29 Oktober 2007

Fotostrecke


Blätter im Teich


Herbstspiegelungen


Herbstkronen aus Teichsicht


Nicht weit enfernt: ein Chamäleon


Er ist grün und er ist klein
recht zufrieden schaut er drein


Bei diesem Bild fehlt etwas Licht
und doch, es war ein Festgericht
(ohne Froschschenkel)

Ich danke den namenlosen Spendern des Bildmaterials, egal, ob diese damit einverstanden sind!

28 Oktober 2007

Ein netter Artikel von Heribert Prantl zum SPD-Parteitag. Gemessen an der Einschätzung anderer Journalisten in den übrigen Medien, muss man Prantl wohl zu den Linksradikalen rechnen.

Open Creation and Its Enemies

Dass die Durchökonomisierung der Gesellschaft nicht zwangsläufig in einer wirklich "offenen Gesellschaft" endet, halte ich für evident.
(...) An endeavor of invention and understanding cannot be paid by the hour, and in consequence cannot be objectively measured with money. The habits of industrial production have clearly penetrated certain strata across the frontier of intellectual life, and for example, journalism is routinely paid by the line. But it is obvious that the interest of these types of workers is to increase the speed and the quantity of production to the detriment of the quality. Above all this can be seen in the poverty of reportage, as this must be assembled off the clock. And such a way of carrying out work implies an easily overstretched inferior intelligence of the financial backers, who are satisfied with such standards.
Leider bedeutet diese Erkenntnis noch nicht, dass die Konstruktion von Alternativen außerhalb dieser Verwertungslogik einfach ist. Der freie Zugang zu Öffentlichkeit und Information im Internet, also durchaus auch Blogs, stellt einen wichtigen Teil von Emanzipierungsmöglichkeiten dar - und dies gilt umso mehr, je stärker die Wissensproduktion, z.B. in den Universitäten, in den Würgegriff der Wirtschaftsinteressen gerät.

Wikipedia gerät nun selbst, auch aufgrund der eigenen Attraktivität und folglichen Eignung für aufmerksamkeitsökonomische Strategien, immer stärker in den Einflussbereich der ökonomischen Kulturdeformation. Sichtbar wird dies z.B. bei der Bearbeitung wirtschaftsideologischer Thematiken, wo sich inzwischen eine Horde von teils offen radikal wirtschaftsliberal eingestellten Bearbeitern und Administratoren darum müht, Kritik und deren Begrifflichkeiten (z.B. "Neoliberalismus") zu verdrehen, abzuschwächen oder wegzueditieren. Man beachte z.B. den Artikel Manchesterliberalismus und seine Genese, die sich unmittelbar auf das Wirken rechtgerichteter Think Tanks zurückführen lässt*. Die "freie" Enzyklopädie wird zunehmend zu einer unfreien Enzyklopädie.

Ein Ausweg, oder besser: eine Ergänzung, könnten ggf. millieu-gestützte Wikis sein, also durchaus unterschiedliche Wikipedias je nach wissenschaftlicher, kultureller oder weltanschaulicher Schule, sodass sich differierende Sichtweisen nicht gegenseitig zu bekämpfen versuchen, sondern einander ergänzen.

Der Text "Open Creation and Its Enemies", aus dem das Zitat oben stammt, von Ansger Jorn findet sich hier. Ich habe erst einen kleinen Teil gelesen, fand aber einiges davon ziemlich bemerkenswert.

* Ich werde dazu in den kommenden Wochen ein Experiment vornehmen.

26 Oktober 2007

Gekaufte Rechtsentwicklung

Law is an anagram of wealth.

So soll es natürlich nicht sein, aber z.B. die Fortentwicklung des Urheberrechts legt diesen Schluss sehr nahe. Ein konkretes Szenario: Eine bekannte Verwertungsgesellschaft, nennen wir sie einmal "GUMMI", pflegt intensiven Kontakt zu den Kommentatoren von juristischen Fachzeitschriften. Eigentümlicherweise finden in diesen Fachzeitschriften bevorzugt jene Urteile Berichterstattung, welche GUMMI-freundliche Urteile fällen. Negative Urteile, welche Ansprüche von GUMMI bestreiten, finden in diesen Fachzeitschriften unterdurchschnittlich häufig Aufnahme. "Offene Gesellschaft", my ass!

