Erzählung: Herr Johannser, Senior-PR-Consultant
Der Summton der Klingel verstummte und die Stimme eines Bediensteten erklang: «Wer ist da bitte?!» Ich neigte mein Haupt zur Sprechanlage und nuschelte gehetzt «Ich bin der 15:00 Uhr-Termin, Mario Moussaka.» Die Stimme fragte: «Mario Moussakka?», «Ja», sagte ich und das fein gearbeitete verzierte Gartentor setzte sich leise ratternd in Bewegung und öffnete sich.
Ich eilte zum Eingang der dreistöckigen Villa, hörte im Flur von einer verdattert guckenden Frau «Guten-Tag-ich-bin»-Mandy die Auskunft «1 Stock, ganz rechts bitte» und stürmte an ihr vorbei die Treppen hoch, das schwere, ausladende Edelholzgeländer, das noch nach frischen Holz roch, beachtete ich fast nicht.
Die lederbeschlagene Tür schloss sich hinter mir, schon stand ich vor dem schweren Schreibtisch von Herrn Johannser, in seiner Bauchfülle ein beinah behäbig wirkender Mann, er schaute mich durchdringend an und sagte: «Mario, junger Freund, es ist schön, dass Du kommst, was darf ich für Dich tun?», wobei er das «Dich» auffällig betonte.
Sein Zweitage-Bart konnte nur mühsam verbergen, dass er und sein Doppelkinn unmäßig schwitzten, seine eckige Brille betonte den kalten stechenden Blick, während sich seine kurzen Haare schmierig-fettig und strähnig auf seinem Kopf ordneten. Seine Krawatte baumelte schief und unförmig aus seinem schwarzen Anzug heraus, und wie immer presste er seine Lippen eng zusammen, nachdem er etwas gesagt hat. Immer noch durchbohrten mich seine braunen Augen, wie ein unpassend zahmes Wildtier, das noch nichts davon weiß, was der Jäger will.
«Setz Dich, und erkläre mir Deinen seltsamen Brief!» Etwas beklommen setzte ich mich. «Du fragst mich», sagte der Senior-Consultant und legte seine Hand mit dem Brief auf den rötlich gezeichneten Marmor seines Schreibtisches, «ob ich Dir einen Rat für die Zukunft geben kann. Du hast geschrieben, Du wärst vom hohen Ideal durchdrungen und doch oder gerade deshalb eckst Du überall im Leben an, ein Leben, das Dir kantig erscheint – das waren Deine Worte – und jetzt willst Du meinen Rat dafür. Junger Freund, das kann ja etwas werden mit Dir...?!»
Ich nickte dankend.
«Zunächst», sprach der Senior-PR-Consultant, «was hast Du bisher gemacht, und was bist Du von Beruf?» Ich schämte mich nicht wenig und erwiderte «Ich habe Kommunikation studiert, und ich bin nichts.»
«Hmm – Hmm“ machte der Senior-PR-Consultant und wiegte voller Bedenken sein Haupt. «Wozu brauchst Du dann noch Rat? Naja immerhin,...ich steh Dir zur Verfügung.»
Ich richtete meinen Finger auf sein schweres Bücherbord, beladen mit ledergebundenen Autographen, dann zeigte ich auf seinen lüsternen Kronleuchter an der Decke, die Lichtbrechungen schweren Bleikristalls tauchten den Raum in ein angenehm diffuses Licht, und stieß die Frage heraus, die mich bewegte: «Wie komme ich zu Erfolg? Wie erreiche ich einen Erfolg, wie Du ihn hast? Lehr mich, wie ich zu Erfolg komme. Diesen Erfolg?»
Erneut zeigte ich mit dem Finger auf einen seiner vielen Kunstschätze, diesmal eine bronzene Stehlampe anpeilend, bei der ein Laokoon-Ensemble den Lampenschirm hält, welcher seine Umgebung behaglich gedämpft erleuchtete. «Woher hast Du das alles?», fragte ich.
Herr Johannser lächelte seltsam.
