29 September 2008

Hypo Real? Weg damit! SPD? Weg damit!

Diese Zocker hat es jetzt auch erwischt. Beim Herumspekulieren auf dem US-Immobilienmarkt sind jetzt 10 Milliarden Euro verschütt gegangen. Bitte: Keine Steuer-Milliarden dafür - weg mit dem Dreck!

+++ Update +++

Idioten-Steinbrück und das Bundeskabinett wollen in Form einer "Staatsgarantie" der Hypo Real bis zu 29,4 Milliarden 26,6 Milliarden Euro in den Rachen werfen. Eine Staatgarantie für Zocker. Die großen Freunde der Privatbanken verteilen unser Geld aus vollen Taschen. Unfassbar dumm, nicht nur, weil dies ohne jegliche Gegenleistung erfolgt.

Ich stehe kurz vor einem öffentlichen Mordaufruf. Ganz sicher aber wünsche ich, dass Steinbrück und seine privatbankenfreundliche neoliberale SPD-Sektiererpartei politisch verschwinden.

KEINE STIMME FÜR DIE SPD 2009 !!

Das war der letzte Tag, wo ich mit dieser SPD sympathisiert habe. Ab jetzt wird sie politisch bekämpft. Der Seeheimer Kreis muss zerschlagen werden, und mit ihm alle seine widerwärtigen Politiker, die unser Land auf Kosten der Bürger zugrunde richten.

KEINE STIMME FÜR DIE SPD 2009 !!

+++ Update +++

Soeben wurde Steinbrück von Feynsinn erklärt.
Willi Hemetsberger erklärt im Standard, wo Bankenregulation ansetzen muss: Bei den Großbanken.
In der Berliner Mottenpost werden die aktuellen Bank Runs resümiert.

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19 September 2008

Staatsknete für Zocker - zu den Folgen der Finanzpolitik von Bushs letzten zwei Monaten

Ich fasse es nicht: Bush hat so etwas wie den totalen Bailout für alle faulen Kredite verkündet. Damit haut er seine Businessfreunde auf Kosten der amerikanischen Steuerzahler raus. Revolutionär, wie Don schreibt, ist das ein Fall von UDSSA. Der amerikanische Finanzminister Paulson und Notenbankschef Bernanke verkünden eine "zügige Lösung", um den Banken ihre "illiquiden Aktivposten" abzukaufen.

Staatsknete für Zocker: Das ist das zynische Kommunistengesicht des Neoliberalismus, der für seine Genossen und Businessfreunde keine Kosten scheut, während er in anderen Fällen z. B. jedes Milligramm Sozialstaat bitterlich beklagt. Der totale Bailout setzt tatsächlich falsche Anreize, und erzeugt jede Menge "Zwangsabgaben", sogar in einem Billionen- (!) -Umfang. Und diesmal sei das gut. In den Worten von Joseph Stiglitz:
. . . das sind nur kurzfristige Lösungen. Man legt die riskanten Anlagen in die Hände der Steuerzahler. Denn sonst will sie ja niemand. Es ist so, als ob man eine neue Firma aufmacht - mit dem Namen „Steuerzahler“ und gibt ihr diese Anlagen. Vielen Dank! Kein privater Investor will diese Anlagen haben, aber dem Steuerzahler drückt man sie auf. Das ist ungeheuerlich.
Ich bezweifele stark, dass es ein ausreichendes öffentliches Interesse dafür gab, auf diese Weise Bankpleiten und das Implodieren von Hedge-Fonds u.ä. zu verhindern. Der Preis dafür ist zu hoch. Ein paar bankrotte Banken wären günstiger und besser gewesen. Das amerikanische Banksystem bricht nicht dadurch zusammen, wenn einige pervers hochspekulativ tätige Investitionsbanken pleite gehen. Auch die Pleite von Hedgefonds (oft auch noch offshore tätig) ist nicht zu bedauern. Für reiche Privatanleger, für die gierigen Geschäftsfreunde von Bush und seiner Regierung hätte es lediglich einen Vermögensverlust bedeutet.

Warum sollen die amerikanischen Steuerzahler dafür aufkommen? Andererseits: Ich glaube, für unser Land ist das, jedenfalls kurz- und mittelfristig, eine gute Sache (sofern sich unsere Politiker künftig, nach dem 11-Milliarden-Euro-Sündenfall IKB, von staatlichen Bailouts privater Banken fern halten). Es ist deshalb gut, weil damit die Kosten und Aufwendungen unseres Bankensystems reduziert werden, weil damit Steuerausfälle in unserem Land verringert werden, und dies sogar in Milliardenhöhe.

Mir tun nur die amerikanischen Bürger leid, welche diesen irren Fehltritt von Bush, Paulson und Bernanke noch sehr lange bezahlen müssen, mit Zins und Zinseszins. Zudem befürchte ich, dass die daraus resultierende Erhöhung der US-Staatsverschuldung um rund 1,5 Billionen Dollar (meine Schätzung), die US-Konjunktur auf lange Sicht hin beeinträchtigen wird. Dieser Effekt wird m.E. deutlich stärker aufallen, und auch deutlich länger belasten, als der Effekt von ein paar bankrotten Investmentbanken und Hedgefonds. Das von Bush/Paulsen/Bernanke verursachte amerikanische Verschuldungs- und Konjunkturproblem wird sich auch auf die Handelsbeziehungen zur EU niederschlagen (immerhin 1/3 der EU-Ausführ geht in die USA) - und zwar negativ. Ein über den Hals verschuldeter Staat wird die Steuern erhöhen müssen, muss zugleich seine Ausgaben begrenzen - der Effekt kann im übelsten Fall ähnlich kontraktiv ausfallen wie die Finanzpolitik von Brüning.

Langfristig sind das keine guten Perspektiven.

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Unverhoffte Renditen der globalen Finanzkrise: Frank Schirrmacher rückt in Richtung Linksliberalismus.
Man muss sich erinnern, dass dies uns über Jahre hinweg in Talkshows und auf Foren als „Rationalität“ angepriesen wurde. (...) Die rein semantische Schwierigkeit, überkommene Rechtsbegriffe auf die Untaten an den „Finanzmärkten“ anzuwenden, erlaubt den Handelnden, sich wie Wissenschaftler bei einem fehlgeschlagenen Experiment zu fühlen. (...) Als wäre das Versprechen in hundert Jahren Sabine Christansen plus Merz plus Westerwelle plus Henkel plus Merkel plus Clement nicht vielmehr gewesen, dass es um die Anleitung zum Glücklichsein unserer Gesellschaft geht. Wer das leugnet, sagt die Unwahrheit und kann überführt werden: Die neoliberale Ideologie hat einen Vernunft- und Glückszusammenhang zwischen Individuum und Globalisierung hergestellt, der ausschließlich ökonomisch begründet war. Unsere Gesellschaft bewegt sich in ein Zeitalter des Unglücks hinein.
Das muss man noch nicht unbedingt als deutlichen Richtungswechsel sehen -aber es kommt noch dicker.
Es begann mit der Zerstörung der politisch-moralischen Zuständigkeit beim Irak-Krieg, (...), die zweite Phase war die Selbstzerstörung des sozialen Wohlfahrtsdiskurses der Gesellschaft.(...). Es ging in all den Talkshows und Reden (...) [um] hemmungslose Idealisierung der globalisierten Rationalität.
Das Fehlen eines die Gesellschaft verbindenden und auch sozialen Werten verpflichteten Zukunftsentwurfes in Verbindung mit der Ökonomisierung und Neoliberalisierung gesellschaftlicher Zusammenhänge, sagt Frank Schirrmacher, führte zu üblen Ergebnissen:
Die Ergebnisse sind nicht fiktiv, sie liegen vor Augen: Demoralisierung der nachwachsenden Generation, Zerstörung der Universitäten und Bildungsgänge, Zerstückelung von Biographien, Betrug über Alterssicherheit und Rente und so weiter - kurzum: Bedrohung oder Vernichtung des traditionellen Lebenszyklus in fast allen seinen Details.
Ob solch garstiger Worte zeigt man sich an der Brandtwiete, Ecke Ost-West-Straße, empört...

18 September 2008

Freiheitsbegriff: Machtausgleich zentral – Grundlagen des Linksliberalismus (5)

Ein pragmatischer und lebensnaher Freiheitsbegriff ist meiner Meinung nach wertvoller als vermeintlich denkscharfe Unterscheidungen (z.B. zwischen "Freiheit von" vs. "Freiheit für"), denn es gibt sehr unterschiedliche und vielfältige Freiheitsquellen – und Freiheitshindernisse, welche über das Raster „positiv“ vs. „negativ“ hinaus ragen.

