15 September 2005

Sozial gerechte Besteuerung - ist das begründbar?

Ich finde es gelegentlich anregend, mit denen zu diskutieren, die man nicht versteht.


Ich verstehe z.B. die "patriotischen" "prowestlichen"Blogger nicht, welche den Staat hassen, "weniger Staat!" fordern, während sie massiv steigende Rüstungslasten für ein gesellschaftliches Ideal halten. Diese deutschen Neocon-Imitatoren treffen sich inzwischen in 70 Mann starken Rudeln. Scheinbar handelt es sich dabei um den Ausdruck einer ganzen Bewegung, die in vergleichbarer Ausprägung sogar einen merklichen Anteil des Parteinachwuchses der bürgerlichen Parteien stellt.

Parallel zu einer kaum vorgelebten, dafür aber umso heftiger für sich in Anspruch genommenen Werteorientierung arbeiten diese Leute massiert mit Feindbildern (sehr beliebt dort: "Gutmenschen", "Sozis", "asoziale Faulenzer", "Muslime" bzw. die gewisslich kommende "Umma", ach ja, und "Kameltreiber") , sodass man sich fragt, was neben diesen Ressentiments denn sonst noch für "westliche Werte" und "Freiheiten" von dort aus verteidigt werden. Okay, sie mögen auch möglichst unregulierte Märkte, lieben private Monopole (= "Tüchtigkeit") und hassen jede Idee sozialer Gerechtigkeit, ganz besonders in Fragen der Besteuerung.

Da sind wir direkt am Thema.

Ich meine, wer finanziell sehr deutlich besser gestellt ist als der Durchschnitt, der muss der Gesellschaft auch besonders dankbar sein. Wer mehr als z.B. das Doppelte des Durchschnittseinkommens verdient, dem tut es nicht sonderlich weh, wenn er ab dieser Grenze 40% Steuern zahlt - sein Schmerz ist jedenfalls geringer als die Pein eines sozialen Verlierers, wenn er/sie die Praxisgebühr auftreiben muss.

Einer der intelligenter antwortenden neoconistischen Blogg-Kommentatoren anwortete auf die Ausgangsthese, dass jede Idee von sozialer Gerechtigkeit im Bereich der Besteuerung doch willkürlich und sinnlos sei. So richtig hat er es nicht begriffen, worauf sich die Forderung nach einer höheren Besteuerung der Bessergestellten gründet, wie man hier lesen kann:

“Gerechtigkeit” ist eine sehr subjektive Kategorie und ich sehe keine objektive Begründung für die Behandlung unterschiedlicher Einkommen mit unterschiedlichen Steuersätzen. Ist es so, dass jeder Großverdiener überproportional von staatlichen Leistungen profitiert?”

Nein, es geht nicht um “staatliche Leistungen”. Wie kommen diese Unterstützer einer möglichst niedrig besteuerten Einkommenselite eigentlich dazu, im erkennbar plärrenden Ton gleich nach "staatlichen Leistungen" zu fragen?

Ist das nicht seltsam? Es ist doch so:

Derjenige, der weit überdurchschnittlich verdient, der ist zumeist ein fleißiger, achtenswerter Mensch, der sich u.a. dadurch auszeichnet, dass er eben nicht von staatlichen Leistungen profitiert (Ausnahmen bestätigen die Regel). Der springende Punkt aber ist, dass es genau diese hervorragenden, fleißigen, einkommensmäßig durchaus privilegierten Menschen sind, die den größten Nutzen aus der Veranstaltung namens Gesellschaft ziehen.

Dieser Gedanke scheint so neuartig zu sein, dass er von wirklich niemanden auf Seiten der Hayek-Fans und Neocon-Imitatoren verstanden wird, ja, sogar verblüffend heftige Reaktionen nach sich zieht.

Ein bildhaftes Gleichnis

Nehmen wir einmal an, es gäbe da irgendwo in der Karibik zwei identische, bislang unbesiedelte Inseln, die klimatisch so beschaffen sind, dass man von dort aus nicht mit einem Boot oder Floß (u.ä) verschwinden könnte. Die Bedingungen dieser Inseln sind so, dass dort jeweils vielleicht 100 Menschen relativ mühelos leben können, denn Kokosnüsse und Bananen, dazu genügend Wasser, Wild u.a. stehen ausreichend zur Verfügung.