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25 Oktober 2007

Gedankengeröllhalde: Die Konzeption des ökonomischen Prozesses, einerseits durch Marx, andererseits durch Mises/Hayek ist jeweils idealisierend - und jeweils verfälschend.

Marx erkärt den Markt- und Eigentumsprozess von Unternehmen vor allem als Ausbeutungs- und Herrschaftsprozess, bei dem auf rabiateste Weise der Arbeiter um den Mehrwert betrogen wird. Dabei wird die Offenheit und Vielgestaltigkeit des Prozesses negiert, aber auch die Möglichkeit, Ausbeutungsverhältnisse innerhalb des Systems zu überwinden. Ökonomische Märkte seien stets Freiheitsvernichter. Die Ungerechtigkeiten sozialökonomischer Prozesse sowie die tatsächlichen Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse werden als das zwangsläufige Ergebnis des privaten Verfügens über Produktionsmittel betrachtet. Diese Sichtweise wird zudem mit einer echatologischen Geschichtsbetrachtung verbunden. Groteskerweise ist die wesentliche Befreiungstat im Marxismus die möglichst vollständige Entledigung vom privaten Eigentum an Produktionsmitteln. Unmittelbar danach würde das Reich der Freiheit erreicht - alle wesentlichen Probleme seien gelöst.

Genauso negierend - selbst verstanden als Antipode dazu - geht die ökomische Schule von Mises/Hayek vor. Auch hier wird die prinzipielle Offenheit und Vielgestaltigkeit von Marktprozessen bestritten wie auch jegliche Form von Herrschaft, Ausbeutung sowie die üble Wirkung unterschiedlicher Startbedingungen im sozialökonomischen Prozess. Auf Märkten sei alles prima, alles sei "freier Vertrag". Die zentrale Produktivkraft der Ökonomie sei das private Eigentum - dessen Verteilung und Zustandekommen sei gänzlich belanglos. Groteskerweise ist die wesentliche Befreiungstat in der Mises-Sekte die möglichst vollständige Entledigung der sozioökonomischen Einflüsse von Staat und Demokratie. Unmittelbar danach würde das Reich der Freiheit erreicht - alle wesentlichen Probleme seien gelöst.

24 Oktober 2007

Lesetipp: Eine recht ausführliche und grausame Geschichte in der Sueddeutschen zum miesen Umgang mit der Meinungs- und Pressefreiheit. Ich finde zwar das oft reaktionäre Gebelle und Gekeife von Giordano & Friends i.d.R. wenig ansprechend und relevant, aber wenn das deutsche Abmahnrecht - unter Missbrauch des Persönlichkeitsschutzes - der moderne Maulkorb ist, dann bleibt das ein Skandal, und auch dann, wenn die Geschichte ein gutes Ende nahm. Das gute Ende der Angelegenheit ist neben dem Mut der Beteiligten m.E. letztlich nur Zufällen zu verdanken, sowie dem Umstand, dass die kritisierte Person zuvor die Nähe zu den Medien gesucht hatte.

22 Oktober 2007

Das polnische Elend - Anmerkungen zur Wahl

Der gewählte Donald Tusk wird in unseren Medien mit großer Sympathie beschrieben und mitunter sogar gefeiert. Das mag an seinen höchst merkwürdigen Vorgängern liegen, an einer gewissen Unkenntnis, aber vielleicht auch an der strikt wirtschaftsliberalen und proeuropäischen Grundhaltung von Donald Tusk und seiner PO. Dabei wird allerdings die polnische Vorgeschichte übersehen - und auch die Problematik, die mit einer Tusk-Regierung verbunden sein wird. Wenig bekannt scheint zu sein, dass sich Tusk ausgesprochen positiv auf Pinochet und Franco bezieht und sich z.B. einen Kapitalismus ohne Demokratie gut vorstellen kann. Es wird vergessen, dass Donald Tusk eine Vorgeschichte hat - und auch ein spezielles persönliches politisches Netzwerk, welches u.a. mit Auslandsgeldern rechtsgerichteter Think Tanks aufgebaut wurde.

