Leseempfehlung: Ein Musterbeispiel an Besonnenheit und zudem auf der Höhe seiner Zeit zeigte sich Peter Glotz 1977 in einem Interview.
Der Morgen - Gedanken zur Zukunft
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23 Juni 2008
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3 Comments:
Vieles Intelligentes darin, aber auch viel unglaublich Dummes.
"Illegitime Gewalt wird in der Bundesrepublik nicht ausgeübt, auch nicht im Ansatz. ... Natürlich mag es im Einzelfall Übermaß-Reaktionen von Staatsorganen geben, etwa bei der einen oder anderen Demonstration gegen Kernkraftwerke oder bei der Beschlagnahme von irgendwelchen Papieren in einem Asta."
Das sehe ich - inzwischen - deutlich anders. Die RAF-Terroristen wurden zu Staatsfeinden erklärt die es zu vernichten galt. Es wurde mit aller zur Verfügung stehenden Gewalt gegen sie vorgegangen und man schloss jeden ein den man als Sympathisant zu erkennen glaubte. Selbst als man die erste Generation zerschlagen hatte, die meisten entweder tot oder im Gefängnis waren, musste man noch Sondergesetze erlassen und die Gefangenen im Gefängnis zu grunde richten - weil man nicht in Lage war in einem rechtstaatlichen Verfahren über sie zu richten. (Die zweite RAF-Genration war eine direkte folge der Handlungen dieses Staates)
Diese Gewalt als Form des autoritären herrschen erleben wir (wenn auch dankenswerterweise in abgeschwächter Form) noch heute.
Demokratie und Rechtsstaat werden (punktuell) zu dem Zeitpunkt über Bord geworfen, wenn jemand diese ernsthaft in Anspruch nehmen will.
p.s.: Orte sind Symbole. Ich fahre jeden Tag in der Nähe des Ortes vorbei, an dem Petra Schelm per Schuss in den Kopf getötet wurde. Gut dieses Symbol jeden Tag vor Augen zu haben.
Danach folgten in Berlin Georg von Rauch (ebenfalls Kopfschuss), Thomas Weisbecker in Augsburg (Schuss ins Herz), Holger Meins (Folge eine Hungerstreiks - nach mehrjähriger Isolationshaft), Katharina Hammerschmidt (Tod durch Krebs - nach Entlassung aus Isolationshaft), natürlich Meinhof, Baader, Ensslin, Raspe, Ingrid Schubert (offiziell Suizid - nach mehrjähriger Isolationshaft sowie Schauverfahren), Möller (offziell Suizid-Versuch), Michael Knoll (erschossen), Willi-Peter Stoll (erschossen), Elisabeth von Dyck (erschossen) sowie zahllose andere die nie RAF-Mitglied waren aber bei irgendwelchen Polizeiaktionen getötet wurden.
Hinzu kommen all die kleinen und großen Sauereien, das treten des Rechtsstaates mit Füßen, die weiße Folter, die Unterdrückung, Diffamierung und Kriminalisierung von Opposition.
Dann kann man noch über die reden, die in Pre-RAF Zeiten von der Polizei erschossen wurden oder jene die Dutschke ähnlich sahen und dafür büßten mußten.
Wenn das keine "Illegitime Gewalt" war, wenn das legitim ist, dann war auch die RAF legitim.
p.p.s: Ganz besonders bitter finde ich inzwischen in diesem Zusammenhang das bei Erwähnung der Anschläge auf Amerikanische Militär-Einrichtungen durch die RAF nicht ein Wort des Zusammenhangs verloren wird. Es war nicht zu letzt die nicht vorhandene Auseinandersetzung mit dem Krieg in Vietnam, nein der halb-offenen Unterstützung dieses Krieges durch die BRD, die zu einer Radikalisierung geführt hatte. Nicht ein Wort wird verloren über Millionen von toten Vietnamesen.
Der Fall Hammerschmidt ist besonders exemplarisch (mit all den Verdrehungen durch die ZEIT):
http://www.zeit.de/1976/39/Anklage-gegen-den-Anklaeger?page=all
Über die Stelle mit den "Übermaß-Reaktionen" stolperte ich auch - und gerade im Zusammenhang mit dem Umgang mit dem RAF-Umfeld, aber auch in Bezug auf die Terroristen, wirkt dieser Begriff verharmlosend und unangemessen.
Wenn man aber den Kontext sieht, bin ich geneigt, ihm im Wesentlichen Recht zu geben, jedenfalls verstehe ich ihn so:
Glotz sagt, dass (anders als es die RAF und ihre Sympathisanten meinten) der deutsche Staat im Wesentlichen ein Rechtsstaat sei und der Schutz des Bürgers vor illegitimer staatlicher Gewalt hier weitgehend verwirklicht war.
Das mag vor dem Hintergrund der teils überaus schäbigen Krimininalisierung der RAF-Unterstützer-Szene falsch oder sogar grundfalsch wirken, aber das große Bild, der Blick auf die Gesellschaft insgesamt stimmt. Es wurde ja auch nicht Opposition insgesamt unterdrückt (wohl aber behindert - teils systematisch).
Gegen Glotz kann man sagen, dass es einen geradezu systematischen Missbrauch von Staatsgewalt gab, z.B. im Umgang mit der linken Szene.
Da klingt dann "Übermaß-Reaktionen" verharmlosend, allerdings beschreibt Glotz ja auch, dass er die "harte Linie", wie sie von den sogenannten Bürgerlichen gefordert wurde, ablehnt, und zwar sehr deutlich.
Es wird darin klar, auch an anderen Stellen, dass Glotz sich der Probleme bewusst war - und seine nun wirklich besonnene und an Fairness orientierte Reaktion u.a. zum Mescalero-Brief, inmitten in einer öffentlichen Stimmung der Hetze, ist von bewundernswerter Prinzipientreue und Liberalität.
Insofern stört mich ein vereinzelter falscher Zungenschlag nicht viel, den man als Zugeständnis an die Zeit werten kann, jedenfalls nicht in diesem Interview.
Für unser hier und heute würde ich mir Rechtspolitiker wünschen, die soviel Rückgrat und Besonnenheit haben, wie es dieser Glotz damals demonstrierte.
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