13 Dezember 2008

Ein progressiv-ordoliberales Statement zur Freiheit des Kleinunternehmers und zur humanisierenden Funktion der politischen Linken im Kapitalismus

Hinweis: Dieser Beitrag entstand aufgrund einer Diskussion im Blog shifting reality (hier).

Lemmy said:
Selbst ein kleiner Unternehmer zu werden muß selbstverständlich NICHT in größere Autonomie führen. Es ist aber nicht ausgeschlossen. Vor allem, wenn man die Mechanismen, die einen dazu bringen, kennt.
Ich denke, die besseren Teile des fälschlicherweise gemeinsam mit Lobo verfassten Buches Buches von Friebe gehen in eine ähnliche Richtung.

Als Ordolinker teile ich zwar Lemmys Einwand, dass (sowohl die mitunter zu weit reichende Internalisierungen von Arbeitgeberwillen, als auch prekäre Selbstständigkeiten bzw. kleine Unternehmerexistenzen) durchaus auch positive Potentiale für die Individuen beinhalten, aber…

…das hängt m.E. (insofern bin ich ein ziemlich linientreuer Ordolinker) entscheidend von zwei Faktoren ab:

1. Dem - so nenne ich das hier - “Kräfteparallelogramm der Gesellschaft” bzw., etwas marxistischer gesprochen, den realen (und strukturellen) Machtverhältnissen in einer Gesellschaft.

Dann, wenn die Akteure in einer Marktökonomie über stark a) ungleiche Machtquellen und b) ungleiche Eigentums/Besitzugänge verfügen, dann erzeugt eine Marktökonomie im Übermaß unfaire und ausbeuterische Prozesse und Ergebnisse.

Zugleich gibt es (auch das ist zugleich eine alte marxistische Kritik) Mechanismen im real existierenden Kapitalismus, welche auf eine Zuspitzung der in den Punkten a) und b) genannten Ungleichheiten hinaus laufen bzw. - anders formuliert - auf Akkumulationsprozesse, welche die Besitz/Eigentums- und Machteliten weiter begünstigen.

2. Der zweite Faktor, quasi als Widerstandspotential gegenüber möglicher Unfairness/Ausbeutung, besteht in der persönlichen Substanz des Betreffenden - anders gesprochen, in seiner Reife, Bildung und (!) selbstbehauptenden Widerständigkeit, die er als ausgebildete Person (bzw. reifes Individuum) dem kapitalistischen Prozess entgegensetzen kann bzw. einsetzen kann, um damit seine eigenen individuellen Interessen (sowie seine überindividuellen sozialen Interessen) zu verwirklichen. Die "Kenntnis der Mechanismen", wie Lemmy sagte, ist durchaus ein Faktor - genügt jedoch eben nicht. Ein einigermaßen glückender (sozial und verantwortlich aufgebauter) Kapitalismus ist darüber hinaus das Ergebnis eines gesellschaftlichen Lernprozesses.

Und eben auch hier, beim Faktor “persönliche Substanz” bewirkt ein stark kapitalistisch strukturierter gesellschaftlicher und ökonomischer Prozess eine nachhaltige Erosion (Beispiel), und zwar gerade bei den Pesonengruppen und an den Faktoren, die benötigt werden, um das mikro-kapitalistische Geschehen fairer und humaner bzw. den Individuen gemäßer ablaufen zu lassen.

Nun kann man auf die hier vorgebrachte Kritik an der - auch psychologischen - Erosionswirkung des Kapitalismus durchaus entgegnen, dass “real” sozialistische bzw. bürokratische Strukturen ebenfalls die angesprochenen Problematiken beinhalten können (und weitere Problematiken), aber im Kern bleibt (auch übrigens in “real” sozialistischen Strukturen!) die Ungleichheit von Macht- und Eigentumsmitteln ein Übel erster Ordnung, das weitere Übel - für die Individuen wie für die soziale Ordnung - herbei führt.