«Erfolg? Du willst wissen, wie ich als PR-Consultant den Erfolg gelockt habe, junger Freund? Mein lieber, junger Hitzkopf! Es ist ganz einfach: Ich habe mich und überhaupt alles immer gebeugt! Auch die einfachsten Worte habe ich in amorphe glibberige Klumpen verwandelt, an denen nicht ein Gramm Wahrheit Haftung fand, wann immer es für meine Kunden erforderlich war. Du musst die Worte beugen und Du musst Dich beugen!»
«Niemals täte ich das, nie!» sagte ich mit Nachdruck.
«Du musst es tun!», sagte er, «Und Du wirst es tun. Sag, wie hast Du Dir Dein Studium finanziert?»
«Ich war“, dabei schaute ich auf meine Schuhspitzen, «Call-Center-Agent in Leipzig. Bei uns gab es nicht viel.»
«Falsch!» sagte er und sein Blick wurde wieder bohrender, «Wärst Du tüchtig und wirklich smart, dann hättest Du woanders sitzen müssen: In der Presseabteilung von Rheinmetall, als Kontaktmann beim Staatsschutz oder als Marketingassistent in einer Pharmafirma. Weißt Du, was ein Kompromiss ist? Kannst Du Zugeständnisse machen?»
«Nein, sowas will ich nicht!» rief ich.
«Du musst sie machen und Du wirst sie machen. Schau mich an! Ich bin die wohlgenährte Frucht der Kompromisse! Vor einem Monat habe ich für einen Stromkonzern Statistiken gefälscht und erfolgreich verbreitet, letzte Woche war ich für eine kriselnde Antikorruptionsfirma aktiv. Mein Krisenmanagement bestand darin, gegenüber der Presse in ungezählten Journalistenkontakten glaubwürdige Lügengeschichten über den Vorfall und die kleine Kritikerin zu verbreiten.»
«Lügengeschichten?» fragte ich verblüfft und merkte, wie Herr Johannser in Schwung kam.
«Ja, sagte er, man kann Journalisten so herrlich einfach hereinlegen, die sind fast alle bequem. Außerdem fand ich zusammen mit dem Ethikbeauftragten dieser Firma etwas überaus Feines heraus, der ist übrigens ein Könner des Kompromisses. Wir fanden nämlich, dass man die Kritikerin wirkungsvoll erpressen konnte, indem man zugleich ihre Freundin bedroht. Man muss im Leben vorankommen, junger Freund!»
«Aber die Wahrheit? Was ist mit den Idealen?» rief ich unangenehm lauter werdend, «Man muss doch anständig bleiben, damit sich das Leben verlohnt? Ich bin ein Revolutionär, mich drängt es, die Welt zu bessern, und so will ich bleiben! Betrug werde ich Betrug nennen, auch wenn es ein Betrug meines Kunden ist, einen Schleimer einen Schleimer, auch wenn er Senator ist, einen korrupten Partei-Anwalt korrupt, auch wenn er es ist, der mich bezahlt. Ich möchte eine klare Sprache sprechen. Ich werde einen Mord einen Mord heißen und Unrecht Unrecht, das ist es, was ich will. Hilf mir doch! Zeig mir den Weg, wie ich dieses Ziel verwirklichen kann, für meine Ideale, und wie ich glaube, zum Wohl der Menschheit!»
Ich hatte mich in Erregung gesprochen; meine Wangen glühten errötend, meine Lippen waren geöffnet und zitterten leise. Meine Augen suchten Halt im Raum und blieben am eingerahmten Wahlspruch hinter ihm an der Wand hängen:
Consultant, du bist null und nichtig!
Du bist ein subsidiäres Komplement!
Keine Wahrheit! Nimm nur eines wichtig:
Dass der Kunde dich erkennt.
Der Senior-PR-Consultant lächelte. Der große Herr Johannser lächelte milde. «Mein lieber Freund, Du bist noch so jung», hob er an, «aber Du redest Dich um Kopf und Kragen. Um Wohlstand und Erfolg. Auch ich begreife deine schönen Ziele, aber Gesinnungsmoral taugt nicht für den beruflichen Alltag. Hör mir mal genau zu! Auch ich wünschte, dass die Menschheit so edel wäre, wie Du sie machen möchtest. Auch ich bin ein Anhänger von allem Guten und Schönen, von edlen Zielen, ja, ich verehre das. Und doch, mein lieber junger Freund, sehr hart im Raum stoßen sich die Dinge! Man muss die Realität einkalkulieren, gut rechnen, sich klug beugen, wenn es für die Auftraggeber nötig ist...»
