15 Oktober 2006

Bericht von der NPD-Demo in Hamburg Wandsbek am 14.10.2006

Vorgeschichte (11.10.)
Dr. Dean sitzt in seiner Stammkneipe und wird von rechts von einem nervösen Typen mit Fanatikeraugen und tief schwarz gefärbten Haaren angesprochen. Sofort sprudelt es aus ihm raus:

Das doitsche Volk wird über den Krieg belogen, die Achtundsechziger haben das Land in eisernen Griff, man würde ihn für "reaktionär" halten, überall schädliche Gutmenschen, seine linken Lehrer haben sein Leben ruiniert, er möchte nach Australien auswandern um dort Postpilot zu werden, dank seines Psychiaters gilt er als arbeitsunfähig und überhaupt, dieser Günter Grass ist moralisch auf das Äußerste verkommen.

Ulrich stellte sich sodann als Blogger vor, als rechter Aktivist, es ist schlimm, wie er von den Linken im Spiegelforum verfemt wird, Kapitalismus ist eine gute Sache, Oswald Spengler ist sein intellektueller Held, und, räusper, er würde in seinen diversen Blogs ja nun tatsächlich provokante faschistische Inhalte verbreiten. Sehr stolz ist er darauf, dass "wir", also er und seine Freunde, "vier Stunden lang" die Webseite von Polylux abgeschossen haben. Nein, er kommt nicht hier aus der Gegend.

Er tat mir leid. So wie es aussah, war es bei ihm ein bislang tragisch sinnlos verbrachtes Leben, das sich tief in seine Augen und sein Kopf eingebrannt hat. Ein Leben zumal, dass sich nur aus seinen Feindbildern heraus definiert, und kaum aus ihm selbst als Person. Ulrich wirkte auf mich wie ein Christian Worch in Kleinformat, wie ein aktiver Kameradschaftler, der die lokale Bevölkerung in Augenschein nehmen wollte. Keine Ahnung, ob er wirklich Kameradschaftler ist.

Nach dieser etwas merkwürdigen Begegnung fragte ich mich, was da genau los ist. Kurz gegoogelt und - Aha!

Faschistische Kameradschaften und die NPD riefen für den 14.10.2006 zur "Großdemo" in Wandsbek auf. Da ich an diesem Tag, entgegen meinen ursprünglichen Absichten, in Hamburg war, wollte ich diese Mistbrüder mal in Augenschein nehmen.

Der Aufmarsch der Wandbeker NPD (14.10.)

10:50 Uhr:
Überall in der Umgebung beachtliche Mengen an Polizei, aber kaum Neonazis in Sicht - außer diese kleine popelige Gruppe vor einer Plus-Filiale, bestehend aus einem gestikulierenden Typen mit einem schlecht sitzenden grünlichen Anzug sowie ein Haufen beachtlich hässlich aussehender Jugendlicher. Das sind sie? Wo ist Worch? Ist das alles?

11:15 Uhr:
Sie werden nicht mehr. Die ziemlich genau 20 NPD-Heinis und -Gabis gucken derweil ziemlich geknickt aus der Wäsche, sicher nicht nur, weil es mindestens doppelt so viele Fotografen gibt, die sie umkreisen. Ich mustere Person für Person in diesem hooliganisken Haufen, und deutlich öfter als gedacht machen diese auf mich den Eindruck von Zukurzgekommenen und Frühverwelkten. Sie sehen unglücklich aus, lachen nicht (Ausnahme Foto rechts), ihre Hosen weisen zumeist tiefe, vom tagelangen Tragen überdeutlich speckige Falten auf. Wenig überraschend wäre es, wenn der eine oder andere sich jetzt spontan die Hose einnässen würde.

11:45 Uhr:
Jetzt kommt Bewegung in die Szenerie. Weitere Polizeikräfte rücken an, um die nur dürftig zahlreichen Anhänger der NPD Wandsbek (bzw. NPD Hamburg - vermute ich mal) vor Konfrontationen mit den zahlreichen Gegendemonstranten zu schützen. Der Demowagen der NPD fährt vor, dessen Plane in Militärfarben, und die wenig zahlreichen Neonazis watscheln daraufhin in Reih und Glied, ja sogar in Kolonnenanordnung dem schlecht sitzenden Anzug hinterher, herüber zum Demowagen.

