01 August 2006

Wahlbetrug in Mexiko - Obrador wehrt sich

Es gibt bei der Präsidentschaftswahl in Mexiko zahlreiche und eindeutige Anzeichen für Wahlbetrug und Unregelmäßigkeiten. Insofern ist es ein übles Vorzeichen, wenn der vermeintliche, rechtskonservative Wahlsieger Calderon erklärt, dass es bei der "korrekt abgelaufenen Wahl" seiner Meinung nach "keinerlei" Probleme gegeben hätte. Die unabhängigen Wahlbeobachter von Peacewatch haben hier eine andere Auffassung. Selbst die US-Regierung betrachtet die Anerkennung des Wahlsiegs Calderons inzwischen für übereilt. Auch Voltairenet formuliert erhebliche Zweifel am Verlauf der Auszählung.

"Keinerlei" Probleme sieht jedoch Seniór Ulgade, der Leiter der umstrittenen Bundeswahlbehörde IFE, welcher Calderon trotz vieler Unregelmäßigkeiten zum Sieger ausrief, zumal er ein enger Freund Calderons ist. Carlos Ulgalde war beispielsweise Trauzeuge auf der Hochzeit Calderons. Unparteilichkeit sieht anders aus. Der SPIEGEL berichtet:
Die Tageszeitung "El Universal" berichtete unterdessen, dass gestern auf einer Müllhalde zehn Wahlurnen und der Bericht eines Abstimmungslokals aus einem ärmeren Vorort der Hauptstadt gefunden worden seien. López Obrador wird vor allem von der armen Bevölkerung unterstützt. Daraufhin zogen Demonstranten vor die Behörde der Wahlleitung und forderten die Festnahme des Wahlleiters. "Ugalde: Du gehörst ins Gefängnis" stand auf einem der Protestplakate.
Am letzten Sonntag haben über 1 Mio Anhänger des gemäßigten Linkskandidaten Obrador in Mexikostadt gegen den Wahlbetrug protestiert, und Widerstand angekündigt, wenn es nicht zur Neuauszählung der Stimmen kommt. Wolf-Dieter Vogel schreibt in der TAZ dazu:
Dass ein Oppositionspolitiker in Mexiko mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs offene Ohren findet, ist nahe liegend: Schließlich hielt sich die Staatspartei PRI über 70 Jahre lang durch derartige Betrugsmanöver an der Macht.
Indes ist z.Zt. reichlich unklar, ob eine Neuauszählung tatsächlich zur Mehrheit Obradors führen wird. Obwohl eine Neuauszählung zum nationalen Frieden in Mexiko beitragen würde, vermute ich eher, dass der Griff zur Macht über diesen Neuauszählungswunsch dominieren wird, zumal die für ca. Ende August erwartete gerichtliche Entscheidung gegen eine Neuauszählung gerichtet sein wird. Andererseits: Die klare Mehrheit der mexikanischen Wähler will ebenfalls eine neue Auszählung.

Für welches politisches Programm steht Obrador?

Wie viele andere Linkspolitiker Latein-Amerikas will Andrés Manuel López Obrador die Privatisierung nationaler Ressourcen rückgängig machen, z.B. im Ölsektor, und steht für ökonomische Umverteilung zu Lasten Privilegierter. Innerhalb der lateinamerikanischen Linksallianz ist Obrador mehr zum linksliberalen Flügel aus Michelle Bachelet in Chile, Alan García in Peru, Néstor Kirchner in Argentien und Luiz Inacio Lula da Silva in Brasilien zu rechnen, und weniger zum stärker linksgerichteten, USA-feindlichen Flügel aus Castro, Chavez und Morales.

Der PRD-Kandidat Obrador sieht sich zuerst den Armen in Mexiko verpflichtet, sodas es nicht verwundert, dass er im armen Süden Mexikos besondere Unterstützung erfährt. Obrador kritisiert, dass 10% der Mexikaner über 45% des nationalen Wohlstands verfügen, während 50 Millionen Mexikaner bitter arm sind. Genauso wie die zentristische Partei PRI ist er klar gegen das neoliberale Programm Calderons, das auf Privatisierungen, die Abschaffung von Arbeitnehmerschutzrechten, Steuersenkungen für Gutverdiener und weitere staatliche Regulationen setzt, um die Ökonomie zu "modernisieren".

