20 Februar 2014

Ich weine, Ukraine.

Ich weine, Ukraine.

Nach langer Zeit habe ich gebetet, und IHN angefleht, es möge sich, wider alle Wahrscheinlichkeit, doch noch ein Ende zum Guten finden. Möge diese Nacht, die kommen wird, keine blutschwarze Nacht sein. Der Himmel verfinstert sich, die Sniper haben Stellung bezogen, schon jetzt wurden über 60 Demonstranten und Journalisten weit überwiegend durch gezielte Kopfschüsse ermordet. Sie schießen sogar auf Rettungssanitäter, diese von Janukowitsch befehligten Mörder.

Nach dieser entsetztlich bösen Nacht kommen schlimme Wochen auf die Ukraine zu. Aber ich hoffe auf ein Wunder, mit der ganzen Kraft meines Hoffens, ich hoffe auf IHN. Und doch weine ich. Möge mein Beten und das Beten vieler anderer, Millionen von Menschen ein Wunder bringen. Nicht weniger ist in dieser furchtbaren, blutschwarzen Nacht nötig, die gerade herauf zieht. Ich weine, Ukraine.

14 Februar 2014

Verbotene Links - 1. Teil: Der Umgang mit Armen

Irgendwie bin ich heute über einen alten Eintrag von Shehadistan (eine Bloggerin der Maedchenmannschaft) gestolpert, wo sie sich über einen Zeit-Artikel empört. Dort beschreiben zwei Journalisten, wie mit ihnen in Berlin Neuköln umgegangen wurde, als sie sich als Obdachlose verkleidet haben:

Maria und Josef in Neuköln

Anschließend, auch zum Verständnis, ist es eine gute Idee, den Vorgänger-Artikel zu lesen:

Maria und Josef im Ghetto des Geldes

Shehadistan bemängelt, in typisch angriffslustiger Marnier eines angeblich "intersektional" auftretenden, radikalisierten Queerfeminismus, hier eine Vielzahl von Dingen und findet diese beiden Reportagen völlig inakzeptabel. Ihre Gründe, die sie für ihre Verdammung aufführt, halte ich für falsch und teils für richtiggehend bescheuert. Hier wird "Intersektionalität" imho nur vorgeschoben, moralischer Hochmut praktiziert - und es werden Reportagen und Journalisten nieder gemacht, die deutlich eher unsere Bewunderung verdient hätten. Tja, und schon wieder ist eine Bloggerin der Mädchenmannschaft in die Rigorisitätsfalle getappt.

Sorry. Shehadistan überzeugt mich mit anderen Beiträgen eher. Sie ist auch wirklich keine üble Bloggerin, trotz ihrer gelegentlichen Ausflüge ins "intersektionale" Moralspackentum.

Jedenfalls, die beiden Reportagen in der ZEIT sind auf alle Fälle sehr lesenswert! Ich bin sehr dankbar dafür, wenn sich Journalisten solche Mühe machen und damit auch sichtbarer machen, wie die Realität aussieht. Auch wenn, das dürfte klar sein, in beiden Fällen die Vorweihnachtszeit die Lage der beiden "Obdachlosen" etwas vereinfacht haben dürfte.

Umso schlimmer. Nachdem ich diese beiden Artikel gelesen habe, schwankte ich zwischen "sofortige Enteignung aller Bürger im Hochtaunuskreis" und "Vermögenssteuer schnell einführen!".

P.S.
Intersektionalität ist toll! Nur ist es eben nicht sonderlich "intersektional" eine Reportage zu verdammen, welche den Umgang mit Armen sichtbar macht. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich gerne mal prüfen, ob sich unter den Verdammungen der MaeMa-Bloggerinnen noch andere journalistische Perlen finden.

Vermutlich ist das so...