Sie entfalten ihr Transparent, auf dem sie, unbehelligt von der Hamburger Polizei, verfassungsfeindliche Parolen (Bild) verkünden, z.B. "Fuck ZoG - Fight Back" (ZoG ~ Zionist occupied Government). Die wenigen vorhandenen Anwohner, die in der Nähe dieses Haufens waren, kamen i.d.R. aus dem Plus-Markt. Beginnend mit einer ca. 45 Jahr alten weißhaarigen Dame rufen sie den Neonazis sofort "Nazis raus!" und "Schämt euch!" laut entgegen.

Einer der Jung-Nazis versucht, mit den Anwohner zu kommunizieren, indem er ihnen sein "Arbeit!"-Schild (inkl. irgendwelchem nationalen Gefasels) entgegenstreckt. Sogleich bekommen er und seine verlotterten Neonazi-Freunde von den Anwohner zu hören: "Geht arbeiten!", "Arbeit! Super Idee, geht arbeiten! Raus aus unserem Stadtteil!" und "Ja, genau, ihr sollt mal arbeiten gehen!". Der Jung-Nazi lässt sein Schild sogleich wieder sinken. Derweil werde ich von NDR-Inforadio interviewt und spotte dort über die Neonazis.

Danach radle ich in Richtung S-Bhf. Hasselbrook, um auf dem Weg dorthin eine aus dem LIDL-Markt kommende, völlig verängstigte Gruppe von Anwohnern zu beruhigen und an den Polizeiabsperrungen vorbeizuleiten, in denen sie sich eingeschlossen sahen. "Wo sind denn die Neonazis?" wurde gefragt, als die drei Hausfrauen wieder mutiger wurden und "Sind das Neonazis?". Nein, diese schwarz gekleideten Leute, die sich am S-Bhf. Hasselbrook versammelt haben, sind keine Neonazis, bekamen sie erläutert. "Aha!"

Warten in Hasselbrook (14.10.)

Hunderte von AntiFa-Aktivisten warteten am S-Bhf. Hasselbrook nervös auf die angekündigten NPD-Demo. Zunächst umsonst. Je nach Gerüchtelage zogen größere Gruppen wieder ab, nervös die von der Polizei sorgsam abgesperrte NPD-Demo umkreisend, oder kamen wieder. Es fiel auf, wie gering der Anteil der Ortskundigen war.

Der Dönermann im S-Bhf., der sich über die geringe Zahl der Neonazi-Aktivisten sehr freute, bekräftigte derweil, "Ich mag die Jungs,... ich meine natürlich die Gegner der Nazis!" Insgesamt ist die Szenerie am S-Bhf. Hasselbrook sehr friedlich, die Hammer Bürger gucken neugierig aus den Fenstern, einige begaben sich auch auf die Straße, teils sogar mit Kinderanhang, um die erwarteten Neonazis protestierend zu empfangen. Doch nichts tut sich, wenn man mal vom ständigen nervösen Hin-und-her-laufen der AntiFA-Gruppen absieht.

Verblüfft war ich allerdings, dass einige der jüngeren AntiFa-Anhänger Londsdale-Kleidung trugen! Aber gut, ich wurde aufgeklärt: Dies hänge mit dem deutlichen antirechten Kurs der Firma Londsdale zusammen. Mir wurde berichtet, während ich gemütlich im Straßencafé wartete, dass es wegen linker Krawallkids in Höhe Ritterstraße Wasserwerfereinsatz gab, sowie anschließend brennende Mülleimer und idiotischen Vandalismus in den Nebenstraßen. Dort kam es u.a. zu Schlägereien zwischen AntiFa und Antideutschen. Die Hamburger Morgenpost berichtet (ein guter ausführlicher Bericht von Wiebke Strehlow) sogar von einer Plünderung des lokalen Penny-Marktes, (Korrektur 17.10.) was allerdings eine Fehlmeldung darstellt. Außerdem haben die berichteten "Straßenschlachten" einen eher folkloristischen Happeningcharakter mit Polonaise auf Seiten der AntiFa und i.d.R. rücksichtsvollen, nur sachte schubsenden Polizeibeamten.