Anders gesagt, aus den - übrigens auch psychologischen - Fallen des Kapitalismus (z. B. die oft verrohende Wirkung des Geldprimats) gibt es für die Individuen (mehrheitlich…) unter Bedingungen starker Eigentums- und Machtungleichheit kein nachhaltiges Entkommen, und zwar dann, wenn eine gesellschaftliche Änderungs- und Humanisierungspespektive in Bezug auf den Kapitalismus aufgegeben wird!

(wie das ja leider, leider von einigen sehr radikalen, karikaturgleichen sogenannten “Liberalen” mit Inbrunst vorgemacht wird, z. B., wenn sie Arbeitnehmerschutzrechte fast vollständig hinwegfegen wollen…)

Meine These ist also, dass der Kapitalismus keine Werteordnung ersetzt und als System a) Widerstand (!), b) eine gute Dosis Re-Distribution und Bekämpfung von Ungleichheit und Machtungleichheit, sowie c) jede Menge humanisierenden Oppositionsgeist benötigt, damit der Kapitalismus als Wirtschaftsordnung für - möglichst viele - Menschen ein erträgliches bzw. humanes Arbeiten im Wirtschaftsprozess ermöglicht.

Insofern schätze ich durchaus die Beiträge der radikalen Linken (zu der ich als Ordolinker streckenweise auch rechne), allerdings nicht zur Systemüberwindung (die bei allzu großer Vermurcksung des gesellschaftlichen Ganzen dennoch notwendig werden kann, auch und gerade im radikalen Kapitalismus), sondern zur Systemtransformation im Sinne einer humaneren Gesellschaft.

Allein schon die Existenz einer starken Linken und eine starken gewerkschaftlichen Struktur in der Gesellschaft - ganz anders als es Neo”liberale” behaupten - leistet einen immensen und notwendigen Humanisierungsbeitrag im Kapitalismus.

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2 Comments:

At 15 Dezember, 2008 00:18, Anonymous Anonym said...

Sehr guter Gedanke, gefällt mir. Es gibt wohl eine Theorie, dass z.B. in Koalitionsverhandlungen die Verhandlungsposition einer Partei gestärkt sein kann, wenn sie nicht nur einen gemäßigten, sondern zudem noch einen nur leicht unterlegenen radikalen Flügel besitzt.

Vielleicht ist es in Gesellschaftssystemen genauso. Eine relativ radikale Linke, die knapp vor einem Gewinn steht, könnte dem Kapitalismus genau die Zugeständnisse abringen, die ihn human machen.

 
At 15 Dezember, 2008 10:46, Anonymous Anonym said...

Das sind kluge und so auch richtige Überlegungen. Zu dem Ansatz von Hartmann und Geppert in Cluster müsste dann noch gesagt werden, dass es ihnen um Anderes geht, nämlich darum, aufzuzeigen, wie der Kapitalismus im großen Stil (also gerade nicht Kleinunternehmen, sondern im konkreten Beispiel VW und der Swissair-Caterer Gate Gourmet) sich im Augenblick neu- und umorganisiert, welche Rolle in diesem Zusammenhang die Öffentliche Hand (Private Public Partnership, Arbeitsagentur) und Unternehmensberatungen spielen und wo sich gegen einen totalisierten, verinnerlichten Arbeitszwang innerhalb dieses Bezugsrahmens Widerstandsperspektiven entwickeln lassen. Es ist ein Blick von unten, der sich gegen Zumutungen des industriellen Arbeitsregimes in seiner modernsten Form richtet.

Der "real existierende Sozialismus" heißt bei Hartmann übrigens Ksernenhofkommunismus und wird als Akkumulationsregime einer kleinbürgerlichen Bürokratenelite betrachtet, die in der UDSSR und ihren früheren Satelliten die Funktion der Bourgeoisie erfüllt hätte.

Grüße


Che

 

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