13 Februar 2014

Jan Fleischhauer trifft es auf den Punkt: Zur Causa Sarrazin

Jan Fleischhauer schreibt aktuell:
Sarrazin sehnt sich nach der Anerkennung der Kreise, in denen er sich bewegt hat, als er noch der etwas schrullige, aber geschätzte Finanzexperte war, und nicht der umstrittene Bestsellerautor. In diesem Milieu ist Sarrazin durch seine Bücher zum Außenseiter geworden. Das ist die Ausgrenzung, die ihn schmerzt und gegen die er eigentlich anschreibt. Im Fall Sarrazin liegt eine Verwechslung vor. Nur weil einem eine bestimmte Elite die kalte Schulter zeigt, heißt das noch lange nicht, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet sei.
Da schreibt mit Jan Fleischhauer jemand, der Sarrazin offenkundig gut kennt und ausgezeichnet einschätzen kann. Mir fehlen allerdings zwei Aspekte:

Erstens, die Rede vom angeblich unterdrückerischen "linken Meinungsklima" bzw. von der Unterdrückung neurechter Meinungen durch ein Klima der  "political correctness" (hä?) ist von Beginn an (nicht nur, wenn sich Sarrazin entsprechend äußert) eine Vermarktungstrategie. Die Rechten und Neurechten haben sich schon immer gerne als verfolgte Unschuld ausgegeben, um aus dieser Warte heraus Minderheiten und die Gesellschaft mit Hassparolen zu überziehen. Das ist ja so schrecklich "subversiv" und "mutig", hetzerische Ansichten zu verbreiten.

Das ist tatsächlich ein Klassiker.

Zweitens, die meisten Rechten und Neurechten, die sich über "political correctness" beschweren, die haben ein sehr großes Problem mit Meinungsfreiheit. Sie ertragen es schlicht nicht, wenn ihnen jemand widerspricht. Genau an dieser Stelle, so auch bei Sarrazin, kommt das Geheule über die angeblich furchtbare "political correctness". Der Hobby-Eugeniker Sarrazin ist geradezu ein Paradevertreter dieses neurechten Gejammers. Kaum ein Mensch ist mir bekannt, der so eklatante Probleme damit hat, wenn ihm jemand in der Sache widerspricht. Sogar dann, wenn sich Sarrazin - wie er es verschiedentlich getan hat - Statistiken wild herbei lügt (!), dann hält er es für den Audruck von schlimmster "political correctness", wenn er auf dieses böse intellektuelle Foul hingewiesen wird.

Sarrazin, der Jammerlappen.

14 Oktober 2013

Wie Milliardenvermögen entstehen: Das Beispiel Lutz von Stryk

Zu den interessantesten neuen Milliardären in unserem Land gehört Lutz von Stryk.

Was zeichnet ihn aus?

Unbedingte Leistungsbereitschaft? Ganz normal eher. Er versteht es auch zu leben.
Herkunft aus normalem Hause? Nein. Keine normalbürgerliche Herkunft.
Unverdienter Reichtum auf Kosten des Steuerzahlers? Ja. Und wie!

Seine "höhrere" Herkunft, durchaus gediegener Art, half ihm sicherlich, dass er in der HSH Nordbank das Immobiliengeschäft verwalten durfte. Irgendwann geriet die HSH Nordbank schwer ins Straucheln, nicht zuletzt auch bedingt durch den Größenwahn und die verhobene Risikobereitschaft ihrer Leitung. Eigentlich stand das Institut, als Besitz der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg, unter staatlicher Kontrolle. Die Manager verstanden es jedoch auf das Beste, ihre eigentlichen Besitzer und Kontrolleure auszutricksen und sich der Kontrolle zu entziehen. Nun, die Schwierigkeiten waren da, sie waren riesig und ein Teil der Milliardenverluste ging auch darauf zurück, dass sich die HSH Nordbank im Immobiliengeschäft massiv verhoben hatte. Möchte man es auf einen Nenner bringen: Großmannssucht an Stelle kaufmännischer Klugheit.

Wer war dafür verantwortlich? Richtig: Lutz von Stryk.

Nach normalmenschlichen Maßstäben hätte die Bank diesen Mann, der ihr in der sogenannten "HSH Real Estate GmbH" gigantische Verluste beschert hatte, schlicht entlassen müssen. "So läuft es nun mal im Kapitalismus" wäre dann der passgenaue Hohn gewesen, der dem gescheiterten Manager auf die Wunden einer gescheiterten beruflichen Karriere gestreut worden wäre. Ein "Leistungsträger" im engeren Sinne, trotz all seiner Bemühung, war Lutz von Stryk ganz sicher nicht. Denn seine Bemühungen brachten nun einmal nachhaltig rote Zahlen hervor - was durchaus ein Kunststück war, denn im Umfeld von Hamburg gab es viele Hunderte, vielleicht sogar Tausende von anderen, nur diesmal erfolgreichen Immobilienmanagern, teils solche, deren einzige Qualifikation das Abwarten war, wodurch sich in den allermeisten Fällen, aufgrund der Wirtchaftskraft der Hansestadt und ihres Umlandes, gewaltige Gewinne ergaben. Solche Talente besaß Lutz von Stryk aber nicht, und so gelangen ihm im wesentlichen nur Verluste. Pech halt. Oder auch Unvermögen.

