02 April 2006

Mit "Indizieren!" aufgewacht

In letzter Zeit passiert es mir immer häufiger, dass ich beim Aufwachen eine Antwort im Kopf habe, ein Wort, ein Gedanke oder einen hübschen Gedankenschwarm. Erwach ich also (im Idealfall nach ca. 7 1/4 Stunden), so finde ich mich mit der Lösung eines Problems beschenkt, von dem ich oft nicht mal wusste, dass es mich überhaupt noch beschäftigte.

Heute erwachte ich mit nur einem Wort, nämlich mit dem Wort "Indizieren!". Möglicherweise wird es, besonders mitlesenden Frauen, völlig sinnlos erscheinen, mit einem Wort aufzuwachen, statt z.B. mit einem netten Mann oder sogar einem guten Gefühl.

Da ich wiederum wenig Wert darauf lege, mit einem Mann aufzuwachen, wach ich halt mit dem guten Gefühl auf, dass mir das Wort "Indizieren!" gibt. Und tatsächlich, dieses Wort, und mehr noch, das damit gelöste Rätsel hat mir gehörig gute Laune gemacht. Zu meinen Träumen der Nacht gehörten u.a. brave blonde Söhne, ein übergewichtiger Vater, der das Rumpelstilzchen des Informationszeitalters darstellt, besonders, wenn er von Gefühl ergriffen sich einem größeren Publikum mitteilt.

Indizieren!

Warum erzählt Steve Ballmer seinen Sohn, dass dieser Google strikt meiden solle? Nun, als Monopolist mit großem Interesse an der Ausweitung seines Monopols wäre es ein schönes Geschäftsmodell, sich von Firmen das Indizieren für Suchdienste bezahlen zu lassen (bzw. eine bestimmte MS-Software zur Voraussetzung zu machen). Tja, und das Indizieren, das erfolgt bei Google nicht nur kostenlos, sondern auch in einer Weise, welche kommerziellen Missbrauch (bzw.: Gebrauch) zunehmend abwehrt.

Im "Informationszeitalter" (oder diese Variante: Im Zeitalter kommerziell beeinflusster Informationen) spielt Aufmerksamkeit und der Zugang hierzu die allergrößte Rolle. Microsoft interessiert sich dafür, die Ergebnisse von Internetsuche bzw. die Wiederauffindbarkeit von Informationen kommerziell zu nutzen. Der entscheidende Haken der Sache ist hier:

Das Indizieren.

P.S.
Mein vorheriger Beitrag zur seriellen Musik verfolgte einen Hintergedanken und stand, wenngleich schwer erkennbar, in enger Beziehung zum Begriff "Hörgewohnheiten", den ich für außerordentlich entscheidend halte, wann immer es um Musik geht. Ich habe mich gefragt, warum die durchaus beachtlichen Gedanken der Theoretiker der seriellen Musik direkt ins musikalische Desaster geführt haben. Hier muss ich ein wenig ausholen:

Ich meine, dass Sprache und Musik in einem inneren und sehr engen Zusammenhang stehen. Das erklärt m.E. auch, warum in der Musik Regeln und Mathematik eine große Rolle spielen, denn Musik folgt seinem Wesen nach der Regelhaftigkeit von Sprache: Grammatik, Semantik, Dialekte usw. usf. Wenn man als Musiker und Komponist allerdings nur noch, rein mechanisch nach Regeln vorgeht, und sich trotz kümmerlichen Ergebnisses dabei von eitel sprudelnder Theorie leiten lässt, so wie in der seriellen Musik, dann fehlt etwas ganz Entscheidendes.

Damit Musik Emotionen berührt oder gar auslöst, damit sie uns überhaupt ergreift, muss sie auf eine bereits vorhandene, also erinnerte Struktur Bezug nehmen. In der japanischen Musik, die hiesigen Hörern nur fremd erscheint, ist es das dort sehr spezielle Spiel mit Motiven, Klängen, Rhythmen und Strukturen, die uns i.d.R. nur "fremd" erscheinen und damit vielleicht auch faszinierend, einem in den dortigen Hörgewohnheiten vorgebildeten Hörer hingegen bedeutet diese Musik etwas.

Hörgewohnheiten und die damit verbundene Möglichkeit, auf Grundmotive Bezug zu nehmen, schaffen in der Musik Bedeutung. Musik hingegen, die in jeglicher Hinsicht Bezug vermeidet (ich spreche über serielle Musik), ist nicht etwa intelligent oder "kulturell überlegen", sondern allenfalls ein sinnloses Experiment. Zurück zur Sprache:

Auch ein Autor muss auf vielfache Weise in der Lage sein, Bezug zu nehmen. Es fängt damit an, dass er die Sprache seiner Leser treffen muss. Er sollte auf eine nicht-langweilende Weise mit Erfahrungen und Wörtern spielen, die für seine Leser von besonderer Bedeutung sind, und dabei seine Gedanken und Worte so präsentieren, dass sie logisch aufgebaut wirken (u.a., weil sie gegenseitig Bezug nehmen). Gleichzeitig erhoffen wir uns von einem guten Autor, dass er unseren geistigen Horizont weitet, und nicht nur dort verweilt, wo uns bereits jeder Gedanke vertraut ist.

Und damit kehre ich zur Musik zurück. Gute Musik geht über das Profane und bereits vollständig Bekannte hinaus. Gute Musik nimmt Bezug - aber führt uns in eine neue Welt. Musik, die nicht mehr das Neue sucht, ist stumpfsinnig und zumeist auch nur passend für stumpfsinnige Menschen. Musik hingegen, die nicht Bezug nimmt und kaum jemanden zu ergreifen in der Lage ist, und sei es, weil sie die Möglichkeit des Wiedererkennens vermeidet (z.B. Akkorde, Kadenzen und Melodien), ist eine sinnlose Kopfgeburt. Sie stellt sich ihren Hörer vermutlich als eine Art mathematischen Roboter vor - und beleidigt ihn damit.