«Ich möchte mich nicht beugen!», unterbrach ich ihn trotzig.
«Du wirst Dich beugen, du musst Dich beugen, und das Beugen machst Du Dir zu einem Wesenszug Deiner Person, dann spürst du es garnicht mehr. Lerne die Kunst der Beugung und der Biegung, drehe Deine Worte so, wie Du sie brauchst. Eines Tages wirst Du vierstellige Tagessätze erhalten, und dann beugt es sich bequem und leicht. Es ist so süß, ein winziges Nachgeben, ein kleines Abducken des Kopfes und ein guter Anfang ist gemacht. Dann ein niedliches kleines Verleugnen von Prinzipien; nährt Dich etwa die Aufrichtigkeit? Und schon bist du ein gefragter, angesehener, nützlicher und überall freundlich aufgenommener junger Mann! Willst Du das?»
Zornig abwehrend schüttelte ich den Kopf.
«Ach, was, Schnickschnack!“, versuchte er es mir in warmen Ton auszureden, «Überleg doch mal, was willst Du machen! Du wirst heiraten wollen, einen Hausstand und eine Familie gründen, und Du wirst Dich biegsam zeigen. Was hast Du, was hat die Menschheit von Deinen Prinzipien, von diesem starrsinnigen Festhalten an der Wahrheit oder was Du so nennst! Schau mal, was kostet es mich denn? Ich bin freundlich zu allen Leuten, ich sage zu allem Ja, wo Du vielleicht wütend Nein sagen würdest, und ich kann schweigen. Schweigen, mein Freund, ist gratis und leicht. Schweigen ist die Perle in der Krone der Kommunikationskunst. Du musst schweigen!»
«Ich muss reden, die Wahrheit offen legen, es muss gerade heraus!», rief ich laut.
«Du musst nicht, wer wird denn schon müssen! Mario, schweig, beuge und bieg Dich! Beuge Dich vor der Macht, bieg Dich für den Ruhm, beuge Dich vor dem Geld – vor diesem zuerst – und beug Dich für Deine Kollegen, Deine Nachbarn und vor den Frauen – und rate mal, was Dein Lohn dafür ist?»
Herr Johannser lehnte sich behaglich zurück und lächelte üppig.
«Ich lebe», fuhr er fort, «wie Du siehst auf großem Fuß, und ich bin darum zufrieden mit allem. In meiner Villa verkehren Anwälte und Ärzte, Wirtschaftsbosse, hohe Beamte und Künstler – und keinem davon tue ich in meinen Texten irgendwas an, und jeder bekommt eine gute Flasche Champagner. Glaubst Du, ich weiß nicht, was dahintersteckt? Aber es kümmert mich nicht. Sie lesen meine Artikel, sie kaufen sogar meine Bücher, ich werde als geachtetes Mitglied meiner Zunft von Event zu Event gereicht – was will ich mehr? Bin ich etwa angestellt, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, eine unbequeme, nackte und ungeschönte Wahrheit?»
«Wir alle haben Verantwortung, die unverdrehte Wahrheit zu sagen, als Männer des Wortes dürfen wir nicht betrügen und tricksen – es ist unsere Aufgabe, den Menschen die Wahrheit zu sagen» entgegnete ich.
«Bei mir nicht», sagte Herr Johannser, «ich habe diese Aufgabe von meiner umfangreichen Tätigkeitenliste gestrichen, und bitte glaub mir, so lebt es sich schöner. Wer bin ich, dass ich die Welt bessern müsste? Meine Integrität gilt meinen Kunden, ihrem Geld und damit habe ich genug zu tun. Und seitdem habe ich genau, was ich brauche, viel mehr als ich brauche; meine Tochter heiratet demnächst einen Manager aus allerbester Familie. Ja.»
«Soll ich heiraten?» fragte ich ihn.
