21 Dezember 2005

Terror bekämpfen

Wer Terror bekämpfen will, der muss auch dort ansetzen, wo die Terroristen herkommen. Man muss die Millieus und ihr Zustandekommen kennen, man muss also z.B. Hamburg kennen. Der uns bedrohende islamistische Terror stammt oft genau aus unserer Mitte. Straßenverkehr, Feinstaub und Krankheiten sind objektiv betrachtet bedrohlicher, und doch sollten wir uns einer Hauptursache widmem: Dem Integrationsdefizit. Hier und jetzt.

Wir dürfen die Hand nicht ausschlagen, die uns von den islamischen Bürgern unseres Landes gereicht wird. Gemeinsam mit ihnen müssen wir überlegen, wie wir den Integrationsprozess gestalten. Der Historiker Michael Wolffsohn sagt:
Jeder Terrorakt ist ein Großverbrechen und muss militärisch, polizeilich, geheimdienstlich bekämpft werden. Das entbindet uns nicht der durchaus eigennützigen Pflicht, die Ursachen des Terrorismus politisch zu bekämpfen und zu beseitigen – auch selbstkritisch. Ohne zutreffende Diagnose keine Therapie. Wer bei „Terror“ immer wieder nur „Israel, Armut, und USA“ sagt, verwechselt Medizinmänner mit Medizinern.

Was tun? Weniger Geld an korrupte Eliten in Afrika, mehr Geld für Großstadtsanierungen, für Ausbildung, Arbeitsplätze, Lebensqualität und Integration von Randgruppen in Europa. Den terroristischen „Fischen“ in Europa das Wasser abgraben. Mehr Heimatschutz also als Hindukusch.
Diese Worte von Herrn Wolffsohn mögen einige Monate alt sein - veraltet sind sie nicht. Kooperation mit deutschen Muslimen kostet weit weniger als z.B. ein Militärtransportgeschwader.

6 Comments:

At 21 Dezember, 2005 13:14, Anonymous Anonym said...

Die Frage ist natürlich, ob allein ein Integrationsdefizit dafür verantwortlich ist. Die Londoner Attentäter waren relativ gut integriert (teilw. Studium / Lehrerberuf), die Mohammed Attas aus Hamburg waren auch keine "sozial benachteiligten" Randgruppen sondern entwickelten ihre Theorien / Vorhaben aus einer ganz anderen Postion heraus.

Wie der Terorismus der RAF so ist auch der Terrorismus der Islamisten oftmals allein Resultat einer fanatischen Verblendung, die die Realität anders wahrnimmt als die Mehrheit. Einem Atta und einem BinLaden wird man nicht damit beikommen in Kreuzberg zwei weitere Streetworker einzustellen.

Das Integrationsproblem würde sich in Deutschland nur durch Assimilation auflösen, was aber mehr als unwahrscheinlich ist bzw. noch Jahrzehnte dauern würde.

 
At 21 Dezember, 2005 17:57, Blogger John Dean said...

@c.lapide

Schöner Einwand!

Ich neige dazu, sowohl die Londoner Attentäter wie auch Atta als eine Art elitäre Erscheinung innerhalb eines durchaus auch auf Integrationsprobleme weisenden Problems zu betrachten. Überspitzt* formuliert: als Elite innerhalb der Integrationsdefizite. Deutlicher wird es, wenn man sich das Umfeld der Hamburger Terrorzelle betrachtet. In diesem Umfeld findet sich wirklich alles, was man "Integrationsdefizit" nennen muss.

Den Hinweis auf die RAF ist nicht verkehrt. Auch hier gab es eine starke idiologische Komponente - und auch hier war die Bedeutung des "Unterstützerfeldes" sehr stark. Das war nicht nur der Rückzugsraum bzw. der Raum für die Rekrutierung neuer Terroristengenerationen, sondern fast schon der einzige Grund, warum sich die RAF hielt. Mit dem Zusammenbruch bzw. Einschmelzen der Unterstützerszene verschwand letztlich auch die RAF.

So wie ich im Fall der RAF die Geschichte betrachte, sehe ich für den Zusammenbruch der RAF-Bewegung zwei Hauptfaktoren:

1. Einen (teils sogar ausdrücklich auf De-Eskalation zielenden) Wandel der offiziellen Politik gegenüber dem Unterstützerumfeld, dem damit zugleich die idiologischen Begründungen entzogen wurden. Es gab an Stelle wachsender Kriminalisierungen eine Politik des Dialogs und eine Entkräftungspolitik, das heißt, der Staat vermied zu guten Teilen das, was diese Unterstützerszene als Bekräftigung verstanden werden konnte. Die Hauptthese des RAF-Umfelds lief ja auf einen "repressiven Staat" hinaus, der selber Recht und Ordnung missachte. Diese These wurde widerlegt. Einzelne Akteure wurde in mühevoller Arbeit umgestimmt und zum Ausstieg bewegt.

2. Außerdem wurden Hauptakteure des Terrors (unter der Auflage politischer Untätigkeit) in die DDR ausgelagert. Ein interessanter Fall deutsch-deutscher Zusammenarbeit.Was äußerlich betrachtet vielleicht wie eine Amnestie aussah, war höchst erfolgreich. Dem Terror wurden die Protagonisten auf eine Weise entzogen, dass sich damit kein Anlass für neuen Terror bzw. eine neue Generation von Terroristen bot.

