03 November 2012

Gedankensalat (Teil 1)

1. Es wäre doch toll, wenn sich Produktionswege finden ließen, bei denen billige und ressourcenschonende Pappe mit bionischen Konstruktionsmethoden, härtenden bzw. materialmodifizierenden Kunststoffen, neuartigen Werkstoffen (z.B. geschäumte Holzfaser/Papierfaser/Ton/Kunstoff-Materialien, faserverstärkte Verbundmaterialien, Textilbeton, Faserton, Naturpolymerverbundmaterialien u.ä.) so kombiniert werden, dass sich damit einerseits eine mittel- bis langfristige Kohlenstoffbindung und eine energieextensivere Produktion verwirklichen lässt, und damit sich andererseits der Einsatz energie/kostenintensiver und künftig immer teurer werdender Metalle deutlich reduzieren lässt, z.B. im Fahrzeugbau. Im Prinzip sollte es möglich sein, ein langlebiges, funktionsfähiges und industriell preiswert herstellbares Fahrrad aus 95% Pappe zu konstruieren, oder einen entsprechenden Leichtbau-PKW aus > 60 Gewichtsprozent Pappe-Anteil. Mir kommt es geradezu barbarisch vor, wenn relativ gering belastete Karosseriebestandteile (wie Türen, Kofferraum, Unterboden, Karosseriebestandteile, Motorhaube), aber auch Teile von Motoren (!) schwerpunktmäßig aus Metall bzw. schweren Blechen hergestellt werden.

Es sollte mehr Ingenieure wie Izhar Gafni geben.

2. Idee: metallbedampfte Fasern könnten evtl. mittels Magnetmethoden in Verbundmaterialien gezielt ausgerichtet werden zum Erhalt optimaler Verbundwerkstoffeigenschaften.

3. Im Moment würde ich nichts lieber als ein Ingenieur/Konstrukteur/Erfinder werden. Ich, alter Sack.

4. Ich sollte meine Experimentierreihe "Holz-Ton" weiterführen. Wenn ich mir meine Werkstücke so anschaue, sind die eigentlich garnicht übel geworden. Immerhin könnte ich eine harmlose, weitgehend biologische Modelliermasse anbieten, die ofenhärtbar ist und als Modelliermasse tatsächlich viel taugt.

5. Ich glaube, ich muss meine Mathematikaversion ablegen.

6. Eigentlich hätte ich gerne das Wahlergebnis bzw. meine Prognose zur Präsidentschaftswahl in den USA gebloggt. Ausgehend von der These, dass es - gegenüber den Umfragen - seitens der Demokraten eine Mobilisierungslücke von 1,5 bis 3 Prozent gibt, ließe sich eventuelle annehmen, dass Bundesstaaten wie Michigan oder Ohio überraschend an Romney gehen könnten. Im Moment macht aber Obama den Job seines Lebens, als Katastrophenmanager (das passt im Grunde genommen auch dazu, wie man seine erste Amtszeit zusammen fassen könnte). Okay, meine Prognose:

Obama. 4 more years!

Und zwar ziemlich knapp (mit noch unter 300 Wahlmännern). Ohio und Michigan gehen an Obama - und zwar superknapp. Und das ist dann genau das, was wahlentscheidend gewesen sein wird. In der Gesamtzahl der Stimmen (was ja in den USA nicht wahlentscheidend ist) wird Romney knapp vorne liegen.

Was für eine Wahl!

7. Mister "Der Markt löst alle Probleme"-Romney wird sich künftig also mit seinen "Investoren" (genauer genommen: Krisengewinnlern) wieder darauf konzentrieren müssen, Firmen profitmaximierend auszuschlachten. Das ist für die Normalbürger in den USA, sowie die abgehängte Mittelklasse/Unterschicht (welche z.B. in Detroit bei General Motors als Arbeitnehmer zweiter Klasse nur noch zum halben Lohn arbeiten) kein Grund, mit Optimismus in die Zukunft zu blicken. In den USA wird es auch in den nächsten vier Jahren zu einem flächendeckenden Verfall der Löhne und Arbeitsbedingungen kommen. Der weit überwiegende Teil "neuer" Jobs (inkl. Jobs für Universitätsabgänger) wird auch künftig unterhalb von 14 Dollar Stundenlohn liegen. Aber wird immer noch etwas besser als das sein, was das Ergebnis einer Romney-Regierung sein wird. Verblüffend ist übrigens, wie wenig die Amerikaner über die soziale Realität in ihrem Land Bescheid wissen.

