02 Juni 2006

Franz Oppenheimer und die Freilandtheorie

Ein Leben aus dem Irrtum heraus kann Licht ausstrahlen. Franz Oppenheimer (u.a. der von Ludwig Erhhard verehrte Lehrvater) ist ein Beispiel dafür. Der Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Laufbahn war ein Riesenirrtum, seine Freilandtheorie: Ein Irrlicht, dem er bis zum Ende seiner Tage nachjagte. Ein Irrtum, aber wichtiger war seine Neugierde, seine geistige Offenheit, das hoffnungsfrohe Leuchten des Kometenschweifs, das Franz Oppenheimer verbreitete. Hier lesen wir aus seiner Biografie die Geschichte, wie er zu seinem lebensbestimmenden Irrtum fand:
"Meine Kritik an Hertzkas „Freiland“ hatte bewiesen, daß der von ihm vorgeschlagene Weg ungangbar war. Aber ich begnügte mich nicht mit der Negation, sondern ich zeigte einen anderen gangbaren Weg (...): "Freiland in Deutschland“. Ich behauptete, daß es möglich sei, zum Ziel zu gelangen (...) Um dieses Argument kreisten meine Gedanken rastlos; (...) Und da kam mir in einer unvergeßlichen Nacht Ende 1893 die blitzartige Erkenntnis, die über mein Leben und Streben entschied, sozusagen der Augenblick der „Gnadenwahl“. Von da an war ich im wörtlichsten Sinne des Wortes „besessen“: ein Gedanke von ungeheuerster Tragweite hatte von mir Besitz genommen; ich gehörte nicht mehr mir, meiner kleinen empirischen Person, sondern fortan nur noch der Sache. (...)
Die Freilandtheorie, die er anschließend schildert, lohnt die Darstellung nicht, nicht einmal die recht einfache Wiederlegung. Aber genau dieser prägende Moment des Irrtums packte und bewegte den Arzt Franz Oppenheimer Wirtschaftswissenschaftler zu werden:
(...) Mit dieser Erkenntnis hatte ich den Anfang des Fadens ergriffen, (...) Ich habe dazu geschrieben: „Wie man in dunkler Nacht im Gebirge in einem Wetterleuchten eine ganze Kette von Gipfeln und Gletschern vor sich sieht, so sah ich damals in einem einzigen Augenblick die ganze Arbeit meines Lebens scharf vorgezeichnet vor mir.“ Es hat dann fast ein Menschenalter gedauert, bis ich diese Arbeit vollenden konnte, harte und schwere Jahre, namentlich im ersten Jahrzehnt, wo mir kaum das geringste Echo zurückkam, wo ich in geradezu vernichtender Einsamkeit meinen Weg zu gehen hatte. Oft und oft, wenn sich in schlafloser Nacht meine letzten Ergebnisse mir nackt und bloß, sozusagen brutal, plötzlich vor die Augen stellten, fragte ich mich zu Tode erschreckt, ob ich nicht vielleicht doch in schwerem Irrtum, ob ich nicht vielleicht doch geistesgestört sei, wie meine ersten Kritiker es zuweilen andeuteten. Dann fragte ich mich: „Wie kamst du zu diesen Sätzen?“ Ging zurück auf ihre Voraussetzung und wieder auf deren Voraussetzungen und so fort bis auf meine grundlegenden Feststellungen, um zuletzt, in kaltem Schweiß gebadet, aufzuatmen und mich zu getrösten: „Und wenn die Welt voll Teufel wär‘, es ist doch richtig!“
Leider nein. Oppenheimers sogar recht simple Fundamental-Irrtümer (u.a. der von ihm postulierte Preismechanismus) sind lehrreich in Bezug auf auf die grundsätzliche Schwäche der theoretischen Wirtschaftswissenschaften:

Die verheerende Leichtigkeit von Deduktionsfehlern.