Zurück zu den Islamisten:

Es ist natürlich naiv zu glauben, dass man allein mit Integrationsarbeit und Dialog das Problem lösen kann. Aber man kommt der Lösung tatsächlich gute Schritte entgegen!

Auch Hamburg belegt dies. Die teils intensive Zusammenarbeit mit muslimischen Gemeinden, bei gleichzeitigen Verzicht auf Repression führt zu ziemlich interessanten Erscheinungen:

Einmal sieht man auf der Shia-Seite, dass dort praktisch verbindliche Fatwas gegen den Terror erlassen wurden und die islamistischen Extremisten tatsächlich aus den Gemeinden gedrängt wurden. Bei den hamburger Sunniten lief es etwas anders, hier gab es z.B. eine verblüffend intensive muslimisch-christiche Zusammenarbeit, regelmäßige gemeinsame Straßenfeste und eine massive Verstärkung der deutschen Identität der Sunniten. Inzwischen sehen diese sich mehrheitlich als "deutsche Sunniten", sprechen deutlich häufiger deutsch. Umgekehrt erhält die die deutsche Polizei bzw. der Verfassungsschutz regelmäßige und Hinweise durch die Hamburger Sunnitenszene.

Genau wie Wolffsohn bin ich nicht der Meinung, dass man deshalb auf Geheimdienste und miltärische Abwehrtätigkeit verzichten kann. Und dennoch:

Die Unterstützerstrukturen des Terrors müssen entkräftet werden, und dieser Kampf ist nicht zuletzt eben auch ein idiologischer Kampf. Hier helfen Integration und Dialog massiv. Eine bloße Reaktion nach dem klassisch konservativ-doofen Muster "mehr Härte" und "mehr Abgrenzung" wäre kontraproduktiv.

 
At 22 Dezember, 2005 22:53, Anonymous Anonym said...

Mein Vergleich bezog sich darauf, daß sowohl RAF als auch Islamisten in einer ideologisierten Sicht der Welt verfallen ("strukurell unterworfen" ;)) sind/waren, die mit der Realität nichts zu tun hat. Weder Islamisten noch die Mehrzahl der RAF hätte man mit Konzessionen vom bewaffneten Kampf abbringen können. Wie Dr. Dean schreibt, wirken solche höchsten mittelbar über die Unterstützer/ Sympatisantenszene. In meinem persönlichen Urteil war die RAF nichts anderes als eine pervertierte Verbrecherbande, die ihre Taten und ihre faktische Bedeutungslosigkeit vor sich selbst, der Gesellschaft und der Geschichte, durch sinnfreie Pamphlete und hedonistische Selbstinszenierung, die eigene Bedeutung bei weitem überschätzend, rechtfertigen wollte.

Die Verbrämung der moralischen und faktischen ("militärischen" um in der Guerilla-Sprache zu bleiben) Niederlage der RAF mit schönen Worten verbrämen (Deeskalation nach Bedrohung von "Rechts"), natürlich als Fortsetzung des Kampfes mit politischen / sprachlichen Mitteln zu sehen.
Von einer tatsächlichen Bedrohung des Staates durch Rechts zum Zeitpunkt der Auflösung kann sowieso keine Rede sein.

 
At 23 Dezember, 2005 16:52, Anonymous Anonym said...

Step aside, but: Freimarktreformern, Weltbankstrategen,Consultants und neocons in ihrer Denke, die sich zwischen Skalenerträgen und Friedman-Positionen bewegt, würde ich auch attestieren "in einer ideologisierten Sicht der Welt verfallen ("strukurell unterworfen" ;))" zu sein, das gilt auch für nahezu alle CEOs nahezu aller Weltkonzerne. Von der Alltagsrealität und den Bedürfnissen der Massen sind diese sicher nicht minder weit entfernt als die RAF von der politischen Realität.

 
At 23 Dezember, 2005 18:12, Anonymous Anonym said...

@Che
Danke für Deine Antwort, die ich sogar einigermaßen befriedigend finde. ;) Natürlich gibt es bei einzelnen sicherlich Möglichkeiten, diese zum Ausstieg zu bewegen, denn Menschen werden älter und ihre Prioritäten können sich verändern. Wenn "normale" Menschen eine entwicklung durchmachen, warum nicht auch Terroristen. Aber es gibt natürlich immer auch einen harten Kern, der sich so mit seiner "Aufgabe" identifiziert, daß Abhilfe nicht möglich ist. Einer Gudrun Ensslin hätte ich z.B. keinen Ausstieg zugetraut.

Und natürlich unterscheiden sich "rational-materialistisch" denkende Terroristen von religiösen Märtyrern, aber ich denke es gibt auch Überschneidungen. Bie der RAF fällt natürlich die Hoffnung auf Belohnung im Jenseits weg. Und ob das Bewußtsein "(...)Teil dieses Versuchs gewesen zu sein" 72 Jungfrauen kompensiert bezweifle ich dann auch.

 
At 27 Mai, 2011 18:12, Anonymous Buy Viagra online said...

Mitte. Straßenverkehr, Feinstaub und Krankheiten sind objektiv betrachtet bedrohlicher, und doch sollten wir uns einer Hauptursache widmem: Dem Integrationsdefizit. Hier und jetzt.

 

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