Im Übrigen ist jede "negative Freiheit" auch als "positive Freiheit" umformulierbar. Auch die von heutigen Neo"liberalen" hochgeschätzten Wirtschaftsfreiheiten, die sie gerne als "Freiheit von" auffassen (also: Freiheit vom Staat), sind mit nur leicht veränderten Blickwinkel kaum etwas anderes als eine "Freiheit zu", indem Fall eben die Freiheit, weitgehend frei wirtschaften zu können.

Wie noch gezeigt wird, mutiert die falsche Vorstellung vorrangiger negativer Wirtschaftsfreiheiten fix zu einer bösen Erscheinung einseitiger Eliteninteressen, sobald davon abstrahiert wird, dass für die Wahrnehmung von Wirtschaftsfreiheiten weitere Voraussetzungen notwendig sind - vor allem eine Gesellschaft, die in ausreichenden Maß eine allgemeine Chancengleichheit bietet.

Freiheit ist in der pragmatischen Vorstellung unterschiedlicher Freiheitsquellen (im Gegensatz zu sektiererhaften Marktlibertären u.ä.) nie etwas Absolutes, sondern immer etwas Relatives, ständig Abzuwägendes und sogar etwas, worum stets gerungen werden muss, und sei es, weil die "innere Freiheit" noch wachsen muss. Es ist also nicht allein eine Frage der politischen Ordnung. Die Freiheitsbedürfnisse unterschiedlicher Gesellschaftsschichten sind untereinander fair auszugleichen - einzelne Freiheitsquellen können sogar untereinander in Konflikt geraten, was nicht einmal selten der Fall ist, denn schließlich handelt es sich oft um Fragen der ganzen Gesellschaft und damit (teils) auch um Konfliktfragen - entsprechend widersinnig ist es, eine einzelne (echte oder vermeintliche) Freiheitsquelle zu verabsolutieren.

Zur wirtschaftlichen Freiheit gehört im Übrigen, und hier wird es kompliziert, auch ein gewisses Maß an Gleichheit bzw. "Gleich-Mächtigkeit" unter den Vertragspartnern. Denn bei totaler vertraglicher oder ökonomischer Übermacht der Wenigen verschwindet auch die wirtschaftliche Freiheit, und eine womöglich noch formal bestehende Wirtschaftsfreiheit mutiert dann zur "Freiheit" weniger Wirtschaftsmächtiger. Um es sehr deutlich zu sagen:

Wer z. B. wirtschaftliche Freiheit zum Kern jeglicher Freiheit erklärt, ist ein Depp. Genauso deppenhaft ist in meinen Augen aber auch derjenige, der in der Beschränkung der Freiheit von Konzernen automatisch als ein Freiheitsgewinn der Übrigen ansieht.

So einfach ist es nicht.

Die Degeneration des Freiheitsbegriffes bzw. seine Verengung würde ich als Merkmal von Ideologie und weiterhin, wenn dieser Prozess stark fortgeschritten ist, als Merkmal von Totalitarismus einstufen.

Insofern, von seinen verengten Freiheitsbegriffen her, steht der heutige, am Elitenwohl orientierte Neo"liberalismus" (Freiheit für wenige Wirtschaftsmächtige statt für die Vielzahl der Individuen) m.E. näher am Faschismus (Freiheit für die "Nation" statt für die Vielzahl der Individuen) als beispielsweise ein "demokratischer Sozialismus" (den ich ebenfalls ablehne).

Noch zugespitzter formuliert: Radikaler Wirtschaftsliberalismus übt mit seinem neofeudalen Charakter strukturelle Gewalt aus und hat sogar eine innere Tendenz zu Autoritarismus und Faschismus.

Aber, es gilt auch: Die Dinge sind in Bewegung, ja, sogar die Begriffe selbst. Sobald "demokratische Sozialisten" eine gesellschaftliche Vormachtsstellung erringen (davon sind wir heute sehr weit weg), stehen sie in größter Gefahr - m.E. schlimmer noch als die heutigen Neo"liberalen" - einen repressiven Freiheitsbegriff zu entwickeln.

Aber eben, weil die gesellschaftlichen Machtverhältnisse in Bewegung sind, und ein Ausgleich von Macht notwendig ist, entscheide ich mich für die "leichtere Waagschale", d.h. für die Untermächtigen.

Ich behaupte: Ohne Machtausgleich gibt es keine Freiheit.

Ein Liberalismus, der die tatsächliche Lage der Mehrheit der Bevölkerung vergisst und deren Freiheitsnotwendigkeiten vergisst, ein Liberalismus, der sich gleichzeitig kaum Gedanken über die Verwirklichung von Machtausgleich macht, während seine führenden Vertreter die Demokatie zu diskreditieren versuchen, dieser Liberalismus wird zu einer bigotten und geradezu überflüssigen Veranstaltung.

Neoliberalismus in seiner heutigen Form ist weder freiheitsdienlich, noch ist er überhaupt noch Liberalismus.

Ältere Folgen:
Grundlagen des Linksliberalismus (4)
Grundlagen des Linksliberalismus (3)
Grundlagen des Linksliberalismus (2)
Grundlagen des Linksliberalismus (1)

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17 September 2008

Hrmmpf - Demokratie in den Nullerjahren

Bei MmsSenf gibt es einen wichtigen Artikel über die Abläufe in Parlament und Medien beim Durchwinken der Gesetze zur sogenannten "Online-Durchsuchung". Und mit StaSi-Methodik wehrt sich die bayrische Regierung gegen die Öffentlichmachung.ihrer illegalen Machenschaften durch die Piratenpartei (Hinweis von Agitpropblog).

Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse:

Es muss mit aller Macht verhindert werden, dass CDU und SPD bei der nächsten Wahl zusammen eine 2/3-Mehrheit bekommen, mit der sie die Verfassung aushebeln können.

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16 September 2008

Öl bei 92,50 Dollar. Rohstoffe fallen, Aktien fallen, Banken implodieren und die größte Versicherung der Welt geht am Risiko zugrunde. Alles rennet, rettet, flüchtet.

Im Moment sieht es so aus, als ob diesmal die Wohlhabenden und Bestverdiener die Arschkarte ziehen. Vielleicht war es ja das, was Friedrich Merz meinte, als er vor einer jubelnden FDP-Bundestagsfraktion von der "moralischen Übelegenheit der Marktwirtschaft" kündete.

Bildnachweis: CC by Merrick Brown - Explosions (Ausschnitt)

Buchstabenbilder




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Die McCain-Hausse ist vorbei

US-Wahlkampf: Die Nominierung der "soccer mom" (?) Sarah Palin schien das Rennen um die Präsidentschaft zu wenden - McCain liegt seit ca. 2 Wochen im Schnitt 2 Prozent vor Obama. Doch nun neigt sich der Aufschwung der Republikaner dem Ende zu: Je mehr die Amerikaner über Sarah Palin wissen, umso stärker verfällt ihre Zustimmungsrate. Der Trend ist eindeutig, und es gibt gute Begründungen für ihn. Schätzungsweise Ende der Woche werden mehr Amerikaner Palin ablehnen als zustimmen. Und anschließend ist der Vorsprung von McCain vor Obama Geschichte. Je länger Palin im Wahlkampf steht, umso stärker wird die Dauergrinserin zur Hypothek für McCain.

Doof bleibt doof - da helfen keine Pillen.

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15 September 2008

Latent antisemitisch: Corporate Cannibal von Grace Jones

Mancher Blogger, der ansonsten vor Bildung kaum noch laufen kann, feiert in seiner Gedankenlosigkeit einen latent antisemitischen Song von Grace Jones - und zwar so, als ob dieser Käse die Inkarnation gelungener Kapitalismuskritik sei. Erstaunlich; auch kluge Menschen fallen auf sowas rein. Vielleicht ist es auch so: Ausgeprägte Weltanschauungen erzeugen selektive Blindheit bzw. wirken als "brain eating machine". Diskussion bei NUB.

Ich muss allerdings zugeben, erstens, dass ich "Corporate Cannibal" trotz seiner grobschlächtigen Emotionalität ästhetisch interessant finde. Zweitens, dass man nicht von jedem verlangen kann, dass er sich mal den Songtext anschaut. Da steht halt die Vokabel "masonical" als Chiffre für die Juden. Drittens, dass dieser Song (youtube) ohne sein Freimaurergebrabbel eine künstlerisch ansprechende Form von Kapitalismuskritik gewesen wäre. Viertens, dass ausufernde Konzernmacht im Kapitalismus kritisierenswert ist - und auch aufgrund ihres Kannibalencharakters.

