06 April 2013

Thema: postmoderne und andere Identitätspolitiken

Aus Dokumentationsgründen und weil mir einige Gedanken hier wichtig sind, veröffentliche ich hier einen Kommentar zum Thema Identitätspolitiken:

Also, so richtig viel Gedanken habe ich mir da noch nicht gemacht. Ich finde aber, dass das Faß “Identitätspolitik” riesengroß ist, und in diesem Faß schwimmen die unterschiedlichsten Dinge. Sicher ist es eine gute Idee, dabei danach zu fragen, inwieweit konkrete Identitätspolitiken (bzw. Zuschreibungen und Konzeptionen von Gruppenidentitäten) a) aus Machtverhältnissen resultieren und b) Machtverhältnisse und c) Ausschlüsse erzeugen/unterstützen. Klingt erst mal gut – und finde ich auch erst mal gut, zumal ich mich selbst als ausgesprochen machtkritisch verorte.
Es gibt nur drei Haken an der Sache – jedenfalls für mich:
1. Das Faß ist so riesengroß, dass ich es nicht überschaue. Identität ist ohnehin (sei es nun auf der individuellen Ebene oder auf der Gruppenebene, oder interdependent) ein schwieriges Ding, dass einerseits auch als Inanspruchnahme von Autonomie (z.B. Selbstkonzeption), andererseits auch als Ab- und Ausgrenzung gelesen werden kann. So Pi mal Daumen würde ich sagen (etwas im Nebel stochernd, sorry – ich weiß es nicht besser), dass es bei Identitätskonzepten sehr darauf ankommt, inwieweit diese a) ab/ausgrenzend oder anderen gegenüber abwertend wirken b) als Machtmechanismus wirken und c) dialogisch sind oder Dialog zu Personen außerhalb der Identitätsgruppe behindern. Ich nehme hier einfach mal die Identitätskategorie “Familie”, um mit diesem einzelnen Wort zu verdeutlichen, wie sehr es auf das Wie ankommt.
2. Machtstrukturen und -gefälle verlaufen nicht trennscharf anhand der Umrandungen von Schlagworten. So kann ein politisch hochaktiver Schwuler innerhalb seines Kontextes, aber auch darüber hinaus, gleichzeitig (!) marginalisiert sein, als auch (!) privilegiert bzw. Inhaber formaler oder informeller Macht. Was ich damit sagen will: Die Dinge sind nicht so einfach, und Schlagworte (z.B. zur Kennzeichnung marginalisierter Identitätskategorien) können als Denkhilfe funktionieren, zugleich aber auch relevante Fragestellungen verdecken.
Zum Beispiel: Wenn ein “gemischt Marginalisierter/Privilegierter” auf einen anderen “gemischt Marginalisierten/Privilegierten” trifft (imho: der Normalfall!), zum Beispiel ein wohlhabender schwuler Filmemacher aus großbürgerlichen Haus auf einen psychisch kranken weißen Cis-Mann und Flaschensammler aus prekärer Arbeiterklassenherkunft: Wer von beiden repräsentiert im Umgang mitenander dann eine marginalisierte Gruppe, wer von beiden stiehlt dem anderen mit seinen “Performances” den Raum, wer von beiden ist tendenziell der “Machtausübende”, wer von beiden hat Anspruch darauf, gehört zu werden, und wessen Identitätspolitik sollte bevorzugt kritisch hinterfragt werden?
Ich persönlich tendiere sehr stark dazu, erstens, das Wie sehr wichtig zu finden, und zweitens, Menschen in erster Linie als Individuen zu betrachten – und höchstens zu , ich sage mal: 15 Prozent als Ausdruck/Repräsentant identitärer Konzepte. Das heißt für mich im Umkehrschluss, dass wechselseitige Rücksichtnahme und Achtung wesentlich sind, und eben weniger die (taktisch missbrauchbare) Verortung von Identitäten. Auch glaube ich, dass Machtverhältnisse (z.B. konkrete Marginalsiierungen oder Privilegierungen) nicht allein auf Basis identitäter Konzepte adäquat dargestellt werden können.
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3. Mein Ideal von Empowerment ist im Wesentlichen individuell. In meinem Blümchen-Weltfriedensideal gehen die Menschen wechselseitig (!) empowernd um (ich finde das sogar sehr wichtig) und beurteilen sich nicht so sehr anhand der Frage, ob/inwieweit jemand_in PoC, Hetero, weiß, arm, alt, Bildungsbürger, Erbe einer Eigentumswohnung, klein, modisch, belesen, urlaubsgebräunt, stylisch oder “gut frisiert” ist.
Ich werde also, zumal im täglichen Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen, den Gedanken nicht los, dass Gruppenidentitäten bzw. deren Bedeutung allzu leicht überschätzt werden können, sei es nun aus einer eher konservativ-reaktionären Grundhaltung heraus oder aus einer vermeintlichen oder tatsächlichen Progressivität heraus.
Schlusswort:
Ich hoffe, du fühltst dich durch mein Posting nicht irgendwie belästigt oder gar geschulmeistert. Ich habe einfach nur die Gedanken aufgeschrieben und zu ordnen versucht, dir mir bei diesem Thema durch den Kopf geistern bzw. als diskussionswürdig gehalten werden.
(ich verfolge dein Blog übrigens schon – sporadisch jedenfalls – seit vielen Jahren)