Es war Leszek Balcerowicz, und sein radikal neoliberaler, sozial unausgewogener "Balcerowicz-Plan", welcher mit den daraus resultierenden gesellschaftlichen Verwerfungen die instabile politische Lage in Polen und das Aufblühen von eines populistischen wie extremen Rechtskonservatismus und Nationalismus begünstigt hat. Balcerowicz hat zudem die zuvor linksliberale UW in eine Partei der Neoliberalisierung verwandelt, und sie damit zugleich politisch vernichtet. Zum Dank für seine Leistungen wurde er u.a. Kurator der sozialreaktionären Hayek-Stiftung und bekam Auszeichnungen in einer Menge, die jeden Operettengeneral vor Neid erblassen lassen.

Donald Tusk wird recht präzis die gleichen Fehler machen wie sein Duzfreund Balcerowicz, den er seit den 80er Jahren kennt, z.B. im Gefolge seiner Arbeit für die Zeitschrift Przegląd Politiczny, welche die radikalen sozialökonomischen Ideen von Hayek, Mises und Aron in den polnischen Sprachkreis einführte - und in den neoliberalen Schockwellen des "Balcerowicz-Plans" mündeten. Die Pläne von Donald Tusk werden dieses Programm fortsetzen bzw. den sogenannten "Balcerowicz-II-Plan" in Angriff nehmen, der u.a. die Privatisierung der Krankenversicherungen anstrebt.

Schon in ca. zwei bis drei Jahren wird Polen vor Revolten und sogar einem sozialökonomischen Scherbenhaufen stehen - im übelsten Fall werden wir als Folge einen aufblühenden polnischen Faschismus sehen, der die Macht nach Tusk übernimmt. Die Wahl von Donald Tusk war kein guter Tag für Polen.

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18 Oktober 2007

Die wichtigste Nachricht seit der Zeit nach dem Libanonkrieg aus Israel, meiner Meinung nach: Rabbiner Ovadia, der Führer der Schaspartei, ist - wie seit gestern bekannt ist - mit der Gründung eines israelischen Verfassungsgerichtes einverstanden (Quelle). Dies ist ein gutes Zeichen, weil ein Verfassungsgericht Israel - und sogar seinen Nachbarn - in seiner Entwicklung mehr helfen wird, als heute jemand ahnt. Beachtlich ist weiterhin die überaus rege diplomatische Arbeit der Regierung Olmert in den letzten Monaten. Man muss den kommenden Frieden sorgsam hegen und pflegen, auch, wenn er zunächst im Stillen wurzelt und noch keine deutlich sichtbaren Blätter emporgetrieben hat. Doch seine Zeit wird kommen - und vielleicht ist es schon die Regierung Olmert, welche die ersten Früchte ernten wird.

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Karl Kraus über George Bush und Angela Merkel

Karl Kraus hat vor garnicht so langer Zeit geschrieben, dass Politik völlig überschätzt ist und überdies eine lästige, oft scheußliche Angelegenheit. Wichtigtuer und und Dummköpfe sind es, die sich über politische Angelegenheiten ereifern. Es gibt für vernünftige Menschen kaum einen Grund, sich wegen "politischer Ansichten" anzukläffen, zumal es es in der Welt weitaus wichtigere und interessantere Themen gibt - und sogar solche, wo Dummköpfe nicht dumm aussehen.

Das Problem nun aber sei, so Karl Kraus, dass Politik wichtig ist, deshalb, weil es dabei oft und sehr empfindlich um das Wohl und Wehe der Dummköpfe geht. Und um uns.

Im öffentlichen Wettlauf der Dummköpfe (also: in der Politik) macht diese Woche George W. Bush wieder von sich reden. Er, der übrigens auch Gutes geleistet hat, tut auch in seinem letzten Amtsjahr alles, um der Geschichte als dümmster US-Präsident unvergänglich zu werden, als einer, der das innere Wohl seines Landes für kriegslüsternes Gefasel opfert - und dazu viele Zehntausende von Menschenleben in anderen Ländern - also dafür, dass er seine "politischen Ansichten" über internationale Angelegenheiten kriegsführend zu materialisieren sucht. Diesmal im Streit mit dem Iran, dem er neuerdings mit dem "dritten Weltkrieg" droht.