Wenn die Republikaner schlau sind, haben sie in spätestens vier Jahren (also: nach Obama) die soziale Frage für sich entdeckt.

8. Es ist merkwürdig, wo manche Leute hingelangen, welche die "Sprecherposition" zu einem ihrer zentralen politischen Anliegen gemacht haben. Nämlich: Abhängig von der "Sprecherposition" (genau genommen: ziemlich dümmlich von der Hautfarbe und sexuellen Orientierung abhängig) werden Argumente, bzw. die Menschen welche diese vertreten, als Exponenten von "white whining" runtergemacht. Werden kritische Argumente gegen bestimmte Anwendungen/Versimpelungen von CWS formuliert, so gilt das vorwiegend als Ausdruck einer inakzeptablen Sprecherposition, entweder als Mann ("HERRklärung"), als Heterosexueller ("heteronormativer Kackscheiß") oder als "Weißer" Mensch ("white whining", Weißengeschwätz usw.). In meinem Fall könnten meine Ansichten seitens radikaler CW-Aktivisten als "Judengefasel" gebrandmarkt werden. Okay, so weit ist es noch nicht.

Tatsächlich aber hat sich ein emanzipativer Ansatz, der bestimmte Erfahrungswelten hörbarer und wahrnehmbarer machen soll, in beachtlichen Teilen der linken Szene in eine Art Sprech-Diktat, genauer gesagt in ein systematisches Niedermachen von Kommunikationsakten abhängig von der ideologischen Position und der zugeschriebenen Sprecherposition gewandelt.

Wie ironisch.

9. Ich habe nichts dagegen, wenn in der Linken Selbstkritik seinen Raum erhält, wenn diese aber hauptsächlich abhängig von der Hautfarbe oder der sexuellen Orientierung gemacht wird, oder sogar hauptsächlich (!) gegen jene gerichtet wird welche gegen Rassismus und Faschismus ankämpfen, dann läuft da etwas falsch. Linke Kritik ist keine Einbahnstraße, bei der die vermutete oder zugesprochene "Sprecherposition" darüber entscheidet, welche Fragestellungen und Personen kritisiert werden dürfen. Auch die gröbsten Benachteiligungen schützen nicht vor Fehlurteilen. Das Leben ist deutlich mehrdimensionaler, bei jedem Menschen - und die systematische Marginalisierung der sozialen Frage (sowie anderer Macht- und Unterdrückungsmechanismen) seitens der deutschen CW-Szene, und sei es auf dem falschen Wege der Substituierung der sozialen Frage durch eine reinweg an Hautfarbe verengte Rassismusperspektive,  halte ich für eine prinzipiell schlechte Idee.

Der solidarische Grundgedanke, dass eine große Vielzahl von Menschen (sogar: die Mehrzahl) unter gesellschaftlicher Benachteiligung, z.b. Ausbeutung, Migrantenphobie, Frauenbenachteiligung, materieller oder bildungsmäßiger Benachteiligung, Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt - und so weiter und so fort - leiden, dieser solidarische Grundgedanke geht flöten, wenn allzu sehr auf Teilaspekte abgehoben wird und am Ende Leute als Unterdrücker gekennzeichnet werden, die letztlich genauso (bzw.: fast genauso) am Arsch sind. So belebend, hilfreich (und zwar: als zusätzliches Analysetool) CWS ist:

Die Verwechslung dieser Ansätze mit einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive ist ein Fehler. Genauso ist es ein Fehler, auf der Basis von CWS eine innerlinke Entsolidarisierung voran zu treiben.

