28 Juni 2008

Kein Austieg aus dem Ausstieg

Manchmal ist es merkwürdig. Da schreibe ich einen wilden Rant über die Energiepolitik von Gabriel, war mir sogar vollendet sicher, ihn wegen seiner Politik wie seine Kabinettskollegen "dumm" nennen zu dürfen, und schon kommt er mit einem vernünftigen Vorschlag, der beinahe so wirkt, als ob er hier mitgelesen hätte. Die von ihm vorgeschlagenen "Brennelemente-Steuer" ist - im Tausch gegen eine intelligente Laufzeitverlängerung für Atomstrom - gut überlegt. Gleiches gilt für seine Begründung, mit der er am prinzipiellen Ausstieg aus der Atomenergie festhält, den er als Beitrag zur Befriedung von Gesellschaft und als verwirklichten Mehrheitswillen für schützenswert hält.

Erfreulich: Ich sehe mich gezwungen, mich von einigen Vorurteilen zu trennen. Sollte Herr Gabriel in den kommenden Wochen auch noch das Thema Haftungsrisiken (die bislang von der Gesellschaft getragen werden) zur Begründung seines unveränderten Festhaltens am Atomausstieg angeben, dann schreibe ich ihm einen lobhudelnden Brief, und mehr noch, werde in dieser SPD aktiv.

Labels:

9 Comments:

At 29 Juni, 2008 13:32, Anonymous Anonym said...

Das ist einer der größten Fehler den man machen kann, ein Mitglied einer Regierung eines Staates (egal welcher) für dumm zu halten. Wenn man für seine Klientel regiert ist das Label "unfähig" sooooviel praktischer als "korrupt".

 
At 29 Juni, 2008 23:16, Anonymous Anonym said...

Ich bin auch der Ansicht, dass das bisherige Festhalten der SPD am hauptsächlich von den Grünen durchgesetzten Atomausstieg beachtlich ist. Eventuell sogar die einzige mir einfallende respektable Leistung der Sozialdemokraten seit Jahren. Ich frage mich schon seit Längerem, ob es da vielleicht eine Abmachung gab, in der die SPD in diesem Punkt über Rot-Grün hinausgehende Vertragstreue versprochen hat, und aufgrund derer die Grünen im Gegenzug 1998-2005 relativ bereitwillig jede Menge Kröten geschluckt haben.

Was es allerdings dein Versprechen eines möglichen SPD-Beitritts betrifft: Das meinst du doch hoffentlich nicht wirklich ernst, oder? So naiv, auf das was momentan alles *gesagt* wird, hineinzufallen bist du doch nicht wirklich? Stichwort Mindestlohn: Die SPD hatte sieben Jahre Zeit den von ihr nun angeblich so vehement geforderten Mindestlohn unmittelbar umzusetzen, ohne dass der Bundesrat zustimmen hätte müssen.

Zugleich hätte es auch damals sehr gute Gründe gegeben, es zu tun. Gib daher acht, nicht auf taktisch dahergesagte Dinge hineinzufallen, selbst wenn sie inhaltlich stimmen sollten. Bedenke, dass diese Partei, dieser dank absoluter Seeheimer-Dominanz größtenteils korrupte und unverhohlen menschenverachtende 90-prozentige Wurmfortsatz der CDU, sehr, sehr, sehr, sehr viel mehr tun muss, damit sie wieder eine Chance verdient.

Gruß
Ben

 
At 29 Juni, 2008 23:39, Blogger John Dean said...

Eben. Stichwort: Dominanz des Seeheimer Kreises. Antwort: Gegenwehr.

Vielleicht schaffe ich es ja, und man sieht demnächst in der SPD eine "linksliberale Plattform".

Jedenfalls halte ich es für notwendig, die Ochsen in dieser Partei vom Eis zu schubsen und dafür zu sorgen, dass die SPD mehr ist als der bürgerfeindliche Wurmfortsatz von Geldinteressen.

Wenn nicht jetzt - wann dann?

 
At 30 Juni, 2008 12:55, Anonymous Anonym said...

> Wenn nicht jetzt - wann dann?

Öhm, gar nicht? Parteien, insbesondere die SPD, sind Top-Down organisiert. Du darfst das Wort "Parteisoldat" *WORTWÖRTLICH* nehmen, bis hin zum normalen Abgeordneten. Du empfängst Befehle, Punkt. Muckst du zu oft auf (und schon das erste Mal kann "zu oft" sein), gibt es "Management by Spargel".

Um das grundlegend zu ändern, bräuchtest du mindestens schon mal ein Netzwerk, was du schlicht und einfach nicht hast. Du kannst es mangels entsprechender linksliberaler Leute auch nicht mehr aufbauen, die sind *ALLE* gegangen.

Lieber Dean, zudem kommt noch, selbst wenn es um Sachfragen geht *WOLLEN* Parteien gar keine kompetenten Leute, die sich einbringen! Die wollen Leute, die die Schnauze halten und Plakate kleben. Viel Spaß dabei.

Wenn du was "bewegen" willst, würde ich bei deinen früheren Ansätzen bleiben, Mehr Demokratie e.V. usw.

Gruß
Ben

 
At 01 Juli, 2008 01:41, Anonymous Anonym said...

Man könnte natürlich auch eine Sicherheitsleistung von der Atomwirtschaft verlangen, a conto, für 20000 Jahre Endlagerkosten.

Oder sollen das die Elois und Morlocks zahlen?