Er hat schon häufiger einen "dritten Weltkrieg" herbeigeträumt und heroisiert, in den letzten Monaten mit zunehmender Frequenz, meist als "globaler Krieg" gegen "den Islamfaschismus" (z.B hier) oder "das Terrornetzwerk" (z.B. hier).
"Die Anhänger der Al Kaida wollen die Demokratie im Irak zum Fall bringen, so dass sie das Land als Zufluchtsort für Terroristen nutzen können, von dem aus sie unser Land angreifen können."
Tatsächlich pflegt George W. Bush kriegerische Hysterie und hält seine Nation seit sechs Jahren im Krieg, mit hunderttausenden Toten als Ergebnis, aber ein richtiger Weltkrieg ist ihm noch nicht geglückt. Das ist der empfindlichste Stachel in seinem Fleisch, denn einen richtigen Weltkrieg braucht es wohl für ihn, er, der in seinem Land als Präsident allgemein und in höchsten Graden verachtet ist, um sich endlich als "großer Präsident" fühlen zu können.

Vor dem Hintergrund der aktuellen und sehr lebhaften Weltkriegsfantasien von George W. Bush zeigt sich die bellende Diplomatik Rhetorik von Angela Merkel gegenüber dem Iran als eine Art Charaktertest bzw. als schlüssige Beantwortung der Fragen, welche Form der außenpolitischen Klugheit sie praktiziert, wie sehr es sie drängt, und wie tief sie in die Gedärme ihres amerikanischen Duzfreundes hineinkrabbeln möchte, um sich gemeinsam mit ihm an einem warm dampfenden, oliv- bis braunfarbenen Militarismus zu erfreuen.

Es gibt kaum ein gröperes Verbrechen als einen Krieg - und für Politiker kaum eine schlechtere und widerwärtigere Tat als die, Krieg und zigtausendfaches Leid herbeizureden.

Dabei ist es gründlich egal, ob dies aus Profilierungsgründen geschieht, zur Sicherung der Präsidentschaftsgröße oder aus sogenannter Freundschaft heraus.

gez. Lothar Lammfromm

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16 Oktober 2007

Die Nachbeben um E. Herman

Manchmal hoffe ich darauf, dass "Sueddeutsche.de" eines Tages in der Lage ist, SpOn den Rang ablaufen zu können. Es gibt Highlights, z.B. die hervorragenden Interviews, aber zahlreicher sind die Mängel. Sehr typisch ist diese Stelle:
"Dieses Menschenkind tut mir dermaßen leid", wird Eva Neuz zitiert. Über den Rausschmiss ihrer Tochter aus der "Kerner"-Sendung" fällt die Hartz-IV-Empfängerin ein deutliches Urteil (...)"
Die Formulierung "die Hartz-IV-Empfängerin" scheint ein stehender Begriff zu sein - warum auch immer, es fällt der Redaktion der Sueddeutschen nicht auf, dass eine 70-jährige Frau schwerlich Hartz-IV-Empfängerin sein kann. Das wäre nämlich ein echter Skandal.

Und noch mal zu Frau E. Herman. Nach Hinweisen des Blogs CoffeeandTV habe ich mir Hermans Rede (Tonmitschnitt) auf einem Katholikenforum angehört (*brrr*). Die Frau weiß offenkundig nicht, was sie redet. E. Hermann fühlt sich religiös erleuchtet und meint, mit ihrem Frauenbild Rückendeckung vom Herrgott höchstselbst zu haben, zumal, weil ihre Vorstellungen "Gottes Gesetze" (Min. 10:06) repräsentierten. Solche Vorstellungen zum Beispiel:
„Weib, wenn Du nicht erwachst zu Deinem eigentlichen Werte in der Schöpfung und danach handelst, wird Dich die Rückwirkung der großen Schuld zerschmettern, ehe Du es ahnst. Und Du Mann, sieh nun endlich in dem Weibe jene große Hilfe, die Du brauchst und nie entbehren kannst, wenn Du in den Gesetzen Gottes schwingen willst.“
Sie faselt von einer generellen"gehaltlosen Minderwertigkeit der Angriffe" und droht allen Kritikern (besonders "die Vertreter der Öffentlichkeit und auch die Vertreter in der Politik") mit Unheil. Dazu zitiert sie sinnentstellend eine Passage aus dem Galaterbrief, um denen zu drohen (Min. 10.32) , welche ein moderneres Frauenideal haben...
„Ich möchte an dieser Stelle an die Worte des Apostel Paulus erinnern: Macht euch nichts vor, Gott lässt keinen Spott mit sich treiben, jeder Mensch wird ernten, was er gesät hat, wer auf dem Boden der menschlichen Selbstsucht sät, wird von ihr den Tod ernten. “
E. Hermann fragt, als Vorschlag gemeint, was denn wäre, wenn die Frauen „dem Druck von Politik und Industrie nicht nachgäben, sondern stand hielten und einfach nicht mehr weiterarbeiten würden“. Die Frauen bleiben zuhause, kämpfen auf diese Weise zugleich gegen „Materialismus“ und die Männer gehen arbeiten – und alles wird wieder gut. Tja, wenn das nur so einfach wäre.

