23 September 2005

Normalität II

Während ich abends einen kleinen Spaziergang mache, überlege ich, worin die methodisch-wissenschaftlichen Hauptprobleme der Neoliberalen bestehen könnten, wie deren wissenschaftliche Normalität zu charakterisieren ist. Ich muss meine wenigen Leser, die ich habe, enttäuschen, denn eine wirklich gute Antwort habe ich noch nicht gefunden, vieles ist noch nicht zu Ende gedacht. Aber nun:

Das Elend der Neoliberalen besteht darin, dass sie zwar auf einer erstklassigen Theorie aufbauen, aber weder erkennen, wo Grenzen dieser Theorie liegen, noch erkennen, wo sich normatives Werturteil und Wissenschaft vermengen.

Ihre Theorie handelt von Gleichgewichtszuständen und den dort hin führenden Mechanismen - sie schauen zu wenig nach Ungleichgewichten und schütteln sich sogar vor Entsetzen vor dem Begriff "Marktversagen". Dabei wird es doch hier erst interessant. Wie Priester, nicht wie Wissenschaftler, formen sie nicht nur die Agenda ihrer Themen, sondern sie zeigen sich auf geradezu konstitutive Weise empiriefeindlich. Hat jemals ein Neoliberaler wirklich untersucht, warum das Wirtschaftswachstum in Neuseeland während seiner langen Jahre der neoliberalen Periode unterdurchschnittlich ausfiel?

Kam jemals ein Neoliberaler auf die Idee, dass es schädlich für eine Ökonomie sein kann, wenn die Bürger eines Landes durch immer neue Angriffe auf den Sozialstaat in Angst versetzt werden? Angstsparen und Konsumzurückhaltung sind keine guten Wachstumsmotoren.

Wenn typische Neoliberale einen Markt betrachten, dann schauen sie nicht wirklich hin. Zunächst schlagen sie sich nämlich eine Seite des Marktprozesses - und der tatsächliche Prozess scheint ihnen egal zu sein, wichtiger ist ihnen hingegegen, all das Wehklagen und Bedauern einer einzelnen Marktseite sich zu eigen zu machen. Hat man jemals von einer Untersuchung eines Neoliberalen gehört, beim beliebten Thema "Arbeitsmarkt", wo z.B. die Diskrepanz aus beworbener bzw. versprochener Arbeitsstelle und Stellenrealität zum Thema gemacht wurde, z.B. in Hinblick auf die Effizienz von Märkten?

Klügere Neoliberale wissen, dass der Staat viele überaus wichtige Funktionen im Marktprozess hat. So beruhen sogenannte "freie" Märkte darauf, dass der Staat sehr umfassend und äußerst regulativ Fairness auf Märkten sicher stellt.

Doch dort, wo Märkte offenkundig nicht gut funktionieren, z.B., weil es zu große Machtungleichheiten der Vertragspartner gibt und überdies große Defizite bei der Markttransparenz - dort, wo also zusätzliche staatliche Regulation erforderlich ist - hat man je gesehen, dass ein Neoliberaler nach Regulationen rief?

Ein Beispiel wäre der "Markt" für Wohnungsverwaltung. Geht man empirisch an die Sache, so stellt man schnell fest, dass es für diesen Markt geradezu typisch ist, dass die Mieter betrogen, übervorteilt und getäuscht werden, dass die Preisfindungsmechanismen recht gründlich versagen. Hat jemals ein Neoliberaler darüber geklagt?

Untersuchen Neoliberale Prozesse von Marktversagen, z.B. dort, wo Schädigungswettbewerb oder Blendungswettbewerb an Stelle von Leistungswettbewerb stattfindet?

Diese Schweinepriester. Nein! Neoliberale stehen nicht fürs Gemeinwohl, sondern für Partikularinteressen.

Bedenklicherweise haben solche einäugigen Wissenschaftler (Leute wie z.B. der stets sinnfreie Herr Sinn) fast schon eine Monopolstellung in der Politikberatung.

2 Comments:

At 28 September, 2005 21:32, Anonymous Anonym said...

Vielleicht interessiert dich das ja:

http://www.offizin-verlag.de/aufsaetze/39aea9fe6f105/1.phtml

Interessanter Blog, übrigens ;)

 
At 16 November, 2005 16:44, Blogger John Dean said...

Langer Text. Danke für den Tipp - ich werde ihn mir anschauen.

 

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