Nun besiedeln wir diese Inseln mit zwei Gruppen von Menschen.

Einmal nehmen wir 10 Leistungsträger, gleichzeitig so richtige Besserverdiener, wie sie im Buche stehen. Einen herausragenden Arzt, einen unschlagbaren Juristen, den besten aller Politiker und dazu noch 7 weitere, äußerst befähigte, tüchtige und erfolgreiche Menschen, die am Arbeitsmarkt jederzeit und mit hohen Gagen vermittelbar wären.

Auf die andere Insel verfrachten wir 10 soziale Verlierer. Ein paar, die zu alt und uninteressant sind, um am Markt noch Arbeit zu finden. Ein paar Ausländer, einen Kranke und dazu ein paar Jugendliche, die sich bislang auf die soziale Hängematte gelegt haben. Zum Schluss noch einen gescheiterten Ex-Darsteller aus dem Unterschichten-Fernsehen.

Wir überlassen diese Menschen eine ganze Legislaturperiode lang sich selbst, also vier Jahre lang und schauen dann mal, was geworden ist. Tja, und was werden wir wohl finden?

Richtig!

Niemand, aber auch wirklich niemand von den ehemals Gutsituierten hat auch nur entfernt ein Wohlstandsniveau erreicht, das er zuvor in unserer Zivilisation hatte. Wir lernen daraus: Fürs soziale Gelingen eines tüchtigen Menschen bedarf er durchaus auch der menschlichen Gesellschaft. Ist dieser Mensch dort ganz besonders erfolgreich - so darf er dieser Gesellschaft ganz besonders dankbar sein.

Dankbarkeit - dieses Wort scheint für Eliten, bzw. für diejenigen, die sich mehr oder minder leichtfertig künftig dort einordnen (möchten), absolut fremdartig zu sein.

Warum eigentlich?

4 Comments:

At 15 September, 2005 22:50, Blogger reggimann said...

OK, interessante Sichtweise muss ich sagen. Meine kleine Welt im Kopf schliesst nicht aus, dass ein Reicher ein bisschen mehr bezahlt, auch meinetwegen aus Dankbarkeit. Es spricht nicht viel gegen die Progression, ausser dass sie vielleicht niemals allen Gerecht wird und zu einem überkomplizierten Steuersystem führt.

Aber ich glaube du hast da doch noch ein paar Verständnisprobleme was unsere Standpunkte als Neocons zu Staat, Gesellschaft, Rüstungsbudgets und Sozialwerken betrifft.

Aber das gibt sich ;)

 
At 21 September, 2005 10:51, Blogger r3sp4wn said...

grossartiges Beispiel.
Evtl überleben die Loser auf der Insel besser. Die alten sind bestimmt entlassene Handwerker und die bauen sich ein Boot.

Die Banke auf der Nachbarinsel benutzen wirklichdie Muschel als Zahlungsmittel und sind deswegen damit beschäftigt, die angespülten Muscheln immer wieder ins Meer zu werfen um den Wert ihres Geldes hochzuhalten.

 
At 21 September, 2005 19:46, Blogger John Dean said...

Mir ging es mit dem Beispiel darum, die Würde eines jeden Menschen heraus zu stellen, zweitens um den Hinweis darauf, dass sozialer "Erfolg" nicht nur individueller Natur ist, sondern einer Vielzahl von Faktoren geschuldet ist - und dazu zählt auch die Gesellschaft, inwieweit sie dem Einzelnen seine Talente honoriert, drittens ging es mir darum, die Köpfe zu lüften, damit Platz für neue Gedanken entsteht.

Es funktioniert besser als ich dachte. Sehr lustig ist übrigens die Reaktion von Liberalisten bzw. Neocons (in anderen Blogs) auf dieses Beispiel: Sie reagierten bislang fast ausnahmslos beleidigt.

Man kann dieses Beispiel sehr hübsch umformulieren - und kommt m.E. dennoch zu recht ähnlichen Ergebnissen.

 
At 25 Oktober, 2005 03:10, Anonymous Anonym said...

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