Ich als Mann möchte kein Heimchen am Herd als Partnerin – und es dürfte allemal genügend Frauen geben, die nicht vom Berufsleben ausgeschlossen sein möchten. Insofern halte ich die zentralen Thesen von E. Herman für trivial und dumm, so sehr ich mich auch um persönliches Verständnis bemühe.

(Ich hoffe sehr, dass das Buch "Im Lichte der Wahrheit", aus dem E.Herman seltsame Zitate (Min 11.57) entnimmt, nicht etwa das Buch von Abd-ru-shin ist, dem Begründer einer "Werte" vermittelnden Sekte, der sogenannten Gralsbewegung. Dort fühlt man sich, warum auch immer, Frau E. Hermann inhaltlich enorm nah.)

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Wissenschaft, Fortschritt und Politik (eine ungeordnete Gedankenhalde)

(Vorsicht: Die folgenden Worte sind ungeordnet, wirr und stellen eher eine Art Stichwortsammlung dar)

1. Ich bin unzufrieden. Immer noch habe ich den Eindruck, dass es keine ausreichend hilfreiche und angemessene Wissenschaftstheorie für die Sozialwissenschaften gibt. Im Wesentlichen mäandere ich zwischen Popper, Kuhn und Feyerabend - und werde doch nicht froh. Mein Eindruck ist der, dass der Forschungsgegenstand einen verheerenden Einfluss auf den Wissenschaftsprozess ausüben kann. Bei den komplexen und vielfältig deutbaren Fragen in den Sozialwissenschaften gibt es - so scheint mir - zahlreiche Einfallstore dafür, dass aus Wissenschaft Priestertum wird bzw. epigonenhafte Züge entwickelt, im Übelsten Fall wandelt sich "Wissenschaft" in ein Hilfssystem für Ideologien, inklusive der Abwehr von Erkenntnisfortschritten.

2. Der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften sollte mich eigentlich milde stimmen - und meine Verzweiflung mäßigen. Immerhin zeigen die Forscher, vor allem über die Anwendung von Spieltheorie, dass das Ergebnis von Marktprozessen mitnichten ein bloßes "Ergebnis von Angebot und Nachfrage" ist. Je nach institutionellen Rahmen, je nach verwirklichter Rahmen- und Regelordnung für den Marktprozesse fallen die Marktergebnisse (z.B. der Preise einer Transaktion) stark unterschiedlich aus. Es ist also Humbug, Preise und ökonomische Prozesse schlicht als Ergebnis "des Marktes" zu betrachten, ohne zuvor nach den Marktbedingungen, institutionellen Rahmen- und Regelbedingungen und Machtverhältnissen auf den Märkten zu fragen.

Es lässt sich z.B. zeigen, spieltheoretisch, in der Praxis und über die hierzulande immer noch unterschätzte Experimentalökonomie, dass Informations- und Machtassymetrien der Marktteilnehmer die Prozessergebnisse und die Prozessrichtung bestimmen. Es wird gehörig am Nukleus der eigentlich verdienstvollen Neoklassik gerüttelt - und doch bin ich nicht froh.

