09 Oktober 2005

Geheimnisverrat und der Cicero-Fall

Totale Behördengeheimhaltung

Behörden reagieren gegenüber der kritischen Öffentlichkeit kaum so, wie es für eine freie demokratische Geselllschaft wünschenswert ist. Fast immer heißt es, "kein Kommentar" oder "keine Auskunft im laufenden Verfahren". Damit die Gleichschaltungsarbeit in deutschen Behörden nicht ganz so deutlich auffällt, wird man vielleicht noch an "Pressesprecher" verwiesen, zu deren Hauptaufgabe das Schweigen gehört.

Man kann nicht einfach Mitarbeiter eines Amtes oder Referatsleiter befragen. Wenn sie sich äußern, dann haben sie i.d.R. (!) mit harten Konsequenzen zu rechnen, selbstverständlich auch bei Lappalien, denn in eigener Sache lautet der oberste Grundsatz der deuschen Ämter:

Unterdrücken von Information.

Gegenüber der Presse herrscht in deutschen Ämtern heutzutage ein totaler Maulkorbzwang, welcher nur noch mit den Verhältnissen im Dritten Reich verglichen werden kann, nicht jedoch mit der Praxis in europäischen Nachbarländern. Den Bürgern verweigert man ein Informationsfreigabegesetz.

Schlimmer noch, es gibt in allen deutschen Behörden, in Landes- wie in Bundesbehörden die verdeckte, teils offene, Anweisung an Beamte: Keine Auskünfte an Parlamentarier. Und dies wird erschreckend konsequent umgesetzt.

Die Frage lautet: Wie sollen Parlamentarier und eine kritische Öffentlichkeit in einer Demokratie unter diesen Verhältnissen die Kontrollpflicht gegenüber Behörden wahr nehmen?

Wenn die parlamentarische Kontrollarbeit mit der Beschränkung auf ineffizient kleine und große Anfragen praktisch vollständig erdrosselt wird, wenn die demokratische Öffentlichkeit nur durch Zufälle oder Leckagen gelegentliche Informationen erlangt:

Wie können Missstände, z.B. ineffiziente Organisation und Korruption aufgedeckt und in Folge vermindert werden, wenn bei uns bei Behördenangelegenheiten eine so gut wie totale Geheimhaltung von herrscht, sogar gegenüber Parlamentariern?

Es ist z.B. bislang kaum bekannt, dass die zu betreuenden Fälle pro Fallmanager (für HartzIV-linge) seit der sogenannten "Reform" rasant angestiegen sind, dass die zu leistende Vermittlungsarbeit hier fast komplett gebrochen ist - ganz entgegen den Ankündigungen.

Agentur-Mitarbeiter dürfen darüber nicht sprechen, Journalisten können darüber kaum recherchieren, Parlamentarier können nicht an der Fraktion vorbei anfragen und direkt fragen dürfen sie schon garnicht. Ist das für unsere Demokratie gut?

Wollt Ihr die totale Behördengeheimhaltung?

Jetzt neu: "Geheimnisverrat"

Aus den oben angeführten Sorgen heraus ist es in meinen Augen um so bedenklicher, wenn unter dem Vorwand von "Geheimnisverrat" (wie heuchlerisch: als ob es tatsächlich um die Sicherheit unseres Landes ginge) massiv in die Arbeit der freien Presse eingegriffen wird, ganz besonders bei missliebigen Journalisten.

Wenn Presse mehr sein soll als das Wiederkäuen von DPA-Meldungen und Pressemitteilungen von Verbänden und Unternehmen, dann muss unsere Demokratie ein großes Interesse gerade an der freien Arbeit jener Journalisten haben, die noch recherchieren sowie an jenen, die investigativ recherchieren.

Ich habe schon seit Wochen einen Blogbeitrag zum Cicero-Fall in der Pipeline - aber bislang wurde ich nicht einig mit mir. Dazu kam: Mich machten Tonart und Herkunft des Geschreis im Cicero-Fall zögerlich, obwohl ich nicht wenige Bedenken teile. Wenn gerade die manipulativ-gegenaufklärerischen und parteilichen Teile der deutschen Presse laut schreien, dann macht mich das nun einmal vorsichtig. Zudem war mir wichtig, eine Stellungnahme des Bundesinnenministers zu hören, wo er sich seinen schärfsten Kritikern stellt. Wie hier.

