12 Mai 2007

Ein Brief an einen Borgia

Geliebter Sohn! Eure Eminenz!

Es ist etwa eine Woche her, daß in den Gärten des Signor Giovanni de Bichi eine Festlichkeit stattfand und eine große Anzahl als leichtfertig verschriener Frauen Sienas dort zusammenkamen, um sich in Anwesenheit Euer Eminenz Lustbarkeiten hinzugeben, die mit näherem Namen anzuführen mir meine Scham verbietet. Eure Eminenz nahmen von der siebzehnten bis zur zweiundzwanzigsten Stunde, wenig eingedenk Ihres erhabenen Amtes, an dem unchristlichen Bacchanal teil. Um die Schande vollzumachen, waren die Gatten, Brüder, Väter und Vettern der jungen Damen von der Teilnahme an dem Gelage ausgeschlossen, die Lust Euer Eminenz und einiger weniger Auserwählter nicht zu stören. – Ich vermag meiner Empörung und meinem Mißfallen kaum die geziemenden Worte zu finden. Hier in Petriolo, einem von Geistlichen und Laien in der gegenwärtigen Jahreszeit stark besuchten Bade, ist das eines Kirchenfürsten unwürdige, zügellose Betragen Euer Eminenz zum Tagesgespräch geworden. Die Kleriker schämen sich Euer Eminenz Genossenschaft, und die Laien abstrahieren von Eurem frivolen Wandel auf das Leben der Geistlichkeit insgesamt. Selbst Wir, der Statthalter Christi auf Erden, geraten in Gefahr, der allgemeinen Verachtung, dem Spott und Hohn der Welt anheimzufallen, da Wir Euer Eminenz sittenloses Gebaren zu dulden scheinen. Das Maß Unserer Nachsicht ist aber am Überlaufen, und Wir bitten Euer Eminenz ein allerletztes Mal, in sich zu gehen und Buße nicht nur zu geloben, sondern zu tun. Euer Eminenz haben einen Sitz unter den Räten des Heiligen Stuhles, wozu Euer Eminenz Klugheit, Tatkraft und Wissen Sie gewißlich befähigen. Möge aber Euer Eminenz bedenken, wie sehr die Autorität der Kirche gemindert wird, wenn ein Baumeister, ausersehen, sie zu stützen, fortgesetzt Steine aus ihren Mauern löst und endlich den Turm selbst zum Einsturz bringen wird. Euer Eminenz sind noch sehr jung, neunundzwanzig Jahre, aber nicht mehr so jung, um den ganzen Tag auf nichts als Wollust zu sinnen. Wir vermahnen Euch streng, aber väterlich und zeichnen als

Petriolo, 11. Juni 1460 Pius II.

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