In den letzten 6 Regierungsjahren der neoliberal-nationalkonservativen Partei Mexikos kam es zur weiteren Verarmung breiter Bevölkerungsschichten sowie zu zahlreichen Verstößen gegen die Menschenrechte, z.B. systematische Polizeigewalt gegen Demonstranten. Dass Neoconnards und radikale Bush-Fans vor diesem Hintergrund Calderon favorisieren, versteht sich von selbst.

Obrador will die mexikanische Ökonomie durch Investitionen in Bildung und Infrastruktur vorwärts bringen, und dies finanzieren, insofern ist er typisch linksliberal, indem er die Kosten für die wuchernde mexikanische Bürokratie scharf reduzieren will. Hier will er zudem scharf gegen Korruption vorgehen. Die Spitzengehälter im öffentlichen Dienst will er halbieren, inklusive seinem eigenen Präsidentengehalt. Außerdem hat er angekündigt, dass das NAFTA-Handelsabkommen bei Getreide, Mais und Bohnen spätestens ab 2008 ändern möchte. Obrador hält es für unfaire Konkurrenz, wenn die Farmer der USA mit sehr hohen staatlichen Zuschüssen Vorteile erlangen.

Neben Armenspeisungen und ein kostenloses Schulfrühstück plant Obrador weiterhin, die Grundrente auf 50 Euro zu erhöhen, ähnlich wie er es bereits für Mexiko City etabliert hat, und die Preise für Güter der Grundversorgung über niedrigere Mehrwertsteuersätze zu verbilligen. Die Energiekosten für arme Familien will er über Subventionen deutlich absenken. Diese geplanten Sozialprogramme sind der Auslöser dafür, dass die nationalkonservative Partei Calderons ihm vorwirft, ähnlich auch Neocon-Trottel in den USA, dass Obrador ein "autoritärer Sozialist wie Chavez" sei.

Da es für die Gesetzgebung im Dreiparteiensystem Mexikos notwendig ist, mit der dritten Partei, der (2000 aus der Regierung abgewählten) PRI zusammen zu arbeiten, die ihre Basis v.a. in armen Farmarbeitern hat, dürfte eine Regierung Obradors deutlich konfliktfreier vonstatten gehen als eine marktradikale Regierung Calderons, die in vielen Punkten von der PRI Opposition erfahren würde, besonders im Bereich der Wirtschaftspolitik.

Woher kommt der demokratische Linksschwenk in Lateinamerika?

Neben dem politstrategischen Geschick des radikalen Linkspopulisten Chavez dürfte die Etablierung des neuen TV-Netzwerkes "Telesur" (in ganz Lateinamerika) ein sehr gewichtiger Faktor sein, welches eine inzwischen mächtige Konkurrenz zu eher konservativ und neokonservativ geprägten Medien darstellt, - auch infolge seiner erfolgreichen Seifenopern.

Man könnte also mit eine gewissen Berechtigung sagen, dass der linksliberale Frühling in Lateinamerika auf Seifenopern und Telenovelas beruht, sowie dem Geschick der dort tätigen Drehbuchautoren und Schauspieler.

4 Comments:

At 01 August, 2006 17:49, Anonymous Anonym said...

Interessant dazu auch ein Podcast aus Mexiko:
http://www.bluejax.net/2006/07/20/podcast-tipp-podmexmex-%e2%80%93-schweizerische-botschaften-aus-mexiko/

 
At 04 August, 2006 23:23, Blogger Dominik Hennig said...

Leftism and Liberalism goes National-Socialism?

 
At 05 August, 2006 15:00, Blogger John Dean said...

@bluejax
Den Link gucke ich mir im Lauf des Wochenendes (hoffentlich) an.

@Dominik
Wenn ich Dich bzw. Dein Blog richtig verstehe, ist die CDU für Dich eine Linkspartei, und der gemäßigt linke Obrador ist für Dich ein Nationalsozialist?

Könnte es sein, dass Du ziemlich verwirrt bist?

 
At 06 August, 2006 16:09, Blogger Dominik Hennig said...

Wer einem "linken" respektive "sozialen" Liberalismus - also einer contradictio in adjecto - das Wort redet, sollte sich lieber mal über seinen eigenen Geisteszustand Gedanken machen!

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home