Der diesjährige Nobelpreis zeigt auch, dass wesentliche und bahnbrechende Erkenntnisse, sogar dann, wenn sie beweiskräftig sind, von der Mehrzahl aller Wirtschaftswissenschaftler über viele Jahrzehnte hinweg ignoriert werden können. Schlimmer noch: Die zahlreichen neuen Fragestellungen, die untersucht werden könnten, werden hemmungslos ignoriert, sofern sie mit dem herrschenden ideologischen System inkompatibel sind.

3. Ich frage mich immer noch (und dies seit vielen Jahren ohne Antwort), wie der Wissenschaftsprozess der Sozialwissenschaften adäquat dargestellt werden kann. Vielleicht ist es hilfreich, wenn man die Sphäre der Wissenschaft zunächst unterteilt in a) seinen Elementarnukleus (die Erkenntniskerne - der Bereich, wo Aussagen sehr sicher oder sogar beweisbar sind) , b) wesentliche Kerntheorien und - axiome, c) die Form der Gelehrsamkeit sowie d) den priesterlich-ideologischen Bereich. Es ist wohl aber ein Fehler, den "priesterlich-ideologischen Bereich", so sehr und so oft dieser in der Wissenschaftsgeschichte Erkenntnisfortschritte behindert hat, für vernachlässigenswert oder unwichtig zu halten. Priestertum ist ein Teil dessen, was Wissenschaft zu leisten hat.

Vielleicht ist es eine gute Idee, die Wissenschaftsgeschichte systematisch auf zweierlei Weise hinsichtlich wissenschaftlicher Entdeckungen zu untersuchen. Erstens in Hinblick auf Beispiele, wo sich wesentliche wissenschaftliche Entdeckungen schnell und elegant durchgesetzt haben und zweitens in Hinblick auf Beispiele, wo wesentliche Erkenntnisfortschritte (wissenschaftliche Entdeckungen) behindert wurden oder sich erst spät durchsetzen konnten. Man könnte auf diese Weise - fernab dogmatischer Wissenschaftsphilosophie - fördernde und hemmende Faktoren des Wissenschaftsprozesses finden.

Gerade für Sozialwissenschaften stellen sich zahlreiche Fragen, beispielsweise: Wie muss die Wissenschaftscommunity beschaffen sein? Wie ist der Umgang mit wissenschaftlicher "Häresie"? Welchen Einfluss hat wissenschaftliche Autorität und woraus speist sie sich? Welche Wertigkeit haben Neugierde und erkenntnistheoretische und soziale Offenheit? Wie bilden sich wissenschaftliche "Schulen" - und was ist ihre Bedeutung?

(Und ich weiß: alle diese Fragen sind viel zu groß für mich. Ich werde vermutlich nicht einmal begreifen, warum ein guter und bewunderungswürdiger Wirtschaftswissenschaftler wie Frank H. Knight keine Schule gebildet hat - ganz im Gegensatz zum Knallkopf und Scharlatan Ludwig Mises)

4. Politik. Mir ist eine (vermutlich stark bezweifelnswerte) Idee gekommen, warum sich Liberalismus so schnell auf Interessen dienende Weise (i.d.R. für das Besitzbürgertum) deformiert. Es hat m.E. mit dem Wesen von Politik zu tun.

(Vorsicht, spätestens jetzt beginne ich zu schwafeln)

Im ideologischen System des Liberalimus sind Besonnenheit und Interessenausgleich zentrale Werte. Eine politische Partei sollte, wenn sie Erfolg haben will, anderseits aber einen für Anhänger attraktiven "Überbau" bzw. ein entsprechend parteiliches ideologisches System haben, und ist darauf angewiesen, die Interessen ihrer Anhänger gut zu repräsentieren, idealerweise auch in Abgrenzung zu politischen Gegnern und Feinden. Ein deformierter Liberalismus der Eigentümer und Wohlhabenden hat insofern eine zuverlässige, wenngleich kleine Basis.