Schnell werden wesentliche Einflussfaktoren verkannt oder falsche Ursache-Wirkungsketten postuliert. Tja, und am Ende dominiert die weltanschauliche Orientierung über die Wissenschaft,... bei Franz Oppenheimer war es sein brennender Wunsch nach einer gerechten Bodenordnung.

Ein dummer Irrtum macht einen großen Wissenschaftler nicht zum Idioten. Ein Wirrkopf aber verachtet den ganzen Wissenschaftler wegen einzelner Irrtümer. Besser, man prüft und trennt das Gute vom Falschen.

Meine Leseempfehlung: Die Online-Memoiren von Franz Oppenheimer.

5 Comments:

At 02 Juni, 2006 08:19, Anonymous Anonym said...

Lieber Dr. Dean,

Sie shen mich verwirrt -

War der Mann der geistige Vater der Freilandhaltung von glücklichen Hühnern, also in etwa der Grossvater des Bio-Ei ?

Herzlicher Gruß,

der Lebemann

 
At 02 Juni, 2006 12:59, Blogger John Dean said...

@Lebemann
Ja, kommt in etwa hin. Oppenheimer ging es um die Bio-Gesellschaft und Bio-Ökonomie mit glücklich gackernden und freien Arbeitnehmern.

Er ging bei seiner "Freiland"-Theorie von richtigen Beobachtungen und eigentlich richtigen Ideen aus:

1. Eine ungerechte Bodenordnung (Großgrundbesitz u.a.) fördert Landflucht. Dieser Zusammenhang war zu der Zeit, die Oppenheimer betrachtete, tatsächlich ein bedeutender Faktor für die damalige Arbeitslosigkeit und Armut unter den Industriearbeitern.

Dies wurde von Oppenheimer in Form einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit übergeneralisiert.

2. Oppenheimer, der als Arzt viel Armut und Krankheit kennen gelernt hatte, wollte die Ursachen der Krankheit überwinden, die Entwurzelung und Schutzlosigkeit der Besitzlosen. Um zu einer gerechten Gesellschaft zu kommen, richtete der Stadtskeptiker seinen Blick auf Bodenreform und Genossenschaftswesen. Er ging davon aus, dass das Agrarwesen am Anfang der Wirtschaftsordnung stehe - und von dort aus die Gesellschaft zu reformieren sei, zumal die damalige Gesellschaft noch ein recht starkes agrarisches Gepräge hatte.

3. Mit seiner "Freiland"-Theorie meinte er einen Weg gefunden zu haben, um die "Bodensperre" aufzuheben, den Ausschluss der Besitzlosen vom Landbesitz. Mit seiner Theorie gewappnet hielt er es für möglich, schrittweise "Freiland" erobern zu können - für eine neue und gerechtere Gesellschaft.

Oppenheimer hat, der streckenweise eine brillanter Empiriker und Theoretiker war, hat sich in seiner Lieblingstheorie gleich mehrfach verhauen. Er ging von Bedingungen aus, die zeitgebunden waren und sich daher nicht für allgemeine ökonomische Gesetze eigneten, beispielsweise:

* Er nahm an, dass gerecht organisierten Genossenschaft dauerhaft höhere Löhne für die Arbeitnehmer ermöglichen können.

* Er unterschätzte den Einfluss von Knappheit und Erwartungswert auf den Bodenpreis, und überschätzte den Einflusss der Grundrente des jeweiligen Besitzers.

* Er isolierte und betrachtete zu wenige Einflussfaktoren, sodass er - in eigentlich korrekter Deduktion - zu fürchterlich falschen Ergebnissen kam.

Für mich besteht der Clou in der ökonomischen Ideengeschichte des Franz Oppenheimer darin, wie schnell sich ein gleichzeitig guter Empiriker und guter Theoretiker im Bereich der Wirtschaftswissenschaften vertun kann. Erstaunlich!

Oppenheimer ging im Prinzip von den gleichen Gesetzmäßigkeiten aus, auf deren Basis Dampfplauderer wie Sinn/Miegel ihre angeblich "wissenschaftlichen" und unumstößlichen Ansichten begründen.