Schlägereien zwischen AntiFa und Antideutschen? Der berichtende AntiFa bekam höchstselbst Schläge ins Gesicht und wurde von den Antideutschen als "Volksdeutscher" beschimpft, weil er zusammen mit anderen den Anwohnern half, das angerichtete Chaos wieder aufzuräumen. Im Übrigen berichtete er vom AntiFA-Erfolg in St. Pauli, bei dem er beteiligt war, wo man ein Nazi-Veranstaltungszentrum verhindern konnte, nicht zuletzt deshalb, weil die übrigen Hausbewohner dem ursprünglich vermietungswilligen Vermieter kollektiv mit Mietminderung drohten.

Hamm/S-Bhf. Hasselbrook, 15:00 Uhr
Immer noch keine Neonazis in Sicht. Allerdings sollen sie sich seit ca. 13:00 Uhr von 20 Stück auf rund 170 vermehrt haben. Ursprünglich wurden nämlich von der Polizei in Bergedorf rund 100 anreisende Neonazis festgehalten, aber diese konnten dann doch bis zur "Großdemo" weiterreisen.

Bewertung

Unter anderem wegen der sehr gründlichen (und notwendigen) Absperrung der Nazi-Demo, vermute ich mal, dass viele Gegendemonstranten vom Verlauf des Samstags frustriert waren. Die Neonazis dürften jedoch noch deutlich frustrierter gewesen sein, zumal sie es wieder einmal kaum in die Medien geschafft haben.

Interessant war in Hamm v.a. das Verhalten der Antideutschen, welche neben Eskalation darauf zielten, die linke Gegendemonstration zu diskreditieren und der AntiFa im wortwörtlichen Sinn ins Gesicht schlugen.

Die Antideutschen agierten in Hamm wie eine NPD-Helfertruppe.


Soweit meine Eindrücke. Mehr gibt es bei Indymedia und beim Kiezkicker (mit kurzem Video). +++ Update (19.10.) +++ Weitere Berichte gibt es bei RP mit Bildern, bei Meat sucks und sehr schön von Mister Madonna.

6 Comments:

At 16 Oktober, 2006 09:00, Anonymous Anonym said...

So ähnlich habe ich auch schon mehrere Nazidemos erlebt. Insgesamt kaum berichtenswert.

Aber Dein Ulrich erstaunt mich, wenn er Kapitalismus für eine gute Sache hält. Das tun die Kameradschaftler nämlich sonst ganz und gar nicht. Im Gegenteil, für sie ist ja Kapitalismus oft gleich "amerikanische Ostküste", und wofür der Code steht, wissen wir ja. Sehr dubios aus meiner Sicht...

 
At 16 Oktober, 2006 10:18, Blogger John Dean said...

Der Ulrich war auch eher ein Neurechter, dessen Nähe zu Kameradschaftlern v.a. in der Bewertung der Nazi- und Kriegszeit bestand, sowie im expliziten "Anti-links-sein".

Bei Ulrich bestand die Nähe zu den Kameradschaftlern in seinem intensiven Hass, und ganz besonders den Hass auf "die Linken".

Bei den Kameradschaftlern gibt es meines Wissens einige Kapitalismusfreunde - der hier sehr aktive und auch anerkannte C. Worch ist hier z.B. so ein Fall. Das ist insofern passend, weil Adolf Hitler das Marktprinzip u.a. im Sinne einer sozialen Auslese durchaus sehr schätzte.

Auch Hitler war kein Antikapitalist, sondern hielt Kapitalismus, sofern er "schaffend" und nicht "raffend" ist, für eine gute Form von angewandten Sozialdarwinismus.

Auch unter den damaligen und heutigen Liebhabern der faschistischen "konservativen Revolution" finden sich viele Kapitalismusfreunde.

Die meisten Kameradschaftler orientieren sich jedoch an diesem Punkt mehr an der sozialrevolutionären Haltung der SA.

