Eucken über den Kapitalismus - 10 Zitate
Aufgrund einer kleinen Blog-Diskussion fühlte ich mich veranlasst, mal genauer nachzuschauen, was Walter Eucken über "den" Kapitalismus gesagt hat.
1. Was heißt Markt? Markt ist eine univerale, menschliche Lebensform. Auf ihm werden Leistungen und Produkte zwischen Menschen getauscht. Märkte sind nicht etwa eine Erscheinung des so genannten "Kapitalismus", es hat sie, wie die Geschichte lehrt, zu allen Zeiten gegeben, und sogar in den Ländern zentralverwaltungswirtschaftlicher Lenkung setzen sie sich bis zu einem gewissen Grade immer wieder durch, und sei es in der Form des Schwarzmarktes. (...) Gleichwohl bestehen zwischen Sachgütern und Arbeitsmärkten Unterschiede, die zu beachten sind. Arbeit ist keine Ware. (...) Die Frage ist nicht: Arbeitsmärkte oder keine Arbeitsmärkte, sondern: Welches ist ihre richtige Form? Worum es geht, das ist, den Arbeitsmarkt menschenwürdig zu gestalten.
2. Die Frage nach dem Wesen der Wirtschaft oder des "Kapitalismus" oder der "Krise des Kapitalismus" darf nicht am Anfang [ökonomischer Analyse der Verhältnisse] stehen. Damit gerät die Wissenschaft in Tiefsinn und Spekulation hinein und verliert (...) die wirkliche Wirtschaft aus dem Auge.
Die Flucht in den personifizierten Allgemeinbegriff "Kapitalismus" ersetzt die echte Untersuchung der Wirklichkeit. Beispiel: Jemand stellt die Frage, warum die Vernichtung von Weizen, Kaffee und anderen Lebensmitteln, die in Kanada, Brasilien und anderen Ländern vorgenommen wurde, geschah. Er erklärt, so handle eben der "Kapitalismus" und meint, damit sei die Frage beantwortet. Das ist sehr bequem; aber in Wahrheit ist überhaupt nichts geklärt.
Eucken meint damit: Man solle stets versuchen, tief in die Realität eindringen, möglichst tief in die einzelnen Ursachen- und Tatsachenzusammenhänge und sich nicht blind einem Begriffschema anvertrauen.
3. Man glaubt mit solchen Schilderungen von den Taten des "Kapitalismus" modern zu sein und ist in Wahrheit in magisches Denken zurückgefallen. Es ist der alte Fehler des extremen Begriffsrealismus, der uns hier wiederum begegnet. - Nach zwei Seiten hin hat der Gebrauch des Begriffs "Kapitalismus" außerdem Schaden angerichtet:
Er erschwert geschichtliches Verstehen oder macht es unmöglich. (...) Der Kapitalismus führt in den den Augen dieser Betrachter nach seiner Geburt seine eigenen Existenz. Dass stets und in jedem Augenblick das wirtschaftliche Leben - und damit auch die Industrialisierung - ein Teil des geschichtlichen Gesamthergangs ist, mit dem es in fortwährender Wechselwirkung steht, und dass und wie es mit allen übrigen Lebensäußerungen der [Gesellschaften] dauernd Berührung hat, wird nicht gesehen. Die Figur des Kapitalismus mit ihrer Entwicklung vom Früh- zum Spätkapitalismus wird zum deus ex machina (...). Offen zutage liegende, wesentliche, geschichtliche Zusammenhänge werden [so] übersehen: (...) die französische Revolution, die außenpolitischen Umwälzungen und die innere Umformung der Staaten, die ihr folgten, auch die Wirtschafsstruktur Europas veränderten, dass der Krieg 1914-18, die folgenden Friedensschlüsse und Revolutionen und der Krieg 1939-45 das wirtschaftliche Leben auch der nächsten Zeit entscheidend bestimmten. War aber im Kapitalismus (...) das wirtschaftliche Geschehen auf das Verhalten dieses Wesens zurückführt, ist solchen gesamtgeschichtlichen Zusammenhängen gegenüber blind (...)
4. Auch weil der Begriff des Kapitalismus über das Ordnungsgefüge der Wirtschaft nichts Bestimmtes aussagt, eignet er sich nicht zur Bezeichnung wirtschaftlicher Wirklichkeit. Jeder legt in ihn Ordnungsvorstellungen herein, die ihm persönlich passen: Anarchie aller Produktion oder Wettbewerbswirtschaft oder Laissez faire oder Beherrschung des wirtschaftlichen Lebens durch einen von anonymen Kräften beherrschten Wirtschaftsstaat.
5. Wirtschaftliche Machtballungen sind keine Besonderheiten der Neuzeit oder des "Kapitalismus". Sie gab es vielmehr im Mittelalter und auch sonst in aller Geschichte. Verstehen wirtschaftlicher Wirklichkeit in aller Vergangenheit und in der Gegenwart und wahrscheinlich in aller Zukunft erfordert daher Verstehen wirtschaftlicher Macht und zugleich Durchschauen der auffallend gleichförmigen Kampfmethoden wirtschaftlicher Machtgruppen.
6. Die Prognosen von Marx haben sich gerade in wesentlichen Zügen nicht als richtig erweisen. Die Verelendung der Massen, die er kommen sah, ist nicht eingetreten. Vielmehr hat sich in der Zeit der Industrialisierung das Realeinkommen der breiten Schichten stäkrer gehoben als je zuvor. Und auch der Konzentrationsprozess ist anders vor sich gegangen, als Marx dachte.
Gegenüber mechanistischen Sozialtheoretikern, z. B. der Vertragstheorie von Laissez-Faire-Liberalen sagte Eucken:
7. Vom fallenden Stein zu glauben, er besitze Freiheit und bewege sich nach eigener Entschließung, ist abwegig. Ebenso abwegig ist es für die positivistische Betrachtungsweise, hinter den Handlungen und Organisationen der Menschen [vor allem den Ausdruck von] Freiheit zu suchen.
8. Alle Gruppen brauchen - sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen - "Ideologien". Alle erklären, für Freiheit, Recht und Humanität einzutreten. (...) Es ist ein "Maskenfest der Ideologien" (Röpke), und es lässt sich erkennen, wer die Masken trägt. Politische oder wirtschaftliche Führergruppen sind es, die Macht anstreben oder verteidigen. Kennzeichnend ist, dass in diesem Machtkampf auch Worte mit sehr ernsten Inhalt wie "Freiheit" oder "Gerechtigkeit" oder "Recht" zu einem ganz bestimmten Zweck gebraucht werden. Es sind Waffen im Kampfe (...) stets ist ihr Streben auf die Durchsetzung ihrer wirklichen oder vermeintlichen Interessen gerichtet.
9. Die Funktion von Rechtsinstitutionen variiert mit der Marktform (...) Das Privateigentum an einer Maschinenfabrik ist etwas anderes, wenn sie in Konkurrenz anbietet oder wenn sie ein Monopol besitzt.
10. Die Politik des Staates sollte darauf gerichtet sein, wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktionen zu begrenzen.
Labels: Kapitalismuskritik, Ordoliberalismus
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