Madentherapie als Biotechnologie
Von vermeintlich wirtschaftsnahen Politikern (welche von einmal eingeprägten Halbwissen nicht mehr ablassen können) hört man immer wieder, dass "Biotechnologie" der "Markt der Zukunft" sei. Irgendwie ist das schön.
Ich meine, früher interessierten sich Politiker, überwiegend aus modischen Gründen, für Wissenschaft an und für sich. Es galt unter den Politikern zu Anfang des letzten Jahrhunderts als wirklich guter Ton, die aktuellen wissenschaftlichen Diskussionen zu kennen und Mitglied z.B. einer "naturwissenschaftlichen Gesellschaft" zu sein. Oder aber der Politiker mit Ambitionen besaß z.B. eine Reihe von Mikroskopen nebst Präparaten, die er dann staunenden Besuchern vorzuführen wusste.
Und heute?
Heute leben wir mit einer deutlich bildungs- und wissenschaftsferneren Generation von Politikern. Das heißt, die hiesigen wissen nicht mehr andeutungsweise, wie sich beispielsweise "Wissenschaft", "Lobbyismus" und "Propaganda" im Wesen unterscheiden. Und so fallen unsere
Es fehlt ihnen an geistigen Rüstzeug. Unsere Pisa-Politiker.
Gleichzeitig sind unsere Politiker verführt, oder vielleicht sogar gezwungen, in der Öffentlichkeit eine Show umfassender Kompetenz zu spielen: Egal, zu welcher Frage man einen bekannten Politiker fragt, nie ist er um Antwort verlegen, und sei diese noch so ausweichend und banal, meistens jedenfalls klugscheißert oder clemenstiert er drauflos, dass es eine Pracht ist.
Und so haben die Politiker das Feld der Biotechnologie entdeckt. Beispiele:
"Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): "Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die heutige Debatte betrachte, dann erkenne ich, dass wir offenbar ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die Förderung der Biotechnologie in Deutschland. Herr Fell, ich war erstaunt darüber, wie positiv Sie heute bestimmte Formen der Biotechnologie – beispielsweise die gentechnische Erzeugung von Enzymen für die Chemie – bewertet haben. Ich komme darauf noch zurück." (Quelle: Plenarprotokoll 15/97)Anmerkung: Ja, leider. Die CDU kommt darauf noch zurück. So ist es in der CDU Usus, gegen Genmaisanbau protestiererende Bürger "Berufsrandalierer" oder gar "Bio-Terroristen" zu nennen, wie es z.B. die forschungspolitische Sprecherin Katherina Reiche - gänzlich unentschuldigt und unbehelligt - tut. Oder:
"Die FDP-Fraktion sieht in Forschung, Entwicklung und Anwendung der Biotechnologie eine große Chance (....) Kampf gegen schwerwiegende Erkrankungen (...) Forschungsansatz (...) Forschung an humanen embryonalen Stammzellen. Doch das ist in Deutschland (...) nur sehr eingeschränkt möglich. Deshalb fordert die FDP (...) einen Stopp der Kriminalisierung von deutschen Wissenschaftlern (...) Wir wollen das therapeutische Klonen (...) zulassen. Die Forschung an (...) Stammzellen, ist (...) zu intensivieren." Quelle: Aktuelles Wörterbuch der FDP, Stichwort Biotechnologie.Anmerkung: Die FDP versteht unter "Biotechnologie" neben Gentechnik vor allem Stammzellforschung. Wie erbärmlich. Die SPD dazu im Vergleich:
Frau Edelgard Bulman sprach: "Die rot-grüne Bundesregierung hat Deutschland durch einen klaren Modernisierungskurs in wichtigen Schlüsselbereichen wie der Biotechnologie (...) bereits wieder an die Weltspitze gebracht. Bei der Förderung der Biotechnologie liegen wir auf Platz zwei nach den USA."Das spricht in meinen Augen eher für eine unmäßige Übertreibung. Sowas kommt raus, wenn Politiker ein Thema entdeckt haben. Schwupps! Schon sind sie weg, die sauer verdienten Steuermilliarden (vor allem) der Arbeitnehmer.
Und ich?
Ich verstehe von Gentechnik zwar viel, aber bei Weitem nicht genug, um das Thema aus politischer Perspektive global zu bewerten, z.B. die angeblich grandiosen "Zukunftschancen der Gentechnik". Ist es nicht erstaunlich, dass Tausende von deutschen Politikern in der Lage sind, die Zukunftchancen von Gentechnologie zu beurteilen?
Ich meine aber, dass die Gentechnik als Teilbereich der Biotechnologie in der deutschen Politik z.Zt. völlig (!) überschätzt wird, und dass hier öffentliche Gelder umfangreich verschleudert werden, ohne dass dies gerechtfertigt ist. Gleichzeitig gibt es m.E. gute Argumente z.B. gegen die breite Verwendung gentechnisch veränderter Lebensmittel.
Warum sollte die Politik (z.B. Monsanto-Seehofer) hier umfangreich fördern?
Ich führe hier mal ein alternatives Thema der Biotechnologie ein, nämlich die medizinische Madentherapie, in der Deutschland zu den führenden Nationen zählt. Interessant finde ich es wegen der offenbar großen Erfolge, die man damit erzielen kann, und auch, weil man in der Geschichte der Madentherapie sehen kann, wie ein bioteschnisches Verfahren mal eine Zeit lang gehyped wird, dann 60 Jahre lang vergessen wird, um jetzt wieder entdeckt zu werden.
Mein Wunsch des Tages lautet: Ich möchte gerne von meinen Politikern weniger von Gentechnologie hören (daran haben die sich ja nun wirklich genug abgearbeitet, oder?) und dafür deutlich mehr von Madentherapie! Das klingt übrigens das nur im ersten Moment absurd.
Wenn man weiß, wieviele zigtausend (!) Nekrosen und Amputationen in Deutschland jährlich vorkommen, dann dürfte eigentlich klar sein, dass Fortschritte in der deutschen Madentherapie mindestens so relevant sind wie Fortschritte in der Gentechnik.
Gäbe es in jeder deutschen Stadt ein therapeutisches Madenzentrum (übrigens wäre das eine recht kostengünstige Angelegenheit), welches die Kliniken der Stadt mit vorzüglichen Know How und Vorzugsmaden versorgt, so könnten wir uns in Deutschland viele tausend Amputationen sparen.
Ja, wäre das denn nichts? Politiker! Sprich uns von Madentherapie!
(So, wie Du es in Sachen "Gentechnik fördern" hunderttausenfach gewohnt bist...)
1 Comments:
Ja, "Biotechnologie" ist nun mal erheblich mehr als das Fachgebiet "Gentechnik", und "Gentechnik" ist mehr als Genbastelei an Getreide.
Aber nur um letzteres (allerletzteres) scheint es zu gehen, glaubt man den Äußerungen unserer Politiker.
Zu den "Maden": vergleichbare bio-medizinische Ansätze der "Therapie mit Parasiten" ergeben sich eventuell auch bei den Autoimmunkrankheiten, ich habe dazu neulich etwas in meinem Blog geschrieben:
Darmparasiten tuen MS-Patientienten offenbar gut
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