 
At 01 Juli, 2008 14:36, Blogger John Dean said...

@ avantgarde

Zumindest einen ausreichenden Kapitalstock, aus dem man den langfristig anfallenden Pflege- und Kontrollaufwand bezahlt.

Würden die Betreiber für ausreichendee (!) Haftung und Übernahme des Nachsorgeaufwandes sorgen, wäre zudem die Gefahr von Terrorangriffen beherrschbar (meines Wissens ist das nur eingeschränkt der Fall), wäre ich zur Atomenergieerzeugung agnostisch.

Ein intelligenter Laufzeitentausch (inkl. "Brennstoff-Steuer" u.ä.) halte ich aber dennoch für eine gute Sache, gut für die Gesellschaft.

Sollte eines Tages die Technik von "schnellen Brütern" (klingt gefährlich - das Gegenteil trifft dies Sache aber eher) rentabel werden (also inkl. Haftung usw.), dann wäre ich nicht unbedingt dagegen.

Bei derzeitigen Wissensstand gibt es allerdings nicht viel (jedenfalls nichts, das mir bekannt ist), was gegen den Ausstieg aus der Atomenergie spricht.

Auch das Argument mit dem CO2 reicht m.E. nicht sehr weit (übrigens auch nicht für Biodiesel), denn bei der Produktion der Brennstoffe kommt es zu einer erheblichen CO2-Produktion.

Man könnte allerdings sagen, dass der "Gabriel-Vorschlag" hilft, einige Kohlekraftwerke zu verhindern, das vom Standpunkt der CO2-Emissionen die Sache befürwortbar ist.

Ich vermute, dass man ein deutliches Ergebnis gegen Atomenergie erzielt, wenn man ökonomische und gesellschaftliche Kosten genau abwägt - aber ein knapp positives Ergebnis zugunsten des Laufzeiten-Tausches.

 
At 05 Juli, 2008 19:20, Anonymous Anonym said...

Naja, mit der SPD ist das ja so eine Sache. Jetzt zeigt sich ausgerechnet (oder auch nicht) Erhard Eppler für die Atomenergie empfänglich: => http://www.welt.de/wirtschaft/article2181793/Jetzt_broeckelt_die_Anti-Atom-Front_der_SPD.html

Schönes Beispiel für den Qualitätsjournalismus der Springer-Presse übrigens: "Zuvor hatte der SPD-Vordenker und frühere _Forschungsminister_ Erhard Eppler einen neuen Energiekonsens vorgeschlagen."
Eppler ist nie Forschungsminister gewesen!

 
At 08 Juli, 2008 16:06, Blogger John Dean said...

@ some1inbln
Ich denke, der Epler ist da an sehr entscheidender Stelle falsch wiedergegeben worden.

Typisch "Qualitätspresse".

Das ändert aber wenig daran, dass ich seine Vorstellungen für - vorsichtig formuliert - für sehr unausgegoren halte. Seine bekloppte Idee, das Grundgesetz mit politischen Vorstellungen zu überfrachten (er will: ein Verbot von Atomkraftwerksneubau ins Grundgsetz), gleich es nicht aus, sondern macht seine Argumentation noch verkehrter.

Leider hat das SPD-Präsidium, in williger Hinterherhechelei hinter den Abgründen des "Qualitätsjournalismus", diese Forderung einer Grundgesetzveränderung sich zu eigen gemacht, was nicht nur der Sache nach dumm ist (und dem Charakter des GG nicht gerecht wird), sondern auch politisch dumm, weil ein derartiges Ansinnen nicht einmal mit einfacher Parlamentsmehrheit zu verwirklichen ist.

Schaulaufen für die Galerie - und der Mangel an politischer Klugheit macht daraus ein Herumstolpern politischer Trottel.

Insofern versteh ich schon irgendwie, dass du dieser Darbietung wenig abgewinnen kannst.

Wenngleich ich vermute, dass du die Position von Epler zur Atomenergie höchstens zur Hälfte kennst.

 
At 09 Juli, 2008 10:49, Anonymous Anonym said...

Naja, die Position von Eppler kenn' ich schon. Was mich an Eppler aber mittlerweile schlichtweg nervt, ist, dass er seinen Status als Koryphäe bisweilen so dermaßen ungeschickt nutzt, wenn man überhaupt von nutzen und nicht von stolpern sprechen kann. Eppler ist nun wirklich lange genug im politischen Geschäft, um zu wissen, wie solche Sachen am Ende der medialen Wirkungskette rauskommen können. Insofern muss er sich nicht wundern, dass er da falsch wieder gegeben wird. Dass sich dann Schreiber, die ihm noch dazu ein falsches Minister-Amt zuschreiben, ermutigt fühlen, ihn zu instrumentalisieren, muss er wissen. Insofern ist mein Vorwurf oder eher meine Kritik, dass er sich scheinbar sehr selten überlegt, wo er welchen Dynamiken auftrieb verleiht.
Seine Unterstützung für Hartz IV war auch so ein Ding. Er hat, ohne Kenntnisse der gröbsten Details, das Projekt unterstützt. Sein permanenter Rekurs auf die Handlungsunfähigkeit des Nationalstaates enthält ein Moment des Umschlags. Er betont das in seinem Essay Wozu noch SPD? => PDF: http://www.ulrich-wegener.de/spd_dsv/spd_dsv_pv/eppler_essay_ngfh_08_06.pdf
ja unentwegt, ist aber auch dort für einige Facetten schlicht blind.

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home