22 Juli 2008

Politik und Märkte - einige Anmerkungen

  1. Politische Meinungs- und Willensbildung sowie die Gestaltung gesellschaftlicher Ordnung sollten nicht vorrangig gemäß den Strukturen von Marktprozessen und privatem Eigentum erfolgen, sondern sollten auf einer Basis einer verständigungsorientierten Kultur öffentlicher Kommunikation und dem Ausgleich sozialer Ungleichheit und Machtunterschiede beruhen.

  2. Es verwirrt das Verständnis des politischen Geschehens, wenn dieses allzu stark als Ausdruck von marktähnlichen Strukturen und Verhaltensweisen aufgefasst wird. Das ökonomische Auswahlverhalten von Konsumenten betrifft in erster Linie den Konsumenten selbst und seinen eigenen Nutzen ("Konsumentensouveränität"), politische Auswahlverfahren und Interventionen betreffen jedoch ungleich stärker zugleich die Interessen anderer, beispielsweise deren Freiheiten. Die Aufgabe von Politik und der von ihr gestalteten Rechts- und Gesellschaftsordnung ist zudem - ganz im Gegensatz zu Marktprozessen - für Gerechtigkeit zu sorgen.

  3. Kein Mensch ist eine Insel. Eine freiheitliche Marktordnung der Ökonomie ermöglicht den Individuen die Vorstellung und das Ausleben eines inselhaften hochindividuellen Daseins, gleichwohl ist es eine Ilusion. In jeder modernen Gesellschaft sind die Menschen in einem sehr starken Maß aufeinander angewiesen. Auch daraus ergibt sich die Berechtigung von gesellschaftlichen Interessenausgleich und Gerechtigkeit.
Die sogenannten "Leistungsträger", verstanden vor allem als als Einfluss-, Einkommens- und Vermögenselite, wären ohne die Gesellschaft um sie herum: geradezu hilflos. Würde man beispielsweise ein Dutzend solcher "Leistungsträger" auf eine karibische Insel verbringen, in einer Art moderner Robison-Crusade, so wären deren Leistungen im Bereich von Häuserbau, Fischfang und Nahrungsgewinnung, abgetrennt von der sie begünstigenden Zivilisation, aller Voraussicht nach kaum ein Deut besser als eine nicht den Eliten enstammende Vergleichsgruppe von "Nicht-Leistungsträgern". Ich würde einem Dutzend Krankenschwestern/pfleger in einer solchen Situation deutlich mehr zutrauen, als einem Dutzend Clements, Ackermänner und Sinns. Mit anderen Worten:
  • Erst die Gesellschaft macht Menschen reich und vermögend und erlaubt es ihnen, sich im Gegensatz zu den übrigen als "Leistungsträger" zu inszenieren. Daraus ergibt sich eine starke Verpflichtung, gerade für Privilegierte und besonderen Profiteure von Gesellschaft: dem Mitmenschen und der Gesellschaft gegenüber.

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1 Comments:

At 23 Juli, 2008 00:56, Anonymous Anonym said...

Wirklich spannende Anmerkungen.

Zunächst einmal: Das Inselbeispiel ist natürlich großer Quatsch. Vermutlich wurde es daher in so kleiner Schrift geschrieben. Denn in einer arbeitsteiligen Gesellschaft kann jemand große Leistungen vollbringen und unglaublich wertvoll, gar unersetzlich sein, ohne jemals ein Haus bauen oder ein Feld bestellen zu können. Insofern ist das als Kategorie natürlich wertlos.

Macht "die Gesellschaft" reich und vermögend? Nein. Sie ermöglicht lediglich einem völlig anderen Menschentypus, diesen Status zu erreichen. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft sind andere Qualifikationen für das Erreichen von Macht und Wohlstand vonnöten als in einer, die nicht arbeitsteilig ist. Waren es früher die Fähigkeit, Feinde zu töten bzw. Feldfrüchte zu pflegen, so ist es heute die Fähigkeit, Feinde zu demütigen bzw. Zahlen zu bearbeiten. Die Gesellschaft verändert also nur die Anforderungen.

Anders wird die Situation, wenn man den groß geschriebenen Punkt (3) betrachtet: Kein Mensch ist eine Insel. Jedenfalls nicht in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die dafür sorgt, dass auch jene, die den veränderten Ansprüchen nicht so sehr genügen, besser leben, als jene, die den ursprünglichen Ansprüchen in einer "primitiven" Gesellschaft durchaus entsprochen haben.

Insofern: Wir alle profitieren davon, arbeitsteilig zu leben, und wir alle sollten auch bereit sein, für diesen Profit Rücksicht zu nehmen und Opfer zu bringen. Besonders aber jene, die es durch diese Gesellschaftsform nach oben trägt, die aber in alten Gesellschaftsformen keine Leistungsträger wären und keine Opfer bringen müssten, sondern leider (man verzeihe die Anleihe an moderne Musik) Opfer wären.

 

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