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08 Oktober 2007

Widersspruch zu Michal Sauga

Während ich gerade einen - in der Summe - qualitativ und von seinem Fokus her erfreulichen Artikel von Michael Sauga in SpOn lese, stolpere ich über einige Verzerrungen, Fehler und Ungenauigkeiten, und dann über die Frage, ob ein von Michael Sauga formulierter zentraler Zusammenhang tatsächlich, wie ich meine, eine "voreilige und letztlich falsche Bewertung" darstellt:
Mitten im stärksten weltwirtschaftlichen Aufschwung seit Jahrzehnten sind Deutschlands Arbeitnehmer einer Zangenbewegung ausgesetzt (...). Zum einen nimmt der Staat den Arbeitnehmern erhebliche Teile ihres Einkommens in Form von Steuern und Beiträgen ab, um seine Sozialsysteme zu finanzieren. (...) Zum anderen schwächt der globale Kapitalismus die wirtschaftliche Position der abhängig Beschäftigten. Was Karl Marx bereits vor 150 Jahren als "rasende Jagd der Bourgeoisie über die ganze Erdkugel" beschrieb, hat heute eine neue Etappe erreicht. Die Opfer sind die Arbeitnehmer in den alten Industrieländern, die ohnmächtig mit ansehen müssen, wie sie die neue Weltwirtschaftsordnung einer bislang unbekannten Konkurrenz aussetzt - und ihre Bruttolöhne drückt.*

Geht ein stark gewachsener Anteil der Löhne und Abgaben in die Finanzierung der Sozialsysteme? Nimmt man die letzten 15 Jahre als Ausgangspunkt der Überlegung, dann drängt sich für mich eher der Eindruck auf, erstens, dass sich Unternehmen und Selbstständige auf Kosten von Arbeitnehmern der allgemeinen Steuerlast entledigt haben, und zweitens, dass irrational hohe Pensionslasten (Beamtenversorgung) sowie die v.a. von Arbeitnehmern geschulterten Kosten einer älter gewordenen Bevölkerung zunahmen.

Nun, das kann man prüfen.

Ist es wirklich die "bislang unbekannte Konkurrenz" des weltwirtschaftlichen Wettbewerbszusammenhangs, welche die Bruttolöhne im unteren Einkommensdrittel drückt? Wenn diese Kraft so überaus stark wäre, dann müssten eigentlich die Löhne für Manager, Spitzeningenieure und Privigierte besonders stark verfallen. Auch müsste sich eine lohnbedingte Wettbewerbsschwäche in einem gesunkenen Exportvolumen zeigen. Davon ist nichts zu sehen. Ich vermute eher, dass es eine Frage der binnengesellschaftlichen Entwicklung ist, welche für zunehmende Ungleichheit in unserem Land sorgt.

Aber wie kann ich mir da sicher sein?

Um ein Indiz zu erhalten: Man könnte - für die letzten 15 Jahre - untersuchen, ob und wie stark der Gini-Koeffizient im europäischen Vergleich, sowie die Löhne im unteren Einkommensdrittel sowie deren Entwicklung: vom weltwirtschaftlichen Verflechtungsgrad abhängen. Wäre die "Globasierung" ein wesentlicher Faktor der Einkommensentwicklung, müsste ein Zusammenhang im Vergleich nachweisbar sein. Ich vermute: Dem ist nicht so.

In den Niederlanden, in Belgien, in der Schweiz und in Dänemark (um vier europäische Länder mit deutlich höheren weltwirtschaftlichen Verflechtungsgrad zu nennen) war die Entwicklung der Bruttolöhne NICHT so schlecht wie in Deutschland. Ganz im Gegenteil. Und diese Länder sind der sogenannten "Globalisierung" ökonomisch stärker ausgesetzt als Deutschland.

Aber gut, das müsste man mal genauer prüfen. Und dann könnte man gleich auch sehen, ob es Hinweise dafür gibt, dass die Entwicklung des BSP/Kopf ein stärkerer Indikator der Einkommensentwicklung darstellt - was ich vermute.

Auch meine ich, aber hier ist es eine schwerer beweisbare Spekulation, dass die deutsche Wachstums- und Konjunkturschwäche in einem erheblichen Maß damit zusammenhängt, dass den deutschen Arbeitnehmern in den letzten 15 Jahren unvergleichliche Lasten aufgebürdet wurden. Im OECD-Vergleich findet sich kein Land, wo die Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben so einseitig herangezogen werden! Das hat Arbeit entwertet, es verkürzt binnenkonjunkturelle Möglichkeiten und verteuert zu allen Überfluss den Produktionsfaktor Arbeit im Vergleich zu anderen Produktionsfaktoren, wodurch die Faktorauslastung verringert wurde - sichtbar an der Beschäftigungsentwicklung. Das ging auf Kosten des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands.