Besitzen die Mächtigen Übermacht, gestalten sie das System nach ihren eigenen Regeln, so ruinieren sie damit das eigene System - nicht nur Finanzmärkte (aktuell: Bankrott von LBH). Schlimmer noch, sie deformieren das System in vielen Bereichen zur man eating machine. Wo Geld zum Götzen wird, zählen Menschen zuwenig - bestenfalls als "Humankapital". Insofern kann man sagen:

Wenn man den Mächtigen nicht die Hände bindet, schlagen sie dich damit tot.

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12 September 2008

Der schwarzgelbe Reinhard Mohr hat auch mal Recht!

Ich kann es kaum glauben, Reinhard Mohr vom Spiegel hat einen guten, Wahrheit und Sinn stiftenden Kommentar im SpOn geschrieben:
Die SPD ist zwei Parteien. Wer daran noch zweifelte, bei Maybrit Illner wurde es bewiesen: Die eine Hälfte träumt von Lafontainismus, die andere von Schröderei. Linke dieses Landes, vereinigt Euch doch einfach - dann hättet Ihr wieder 40 Prozent!
Es ist allerdings etwas seltsam, wenn sich eine derartige Anmerkung ausgerechnet in einem kampagnenjournalistischen Politmagazin findet, das sich die Beeinflussung der SPD (in Richtung Rechtsschröderei) und den Sturz von SPD-Kandidaten zum Programm gemacht hat. Ein Kommentar gegen die Schröderei ausgerechnet vom schwarzgelben Träumer Reinhard Mohr. Auch die Führungsspitzen des SPIEGEL erstreben Schwarzgelb und lassen bevorzugt "pro Reformen" schreiben - ein Programm für wachsende Armut, sinkende Reallöhne, für Demokratieabbau und mehr Wohlstand der Konzerne (Körperschaftssteuer nur noch 15 %) sowie Bestverdiener.

Dass Reinhard Mohr andererseits zu dumm dafür ist, um in der (angeblich um 2 Millionen reduzierten) Arbeitslosenstatistik Mängel und Manipulation zu erkennen, das passt wieder zum schwarzgelben Mohr, der den - etwas übertriebenen - Sozialabbau der Agenda 2010 für einen Garanten des Aufschwunges hält - und der im Übrigen für soziale Realitäten blind ist. Auch darum erscheint ihm soziale Programmatik lediglich als lässliche "Tradition". Die Ablehung des "neoliberalen Quarks" (Stegner) wertet er als Temperamentausbruch, und wiederum, wenn die olle Seebacher behauptet, dass der Sozialstaat weg müsse, dann findet Reinhard Mohr daran nichts zu mäkeln. Deshalb, weil er selbst so denkt.

(denn sein Sozialstaat ist der neoliberalisierte SPIEGEL-Verlag)

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11 September 2008

Kritik an den Schlussfolgerungen der 132-Euro-Studie von Fischer/Thießen

Das Folgende ist eine Ergänzung auf diesen Beitrag von mir sowie auf die intensive Diskussion (u.a. Blogosphäre) der stark umstrittenen Studie zur Höhe des Regelsatzes, die von Friedrich Thießen und Christian Fischer an der TU Chemnitz vorgenommen wurde. Den längsten Kommentarstrang hierzu gibt es bei Shifting Reality.

Kritik des Kapitels "Schlussfolgerungen" der Regelsatzstudie von Fischer/Thießen

Die "Studie" von Fischer/Thießen schlussfolgert (Kapitelüberschrift: "Schlussfolgerungen"), überwiegend (!) ohne echten Bezug auf die gefundenen Ergebnisse:
Wie unsere Neuberechnungen (...) zeigen, liegt der Regelsatz der Sozialhilfe bereits leicht oberhalb des Satzes, der noch mit den festgelegten Zielen der Mindestsicherung kompatibel ist. Selbst die Hälfte davon wäre immer noch damit kompatibel.
1. Sozialhilfe-Regelsatz? Unpräziser Begriff.

2. Der Regelsatz liege "leicht oberhalb" der Notwendigkeiten des Zielkanons und zugleich sei aber sogar "die Hälfte" noch völlig kompatibel mit dem Zielkanon. Die Autoren argumentieren offenkundig sehr unpräzis, in diesem Fall womöglich aus (m.E. verständlicher) Feigheit.
Hier wäre Ehrlichkeit angebracht: Wenn eine Erhöhung vorgenommen wird, dann muss der die Maßnahme finanzierenden Mehrheit der Gesellschaft im Sinne des Sachverständigenrates mitgeteilt werden, welche Ziele damit verfolgt werden.
Das ist gaga. Die "Studie" hat sich an keiner Stelle damit beschäftigt, welche Ziele diejenigen verfolgen, welche eine Erhöhung des Regelsatzes für angemessen halten. Insofern verbieten sich u.a. Schlussfolgerungen in Bezug auf die "Ehrlichkeit".
Auf Basis der von der Gesellschaft derzeit formulierten Ziele ist eher ein Absenken der Mindestsicherung als ein Anstieg gerechtfertigt.
1. Redundanz (das Gesagte war bereits gesagt)

2. Hochgradig feige Formulierung. Die Autoren halten eine Halbierung der Regelsätze für vollauf gerechtfertigt. Das ist ja Kern der gefundenen bzw. behaupteten Ergebnisse.
Es ist kein Grund zu erkennen, die soziale Mindestsicherung in ihrer Höhe zu verändern, ohne zu formulieren, welche Ziele mit einer sozialen Mindestsicherung in veränderter Höhe verfolgt werden.
1. In der Untersuchung gehen die beiden Autoren nur ungenügend auf andere Untersuchungen ein - die von anderen Autoren vorgenommenen Begründungen werden nicht beachtet.

2. Da die beiden Autoren keine Gründe untersucht haben (bei jenen, die Erhöhungen fordern - z.B. aufgrund der Lage von Kindern und Schülern in HartzIV-Haushalten), verbieten sich in den "Schlussfolgerungen" Bewertungen ebendieser, zuvor nicht untersuchten Begründungen.
Oftmals werden erhöhte Leistungen mit Sonderbedarfen begründet (Verderb von Lebensmitteln, höhere Kosten aufgrund nicht immer rationaler Entscheidungen, Übergrößen, Saisonartikel etc.). Hierin können tatsächlich Gründe für höhere Leistungen liegen.
Genau das hatte die Autoren zuvor vollständig ausgeschlossen. Die Schlussfolgerungen widersprechen an dieser Stelle den eigenen Ergebnissen, die u.a. behaupten, dass bei "sachgemäßer Lagerung" ein Lebensmittelverderb ausgeschlossen werde könne, auch im Fall von Billigobst/gemüse.
Wie aber anhand der Kategorie Lebensmittel gezeigt wurde, liegt der Regelsatz hier bereits um 100% über dem Existenzminimum (...)
1. Die Autoren rechnen hier falsch. Die richtige Zahl lautet: 94,1 Prozent. Im Übrigen muss auch im "Minimumfall" ein angemessenes soziokulturelles Existenzminimum gesichert werden, und nicht nur ein Existenzminimum.

2. Bedeutende Positionen einer auch im Armutsfall normalen Lebensführung werden von Fischer/Thießen vollständig gestrichen. Sowohl im ermittelten "Minimumfall", als auch im "Maximumfall" sollen Regelsatz-Bezieher auf Versicherungsschutz, Telefonanschluss und Stromversorgung verzichten. Der letzte Punkt könnte als konsequent gewertet werden, weil die beiden Forscher auch die Ausstattung mit einem gebrauchten Computer (z.B. für Bewerbungsschreiben) für obsolet erachtet haben. Der Lebensstil der Amish People mag faszinierend sein, aber für die Ermittlung der Höhe eines Regelsatzes taugen diese Vorstellungen nicht.

3. Etwas unbeholfen wirkt vor diesem Hintergrund die Kalkulation der beiden Wirschaftswissenschaftler, die im "Maximumfall" monatlich 27,20 € für die Nutzung von einem "Internetkaffee" (3 Stunden/Woche) vorsieht.

4. Die bundesweite Verallgemeinerung der Verhältnisse in Chemnitz ist fragwürdig, ebenso die rigide Ausklammerung von Saisoneffekten bei der Preiserhebung, welche zusätzlich daran zweifeln lassen, ob der "Minimumfall" an 12 Monaten im Jahr tatsächlich bedarfsdeckend ist.