Was solls! So in etwa muss der komplexe Gedankengang der Spitzenmanager der HSH Nordbank gewesen sein, als sie, milliardenschwer notleidend, auf den Zuschuss staatlichen Geldes angewiesen waren. Eisern gestählt in der Kunst, sich staatlicher Kontrolle zu entziehen, gelang der Managerclicque der HSH Nordbank noch ein letzter Coup:

Sie schenkten ihrem Mann im Immobiliengeschäft, Lutz von Stryk, einfach mal den verbleibenden Immobilienbestand im Wert von rund 2,3 Milliarden Euro. Was solls! Dem Steuerzahler wird es egal sein. Und falls da doch einmal Nachfragen entstehen, dann faseln sie einfach von "Betriebsgeheimnissen!". Ganz easy ist das, so ein "Management-Buyout". Lutz von Stryk zahlte also im August 2013 einen Euro, und bekam im Gegenzug Immoblien im Wert von 2,3 Milliarden Euro. Den öffentlichen Kontrolleuren, ob im Parlament, ob von der Staatsregierung, den zeigt man konsequent eine lange Nase.


Bild von Epsos
Vom Managementversager zum Milliardär! Lutz von Stryk. Man weiß nicht, ob der glückliche Mann abends heimlich lacht, oder ob er den kaum minder bewundernwerten Herrn Nonnenmacher, seinen ehemaligen Chef, zum gemeinsamen Wein trinken einlädt. Vielleicht errichtet er noch eine Stiftung. In Luxenburg. Oder gleich mehrere. Unbekannt ist auch, ob er im Hamburger Umland ein Gestüt betreibt, so wie es bei den besseren Leuten im Umfeld der Hansestadt eben üblich ist.

Nur, kommt es darauf überhaupt an? Für Herrn von Stryk vielleicht schon. Er wird keinen Mangel barmen, und beruflich, eigentlich sehr überraschend ob seiner eigentlichen Erfolge, hat er vollends ausgesorgt. Wenn diese kleine, sehr erbauliche (Vorsicht: Wortwitz) Geschichte kein Lehrstück über den real existierenden Kapitalismus einerseits, und andererseits über die Wirkungen mangelhafter öffentlicher Kontrolle ist:

Tja, dann weiß ich ja auch nicht...

09 Oktober 2013

Nachwort an die FDP-Bundestagsfraktion

Der Markt hat immer recht.

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01 September 2013

Internationale Syrienkonferenz zur Beendigung des Bürgerkrieges

Ich glaube nicht, dass die Anzahl und "Qualität" der militärischen Handlungen in Syrien zu niedrig ist - und durch Eingreifen der Türkei und der USA gesteigert werden sollte. Ich glaube aber, dass eine internationale Friedenskonferenz eine gute Idee wäre, und zwar mit folgenden Teilnehmern:

2 Vertreter der Assad-Familie
2 Vertreter der syrischen Opposition (1 x Salafist, 1 x moderat)
Saudi-Arabien
Iran
Frankreich
USA
Russland
China
Amnesty International
Internationales Roter Halbmond/Kreuz
4 Vertreter führender syrisch-sunnitischer Schulen/Moscheen
1 christlicher Vertreter
1 Vertreter des Alawitentums

Ziel ist die Errichtung einer stabilen Friedensordnung

Ausgehandelt werden muss u.a., wie  eine effektive Korruptionsaufsicht errichtet werden kann,
sowie, wie der religiöse Friede wieder hergestellt werden kann

27 August 2013

Genderfragen und HartzIV-Arbeitsgelegenheiten

Ich las gerade, zufällig, den Songtext von "I kissed a girl" (Katie Perry) und dazu fallen mir zwei kleine Geschichten ein:

Das ist die Geschichte von Wanja, einer 16-jährigen "Einwanderin" aus Russland, die sich so gut wie mit jedem gut und bestens verstand. Ein richtiger Wirbelwind, und von einer freundlichen Lebendigkeit, die mich noch heute schwärmen lässt. Sie stieß zu uns im Rahmen eines Schülerpraktikums. Nun, wir waren damals Teil eines Theaterprojektes ("Arbeitsgelegenheit") und Wanja und ich befreundeten sich ziemlich schnell. Was nicht unbedingt viel hieß, weil sie sich im Grunde genommen mit jedem Menschen schnell anfreundete - obwohl, so ganz stimmt da auch nicht. Wir waren schon wirklich sehr dicke miteiander, ich der ältere Mann - und sie, das junge Mädchen - und immerhin so sehr, dass wir es irgendwie bedauerten, nicht "füreinander gemacht" zu sein. Weil, Altersunterschied, außerdem hatte sie schon einen Freund, und ob mir nicht vielleicht ihre ältere Schwester gefallen würde, diese sei ihr ja ziemlich ähnlich? Nunja, das stimmte zwar, aber der Charakter, das Lebendige - das ging der guten Schwester eben ab. Wie auch immer, jedenfalls wurde ich wie ein älterer, väterlicher Freund regelmäßig ins Vertrauen genommen - und wir hatten wirklich viel Spaß. Ach, und nicht zuletzt, ich habe von ihr ganz wertvolle Dinge lernen können. Darauf komme ich noch.

Jedenfalls, eines Tages fragte mich Wanja, reichlich verunsichert und irritiert, was es denn mit dem "I kissed a girl" auf sich hätte. Irgendwie fühlte sich sich von dem Lied, das im Rundfunk rauf und runter dudelte, ein gutes Stück weit unter Druck gesetzt: Es mal auch mit Mädchen versuchen zu müssen. Zu allen Überfluss war Katie Perry in gewisser Weise eine Art Familiendoppelgängerin von Wanja, da sie sich - äußerlich - bemerkenswert ähnlich waren. Also, da saß sie also am großen Gemeinschaftstisch, der gerade verwaist war, und wartete wie gebannt auf meine Antwort. Was also hat es damit auf sich? Meine Antwort, zumal ich mich da etwas unvorbereitet fühlte, bestand nur aus einer Handvoll oder maximal sieben Silben. Vermutlich war das tatsächlich eher eine Art Gegrunze, das sich da leicht zögerlich den Weg aus meinem Mund bahnte. Sinngemäß sagte, bzw. grunzte ich ihr, dass es erstens völlig okay ist, wenn sie sich nichts aus Mädchen mache, zweitens, dass ein Kuss einfach nur ein Kuss sei, so irre dramatisch ist das ja nicht, und drittens, dass das ganze Stück sowieso marktschreierischer Humburg sei, vorgetragen von einer ziemlich zwanghaften Sängerin, die wenige Jahre zuvor ausschließlich christliche Lieder sang. Wie gesagt, ich grunzte diese Antwort in maximal sieben Silben.