Auch lassen sich (übrigens: ungemein wichtige) Fragestellungen von Wirtschaftspolitik und Sozialmodell nicht vorwiegend auf Basis von CWS beantworten. Der Faden der Geschichte rollt sich eher von der anderen Seite auf, denke ich. Dazu ein kleines Beispiel: Schaut mensch genauer hin, wie sich die Lage der Frau in der Gesellschaft in den skandinavischen Ländern z.B. von unserem eigenen Land unterscheidet (die Unterschiede sind sehr deutlich!), dann liegt ziemlich viel Wahrscheinlichkeit in der Annahme, dass beispielsweise eine aktivierende (und an den Anliegen von Beschäftigten wie Erwerbslosen orientierte) Beschäftigungspolitik ein Riesenpotential hat - im Sinne emanzipativer Vorstellungen.

10. Ich halte die Entwicklung bzw. Lage von älteren Frauen auf dem Arbeitsmarkt, sowie die konkrete Lage von Hochschulabsolventen und Migrantenkindern, für ausgezeichnete Indikatoren für die allgemeine soziale Entwicklung in einem Land. Das "Näher-Hingucken" und genaue Betrachten von Verhältnissen halte ich für deutlich bedeutsamer als der ewig "linke" Szene-Kampf um Sprachregelungen.

11. Um meine Position noch einmal zuzuspitzen: Jemand, der in wenigen Jahren drei neue Gewerkschaftsmitglieder geworben hat, hat in meinen Augen mehr für den gesellschaftlichen Fortschritt geleistet als jemand, der in 30 linken AntiFa- oder AntiRa-Gruppen oder -Kongressen das Wort "people of colour" umfassend erläutert und durchgesetzt hat. Ein integratives Musikprojekt für Geflüchtetenjugendlichen, welches z.B. Hausaufgabenhilfe und kollektives Containering beinhaltet, bietet mehr Potential für eine Verbesserung der Lebensumstände als 100 erfolgreich durchgeführte Kurse über solche Klassiker wie Mansplaining, "heterosexuelle Matrix" oder "schwarze Geschichtsschreibung".

Doch, tatsächlich.

Diese Argumentation möge bitte nicht so verstanden werden, dass ich die Beschäftigung mit solchen Themen für völlig nutzlos oder gar abseitig halten würde. Mein Punkt ist:

Es gibt noch jede Menge anderer Themen. Und so sehr das gemeinsame Übelnehmen zu den unaufgebbaren innerlinken Traditionen zu rechnen ist, es ist vermutlich keine so blöde Idee, einfach anzuerkennen, dass es jede Menge anderer wertvoller linker Tätigkeitsbereiche gibt, die wirklich lohnenswert sind.

12.  Es liegt nicht sehr viel Fortschrittspotential darin, wenn die Mehrzahl linker Aktivisten eigentlich ziemlich selbstverständliche bzw. akzeptable Dinge bei sich als "privilegiert" oder "ungerechtfertigt" ansehen, die eben kein Privileg sein sollten.

Darüber hinaus: Gesundheit, Jugend, Attraktivität, Bildungsniveau, Intelligenz, sexuelle Vorlieben, Alter, berufliche Position, Herkunft der Eltern, Hautfarbe, Kleidergröße, Begabungen, psychische Verfassung, Kontostand, Wohnort, Kindheitserfahrungen, Freundes- und Bekanntenkreis - all dies mögen je nach Betrachtungsweise wirksame "Privilegierungen" bzw. tatsächlich relevante Ungleichheitsquellen sein. Es kommt imho wesentlich darauf an, wie sich diese Faktoren bei einem Menschen konstituieren.

Vorhandene "Privilegien" können mitunter einzelne Benachteiligungen in der Summe aufwiegen (womit die Benachteiligungen zwar nicht verschwinden - aber eben leichter werden). Es gibt auch Menschen, die ihre jeweilige Benachteiligungslage deutlich weniger spüren (oder sogar garnicht), obwohl sie z.B. "dunkelhäutig" sind. Es hängt ziemlich viel auch an der konkreten Ausformung einer Benachteiligungslage, und auch am konkreten Erfahrunghintergrund. Es wird noch nicht sonderlich viel von einem Menschen gewusst, wenn sich dieser als "frauisiert, weiß" oder als "people of colour" zu erkennen gibt.

Nicht einmal darüber, inwieweit dieser konkrete Mensch sich in einer eher privilegierten oder benachteiligten Position befindet.

(die Welt ist kompliziert)