5. Die Inflation zwischen 2005/2006 und 2008 hätte von den Autoren unbedingt berücksichtigt werden müssen. Gerade hier hätten sich (u.a. bei Grundnahrungsmitteln und Energie) teils erhebliche Veränderungen ergeben. Wer für das Jahr 2008 in einer wissenschaftlichen Untersuchung über den Regelsatz gewichtige Aussagen vornehmen möchte, von dem kann als sorgfältig arbeitender Wissenschaftler auch verlangt werden, dass er die leicht erhältlichen Preise aus dem Jahr 2008 (zumindest stichprobenartig) berücksichtigt.

6. Die beiden Autoren konstruieren den Regelsatz-Bezieher als homo abnormus, der im Rest zur Bevölkerung stets gesund ist, nie Arztbesuch oder Medikamente benötigt, arbeitsfähig ist, und keine Materialien für Bewerbungen benötigt. Auch die Herabsetzung der durchschnittlichen Körpergröße (reduziert die Kalorienaufnahme um ca. 10 Prozent), sowie die diversen weiteren Sonderannahmen sind nicht dazu angetan, dass die von den Autoren errechneten Werte zulässige Folgerungen ermöglichen - in Bezug auf einen allgemein gültigen Regelsatz.

7. Im Übrigen bestehen bei Zusammenstellung der Warenkörbe und der Berechnung des "Minimumfalles" sehr erhebliche Zweifel daran, ob dieser noch mit den in der Fragestellung definierten Zielkanon übereinstimmt. Tatsächlich liegt beim "Minimumfall" der Autoren eine unzulässige Vermischung einer Berechnung eines physischen Existenzminimums und einer Berechnung des soziokulturellen Existenzminimums vor.

8. Der Minimumfall wird von den Autoren implizit als eine Art Ballastexistenz dargestellt, deren soziokulturelles Leben im Wesentlichen auf Bibliotheksbesuche und das Sitzen auf einem einzelnen Stuhl (das Zuhause) beschränkt ist. Der von den Autoren konstruierte "Minimumfall" ist in vielfacher Hinsicht unzulässig, basiert auf extremen Verhaltensannahmen, untertreibt systematisch den tatsächlichen Bedarf und repräsentiert kein auf Dauer tragbares soziokulturelles Existenzminimum - den Autoren hätte dies auffallen müssen - und auch, dass sie selbst eklatant gegen ihr eigenes Untersuchungsdesign verstoßen.

(...) und etwa auf der Höhe der Ausgaben, welche das untere Fünftel der Gesellschaft tätigt.
Die zutreffendere Formulierung wäre gewesen: "knapp unterhalb der Höhe der Ausgaben". Tatsächlich handelt sich hierbei um eine Unterschreitung um 4 Prozent (im Jahr 2005/2006), die insofern sogar noch stärker ins Gewicht fällt, weil die referenzierte EVS-Stichprobe einen überproportionalen Anteil Rentner enthält. Es ist zu vermuten, dass bei einer ausschließlichen Berücksichtigung von Personen zwischen 18-65 Jahren (gemäß den definierten Ausgangsbedingungen dieser Untersuchung) sich sogar ein "deutich unterhalb der Ausgaben" ergäbe.
Das bedeutet, dass die Gesellschaft den Sozialleistungsempfängern in Bezug auf Lebensmittel nicht das Existenzminimum finanziert, sondern einen bestimmten Lebensstandard, der dem Durchschnitt des unteren Fünftels der Gesellschaft entspricht. Das ist weit mehr als mit den formulierten Zielen der sozialen Mindestsicherung vereinbar.
Redundante Formulierung, welche mutmaßlich v.a. auf die politische Wirksamkeit dieser Aussagen abzielt. Die Aussage ist jedoch klar: Der derzeitige Regelsatz erlaube in Hinblick auf Lebensmittel "weit mehr", als ein soziokulturelles Existenzminimum notwendig mache. Diese Aussage ließe sich bestreiten, übrigens ganz besonders unter Verweis auf die vielfach angesprochene EVS-Stichprobe. Wenn nämlich "übliche Alltagsvollzüge" zum Zielkanon gehören, dann ist kaum vorstellbar, dass Regelsatz-Bezieher mit der Hälfte der Lebensmitteln auskommen, welche von den untersten Fünftel der Gesellschaft konsumiert werden. Insofern ist die geschlussfolgerte Aussage nicht nur klar, sondern auch falsch.
Wie könnte eine Weiterentwicklung der Leistungen für die soziale Mindestsicherung aussehen?
Zu dieser Fragestellung lässt die Untersuchung nur eine folgerichtige Antwort zu: Massive Kürzungen.
Für eine pauschale Erhöhung der Geldleistungen für alle Empfänger spricht derzeit nichts. Die Sätze liegen bereits über dem, was mit den formulierten Zielen kompatibel ist.
Freche und feige Formulierung. Frech ("nichts"), weil andere Begründungen nicht geprüft wurden. Feige, denn nach Ansicht der Autoren liegen die Sätze sogar über dem Doppelten, das - angeblich - mit den formulierten Zielen kompatibel sei. Überdies muss die urteilende Kompetenz der beiden Autoren bei der behandelten Thematik gründlich angezweifelt werden, wenn diese nicht einmal wissen, das die Stromkosten der Leistungsbezieher vom Regelsatz zu finanzieren sind.
Statt Hilfen in pauschal festgesetzten Höhen zu gewähren, könnte an gezielte individuelle und problembezogene Hilfen gedacht werden. Dabei könnte, anstatt auf immer höhere Geldleistungen zu setzen, auch an Beratungs- und Sachleistungen als Hilfen zu einem insgesamt besseren Leben (s.o. Ziele B1 Hilfe zur Selbsthilfe und B5 Teilhabe am gesellschaftlichen Leben) gedacht werden.
Unangemessen indirekte Formulierung. Damit wird eine Art Spartraining für Regelsatz-Bezieher angesprochen. Es fehlen in der Untersuchung u.a. Betrachtungen über das Erfolgspotential und die Kosten der vorgeschlagenen Spar- und Lebensführungstrainings.
Zuletzt haben Vossler und Wolfgramm im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen für Alte auf die Wichtigkeit der Selbsthilfe hingewiesen (Vgl. Vossler/Wolfgramm, 2008, S. 1f.).
Es wurde in der Untersuchung u.a. versäumt zu überprüfen, erstens, welches Potential die vorgeschlagene Selbsthilfe hat, zweitens, ob die vorgeschlagene "Selbsthilfe" bei einer massenhaften Durchführung durch rund 8 Millionen Regelsatz-Beziehern überhaupt verwirklichbar ist. Im Übrigen steht die Schlussfolgerung einer angeblich notwendigen Selbsthilfe nicht in einem ausreichenden Zusammenhang mit der vorgenommenen Untersuchung von Fischer/Thießen. Es ist also unklar, woraus hier geschlussfolgert wurde.
Im Weiteren könnte an die Koppelung von Transferzahlungen an Gegenleistungen gedacht werden. Studenten der Chemnitzer Technischen Universität haben eine ganz starke Präferenz für diese Weiterentwicklung der deutschen Sozialsysteme offenbart: Transferzahlungen erhält, wer sich der Gemeinschaft im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Verfügung stellt.
An dieser Stelle "schlussfolgern" die Autoren Konsequenzen, die in keinem Zusammenhang mit der eigenen Untersuchung stehen. Zur Erinnerung: Die Autoren haben "bottom up" die Höhe des Regelsatzes untesucht. Sie haben hingegen nicht untersucht, wie "Gegenleistungen" organisiert werden könnten.
Ein Wunschtraum muss sicher die Versorgung der Hilfeempfänger mit befriedigenden Arbeitsmöglichkeiten bleiben, durch welche sich für viele die finanzielle Situation fast automatisch verbessern würde.
Es ist völlig unklar, erstens, woraus die beiden Autoren diesen Schluss ziehen, zweitens, wo die Autoren diese Fragestellung untersucht haben. Erneut also: Unzulässiges "Schlussfolgern" seitens der Autoren..
Wichtig erscheint es, den mit der sozialen Mindestsicherung verfolgten Zielkanon zu überdenken.
Polititische Stellungnahme, aber keine wissenschaftliche Schlussfolgerung. Woraus genau schlussfolgern die Autoren, dass der an der Menschenwürde ausgerichtete Zielkanon zu "zu überdenken" sei??
Man kann über ganz andere Begründungen der Leistungen der sozialen Mindestsicherung diskutieren als sie in Gesetzen festgelegt sind.
Das mag durchaus der Fall sein, deutet aber an, dass die beiden Autoren gerne Fragestellungen außerhalb der Gesetzlage untersuchen würden. Thießen/Fischer haben zudem im untersuchenden Teil keine entsprechende Diskussion geführt. Ihre Untersuchungsergebnisse machen an keiner Stelle deutlich, dass die vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziele revidiert werden sollten.
Die Leistungen der sozialen Mindestsicherung beeinflussen Verhaltensweisen und lösen vielfältige Aktionen und Reaktionen aus.
Das wurde nicht untersucht.
Diese können aus Sicht ökonomischer Optimierungskalküle betrachtet werden.
Völlig unklare Formulierung. Wer genau nimmt wann und unter welchen Umständen welche "ökonomischen Optimierungskalküle" vor?
Aus diesem Blickwinkel heraus kann die Soziale Mindestsicherung als Versicherung gegen (auch selbst herbeigeführte) Notlagen betrachtet werden.
Aus welchem Blickwinkel genau? Sind die Notlagen bemerkenswert häufig "selbst herbeigeführt" - und inwieweit wurde dies von den Autoren zuvor untersucht?
Sie kann als Instrument zur Optimierung (im Sinne einer Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt) des Risikoverhaltens der Bevölkerung interpretiert werden.
Unklare Formulierung. Die beiden Autoren möchten (mutmaßlich) damit sagen, dass eine Mindestsicherung unterhalb einer an der Menschenwürde orientierten Regelsatz-Höhe die gesellschaftliche Wohlfahrt maximiert. Die Formulierung "Risikoverhaltens der Bevölkerung" der Autoren korrespondiert mit dem vorher betrachten Selbstverschulden der Bevölkerung. Die Autoren schlussfolgern (woraus?) also, dass ein Regelsatz unterhalb des soziakulturellen Existenzminimums das Selbstverschulden von Notlagen begrenzen würde. Das mag man als einen interessanten Gedanken auffassen, allerdings ist seine Substantiviertheit unklar und - jedenfalls - ergibt sich an keiner Stelle aus der vorgenommenen Untersuchung.
Sie ist ein Instrument zum Selbstschutz der Bürger vor ineffizienten Handlungen in prekären Situationen.
Erneut unklare Formulierung. Die beiden Autoren meinen, dass die Bevölkerung in prekären Situationen die Notlage selbst verschulde und insofern "ineffiziente Handlungen" vornehme. Hier ist erneut unklar, woraus genau die Autoren diesen Schluss ziehen.
Sie kann auch aus rein altruistischen Motiven heraus gewährt werden.
Offenbar schätzen die beiden Autoren die bisherigen Regelungen zur Höhe des Regelsatzes als übertrieben und als Ausdruck von "Altruismus" ein. Das ist eine untaugliche Begrifflichkeit, nicht nur, weil die Motivlagen des Gesetzgebers damit unangemessen simplifiziert werdne, sondern auch, weil "Altruismus" und "Egoismus" sich auf die Verhaltensmotive von Individuen beziehen - und nicht auf den Gesetzgeber. Mutmaßlich geht es den Fischer/Thießen darum, in einer erneuten sprachlichen Variation zum Ausdruck zu bringen, dass sie die bisherige Höhe des Regelsatzes für grob übertrieben einschätzen und eine darüber liegende Höhe als Ausdruck eines nicht-rationalen Kalküls bzw. entsprechend nur als "Altruismus" erklären können.
Aus solchen Motiven heraus ergeben sich möglicherweise andere Leistungen (auch andere Verhältnisse von Geld- und Sachleistungen) als die am kulturellen Existenzminimum orientierten heute.
Die beiden Autoren sind letztendlich der Auffassung, dass 132 Euro völlig ausreichend seien für die Aufrechterhaltung eines soziokulturellen Existenzminimums.