Was für eine Erleichterung brandete da auf! Ja, ein ganzer Albdruck fiel von dieser lebenslustigen 16-Jährigen ab. Das war dann also genau die Antwort, die sie wirklich weiter brachte. Und mensch hörte geradezu, wie sie in ihrer inneren Checkliste den Punkte "mit Mädchen rumknutschen" äußerst erleichtert durchstrich. Gendertrouble mal anders herum... Äußerst spannend war aber, was ich von Wanja lernte. Lernen durfte! Teil unseres Theaterprojektes war eine ältere Italienerin, welche sich mit den Stoffen und Kleidern beschäftigte, ihre Zeit meist sehr abgeschieden in der Kleiderkammer verbringend, wenn sie sich nicht gerade sehr laut und bösartig mit jemanden herumstritt. Isabella. Fast alle in unserem Projekt fürchteten sich vor dieser verbitterten Italienerin, und umgekehrt, es gab abgesehen von gelegentlichen Streits keinerlei Kontakt zu ihr. Außer, dass ihr gelegentlich Kleider zum flicken gebracht wurden. Mit Wanja änderte sich das. Wanja stellte nämlich fest, dass man sich mit der Italienerin ganz vorzüglich unterhalten könnte, und außerdem, dass es einen Heidenspaß macht, mit der Italienerin gemeinsam Kuchen zu backen. Was dann konsequenter Weise täglich stattfand. Wanja kommt es nämlich einfach nicht in den Sinn, auf irgendeinen Menschen reserviert zuzugehen. Irgendetwas Schönes kann man mit jedem anfangen! Das war ihre Devise, und sie sorgte dafür, dass sie sich bewahrheitete. Ich begriff dann ein paar Tage später, immer noch etwas vom "Isabella-Wunder" beeindruckt, warum die ältere Italienerin oft so wütend und streitsüchtigt auftrat. Sie fühlte sich durch das ganze Drumherum (Eineurojob, schäbige Sitzgelegenheiten, ausbeuterische Tendenzen) massiv zurückgesetzt und gekränkt als Person. Mit Wanja stieß sie dann endlich auf jemand, der sie achtete und behandelte wie eine gute Freundin. Ist es nicht erstaunlich? Der Unterschied, wie Tag und Nacht, liegt nicht etwa in der Person, mit der du zu tun hast, sondern in der Art und Weise, wie du ihr entgegen trittst. Okay - was natürlich nicht immer stimmt - telefoniert man mit einem Versicherungsunternehmen, dessen Mitarbeiter darin ausgebildet werden, dich als Kunden konsequent anzulügen, dann ändert sich das fundamentale Verhältnis nicht zum Guten, indem du durch dein Verhalten die Möglichkeit dazu aufmachst. Du wirst selbstverständlich immer noch angelogen. Gegen die kapitalistische Zurichtung des Menschen ist eben kaum ein Kraut gewachsen. Denke ich. Aber ich sollte vielleicht noch einmal Wanja fragen.

06 April 2013

Thema: postmoderne und andere Identitätspolitiken

Aus Dokumentationsgründen und weil mir einige Gedanken hier wichtig sind, veröffentliche ich hier einen Kommentar zum Thema Identitätspolitiken:

Also, so richtig viel Gedanken habe ich mir da noch nicht gemacht. Ich finde aber, dass das Faß “Identitätspolitik” riesengroß ist, und in diesem Faß schwimmen die unterschiedlichsten Dinge. Sicher ist es eine gute Idee, dabei danach zu fragen, inwieweit konkrete Identitätspolitiken (bzw. Zuschreibungen und Konzeptionen von Gruppenidentitäten) a) aus Machtverhältnissen resultieren und b) Machtverhältnisse und c) Ausschlüsse erzeugen/unterstützen. Klingt erst mal gut – und finde ich auch erst mal gut, zumal ich mich selbst als ausgesprochen machtkritisch verorte.
Es gibt nur drei Haken an der Sache – jedenfalls für mich:
1. Das Faß ist so riesengroß, dass ich es nicht überschaue. Identität ist ohnehin (sei es nun auf der individuellen Ebene oder auf der Gruppenebene, oder interdependent) ein schwieriges Ding, dass einerseits auch als Inanspruchnahme von Autonomie (z.B. Selbstkonzeption), andererseits auch als Ab- und Ausgrenzung gelesen werden kann. So Pi mal Daumen würde ich sagen (etwas im Nebel stochernd, sorry – ich weiß es nicht besser), dass es bei Identitätskonzepten sehr darauf ankommt, inwieweit diese a) ab/ausgrenzend oder anderen gegenüber abwertend wirken b) als Machtmechanismus wirken und c) dialogisch sind oder Dialog zu Personen außerhalb der Identitätsgruppe behindern. Ich nehme hier einfach mal die Identitätskategorie “Familie”, um mit diesem einzelnen Wort zu verdeutlichen, wie sehr es auf das Wie ankommt.
2. Machtstrukturen und -gefälle verlaufen nicht trennscharf anhand der Umrandungen von Schlagworten. So kann ein politisch hochaktiver Schwuler innerhalb seines Kontextes, aber auch darüber hinaus, gleichzeitig (!) marginalisiert sein, als auch (!) privilegiert bzw. Inhaber formaler oder informeller Macht. Was ich damit sagen will: Die Dinge sind nicht so einfach, und Schlagworte (z.B. zur Kennzeichnung marginalisierter Identitätskategorien) können als Denkhilfe funktionieren, zugleich aber auch relevante Fragestellungen verdecken.
Zum Beispiel: Wenn ein “gemischt Marginalisierter/Privilegierter” auf einen anderen “gemischt Marginalisierten/Privilegierten” trifft (imho: der Normalfall!), zum Beispiel ein wohlhabender schwuler Filmemacher aus großbürgerlichen Haus auf einen psychisch kranken weißen Cis-Mann und Flaschensammler aus prekärer Arbeiterklassenherkunft: Wer von beiden repräsentiert im Umgang mitenander dann eine marginalisierte Gruppe, wer von beiden stiehlt dem anderen mit seinen “Performances” den Raum, wer von beiden ist tendenziell der “Machtausübende”, wer von beiden hat Anspruch darauf, gehört zu werden, und wessen Identitätspolitik sollte bevorzugt kritisch hinterfragt werden?
Ich persönlich tendiere sehr stark dazu, erstens, das Wie sehr wichtig zu finden, und zweitens, Menschen in erster Linie als Individuen zu betrachten – und höchstens zu , ich sage mal: 15 Prozent als Ausdruck/Repräsentant identitärer Konzepte. Das heißt für mich im Umkehrschluss, dass wechselseitige Rücksichtnahme und Achtung wesentlich sind, und eben weniger die (taktisch missbrauchbare) Verortung von Identitäten. Auch glaube ich, dass Machtverhältnisse (z.B. konkrete Marginalsiierungen oder Privilegierungen) nicht allein auf Basis identitäter Konzepte adäquat dargestellt werden können.
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3. Mein Ideal von Empowerment ist im Wesentlichen individuell. In meinem Blümchen-Weltfriedensideal gehen die Menschen wechselseitig (!) empowernd um (ich finde das sogar sehr wichtig) und beurteilen sich nicht so sehr anhand der Frage, ob/inwieweit jemand_in PoC, Hetero, weiß, arm, alt, Bildungsbürger, Erbe einer Eigentumswohnung, klein, modisch, belesen, urlaubsgebräunt, stylisch oder “gut frisiert” ist.
Ich werde also, zumal im täglichen Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen, den Gedanken nicht los, dass Gruppenidentitäten bzw. deren Bedeutung allzu leicht überschätzt werden können, sei es nun aus einer eher konservativ-reaktionären Grundhaltung heraus oder aus einer vermeintlichen oder tatsächlichen Progressivität heraus.
Schlusswort:
Ich hoffe, du fühltst dich durch mein Posting nicht irgendwie belästigt oder gar geschulmeistert. Ich habe einfach nur die Gedanken aufgeschrieben und zu ordnen versucht, dir mir bei diesem Thema durch den Kopf geistern bzw. als diskussionswürdig gehalten werden.
(ich verfolge dein Blog übrigens schon – sporadisch jedenfalls – seit vielen Jahren)