Dort sagt Schily:
Ich bin lange genug im politischen Geschäft, um den investigativen Journalismus durchaus positiv zu würdigen. Ich habe auch den SPIEGEL und andere Zeitungen für diese Art des Journalismus immer gelobt und werde das auch weiterhin tun. Aber wo ist hier der Skandal, der aufzudecken ist? Ist es ein Skandal, wenn das Bundeskriminalamt ermittelt wegen Terrorismusgefahr?
Richtig: Es muss abgewogen werden zwischen der konkreten Berechtigung des Geheimhaltungsbedürfnis des Staates und dem Interesse der Öffentlichkeit an kritischer Aufklärung.

Ich meine, dass dies der entscheidende Punkt ist, und dass Schily sowie die ermittelnden Staatsanwälte sowie die beauftragende Behörde gründlich daneben liegen.

Erstens, wenn der fragliche Bericht tatsächlich hochgeheim war (im Sinne von: Geheimhaltung zwecks Schutz des Staates vor Gefahren), warum hatten ihn Hunderte von Behördenmitarbeitern vorzuliegen, wenn das Schutzbedürfnis des Staates an der Geheimhaltung angeblich so überragend war?

Zweitens, worin genau soll die konkrete und überdies strafbare "Beihilfe zum Geheimnisverrat" gelegen haben? Reicht die bloße, ansonsten unbegründete Annahme (wegen einem Leck in einer Behörde), um einem davon profitierenden Journalisten konkrete "Beihilfe" zu einer "Straftat" auf rechtsstaatlich einwandfreie Weise unterstellen zu dürfen?

Drittens, sollte das Erkenntnisinteresse der ermittelnden Staatsanwaltschaft in diesem Fall tatsächlich so weit gehen, dass diesem Journalisten Material weit über diesen Vorfall hinaus beschlagnahmt wird? Ist die Bedrohung des Staates durch die angebliche "Beihilfe zum Geheimnisverrat" so groß, dass es für diesen Journalisten keinen Informantenschutz mehr gibt, egal, was und wo dieser recherchiert? Wurde hier von der Strafverfolgungsbehörde sorgfältig abgewogen und wie hat Schily die Richtung dieser Sorgfalt beeinflusst?

Im Übrigen stimmt es bedenklich, dass der im Interview munter polternde Herr Schily die Pressefreiheit und das Redaktionsgeheimnis auf die gleiche Stufe stellt wie ein nebulöses, nicht näher begründete, staatliches Bedürfnis "seine Sphäre zu schützen". Er müsste erkennen:

Hier verdreht sich das Verhältnis von Souverän und Staat.

Schily ging es nicht um ein nachvollziehbares öffentliches Interesse, es ging ihm nicht um den Schutz der Bürger vor Gefahren, sondern darum, "seine Sphäre" zu schützen.

Fazit

Im Gegensatz zur inzwischen überwiegend parteilichen Presse in unserem Land halte ich Schily nicht für einen Demokratiefeind oder für einen skandalösen Innenminister. Es hätte schlimmer kommen können. Alles in allem hat er recht gute Arbeit geleistet, in meinen Augen etwas zu repressiv und mit zu viel Bürokratisierung verbunden, aber i.d.R. mit Augenmaß und Respekt vor den Freiheitsrechten in unserer Gesellschaft.

Jedoch:

Er hat der Demokratie mit seinem Vorgehen im Cicero-Fall und mit der Vortäuschung, dass es um einen unsere Demokratie gefährdenden "Geheimnisverrat" ginge, einen schlechten Dienst erwiesen. Es steht zu befürchten, dass die unselige und bereits demokratiefeindliche totalitäre Züge aufweisende Behördengeheimhaltung in unserem Staat damit ein neues Machtmittel zur Hand bekommt, nämlich den Verweis auf angeblichen "Geheimnisverrat".