Ich meine: Niemand, der bei der Regelsatzermittlung ernsthaft und sorgfältig vorgeht, kann diese Auffassung teilen. Fischer/Thießen haben keine Wissenschaft betrieben, nicht einmal schlampige Wissenschaft, sondern Propaganda verbreitet. Sie taten dies im Gewand einer wissenschaftlichen Veröffentlichung.

+++ Update 19.09.2008 +++
Eine aktuelle HartzIV-Studie des IDW (via).

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10 September 2008

SpOn spinnt. Nachdem man das haltlose Gewäsch von Fischer/Thießen ohne Kritik an der Aussagekraft der "Studie" verbreitet hatte, stolpert man sich zielbewusst in die nächste Peinlichkeit. Anlässlich eines methodologisch komplett idiotischen Rankings, das aus Weltbank-Umfeld stammt, folgert der SpOn, dass Deutschland und die Niederlande weitaus schlechtere Orte für Investitionen und Wirtschaftstätigkeit sind als z.B. Georgien und Mauritius.

Auf Platz 1 steht der autoritäre Staat Singapur. Da wünsche ich den auswandernden Geschäftsleuten schon mal viel Spaß, wenn die sich da wirtschaftlich (und auch ansonsten...) frei entfalten wollen. Harharhar. Guter Witz. In Georgien werden nahezu alle Geschäftsleute (außer: wenn sie Georgier sind) mit Mafiamethoden erpresst und systematisch enteignet. Vielleicht sollte Hamburg mal mit den gleichen Methoden reformiert werden (zumindestens alle Gebäude, die an der Ost-West-Straße angrenzen), welche Georgien in Südossetien angewendet hat. Harhahar. Auch in Mauritius steht der Rechtsstaat oft nur auf dem Papier. Und mindestens einmal im Jahrzehnt wird die Insel von Zyklonen niedergemäht. Da macht das Investieren gleich doppelt Spaß. Immerhin wird Mauritius seit 2005 (zur Freude der dortigen Bevölkerung) von progressiven Sozialdemokraten regiert - und für Agrarprodukte sowie Tourismus ist die Insel wirklich nett. Das war es dann auch.

(Schalten Sie nächste Woche wieder ein, wenn der SpOn das nächste Desinformationsranking veröffentlicht)

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07 September 2008

Malzahn als Kommentargigant - so spiegelt er Steinmeier

Kaum ist das Ziel des bürgerlichen Kampagnenjournalismus erreicht, und Beck hat Parteivorsitz und seine Ambitionen abgegeben, rückt nun Steinmeier ins Visier. Galt Steinmeier in den bürgerlichen Medien zuvor als eine Art weißer Ritter, zumal im Vergleich zu Beck, so werden ihm jetzt Dunkeltöne abgewonnen. Der Chefredakteur der politischen Abteilung des SPIEGEL schreibt:
Die Nominierung des einstigen Kanzleramtschefs von Gerhard Schröder wird Erleichterung hervorrufen - Begeisterung freilich nicht. Steinmeier ist ein effizienter Politiker, dessen außenpolitische Vorstellungen im Wesentlichen auf die Architektur der Entspannungspolitik der achtziger Jahre gründen.
Ein Mann, der einmal für Entspannungspolitik gestanden hat, ist für Spiegels Malzahn schon mal grundsätzlich nicht begeisternd. Der Leser lernt: Frieden ist ein Manko.
Hier liegen die Ursachen für den politischen Dissens zu Angela Merkel, die eben jene Entspannungspolitik auf der anderen Seite in der DDR erlebt hat.
Aha: Merkel hätte sich "auf der anderen Seite" an Stelle von Entspannung wenigstens einen kernigen kalten Krieg gewünscht. Ja, nee: Iss klar! Ich warte noch darauf, dass Claus Christian Malzahn seinen Lesern zu berichten weiß, dass z. B. die Reiseerleichterungen und Verwandtenbesuche in der DDR generell verhasst waren. Es ist doch immer wieder unfassbar schön, wenn ein leitender Redakteur des SPIEGEL den Ursachen auf die Spur kommt.
Die Konkurrenz zwischen Kanzlerin und Vizekanzler wird das letzte Jahr der Großen Koalition dominieren - soviel steht heute fest.
Zwei konkurriernde Kanzlerkandidaten könnten im Vorfeld einer Wahl: konkurrieren. Danke, Claus Christian, SPIEGEL-Leser wissen mehr!
Steinmeier ist kein Charismatiker, seine Karriere und die Umstände seiner Ernennung zum Kanzlerkandidaten erinnern auf den ersten Blick gar an den eiligen Aufstieg Klaus Kinkels in der FDP (...)
Oder an den Dalai Lama? An Helmut Kohl? An Adenauer? An den Aufstieg von Helmut Schmidt? Völlig egal. Dass Herr Malzahn bei seiner politischen Erinnerungstätigkeit an Personen aus der FDP denkt, das darf man bei ihm getrost für normal halten. Malzahn legt nach der Entspannungspolitik den Finger in eine zweite Wunde: Das Charisma. Es fehlt. Durchgefallen.
(...) weil sonst niemand da war, dem man den Job zutraute.
Tja. Niemand da. Niemand traut Steinmeier den Job zu. Und - schwupps - schon ist er Kandidat. So sind die Sozen.
Auch Kinkel kam aus dem Apparat (...)
Naja. Steinmeier war bereits 33 Jahre lang Parteimitglied, im Gegensatz zu Kinkel, der 1993 den FDP-Parteivorsitz nach 2 Jahren Parteimitgliedschaft erhielt.
Schönen Dank an Jens vom Pottblog, der mich auf ´nen Fehler hinwies!

