06 Oktober 2005

Ein Brief an Greg Grabinski

Amerika ist ein großes Land.

Dort finden Leute wie Greg ihren Platz, und viele andere auch. Deutschland ist im Vergleich dazu etwas enger. Und im statistischen Durchschnitt ist Amerika reicher. Es gibt in Amerika mit Sicherheit mehr zu entdecken, was für uns Deutsche interessant ist, als umgekehrt.

So weit so schön.

Es gibt darüber hinaus zahlreiche negative Entwicklungen in Deutschland, gerade bei Konservativen in Amerika gilt Deutschland “als der kranke Mann in Europa”. Umgekehrt gibt es eine geradezu verblüffende Deutschlandliebe im demokratischen Teil der amerikanischen Gesellschaft. Außerdem gibt es konservative Amerikaner, die Deutschland mögen, wie auch demokratische Amerikaner, die in Deutschland nur das Land der Nazis sehen.

So wie Greg, immer hübsch einseitig. Er hat einen "amerikanischen Blick", und beklagt sich in einem jammernden bis tollwütigen Ton über die stets unfaire Amerika-Berichterstattung. Das ist seine Mission. Da ist er verflucht stolz darauf. Und auf seine intensive Deutschland-Skepsis. Daraus besteht die Luft im Schaum vor seinem Mund; Deutschland ist für ihn das Land der Anti-Amerikaner.

Letztlich ändert all das nicht viel daran, dass die meisten Deutschen eine ausgeprägte Sympathie für Amerikaner haben, und es ändert auch nichts daran, dass es in der amerikanischen Gesellschaft große Probleme gibt, so wie es auch in Deutschland große Probleme gibt.

Während wir kaum wissen, wie wir die nächsten Jahre das System der Krankenversicherung erhalten können, wissen die Amerikaner kaum, wie man am besten mit dem Umstand umgeht, dass es bereits 40 Mio schutzlose Amerikaner gibt ohne Krankenversicherung. Insgesamt scheint das deutsche System effektiver und sicherer zu sein (was u.a. auch an den weit geringeren Rechtskosten und Klagegefahren liegt), ohne dass die Qualität der gesundheitlichen Versorgung schlechter wäre - eher das Gegenteil ist der Fall. Man ist in Deutschland in diesem Politikfeld sozusagen ziemlich ratlos, aber trotzdem irgendwie besser.

Das ist nur ein Beispiel.

Umgekehrt wissen die Deutschen nicht, wie sie die schnell ausbrechende Trägheit unter den Beziehern von Unterstützungsleistungen eindämmen können. Das “ich-werde-vom-Staat-versorgt”-Denken vieler Deutscher ist ein schwerer Malus für unserere ökonomische Entwicklung, die vielen Subventionen kommen hier noch hinzu und übertreffen in ihrer Summe sogar die Aufwendungen für Arbeitslose und Sozialhilfe. Auch wenn man gut begründet meinen könnte, dass die hohe Gewaltkriminalität in der amerikanischen Gesellschaft (man vergleiche die Zahl der Opfer von Gewaltdelikten pro Kopf) zum Teil auch Ausdruck einer unterentwickelten Sozialstaatlichkeit in den USA ist - wir Deutschen werden nur in Ausnahmefälle guten Rat geben könnem, was bei diesen vertrackten Problemen in den USA am Besten anzustellen wäre.

Wir Deutschen sind insgesamt weniger risikobereit und neigen zur Angst, ganz besonders auch davor, dass das Individuum schutzlos sein könnte wie bei es bei unerfreulich vielen in den USA der Fall ist. In dieser Angst - egal wie begründet diese nun tatsächlich ist - suhlen sich nicht wenige, und Greg reibt sich wiederum an denen, die gegenüber den USA bzw. den Verhältnissen dort eine unsachliche Position einnehmen.

Deshalb betreibt er sogar einen Blog, es liegt ihm sehr am Herzen.

Er wittert überall “Anti-Amerikanismus” bis hin zu Überbleibseln nazistischer Gesinnung. Er hat recht, wenn er meint, dass die positiven Berichte über Amerika ein zu geringes Gewicht in der Presse haben, aber er übersieht, dass das z.B. auch für die Berichterstattung über Russland, Sri Lanka oder China gilt. Okay, die USA sind nicht Russland, Sri Lanka und China. Big point for Greg. Es ist dennoch nur bei den wenigsten “Anti-Amerikanismus”, sondern hat mehr mit Besorgnis und dazu einem merklichen Auseinanderdriften des Wertehorizontes auf beiden Teilen des Atlantiks zu tun.

Wer in den USA ein “strong republican” ist, der würde bei uns ohne jegliches Problem als Faschist gelten. Rush Limbaugh könnte sich mit seiner Art in deutschen Medien, egal wo, keine zwei Monate halten. Und das ist gut so. Weniger gut ist es hingegen, wenn der deutsche Blick auf Amerika meint, dass es dort sehr häufig oder generell so zugehe wie beim Beinahe-Faschisten Rush Limbaugh.

