06 August 2006

Die sogenannte Gesundheitsreform...

Ich bleibe dabei: Frau Merkel ist mit der recht großen Gestaltungsmacht ihres Kanzleramtes im Moment überfordert, sie zaudert und agiert im Halbdunkel, während sie die Bürger im Unklaren darüber lässt, welche Art von Politik sie überhaupt anstrebt.

Wenn sie sich von zweitklassigen Beratern in Sachen Podcasts beraten lässt, ist dies - in meinen Augen - ein Anzeichen für ihre Verunsicherung, aber noch eindeutiger dürfte der Ablauf der aktuellen Gesundheits"reform" sein, den Peer Steinbrück hier transparent macht:
„Es kann nicht sein“, sagte der SPD-Politiker, „dass wir zwischen den Ministerien einen Kompromiss erarbeiten und im Kabinett beschließen, der dann durch einen zweiten Kompromiss unter den Fraktionen ersetzt wird, und dieser wiederum durch einen dritten Kompromiss bei der Abstimmung mit den Ländern.“
Huch?! Und jeweils teils diametral entgegen gesetzte Reformen. Der Verein für Socialpolitik lehnt die Reform aus guten Gründen ab. Der reaktionär gesinnte SPD-ler Kahrs äußerte in der CDU/FDP-Plattform der SPD (= Seeheimer Kreis) dazu:
Kanzlerin verängstigt.
Foto: Dean
Ich glaube, sie kann es einfach nicht", zog Kahrs über Kanzlerin Angela Merkel her, "die kippt um", sobald ein paar CDU-Ministerpräsidenten "dicke Backen machen". "Die hat ihren Laden nicht im Griff".
Gesundheitsexperte Lauterbach meinte auf einer Fachtagung zur Gesundheitspolitik anfang Juli, dass die "Reform nicht stattgefunden" habe bzw.:
Die Koalition ist an der Aufgabe «gescheitert», das Gesundheitssystem auf eine nachhaltige Finanzgrundlage zu stellen. «Das Problem waren steigende Beitragssätze. Was wir jetzt ankündigen, sind steigende Beitragssätze», kritisierte Lauterbach in Berlin. (...) Er sagt, dass die von der Koalition angepeilte Beitragssatzsteigerung von 0,5 Prozentpunkten im kommenden Jahr nicht ausreicht. (...) Den neuen Gesundheitsfonds kritisierte Lauterbach als «Scheininnovation».
In der Wirtschaftswoche-Konferenz erklärt Lauterbach, warum das so ist:
„Die gleiche Beitragsbasis wird über den Fonds schlechter und komplizierter abgewickelt.“
Anders, als es die Regierungspropaganda behauptet, wird der staatliche Steuerzuschuss sogar gesenkt:
Beschlossen wurde zwar ein Steuerzuschuss von 1,5 und 3,0 Milliarden Euro für die Jahre 2008 und 2009, für die es aber weder höhere Steuern noch neue Schulden geben soll. Im laufenden Jahr erhalten die gesetzlichen Krankenkassen noch 4,2 Milliarden Euro aus der Staatskasse.
Der Wiesbadener Kurier weist auf Effizienzreserven hin, sowie auf Lobbyisten in diesem Spiel, wie die "Admed Unternehmensberatung" oder "Siemens Financial Systems", die
schon einmal die Messer wetzen, z.B. für teure Beratungsleistungen, mit denen sie ihre Privatisierungsamigos in Stellung bringen.

Derweil geht die Rosinenpickerei privater Krankenversicherungen munter weiter. Henning Baethge erklärt in Capital vorzüglich, warum dies geändert werden sollte.

Verzichtete man auf die über private Kassen erfolgende Privilegierung von Gutverdienern, könnte man die allgemeinen Versicherungsbeiträge (der übrigen Bürger) nach Berechnungen von Dr. Dean um stattliche 8 Prozent senken. Zirka weitere 10 Prozent brächte es, wenn man das Beitragsbemessungs-Privileg schlicht abschaffen würde.

Außerdem könnte man der Pharmaindustrie an den Kragen gehen. Es ist kaum einzusehen, warum in Deutschland die höchsten Medikamentenpreise gezahlt werden. Über eine permissive Positivliste würde man nochmal mindestens 3 Prozent sparen. Außerdem ließe sich für mehr Wettbewerb sorgen - diesmal zugunsten der Bürger und Konsumenten.

Da geht was.