Steinmeier war u. a. 1993/94 Büroleiter von Schröder, dann Ressortkoordinator, ab 1996 als SPD-Mann Staatssekretär und Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei, und ab 2002 war er in der Bundespolitik aktiv. Egal. Immerhin lernt der Leser den dritten Makel von Steinmeier kennen (nach: 1. Entspannungspolitik, 2. Null Charisma): Steinmeier ist ein seelenloser Aparatschik.

(das könnte sogar stimmen...)
(...) so wie Steinmeier nun Schröders Erbe verwalten wird.
Ja isses denn die Möglichkeit! Malzahn kennt die Zukunft wie seine Westentasche. Er trifft einfach die dümmstmögliche Prognose. Toll. Ein Sonderlob dafür!
Dennoch gibt es, trotz der Personalnot, in der sich die Sozialdemokratie befindet, gewaltige Unterschiede.
Aah! Jetzt wird es spannend. Der Autor will trotz Personalnot differenzieren - ich als Leser habe mir derweil die drei Makel von Steinmeier gemerkt (1. Politik der Entpannung, 2. Null Charisma, 3. Apparatschik) sowie Malzahns Zukunftsprognose.
Steinmeier aber tritt nicht als Repräsentant einer Zwischenphase an, er repräsentiert vielmehr den "Last Man Standing" der SPD vor dem historischen Abgrund.
Es geht endgültig zuende mit der Sozialdemokratie. Ich glaube, das ist zugleich die Quintessenz der Parteiberichterstattung im SPIEGEL. Vielleicht sollte der SPIEGEL eine feste Rubrik in seiner Zeitschrift einrichten, mit dem Titel: "Immer nur abwärts mit der SPD".
Es gab glücklichere Vorsitzende der SPD, aber ob Beck nun der historische Tiefpunkt war, wie von uns gern behauptet wird, muss sich erst noch erweisen.
Ja, stimmt, das muss ich noch erweisen, ob Kampagnenjournalismus noch zu historisch höherer Hochform findet. Die SPD-Vorsitzenden hangeln sich von Tiefpunkt zu Tiefpunkt. Man könnte ja gleich damit anfangen, z. B. mit "Problembär Steinmeier". Achnee, das ist nix. Ein Schnellschuss. Wie wäre es mit "Steinmeier, der Stümper" oder "Stinktier Steinmeier"?
Auch Steinmeier wird nicht allmächtig sein, das Drama von Wiesbaden nimmt wohl weiter seinen Lauf.
Ohne Allmacht nimmt das Drama von Wiesbaden weiter seinen Lauf.
Steinmeier (...) wird (...) zum politischen Kugelfang - eine Rolle, die bisher Beck vorbehalten war.
Man darf das getrost als Absichtserklärung der politischen Abteilung des SPIEGEL lesen.
Die Wahrheit ist: Das Auftauchen einer postkommunistischen, linkspopulistischen Partei in Deutschland ist so wenig rückgängig zu machen, wie man Zahnpasta zurück in die Tube pressen kann.
Und ich weiß jetzt endlich, was Claus Christian Malzahn in seiner Freizeit macht.

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05 September 2008

Endlich Bewegung in der HartzIV-Debatte!

Sarrazin steckt im kreativen Loch, Clement hält sich überraschend an den Maulkorb, Merkel ist auf Auslandsreise (bzw. bereitet eine vor), der Sachverständigenrat ist wegen Konflikten mit Bofinger zerrüttet und Hans Werner Sinn ist mit seiner Tätigkeit als Lohnwarner ausgefüllt. Wer bringt uns das Licht?

Zwei Wirtschaftswissenschaftler, wie man sie sich kaum kompetenter vorstellen kann, sind endlich dem Problem auf den Grund gegangen! Fundamental. Radikal. Mutig. Und mit überraschenden Ergebnissen. Die Fragen waren: Was kann verbessert werden, wie können die gesellschaftlichen Lasten der Armut gesenkt werden, wie hoch darf HartzIV sein? Es müssen Lösungen her!

Nach ausgiebigen Studien im Tierfutterangebot deutscher Supermärkte (auf die exakte wissenschaftliche Methode kann hier in der gebotenen Kürze leider nicht eingegangen werden) ermittelten sie folgende ideale Mindestsätze für HartzIV-Empfänger:

Kind: 79 Euro pro Stück / Monat (ohne Alkohol und Tabak)
Erwachsenes: 132 Euro / Monat (inkl. Freizeit, Kultur und Kommunikation)

Hier ist alles Notwendige enthalten! In der Präambel der Studie (PDF) heißt es hierzu:
Es war [die] Absicht, einen Beitrag zur Verbesserung der Situation vieler Menschen zu leisten.
Wer die Wirtschaftswissenschaften kennt, der weiß auch, dass das Beurteilen der Lebensverhältnisse in dieser Wissenschaftsdisziplin stets von a) Klarheit b) Objektivität, c) unbestechlicher Präzision und d) höchster wissenschaftlicher Strenge geprägt ist. Nach den aufwändigen Berechnungen der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Thießen (Bild) und Dipl. Kfm. Christian Fischer von der TU Chemnitz sind die bisherigen Sätze für HartzIV sehr drastisch überhöht. Das Fazit in kurzer Form (Studie, s.o., S. 30)
Für eine pauschale Erhöhung der Geldleistungen für alle Empfänger spricht derzeit nichts. (...) Es wäre sehr problematisch, wenn jedermann einen Anspruch darauf hätte, so viel von der Gesellschaft zu bekommen, wie er braucht, um seiner Vorstellung nach „zufrieden“ und „frei von empfundenen Mängeln“ leben zu können.
Sie haben den wissenschaftlichen Beweis dafür erbracht.

Es ist ein Durchbruch für die künftige Diskussion - tabulos, frech und überfällig! Prof. Dr. Friedrich Thießen (Lebenslauf) ist ein Spezialist für Devisenhandel, Investmentbanking und Finanzwissenschaften. Der Diplomkaufmann Christian Fischer ist Diplomkaufmann und Spezialist für das physische Existenzminimum, HartzIV-Regelsatzermittlung und Kartoffelpreise (Stand: 2005).

Anfragen für gut bezahlte Vorträge, Drittmittelprojekte und Aufträge nehmen beide Autoren gerne entgegen. Von Belästigungen (besonders seitens sogenannter Hilfsbedürftiger) ist abzusehen. Nicht zielführend sind zudem kritische Stellungnahmen von Wissenschaftlern zu Methodologie, Argumentation und Inhalt der Studie (PDF).

+++ Update +++
Ein Interview. Thießen antwortet Pidun. Man erfährt: Jegliche Kritik an der Studie ist ungerecht. Thießen fühlt sich "mulmig". Nun antwortet ihm die Bundeskanzlerin: "Diese Studie ist unverantwortlich."

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04 September 2008

Lasse ladn

SpOn: Haben Sie als Musikfan eigentlich schon mal Lieder illegal aus dem Internet runtergeladen?

Metallica: Ich lasse runterladen, (...)
Achso.

03 September 2008

Ukraine rückt in Richtung Russland

Skurrile Konfliktfolgen: Im Gefolge des südossetisch-georgischen Krieges positioniert sich die Ukraine näher an Russland. Der Grund dafür: Timoschenko hat in diesem Konflikt eine neutrale Position eingenommen und gilt damit im "prowestlichen" Lager von Juschtschenko als furchtbare Hochverräterin. Die ukrainische Regierungskoalition ist geplatzt und Timoschenko wird in der Folge - voraussichtlich - sich dem prorussischen Lager von Janukowitsch anschließen.

Sollte der Überfall auf Südossetien durch den georgischen Nationalisten und Wahlbetrüger SaakaSchwili tatsächlich von den USA in Teilen gedeckt gewesen sein (das ist unbewiesen), dann war das an dieser Stelle machtstrategisch ein Schuss, der nach hinten los ging.

Ich vermute, dass ein geschickteres und weniger einseitiges Agieren der Außenpolitik-Amateurin Merkel (z.B. mit Kritik an Putin und SaakaSchwili) hilfreich gewesen wäre, um manches Zerwürfnis in Folge dieses Konfliktes zu vemeiden. Eventuell sogar in der Ukraine. Meine Behauptung (ich zweifle selber daran...) lässt sich schwer überprüfen, aber: Die Aussicht auf eine westlich orientierte Ukraine dürfte zunächst erledigt sein.