Oppenheimer war im Vergleich ein weitaus besserer Kopf, brillanter als viele der heutigen Wirtschafts"wissenschaftler", die dem allgemeinen Publikum ihre unumstößliche Lehre vom Heil aus fallenden Löhnen und Schutzvorschriften darbieten...

Vielleicht kann man ihnen nicht mal einen Vorwurf machen. In den Wirtschaftswissenschaften haben wir (heute noch!) überwiegend nur Halb- und Dreiviertelwahrheiten zur Verfügung. Wenn man auch nur drei oder vier Schritte lang auf dieser Basis Schlussfolgerungen zieht, "sauber deduziert" (lol) landet man mit seinen Endresultaten mitten im trübsten Unfug. Die Diskussion um Schui, die Du vielleicht mitbekommen hast, die hat das schön gezeigt. Vorschnell werden aus scheinbaren oder tatächlichen Ähnlichkeiten ganze Gesetzmäßigkeiten aufgestellt.

Der Fall des klassisch marktwirtschaftlich denkenden Franz Oppenheimer lehrt: Ökonomie hat als Wissenschaft große, allergrößte Tücken.

Ich weiß nicht, ob ich wirklich berufen bin, etwas zur Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften zu sagen, aber m.E. ist der Fall Oppenheimer sehr geeignet, um darzustellen, wie stark Ideologien und implizite Basisdogmen den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess in den Sozialwissenschaften
a) leiten
b) deformieren.

Lebemann, Oppenheimers Tagebuch ist wirklich lesenswert!

 
At 02 Juni, 2006 13:36, Anonymous Anonym said...

Lieber Dr. Dean,

herzlichen Dank für diesen guten Exkurs !

Bezüglich der so genannten "Wissenschaftler" in den so genannten "Wirtschaftswissenschaften" gibt es zwei gute Aphorismen.

1. Wirtschaftswissenschaft ist die Wissenschaft die vergeblich nach dem sucht was Wissen schafft.

2. Jeder Volkswirt steht auf dem Scheiterhaufen seiner Modelle.

Merke : erkünstelte bzw. von ihren Profiteuren auf den staatlich alimentierten bzw. von der Wirtschaft gesponsorten Lehrstühlen frei erfundene so genannte "Wissenschaften", darunter fallen imho unter anderem die so genannten "Wirtschaftswissenschaften", "Sozialwissenschaften" und "Kulturwissenschaften" etc. sollte man so ernst nicht nehmen.

Schaut man sich die Basis der jeweiligen "Forschung", "Lehre" und "Wissenschaft", nämlich die Grundannahmen ihrer Modelle an, findet man von zum Kreischen komischen bis handwerklich inkompetenten Grundlagen und methoden so ziemlich alles was das Herz begehrt.

Und wie in der IT gilt hier: "Garbage in, garbage out".

Es grüßt,

der Lebemann

 
At 02 Juni, 2006 16:02, Blogger John Dean said...

Eigentlich sind die Wirtschaftswissenschaften die "deutschesten" Wissenschaften: Die Politikempfehlungen aus dierer Ecke bestehen in ihrer wissenschaftlichen Substanz oft aus Gesetzen im Sinne von Verordnungen und Vorschriften (also etwas typisch Deutsches *g*), und selten nur um empirisch prüfbare Gesetze im Sinne von Naturgesetzen!

Viele makro- und mikroökonomische Auffassungen wurden nicht entdeckt, sondern doktrinär erlassen, inklusive der Behauptung, dass "privat" begründete Vertragsabhängigkeiten stets Ausdruck reinster Freiheit seien.

 
At 31 Mai, 2011 17:30, Anonymous Cialis Online said...

Die Freilandtheorie, die er anschließend schildert, lohnt die Darstellung nicht, nicht einmal die recht einfache Wiederlegung.

 

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