17 August 2007

Bürokratischer Zyklus

Ich habe gerade meine zweite Wurzelbehandlung hinter mir. Keine große Sache, unangenehm war eher nur die Betäubung. Lustigerweise sind mir ursprünglich eingeplante Ausgaben in Höhe von 500,- € erspart geblieben (für die Wurzelbehandlung eines endständigen Zahns), weil die Regelungen, welche eigentlich die Patienten an den Kosten stärker beteiligen sollen, inzwischen so kompliziert und umfangreich sind, dass eine geschickte Auslegung zur Kostenvermeidung führt.

Blöderweise beschäftigen sich dann aber Arzt und Patient mit dem Bürokratiewust. Aber immerhin: 500 Euro gespart - ein guter Tag. Dabei ist mir ein Gedanke gekommen; vielleicht gibt es so etwas wie einen "bürokratischen Zyklus":

Bürokratische Regelungen, die einem Problem ohnehin nicht gerecht werden, neigen bei ihrer Weiterentwicklung dazu, von Schritt zu Schritt immer komplizierter zu werden, bis sie dann so kompliziert sind, dass sich kaum noch jemand an diese Regeln hält.

Es ist halt nicht einfach, ein Solidarsystem mit ungeeigneten Methoden, neoliberaler Gesinnung und auf Kosten der Patienten zu reformieren.

Bei der sogenannten "Gesundheitsreform" wurde in erster Linie eine Bürokratisierung erreicht, zu Lasten von Arzt und Patient, sowie eine zusätzliche Kostenbelastung der Patienten. Statt die Nachfragemacht zu stärken und im Gesundheitsmarkt echte (!) wettbewerbliche (Teil)Strukturen zu schaffen, hat man bei den "Reform"-Bemühungen eigentlich nur auf vier Punkte geachtetet. Unsere korrupten Eliten hatten offenbar nur vier Fragen:

1. Wie können Patienten - möglichst unsozial - an den Kosten stärker beteiligt werden, um die Arbeitgeber damit indirekt zu entlasten?

2. Wie kann man dies zugleich so gestalten, dass die Profiteure des Gesundheitsmarktes mit ihren Privilegien und übergroßen Einkommen (z.B. auf Basis überhöhter Medikamentenpreise) unangetastet bleiben?

3. Wie kann man den Reformvorgang möglichst bürokratisch, unsinnig und für die Patienten quasi "strafend" gestalten? (Hinweis: Das Strafen von Schwächeren ist ein geheimes Grundmotiv des Neoliberalismus)

4. Wie kann die Verbürokratisierung des Gesundheitswesens maximiert werden, während man die Nachfrageseite nicht (!) stärkt, aber den Anbietern von Gesundheitsleistungen möglichst jeden möglichen Wettbewerbsdruck erspart?

3 Comments:

At 17 August, 2007 15:11, Anonymous Anonym said...

Ich mag es ja auf den Unterschieden im Umfang der Gesetze für Kleingärtner und dem Grundgesetz rumzureiten ;) Das Grundgesetz ist durch die Änderungsklausel seit seinem Bestehen nur geringfügig erweitert oder geändert worden, wogegen die Kleingärtnergesetze immer neue Probleme entscheiden musste.
Tatsache ist das die Gesetze wohl absichtlich kompliziert sind um denjenigen die sie kennen einen Vorteil vor denen zu verschaffen die sie nicht kennen. Am deutlichsten wird das für mich in den Sozialgesetzen. Hier musste man Gesetze schaffen die der Hartz4 Empänger mit mäßigem Interesse an Gesetzestexten es noch ermöglicht zu überleben und gleichzeitig einen Missbrauch dieser Einfachheit durch geschickte und versierte Gesetzexperten auszuschließen. Das ist IMHO kollosal danebengegangen, denn es gibt Leute die kaum klarkommen mit den wenigen Sozialleisteungen die sie beantragen und Missbrauch derselben Sozialleistungen in Milliardenhöhe.

 
At 17 August, 2007 15:43, Anonymous Anonym said...

Wobei der Missbrauch vor allem durch Arbeitgeber erzeugt wird, die nur noch Hungerlöhne zahlen, die mittels Hartz IV aufgestockt werden müssen. Um sich vor augen zu führen, von wem und für wen die Schrödersche Agenda 2010 geschaffen wurde, reicht die immer gleiche, alte Frage: Cui bono?

Gerhard Schröder waren ja offenbar seine Pöstchen nach dem Amt wichtiger als das deutsche Volk. Und das von einem SPD-Kanzler - beschämend, die ewige Schande der SPD.

Gruß

Alex

 
At 20 August, 2007 15:55, Blogger John Dean said...

Vergleicht man den einen Missbrauch (nach wissenschaftlichen Untersuchungen ca. 3 bis 5% der ALGII-Bezieher bzw. ca. 1,7 Mrd. Kostenbelastung pro Jahr) mit dem anderen Missbrauch, sollte eigentlich ein Unterschied deutlich werden.

Ich denke, nein, ich bin mir sogar sicher, dass der sogenannte "Missbrauch" seitens von ALGII-Beziehern überschätzt wird - und sogar - z.B. im Begriff "Sozialschmarotzer" - zu Hetz-Zwecken eingesetzt wird. Objektiv ist es jedoch so, dass diesem Missbrauch seitens von Leistungsbeziehern ein vom Umfang deutlich höherer Missbrauch seitens der Ämter besteht, dahingehend, dass diese willkürlich oder gezielt Leistungen verweigern.

Letztlich steht hinter der Missbrauchsdebatte der Versuch von Interessengruppen, das politische und soziale Klima im Sinne wohlverstandener eigener Interessen zu beeinflussen.

Insofern gehört der Einwand von Alex unmittelbar zum Thema. Es gibt Arbeitgeber, höchst unanständige zumal, die gezielt (und dann auch gleich in Milliardenhöhe) die Kassen der Steuerbürger plündern, indem sie ihre Arbeitnehmer weit unterhalb des Tarfifs bezahlen - und diese Arbeitnehmer dann auf die Sozialämter schicken.

Die sogenannten "Aufstocker" sind die am stärksten wachsende Gruppe innerhalb der Bezieher von ALGII. Ein erheblicher Anteil davon dürfte auf Missbrauchspraktiken von Arbeitgebern zurückzuführen sein.

Im Übrigen frage ich mich, angesichts von rund 7 Mio Arbeitslosen und Empfängern von ALGII, wo denn bitteschön die angeblichen Millionen von Leistungsmissbrauchern sein sollen.

Auf den Baustellen? Nein. Da gibt es Missbrauch, aber...

In den regulären Firmen? Nein.

Als Zeitarbeitnehmer? Nein.

In den Call-Centern? Nein.

Als illegale Handwerker? Duchaus möglich, enige wenige gibt es da wohl, aber nun: Wieviel der illegal auftretenden Handwerker sind wohl tatsächlcih ALG-Bezieher?

Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass sich jeder ALGII-Empfänger richtig verhält - die meisten bzw. anteilig sehr viele würde ich als "mutlos" und "initiativlos" bezeichnen.

Aber, wenn das so ist, dann lautet die Frage:

Wie mache ich Menschen Mut?

 

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