Und doch gibt es in den amerikanischen Medien trotz aller Vielfalt einige Probleme, die Pressefreiheit scheint nicht immer das zu sein, was sie sein sollte. Verleger und Interessengruppen haben einen teils gefährlichen und geradezu anti-aufklärerischen Kurs aufgenommen. Ich würde darüber aber niemals mit Greg sprechen, denn seine Seele könnte dabei Verwundung erleiden.

Das kann man nicht wollen, ob man Grets Position nur für völlig überdreht hält oder auch nicht. Von meiner Seite aus wünsche ich Greg vor allem Seelenfrieden. Tatsächlich.

Seelenfrieden. Vielleicht sogar eine Prise deutscher Harmonie und ausgewogenes, modern-effektives und nicht wirtschaftsfeindliches Sozialstaatsdenken (zusätzlich zu anderen guten Dingen, gerne auch außerhalb Deutschlands).

Ich wünsche ihm unseren Absolutismus, wenn es um die Würde des Menschen geht (welche wir im Grundgesetz u.a. amerikanischen Quäkern verdanken - und darüber hinaus der Befreiungsleistung von Amerika/Russland im 2nd Weltkrieg! Und dazu kommt die riesige und unvergessliche Hilfe der Amerikaner beim Aufbau unserer Demokratie.) Und uns wünsche ich mehr Ausgewogenheit, noch mehr Sinn für Vernunft und mehr Konsequenz, wenn es um die Menschenwürde geht.

Bleib gesund, Greg!

3 Comments:

At 08 Oktober, 2005 22:56, Blogger Max said...

Nur ein paar Comments zum Thema Krankenversorgung. Auch in den USA gibt es eine grundsätzliche Krankenversorgung, allerdings deckt die nicht wirklich viel. Trotzdem haben auch die USA genau dieselbe Krankenkassensystem-Misere wie Deutschland sie hat und leider wenden sie die selben Prinzipien zur Lösung an, wie wir.
Nur wird es sie (auf Grund ihrer hohen Kriegsausgaben) schneller auf den Boden der Tatsachen zurückholen (wie es Bush jetzt schon bemerkt hat (einer seiner besseren Tage ;) )), als unsere nette "Regierung". Und auch die neue (wohl) große Koalition wird daran nur wenig ändern können, da sie auch nur Schuhflickerei betreiben wird (wenn man die Programme anschaut), aber das habt Ihr ja im September selbst gewählt (ich hab den Rasen gemäht und das war produktiver).

Also, nicht gleich das amerikanische Gesundheitssystem schelten ohne zu vergessen, dass sich unsere beiden Systeme doch erheblich gleichen, nicht nur in der Auslegung, sondern auch in den Symptomen.

 
At 09 Oktober, 2005 02:38, Blogger John Dean said...

Nun, ja, größere Unterschiede werden zumindest auf amerikanischer Seite bemerkt. Das fängt bei den Gesundheitskosten pro Kopf an (prozentual liegt der Wert in den USA bei 14,6 % des BSP, während wir bei ca. 10,3 % liegen - was gemessen an der vergleichsweisen Überalterung unserer Gesellschaft ein guter Wert ist) und diese Unterschiede gehen noch sehr viel weiter.

Man sollte wissen, dass es Medicare nicht gesamtstaatlich gibt, und dass nur max. 50% aller nationalen Gesundheitskosten mit dem löcherigen und ineffizienten System Medicare/Medicaid zusammen hängen. 15% der Amerikaner sind sogar ganz draussen. Bei uns ist der Anteil der KV-Leistungen an den Gesamtgesundheitskosten höher - bei gleichzeitig deutlich höherer Effizienz. Die Amerikaner sind sich - über die Parteigrenzen hinweg - einig, das ihr Gesundheitssystem ein einziges Desaster ist.

Übrigens gibt es in den USA - anders als in Deutschland - sehr umfassende Steuersubventionen für das Gesundheitssystem, die in den betrachteten Kosten nicht einmal eingerechnet sind.

Das dürftige Ergebnis lässt auch danach fragen - von den Haftungsfragen im am. Gesundheitssystem mal abgesehen - was da alles genau schief geht, warum es dort so überaus ineffizient zugeht.

Ich habe kaum Antworten dazu, ich vermute eine üble Mixtur als Markt- und Staatsversagen. In den Berichten von "Transparency International" finden sich hier zahlreiche Hinweise.

Nun, wie auch immer, fast alle grundsätzlichen Reformvorstellungen in den USA (i.d.R. auf demokratischer Seite) orientieren sich bemerkenswerter Weise recht stark am deutschen System.

Hillary Clinton meinte mal sogar, dass sie eine "Kopie" des deutschen Systems anstrebe. Dann scheint es also vielleicht doch ein paar Unterschiede zu geben.

Im Übrigen finde ich es sehr positiv, dass wir in Deutschland (rechnen wir mit 27% wg. der Bevölkerungszahl) KEINE 12 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung zu beklagen haben. Plus nochmal 11 Millionen, die massiv unterversichert sind.

Wir sind ja nicht die USA.

*stichel*

 
At 29 Februar, 2008 20:00, Anonymous Anonym said...

Das Psychodrama des Greg B. Grabinski

 

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