«Die, welche du liebst, die heirate nicht, trag sie in Deinem Herzen aber nicht in Dein Heim, denn ich ahne bereits: Sie hat kein Geld. Heirate zum Beispiel die Tochter vom Ackermann, oder von irgendeinem anderen reichen Mann. Seine Tochter ist nicht einmal hässlich. Raum ist in der kleinsten Villa, aber eine Villa sollte es schon sein. Rauchst du?»
«Nein, Verzeihung», sage ich, «ich rauche nicht, ich hab noch nie geraucht, ich...»
«Rauche! Mein lieber Freund, rauche doch», drängte er freundlich, «es dämpft ab. Es nimmt Dir die Ungeduld. Und hör auf mich, wo ich oben auf der Leiter stehe, die Du gerne besteigen willst. Der Erfolg ist alles. Mach Dir Erfolgsethik zu eigen, denn das ist auch eine schöne Ethik. Du wirst für den Erfolg bewundert werden, erwirbst sogar Vertrauen, vor allem dort, wo man Erfolg hat. Diesen Erfolg erwirbst Du Dir zuerst mit Schweigen. Sag niemals zuviel, selten die Wahrheit, besser, vermeide sie ganz. Denke an das, was Dein Kunde erwartet. Du erzielst Erfolg durch Kompromiss, Erfolg durch Zuhören und durch geschicktes Schleimen bei alten mächtigen Leuten. Sei überall nett! Und beugen musst Du, Dein Wort und Dich, üb Dich wie ein Sportler in Deiner Disziplin! Du kannst Dir Dein Glück selber schmieden und es ist so unvergleichlich schön, sich sein Glück selbst zu erarbeiten, es zu haben, haben, haben!»
Er grinste fett und eitel, seine Augen strahlten, was sie sonst nur selten tun, fast sah es so aus, als ob er sich für einen Applaus erheben wollte. Ich stand auf, stolperte dabei fast über meine Beine und schaute ihn intensiv und fragend an.
«Du wirst mir heute vielleicht keinen Glauben schenken», sagte Herr Johannser. «In zwanzig Jahren widersprichst Du mir nicht mehr. Sorg dafür, dass es dann nicht zu spät ist, diese Chance hat man nur einmal! Bleibe geschmeidig, und lass es Dir gut gehen!»
Ich nahm die entgegenstreckte Hand und stürzte hinaus.
Im Zimmer saß Herr Senior-PR-Consultant an seinem prächtigen Diplomatenschreibtisch und schüttelte lächelnd den Kopf. «Diese Sorte junge Leute», sagte er. «die wird immer seltener und will doch mit dem Kopf durch die Wand stoßen, will klüger sein, als wir es sind. Nun, seine Erfahrung muss jeder selber machen! Aber jetzt will ich eine Tasse Tee trinken. Johannes!» Und er klingelte.
Unten am Gartentor stand ich, einen kalten Messingknauf in den Händen, meine Wut und mein Zorn ließen meine Hand verkrampft greifen, als sie das Tor von innen öffneten. Ohnmächtig, angeekelt, bitterböse und in meinem Innern fühlte ich, dass der andere wenigstens für sich recht hatte.
Tipp: Wer etwas Erhellendes aus der Berlin-Mitte unserer Republik lesen will, betrachte dieses Innenbild von Lobbyisten. Relevanz=no follow? Wäre schön.
2 Comments:
«Ja, sagte er, man kann Journalisten so herrlich einfach herein legen, die sind fast alle bequem."
Es stimmt - leider. Dass für aufwändige Recherchen oft "keine Zeit" oder "keine Mittel" da sind, ist nichts Neues. Aber in den letzten Jahren vermisse ich mehr und mehr sogar klassische Ad-Hoc-Plausibilitätsprüfung: Kann das, was da in der Pressemitteilung steht, überhaupt stimmen? Dazu gehört nur ein wenig Lebenserfahrung, eine solide Allgemeinbildung sowie die Kenntnis der Grundrechenarten. Also etwas, was jeder, der sich Journalist nennt, mitbringen muss. Sogar von einem Voluntär sollte man das eigentlich verlangen können.
Komm auf die dunkle Seite, Luke...
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