Vielleicht aber ist Merkel auch eine hochintelligente und unterschätzte Politikerin auf dem Feld der Außenpolitik. Dadurch, dass die Ukraine (voraussichtlich) sich stärker an Russland bindet, wird es erstens zu keiner NATO-Aufnahme der Ukraine kommen (das reduziert Aufrüstungskosten), und zweitens auch zu keinen EU-Beitritt (das verringert kommende EU-Lasten). Andererseits: Ein belastetes deutsch-russisches Verhältnis wird zu Lasten eines bislang boomenden deutsch-russischen Außenhandels gehen.

Ich bezweifle, dass Merkels einseitige Außenpolitik von strategischer Weitsicht geprägt war. Eine neutrale oder prorussische Ukraine mag für den deutschen Steuerzahlers günstiger sein, aber in der Summe überwiegen die negativen Effekte, auch in Hinblick auf die Exportchancen der deutschen Industrie. Zudem droht eine Entwicklung in Richtung eines neuen kalten Krieges.

Krieg und Konflikt kommen immer teuer. Ob heiß oder kalt.

Beispiele für Positivismus in der Medizingeschichte

Anmerkungen zur Medizingeschichte

Deutschland im Jahr 1850: Die politischen Verhältnisse sind in starker Bewegung. Zugleich steht Deutschland im europäischen Vergleich (besonders gegenüber England, Frankreich, Russland und die Niederlande) wirtschaftlich eher rückständig da. In der Medizin sind die Lehren von Max Pettenkofer maßgeblich. "Miasmen" gelten hier als wesentliche Krankheitserreger. Diese Miasmen verstand man als athmosphärische, tellurische (erdgebundene) oder, in vermeintlicher Übereinstimmung mit antiken Quellen, sogar als "kosmische Kräfte" zur Auslösung von Infektionen. Es dampft aus der Kanalisation, riecht streng oder wird als Folge von Erderschütterungen aufgefasst. So hat die Medizin ihre Erklärung.

Zur gleichen Zeit macht Ignaz Philipp Semmelweis in Wien als Assistenzarzt die Entdeckung, dass sich mit Hygiene das Kindbettfieber weitgehend vermeiden lässt. Wie kam er dazu? Geschockt von furchtbaren Erkrankungszahlen und mit großer Forscherneugierde stellte er zunächst Dutzende von Hypothesen zusammen, um die Unterschiede der Häufigkeit von Kindbettfieber zwischen zwei Krankenstationen zu erklären (u.a. Athomosphäre, Ernährung, Priesterbesuch, Kontakt mit Leichengift, Überbelegung, Betreuung, Fäulnisprodukte, Lage bei der Geburt, Grobheit der Untersuchungen, psychologische Faktoren u.v.m.) - und nahm ausdauernd eine Reihe von Experimenten vor. So variierte er auch die Art und Weise, wie Priester die Sterbesakramente überbrachten. Die in seiner Zeit gängigen Hypothesen verwarf er experimentell und fand zu seiner großen Freude eine Ursache, ebenfalls nach sorgfältiger Durchführung von Experimenten.

Semmelweis fand heraus, dass der vorherige Kontakt der behandelnden Ärzte mit Leichenkörpern und einen angenommenen unbekannten "Leichenstoff" einen sehr großen Einfluss auf die Todesraten hatte. So verbot er, unter großen Protest der beteiligten Ärzte, dass Ärzte, welche mit Leichen in Kontakt kamen, bei Geburten helfen durften. Danach nahm er Versuche mit mehreren Chemikalien zur Desinfektion vor, entschied sich dann für Chlorkalk und wies nach: Das zuvor für unvermeidlich gehaltene Versterben von Frauen bei der Geburt (mit Raten von bis zu 20 Prozent und höher) ist durch Hygiene und durch den Einsatz von Chlorkalk zur Desinfektion vermeidbar.

Die deutsche Medizin-Öffentlichkeit hielt die Ansichten von Semmelweis für außerordentlich skandalös (trotz seiner Nachweise und drastischen Erfolge), und die Medizinerschaft störte sich an seinen Warnungen vor unsauberen Händen und vorherigen Kontakt mit Leichen. Außerdem passten die Behauptungen von Semmelweis zu keiner bekannten medizinischen Theorie. 1858, zum Beispiel, lehrte der berühmte deutsche Mediziner Rudolf Virchow seinen Studenten, in Übereinstimmung mit Pettenkofer, dass die "Ansammlung eines intensiven Miasmas" (Quelle) die Krankheitsquelle für das Kindbettfieber sei, während die Ansichten von Semmelweis hingegen abzulehnen sind. Der damals berühmte Mediziner Friedrich Wilhelm Scanzoni fälschte sogar Untersuchungen, um damit Semmelweis zu widerlegen.

Auch die statistischen Belege des amerikanischen Arztes und Schriftstellers Oliver Wendell Holmes konnten sich zunächst nicht durchsetzen. Und dies, obwohl das Datenmaterial eindeutig war. Er und seine Freunde waren bei der Desinfektion von medizinischen Geräten sehr erfolgreich. Er schlug diese Methoden 1943 für eine breite Öffentlichkeit in seiner Schrift "The Contagiousness of Puerperal Fever" vor. Auch Oliver Wendell Holmes wurde für seine Erkenntnisse und Erfolge umfassend angefeindet. Holmes hatte gegenüber Semmelweis jedoch den Vorzug, dass er auch ein talentierter Schriftsteller war, sodass sich seine Lehren immerhin in Neuengland verbreiteten - und dort fortlaufend den Nachweis der Richtigkeit medizinischer Desinfektionsmaßnahmen erbrachten.

Etwa zur gleichen Zeit kam Florence Nightingale bei der Betreuung von Kriegsopfern zu teils ähnlichen Ergebnissen. Ebenfalls arbeitete sie mit Methoden der Medizinstatistik und sie kam bei ihrem heldenhaften Einsatz auf der Krim zwischen 1854-1857 u. a. zur Erkenntnis, dass reinliche Verhältnisse und das Auskochen von Wundverbänden Leben retten - mit ihren Methoden senkte sie die Sterberate in den Lazaretten von 42% auf 2%. Sie kehrte 1857 als 37-Jährige und berühmte Frau nach England zurück, für ihre patriotischen Taten von der Presse gefeiert. Gleichzeitig galten ihre Ansichten zu Sauberkeit und Hygiene unter Medizinern zunächst als hochgradig lächerlich. Sie widmete sich in den Folgejahren der Entwicklung der Pflegepersonal-Ausbildung und es gelang ihr zudem, in England Sozialdienste zu etablieren.

Semmelweis erlebte den Siegeszug seiner Lehren nicht mehr, verstarb unter dubiosen Umständen (eventuell unter Beteiligung seiner Gegner) im Jahr 1865 in einer Irrenanstalt - ausgerechnet an einer Wundinfektion. Vielleicht war es auch so, dass der verzweifelte und aggressive Ton von Semmelweis gegenüber dem medizinischen Establisment (Quelle) der breiteren Anwendung der neuen Methoden schadete. Der englische Arzt Joseph Lister hatte mehr Glück. 1867 zeigte er, dass mit Karbolsäure vorgenommene Desinfektionen der Hände von Ärzten und Pflegepersonal sowie der medizinischen Geräte nützlich sind - und er wurde in der Welt der Medizin dafür akzeptiert.

Joseph Lister argumentierte weniger mit statistischen Nachweisen wie Holmes und Semmelweis, sondern argumentierte innerhalb der anerkannten Sprache wissenschaftlicher Mediziner. Habitus und Sprachhabitus von Lister trafen den Geist der Zeit besser - und er beschrieb die vorgenommenen Experimente in der passenden Nomenklatur, ohne allzu empfindlichen Widerspruch zur herrschenden Lehre. Zudem war der von ihm konzipierte, mit Karbolsäure getränkte "Listersche Wundverband" einfach zu handhaben und es war für die beteiligten Ärzte weniger mit Schuldgefühlen verbunden, wenn sie auf dieses Mittel setzten.