Musik muss etwas Körperliches, Fühlbares haben, eine sinnliche Komponente. Als Musiker mache ich einen Fehler, wenn ich mich nur auf Regeln verlasse, und weniger darauf, was die Töne und Komposition in mir bzw. in anderen bewegen. Emotion wiederum setzt in irgendeiner Form Wiedererkennen voraus. Musik, die keine Emotionen anspricht - wer braucht das?

5 Comments:

At 04 April, 2006 06:06, Anonymous Anonym said...

zum P.S.: Woher nehmen Sie die Behauptung moderne Musik habe keine Bezüge (in sich selbst und zur Tradition)? Allein Ihr subjektiver Höreindruck kann Sie zu dieser Meinung führen. Schönbergs Unterricht bestand zum Großteil aus der Analyse der "Klassiker" (~ Bach - Brahms).
Lesen Sie mal Adornos "getreuen Korrepetitor". Dort ist der Musiktheoretiker ausnahmsweise mal ganz nah am Material und zeigt wie sich die gute alte Sonatenhauptsatzform noch in den Bagatellen Weberns niederschlägt. Außerdem kann man da auch lernen wie subtil Webern die Bezüge innerhalb der Stücke selbst gestaltet hat.
Und mit den selben Argumenten (da kriegt man ja gar nichts mit; das macht ja gar keinen Spaß) könnten Sie ebenso Bachs Fugen oder Beethovens Quarteto serioso verteufeln.
Zurück zur Politik: Sie sagen ja zur Depravierung der Lohnabhängigen.

 
At 05 April, 2006 16:19, Blogger John Dean said...

@Nullanda
Ach wie schade! Da mache ich mir so meine unschuldigen Gedanken, über Musik, und flugs wird mir die "Depravierung der Lohnabhängigen" bzw. eine Bejahung dazu vorgeworfen.

Entlarvt!

Indes, ich muss nun doch immer stärker an meiner Gedankentüchtigkeit zweifeln. Im Augenblick jedenfalls kann ich keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einerseits serieller Musik, Zwölftonmusik und der dazu gehörigen Musiktheorie erkennen und andererseits Lohnabhängigen*.

Vielleicht wird es ja klarer, wenn man sich ->das hier mal genauer anschaut. Okay?

P.S.
Für mich ist das Video (Link oben) Beispiel dafür, dass das Spiel mit Bezügen zum Wesen von Musik gehört, unmittelbar und wesenseigen, und bei Popmusik dieses Spiel (z.B. via Video) auf neue, andere Weise erfolgt.

P.P.S.
Unterhaltung = Opium fürs Volk?

Somit gilt:

Nicht unterhaltende Musik = Befreiung?

 
At 05 April, 2006 17:01, Anonymous Anonym said...

@ Dr. Dean
Gut, das mit der Depravierung kam etwas unvermittelt daher, fand ich aber wichtig, um ja nicht die Atmosphäre eines theoretischen Kaffeekränzchens aufkommen zu lassen, auch wenn dort alle innermusikalischen Voraussetzungen für unsere Diskussionen gestrickt werden.
Gemeint war mit der Depravierung nicht, dass Pop dumm macht. In einem Kommentar zu ihrem Adorno-Artikel, konnten Sie ja nicht ganz ausschließen, dass ein kleiner elitärer Kreis von Spezialisten Neue Musik vielleicht doch verstehen & goutieren könnte. Nun auch an dieser Stelle: Warum empören Sie sich nicht darüber, dass den meisten Menschen die avanciertesten Genüsse auf dem Gebiet der Musik vorenthalten bleiben, weil sie gar nicht die Muße haben, die dafür nötige Vorbildung zu bekommen?
Ich halte es gar nicht für unerlässlich, sich mit Avantgarde-Musik zu beschäftigen. Warum äußern Sie sich überhaupt zu diesem Thema, wo Sie doch nichts als Ressentiments zu bieten haben (s. meine erste Antwort in dieser Kolumne). Nichts muss, alles kann. Aber ich finde die materiellen Bedingungen dafür, sich mit dem avanciertesten Stand in der Musik zu beschäftigen, sollten alle Menschen haben. Das meinte ich mit Depravierung.
P.S. Bei der Avantgarde ist es nur zu augenfällig, dass die meisten Menschen Sie nicht verstehen. Aber wie viele Prozente der Menschheit verstehen bitteschön wirklich Bachs Fugen oder klassische Musik? Da gilt in punkto Depravierung dasselbe.

 
At 05 April, 2006 18:05, Blogger John Dean said...

@Nullanda
Damit ein "Kaffeekränzchen" verhindert wird, formulieren Sie also einen in jeglicher Hinsicht idiotischen Vorwurf? Achje.

In Ihrem Fall bin ich mir sicher, dass Sie mir kaum folgen können. Was ich, relativ klar, schreibe, das ist Ihnen zu hoch. Und Sie stören sich daran, wenn ich der Musiktheorie von Adorno die Allgmeingültigkeit abspreche.

Pfft!

Mal eine andere Frage, Nullanda: Machen Sie Musik? Komponieren Sie?

 
At 05 April, 2006 18:40, Anonymous Anonym said...

@ dean
haben Sie eigentlich die 1. antwort hier gelesen? da kam eine erwiderung auf ihre these, avangarde-musik hätte keine bezüge, die, glaub ich, hinreichend verständlich war. haben Sie denn keine lust, einer konkreten einlassung eine eigne konkrete entgegenzustellen?

 

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