 
At 17 Oktober, 2006 14:16, Blogger Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach said...

spannend - ich habe die konservative Revolution (historisch) bisher immer als antikapitalistisch wahrgenommen. Kannst du ein Beispiel nennen?

 
At 18 Oktober, 2006 00:59, Blogger John Dean said...

@Haltungsturner

Die Antwort ist nicht einfach. Zumal es mir hier erheblich an notwendigem Wissen fehlt. Aber ein paar Dinge lassen sich vielleicht doch sagen:

Insgesamt ist die faschistische "konservative Revolution" an diesem Punkt ambivalent. Die, ich sag mal, insgesamt autoritativ-aristokratische Haltung bewirkt i.d.R. auch eine recht eindeutige Einstellung pro Privateigentum, und ganz besonders zum Bodeneigentum, welches mitunter in Gegensatz zum Geldeigentum gestellt wird.

Oswald Spengler spricht vom "Kampf gegen das innere England" und schwärmt von einem "preußischen Sozialismus". Darunter versteht er einen anti-parlamentarischen, aristokratisch-autoritären Staat mit kapitalistischen Strukturen in der Wirtschaft, die sich dann aber der Staatsdoktrin und einem starken Staat zu unterwerfen hätten.

Man könnte das institutionalisierten, autoritären Korporatismus nennen.

Sozialismus im Sinne von Marx u.a. nennt Spengler "Bolschewismus" und lehnt diesen schärfstens ab. Spengler zielt mehr auf einen, wenngleich unklar formulierten monarchistischen "Ordensstaat", der durch eine mächtige Beamtenschaft und eine "Leistungsaristokratie" geprägt sein soll, und beschreibt diesen als Mittel, um "Plutokratie" bzw. eine "Diktatur des Geldes" und gemeinwohlfeindlichen (gemeint: der Preußische Staat mit seinen Militärinteressen als nationales Gemeinwohl), ökonomischen Darwinismus und Individualismus zu entgehen.

Ziemlich widersprüchlich das Ganze, jedenfalls aus heutiger Sicht.

Bei Carl Schmitt ist es einfacher: Nachdem er zu Anfang der zwanziger Jahre für das sozialrevolutionäre Element der faschistischen Bewegung erwärmen konnte, ist er ein recht eindeutiger Befürworter des Privateigentums und des Kapitalismus, allerdings unter der ordnenden Hand der Rechts.

Eine zentrale Kapitalismus- und Liberalismuskritik äußert Carl Schmitt mit diesen Worten:

--- schnipp ---

Der Begriff des Tausches schließt es keineswegs begrifflich aus, daß einer der Kontrahenten einen Nachteil erleidet und daß ein System von gegenseitigen Verträgen sich schließlich in ein System der schlimmsten Ausbeutung und Unterdrückung verwandelt. Wenn sich die Ausgebeuteten und Unterdrückten in einer solchen Lage zur Wehr setzen, so können sie das selbstverständlich nicht mit ökonomischen Mitteln. Daß die Inhaber der ökonomischen Macht dann jeden Versuch einer 'außerökonomischen' Änderung ihrer Machtstellung als Gewalt und Verbrechen bezeichnen und zu verhindern suchen, ist ebenfalls selbstverständlich. Nur entfällt dadurch jene Idealkonstruktion einer auf Tausch und gegenseitigen Verträgen beruhenden und eo ipso friedlichen und gerechten Gesellschaft.

--- schnapp ---

Dieser Einwand macht aber aus Schmitt längst noch keinen Befürworter von Kollektiveigentum und Sozialismus.

Man könnte, wenn man weitere Vertreter der faschistischen "konservativen Revolution" durchdekliniert, m.E. von einem antipluralistischen, autoritären und antiliberalen Kapitalismus sprechen.

 
At 18 Oktober, 2006 12:43, Anonymous Anonym said...

Dr. Dean,

You have the instincts of a real reporter!

 
At 18 Oktober, 2006 18:51, Anonymous Anonym said...

Mein lieber, was Du da über die Antideutschen sagst, dürfen wir Deutsche uns nicht gefallen lassen

 

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