6 Comments:

At 07 August, 2006 14:26, Anonymous Anonym said...

Die Beitragsbemessungsgrenze ist kein Privileg sondern eine Notwendigkeit. Eine solidarische Versicherung, wie sie die Krankenversicherung oder die Rentenversicherung darstellen, berechtigen zwar zu einem gewissen Maße, Besserverdienende höher zu belasten als Geringverdiener. Allerdings ist es verfassungswidrig, dies bis zu einem Grade zu betreiben, der nur als Enteignung zu verstehen ist. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn zwischen den Einzahlungen und den zu erwartenden Auszahlungen kein vernünftiger Zusammenhang mehr besteht. Die völlige Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze wird deswegen eher von Sozialisten als Instrument der Enteignung als von "Linksliberalen" erhoben.

 
At 07 August, 2006 14:55, Blogger John Dean said...

Es ist mir bekannt, dass jegliche finanzielle Belastung von Besserverdienenden "Enteignung" genannt wird.

Was vielleicht, jedenfalls nur zum Teil, dabei tröstet: Die Wohlhabenden sind dies nur dank der Gesellschaft, die es ihnen ermöglicht.

Und: Eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze führt nur dazu, dass prozentual die gleiche Belastung entsteht wie für die Mehrheit der Bevölkerung.

 
At 07 August, 2006 15:23, Anonymous Anonym said...

@ Dr. Dean

wobei mir trotzdem nicht gnaz klar ist warum der Beinbruch von Herrn Ackermann die "Gesellschaft" dann 10.000 x mehr kostet als der von Herrn Hartzviermann.

Und die "Besserverdienenden", machen wir uns doch nichts vor, das ist heute beinahe jedermann der einen regulären, sozialversicherungspflichtigen Job hat.

Idealerweise - zusammenveranlagt - die Kombi sie Sekretärin + er Facharbeiter.

Das ist die Masse. Das sind die "Besserverdienenden" wie die tatsächliche Steuerprogression sie ausmacht.

Einkommen um so 4.000 € / Monat pro Nase sind in D schon am oberen rand des "Besserverdienenden" angesiedelt.

Und im übrigen: ohne Privatpatienten, die weit über dem kassensatz abgerechnet werden, wären viele Arztpraxen schon pleite. Und wenn man jetzt aufjault wegen wer subventioniert wen - ich spule mal vor - das Stichwort heisst "interne Subvention".

Deswegen : nicht immer die Propaganda der Besitzstandwahrer nachplappern. Denken hilft.

Aber korrekt ist das das Reförmchen nicht mal eines ist.

Es grüßt höflich,

der Lebemann

 
At 07 August, 2006 15:23, Anonymous Anonym said...

Aber Dean, wie kannst Du es nur wagen, an den Dogmen der neoliberalen Ideologie zu kratzen? Da ist jeder selbt schuld, wenn er krank, arm oder gar beides ist und muss ganz in sozialdarwinistischer Manier aus dem Genpool entfernt werden. Aber huch, "the fittest" heißt nun einmal nicht "der Stärkste", sondern der, der am besten mit seiner Umwelt harmonieren bzw. sich in diese eingliedern kann. Unter diesem Gesichtspunkt wären alle neoliberalen Ideologen auszurottende Rundumversager, wenn wir einmal genauo totalitär dächten wie es dieser Leute tun.

MfG

Daniel

 
At 07 August, 2006 20:46, Anonymous Anonym said...

Auch Ihnen werter Herr Dean dürfte aufgefallen sein, daß ich es in meiner Antwort für erlaubt gehalten und richtig erachtet habe, Menschen die mehr verdienen auch mehr für ein solidarisches Versicherungssytem beitragen zu lassen.

Allerdings habe ich auch dargelegt, daß es in einem Versicherungssystem(!) einen Zusammenhang zwischen Beitrag und zu erwartender Leistung geben muß. Sonst ist es kein Versicherungssystem sondern eine (Sonder)Steuer. Wer diese für gesellschaftlich erwünscht und gerechtfertigt hält, sollte auch den Mut haben, diese als solche zu bezeichnen.

Ich gehe stark davon aus, daß das Bundesverfassungsgericht eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze (zur Bestimmung der Beitragshöhe, nicht zur Pflicht in die GKV zu gehen) nicht zustimmen würde, wenn gleichzeitig der Versicherungscharakter der KV beibehalten würde.

 
At 16 März, 2007 08:47, Anonymous Anonym said...

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