18 April 2007

The Clash of Civilizations

Haben wir ihn jetzt?

Ich meine heute, wo die allgemeine Nachrichtenlage einen beachtlichen Amoklauf (Hintergründe) hergab, einen Anschlag, dazu ein abgemurkster Bürgermeister und ein Ultimatum. Nö. Es gibt keinen tiefergehenden "Clash of Civilizations" im Sinne von Kulturkampf. Alles Quatsch.

1. Wir haben nach wir vor "the Clash". Gute Musik ist das. Ich mag sie.

2. Wir haben unabhängig von guter Musik eine ganz brauchbare Zivilisation, wo m.E. eine Aufgabe ist, sich immer wieder neu um Zivilisierungen und Fortschritt zu bemühen.
Are you taking over
are you taking orders?
are you going backwards
or are you going forwards?
3. Wir haben jede Menge Gegensätze, hier wie woanders, sogar gewalttätige. Ich sehe vor allem den Zusammenprall zwischen arm und reich, bei uns und erst Recht im weltweiten Maßstab. Oft genug gibt es Clashs mit staatlichen Institutionen. Konzerne und Umweltschutz. Bildung und Demokratie. Irak. Gleichberechtigung. Bürokratie. Soziale Schutzrechte. Meinungsfreiheit. Viele Stichwörter. Die Zivilisierung des Kapitalismus: Das ist ein ganz großes Thema, jedenfalls dann, wenn man es mit der Menschenwürde ernst meint.

Dazu kommt, wie man an den Anschlägen sehen kann, eine Notwendigkeit für die Zivililisierung der inneren Kultur, und sei es, dass diese z.B. mit allgemeinen Waffenverboten herbeigeführt werden muss. Ich verstehe viele Amerikaner, die sich mit einem Waffenverbot schwer tun.

Denn so ein Verbot ist nicht einfach durchzusetzen, auch in Europa ging das nicht von heute auf morgen. Ja, es mag zunächst unbefriedigend wirken, wenn man diese Selbstverständlichkeit, nicht einfach mal 30 Leute niederzuknallen, mit Zwang durchsetzen muss. In den USA gibt es auf 1000 Einwohner z.tZt. 9,97 Tote infolge Schusswaffengebrauch (bei angenommener Lebenszeit von 70 Jahren), dazu zahlreiche Verletzte, bei uns 0,87 Tote auf 1000 Einwohner, in England 0,29.

Nur, realistisch betrachtet, die Amerikaner müssen nach der nächsten Präsidentenwahl (ich meine: Barack Obama wird Präsident) abwägen, einerseits zwischen der täglichen und zu hohen Mordfrequenz, der schusswaffenbedingt hohen Selbstmordrate, und andererseits einer tief empfundenen Freiheit, die für viele Amerikaner in einem Zugang zu Waffen zu liegen scheint. Amerika ist auf einem guten Weg:
Wie die Universität von Chicago unlängst in einer Studie ermittelte, ist die Zahl der amerikanischen Haushalte, die eine Schusswaffe besitzen, in den vergangenen 30 Jahren von 54 auf 30 Prozent geschrumpft. (Quelle)
Ich persönlich fühle mich nicht unfrei, weil ich mir nicht einfach so eine tödliche 9 mm-Schusswaffe besorgen kann. Unfrei würde ich mich z.B. fühlen, wenn ich abends beim Spazierengehen mit bewaffneten Gangs zu rechnen hätte. Oder damit, wenn meine pubertierende Tochter gerade verlassen wird, und eine Knarre im Nachtschrank hätte.
Staaten mit einem besonders liberalen Waffenrecht wie die USA und die Schweiz stünden in den Selbstmordstatistiken weltweit ganz oben, berichteten Vladeta Ajdacic-Gross und seine Kollegen von der Universität Zürich im "American Journal of Public Health". In Ländern, welche die Verfügbarkeit von Schusswaffen in den vergangenen zwei Jahrzehnten eingeschränkt hätten, sei die Zahl der Selbstmorde mit Schusswaffen nachweisbar gesunken. (Quelle)
4. Ach ja, und dann soll da ja noch irgendwo der "Kampf der Kulturen" sein. Kann ja sein. Für mich gibt es da z.B. einen Kampf der Musikkulturen. Das ist ein Thema, dass mir wirklich wichtig ist. Es gibt natürlich noch andere wichtige Kulturkämpfe, zwischen alt und neu, z.B. zwischen etablierter Hochkultur und unabhängig-frischer Independent-Kultur. Beides? Ach, und irgendwo auf der Welt, die mir dann immer gleich so fern erscheint, gibt es auch religiös aufgeladene Kulturkämpfe.

Der angebliche Fundamentalgegensatz zwischen "den" Religionen ist nicht mein Hauptthema, ganz und gar nicht. Welcher belanglose Trottel nochmal? Huntington? Egal. Ich halte solche Ideen in erster Linie für mindfuck von Militaristen. Danke fürs Zuhören.
(Bild by Pixelio)

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2 Comments:

At 22 April, 2007 07:35, Anonymous Anonym said...

9,97 Tote durch Schussverletzungen auf 1000 Einwohner in den USA, da kann man doch gleich jeder Hundertste sagen - gegenüber ~jedem Tausendsten In Deutschland.

Das interessante an diesen Zahlen ist, dass sie ziemlich genau mit der Quote der Inhaftierten übereinstimmt. Obwohl also die USA zehnmal soviele Menschen in's Gefängnis werfen, ist es bei uns denoch sicherer. Die amerikanische Justiz setzt nicht auf Besserung und Resozialisierung der Straftäter, sondern auf deren Bestrafung und Ausbeutung durch einen expandierenden privatisierten 'prison industrial complex'.

Todesstrafe, Hochsicherheitsgefängnisse, 'three strikes and you're out' Gesetze (lebenslänglich auch bei leichten Straftaten), privatbetriebene Gefängnisse, die massiv Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen, den Bedarf an Zwangsarbeitern nachhaltig zu sichern...

Amerikaner leben unter einer fast unglaublich hohen Repression. Es wird einer amerikanischen Perestrojka bedürfen, dieses Regime der Gewalt zu beenden.

 
At 22 April, 2007 12:35, Blogger John Dean said...

@2020

"Regime der Gewalt" ist in meinen Augen ein zu hartes Wort, aber tatsächlich: Es bildet den Lebensalltag in zahlreichen, sozial schwachen Gegenden in den USA ab.

Insgesamt halte ich jedoch den Begriff "Kultur der Gewalt" (bzw. "Culture of violence" mit über 400.000 Google-Treffern) für besser, zumal dieser Begriff auch die inneramerikanische Diskussion abbildet.

Oops!

War ich etwa schon wieder "antiamerikanisch"? Naja, aus dem Blickwinkel hysterisch proamerikanischer deutscher Blogs ist praktisch alles "antiamerikanisch", was der Diskussion und Meinungslage der amerikanischen Demokraten entpricht.

 

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