile einen so hohen sozialstaatlichen, man könnte auch etwas überspitzt sagen: sozialistischen, Anspruch entstanden, dass ordo-liberale Standpunkte eines Eucken heutzutage als "neoliberales" Teufelszeug abgetan würden, auch weil die politische Klasse weder in der Lage noch willens ist, die selbstgeschaffenen ineffizienten Institutionen zu reformieren.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass staatliche Eingriffe direkt und diskretionär zu erfolgen haben. Eine Politik, die nur auf einen - durchaus sozial unterfütterten - Ordnungsrahmen setzt, ist uns schon praktisch unerträglich.
Der Gegensatz von Leistungswettbewerb und Schädigungswettbewerb, die Differenzierung zwischen positiven Marktergebnissen und negativen Marktergebnissen gehört von Anbeginn an zum Kern des Ordoliberalismus - auch bei Eucken.
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