Dennoch erhielt Joseph Lister in England viele Jahre keinerlei Anerkennung für seine Methoden, zumal er dort nur als "Mann aus Edinburgh" galt. Die maßgeblichen Ärzte in London feindeten ihn an (Quelle). Etwas entmutigt von seinen Misserfolgen begab er sich 1875 auf eine Reise nach Deutschland und stellte verblüfft fest, dass ihn die deutschen Klinikärzte bejubelten und seine Methoden bereits bekannt waren (Beispiel Berlin) oder sehr schnell an den deutschen Kliniken eingeführt wurden. Seine Besuche in Leipzig und München glichen einem Triumphzug und wurden gefeiert. Entsprechend ermutigt kehrte er nach England zurück, erkämpfte 1877 in London eine Medizinprofessur und propagierte seine Lehren, anfangs vor leeren Hörsälen. Doch schon 1880 hatte er die meisten Londoner Ärzte bekehrt und den endgültigen Durchbruch in London erlebte er im Jahr 1883, als er sechs spektakuläre - und erfolgreiche - Operationen vornahm.

Die deutschen Frauenärzte schlugen sich im Jahr 1877 nahezu vollständig auf die Seite von Semmelweis, zunächst die Frauenärzte in Berlin, nachdem sie 1875 eine Untersuchungskommission einsetzten und die dort erlangten statistischen Nachweise akzeptierten. Anschließend setzten sie die neuen Methoden der Frauenmedizin sogar gesetzlich durch und feierten den Deutsch-Ungaren Semmelweis als "Retter der Mütter" (Quelle - Doc). Semmelweis wurde wegen seiner Erkenntnisse im deutschen Sprachraum angefeindet und vertrieben - und dennoch, er wurde in Europa später nirgendwo stärker akzeptiert und gefeiert wie von deutschen Medizinern. Adolf Kussmaul, Gustav Adolf Michaelis, Louis Kugelmann, Wilhelm Lange und Alfred Hegar kämpften mit Nachdruck für die Ansichten von Semmelweis.

Die allgemeine Durchsetzung der Keimtheorie, besonders seitens von Louis Pasteur, ebnete die Anwendung der neuen Erkenntnissen den Weg, auch bei jenen Medizinern, die an der Notwendigkeit von Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen zweifelten. In Deutschland war außerdem Robert Koch an der Durchsetzung der neuen Erkenntnisse stark beteiligt. Es dauerte dennoch sehr lange, bis die Anhänger des Seuchenmediziners Pettenkofer in allen medizinischen Fakultäten in die Minderheit gerieten. Erst anlässlich der Hamburger Choleraepidemie von 1892 gelang Robert Koch ein Nachweis, der allgemein überzeugte. Nach Ansicht des britischen Historiker Richard Evans setzte sich Robert Koch allerdings weniger wegen der Überzeugungskraft seiner Argumente durch, sondern mehr, weil er als Vertreter der preußischen Medizin galt - und somit auf der machttechnisch richtigen Seite stand.

Auch der Gegner von Robert Koch, Max Pettenkofer sprach sich für Sauberkeit und Hygiene aus (zur Vermeidung von Miasmen), und setzte darum z. B. die Kanalisation Münchens durch. Ende des 19. Jahrhunderts galt München, nicht zuletzt aufgrund der Bemühungen von Pettenkofer, als sauberste Stadt Deutschlands. Zudem hatte Pettenkofer Pech. Sein Beitrag zum Periodensystem der Elemente war bedeutend, aber es fehlte ihm die Untersützung zur Fortsetzung seiner Forschungen seitens der Bayerische Akademie der Wissenschaften. Pettenkofer war ein Verbreiter rückschrittlicher Irrlehren (z.B. Miasmen) und zugleich ein fortschrittlicher wissenschaftlicher Neuerer. Als 1854 in München eine Cholera-Epidemie ausbrach, bezweifelte Pettenkofer, dass Krankheitserreger oder -keime dafür die Ursachen waren, wofür er ausführliche medizinstatistische Untersuchungen vornahm.

1892, im Rahmen seines berühmten Streits mit Robert Koch über die Ursache der Cholera, schluckten Pettenkofer und seine Schüler sogar Cholera-Bakterienkulturen - und erkrankten nicht bzw. nur leicht, was sie als experimentelle Falsifikation der Lehren von Robert Koch deuteten. Man könnte dieses skurrile Detail, wenn man mag, als eine Widerlegung des "Positivismus" deuten, jedenfalls wenn man ignoriert, erstens, dass es genauso auch "Positivisten" waren, die sich auf die Seite von Semmelweis, Lister, Pasteur und Koch schlugen, zweitens, dass Pettenkofer mit seinen Methoden auf anderen Gebieten Verdienstvolles leistete.

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Freiheitsquellen, Freiheitshindernisse, positive und negative Freiheiten - Grundlagen des Linksliberalismus (4)

Wäre ich ein Philosoph, würde ich vermutlich nur ca. alle drei Monate ein Wort finden. Jedenfalls: Nach vielen Monaten des Nachdenkens ist mir endlich ein Wort eingefallen. Das Wort lautet: Freiheitshindernisse.

Warum finde ich es bemerkenswert?

In der (nun seit zirka 3 Jahren andauernden) Diskussion mit Blogliberalen, Blog"liberalen" und Rechtslibertären habe ich mich an dem dort modischen Freiheitsbegriff gestoßen. Dort wird gerne zwischen "positiven" (Freiheit zu) und "negativen" (Freiheit von) Freiheiten unterschieden - und mit dieser, scheinbar klaren, Fundamentalunterscheidung konstruiert man dort einem ganz besonders "liberalen" Freiheitsbegriff. Und die politische Bemühung soll - nach Ansicht der Rechtslibertären und Rechtsliberalen - einzig (bzw. vorwiegend) dem Erhalt der "negativen Freiheit" gewidmet werden, der Freiheit von Zwang.

Irgendwann fand ich dann (das dauerte nur rund 18 Monate), dass der Begriff "Freiheitsquellen" deutlich flexibler ist, verglichen mit dem rechtsliberalen Konzept, weniger reduziert ist und mehr Potential bietet: Nämlich, den Begriff "Freiheit" mit Leben zu füllen.

Tja, und heute Abend (beim Lesen eines uralten Lexikons zum Stickwort Freyheit) fiel mir auf, wie dumm, wie unvollständig diese Idee von mir war, denn es fehlte zumindest ein Wort, das ich heute Abend fand: Freiheitshindernis.

Wofür soll das Wort gut sein?

Der Witz ist, meiner Meinung nach, dass das Konzept von "positiver Freiheit" vs. "negativer Freiheit" doch sehr eingeschränkt ist. Wie bringt man dort z.B. die "innere Freiheit" unter? Darum: Freiheitsquelle. Wie bringt man Unfähigkeit unter, wie eine fehlende Entwicklungsvoraussetzung oder wie eine hinderliche, aber eigentlich freiwillige Unterwerfung unter einem Dienstverhältnis? Darum: Freiheitshindernis.

Die Kategorisierung von "positiven" vs. "negativen" Freiheiten ist im Vergleich trennschärfer. Zwischen den beiden Kategorien Freiheitsquelle und Freiheitshindernis kann (m.E. leichter) ein fließender Übergang bestehen - und es kann vorkommen, dass der gleiche politische, soziale oder persönliche Sachverhalt beiden Kategorien angehört. Der Vorteil ist, dass man mit "meinen" Kategorien (ich glaube ja nicht, dass ich der erste bin, der diese Unterscheidung vorgenommen hat) mehr Fleisch erhält, mehr Inhalt, und vor allem mehr von dem, was Freiheit ausmacht. Man kann mit diesen Kategorien leichter fragen: Mehr Freiheit wodurch? Weniger Freiheit wodurch? Man kann sich m.E. dann auch leichter mit institutionellen Fragestellungen beschäftigen.

Die Unterscheidung von "Freiheitsquelle" vs "Freiheitshindernis" entfernt zugleich auch von einem aktuellen und verbreiteten politischen Elitendiskurs, wo man Politik gerne auf das Beseitigen von Zwängen beschränken möchte (hier gerne genommen: Steuerbelastungen, "Sozialstaat" als Lastenquelle und bürokratische Hemmnisse). Ich glaube, dass "meine" beiden Kategorien nützlicher sind, nützlicher für die analytische Arbeit (auch, weil vollständigere Ergebnisse möglich sind) und auch nützlicher für die politische Arbeit.

Ein weiterer Aspekt: Demokratie wird in "meiner" Fundamentalunterscheidung zur positiven Freiheitsquelle, während diejenigen, welche den Unterscheidungen von Isaiah Berlin folgen, Demokratie auch mal gerne als eine Form von "Zwang" umdeklarieren, bei der eine Mehrheit die Minderheit (i.d.R. als Leistungsträger verstanden) unterwirft. Isaiah Berlin hat sich in seinen berühmten "Four Essays on Liberty" (der Link bietet den vollständigen Text) zu stark von seinem anti-marxistischen Reflex leiten lassen - und dabei, meiner Meinung nach, viel philosophisches Porzellan zerschlagen.

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