11 Februar 2013

Echt super: Papst weg!

Aus gesundheitlichen Gründen tritt der Papst der Schande, der Homophobie, der Papst des ideologischen Schwachsinns, der Feind wahrer Frömmigkeit, der Lehrer eines hinterwäldlerischen Katechismus, der Verhinderer von Fortschritt und Meinungsvielfalt in der katholischen Kirche, der Schützer katholischer Pädophilie, der Bekämpfer aller innerkirchlich Andersdenkenden:

:zurück.

Ein sehr schöner Tag für die Menschheit. Ich habe Sekt geöffnet! Zum Wohl!

Ich habe viele Male dafür gebetet, dafür dass wir diesen Papst loswerden, ohne, dass er dafür sterben muss. Es ist vollbracht, eine neue Tür wird aufgemacht.

22 Januar 2013

Nachlese zur israelischen Wahl

Ich freu mich so. Das Land ist nach Mitte-links gerückt, sehr deutlich sogar. Endlich rücken jetzt sozio-ökonomische Themenstellungen in den Vordergrund. Von 120 Parlamentssitzen liegen inzwischen 51 in einem relativ homogenen Mittelinkslager - sogar eine Linksregierung (dann allerdings mit relativ problematischen Kräften) rückt in die Nähe des Möglichen. Alle meine Lieblinge in der israelischen Politik haben ziemlich gut abgeräumt - und weit besser, als es die Umfrangen vorher gesagt haben.

Spätestens zur nächsten Wahl ist der "rechte Winter" der israelischen Politik beendet. Meine einzige wirkliche Befürchtung liegt darin, dass eine neuerliche Regierung Netanjahu (die z.Zt. alles andere als sicher ist) die Eskalationskarte ziehen könnte, auch, um sich damit wieder eine politische Zukunft zu verschaffen.