Ich meine: Die deutsche Wachstums- und Konjunkturschwäche der letzten 15 Jahre ist mitverursacht durch eine grassierende neoliberale Ideologie unserer politischen und ökonomischen Eliten. Der "Faktor Arbeit" wurde systematisch belastet und verteuert, damit es den Unternehmern und Privilegierten gut und besser geht. Und richtig: Diesen geht es gut. Und nur diesen.

Neoliberalismus ist eine Wachstumsbremse.

* (Hinweis: Zitatrechtlich ist die Länge des Zitats als Großzitat abmahnbar, auch dank der gegenwärtig ziemlich obskuren Rechtsentwicklung. Dieses Zitat ist also eine dankbare Beutequelle für jedes sogenannte "Organ der Rechtspflege". Allerdings wüsste ich auf Anhieb keine Zitat-Kürzung, welche nicht zugleich auch den Grundgedanken verkürzen würde. Ach ja: Und ich scheiße auf Abmahnanwälte und ein Unrecht, das sich rechtlichen Anschein zu verschaffen weiß)

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02 Oktober 2007

Naomi Klein irrt sich

Ich habe Naomi Klein geschätzt dafür, die Wirklichkeit z.B. von sweat shops sichtbar zu machen. Auch dafür, hinter die Markenfassaden zu schauen. Das wäre eigentlich eine Aufgabe der Wirtschaftspresse gewesen, die jedoch leider i.d.R. zu wirtschaftshörig ist, um die Öffentlichkeit zu informieren. Insofern halte ich sie für eine wichtige Intellektuelle.

Für eine große Denkerin habe ich sie nie gehalten.

In ihrem aktuellen Buch, "Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus." reduziert sie den Neoliberalismus auf eine neoliberale Schockstrategie - und zieht einen Zusammenhang zu militärischen Schockstrategien, sowie zu Elektroschocks und Folter.

Bei Lichte betrachtet, ist schon fragwürdig, eine Vielfalt wirtschaftspolitischer Bestrebungen mit dem Begriff "Neoliberalismus" zu vereinfachen. Das Bild der Wirklichkeit wird vereinfacht, oft sehr grob, aber immerhin, wesentliche Züge werden damit i.d.R. gezeigt.

Naomi Klein begeht jedoch den ersten Kardinalfehler in ihrer Analyse, indem sie die Vielfalt neoliberaler Gestaltungsideen und Ideologeme - unzulässig und von der Wirklichkeit wegführend - auf die Person und die Ideologie von Milton Friedman und dann auch auf neoliberale Schocktherapien (bzw. - versuche) reduziert. Damit verengt sie ihre Kritik auf einen Teilbereich, der in der heutigen Politik kaum noch eine Rolle spielt.

In ihrem Versuch, den Neoliberalismus zu dämonisieren, zeichnet sie ein Zerrbild.

Der zweite Kardinalfehler besteht darin, dass sie sehr unterschiedliche und eher unverbundene Phänomene unter dem Begriff "Schock" subsummiert. Ökonomische Schocktherapien sind in erster Linie Überrumpelungsstrategien - aber nicht notwendigerweise Repressionsstrategien. Der zu Folterzwecken eingesetzte "Schock" ist von grundsätzlich anderer Bedeutung, er zielt direkt auf Unterdrückung und die Brechung des freien Willens.

Man kann zwar durchaus behaupten, dass die politische Umsetzung eines möglichst radikalen Neoliberalismus mit politischer Repression verbunden ist. Dafür spricht auch die Erfahrung, die in vielen Ländern damit gemacht wurden. Aber, das meine ich, das gilt praktisch immer, wenn versucht wird, eine Wirtschaftsideologie möglichst radikal umzusetzen.

Tatsächlich zielt ein radikaler Neoliberalismus auf die vollständige Zerschlagung von Gewerkschaftsmacht, Mitbestimmung, Schutzgesetzen und demokratischer Teilhabe bis hin zur Entmachtung von Demokratie und Zivilgesellschaft, damit sich wirtschaftliche Macht möglichst ungehemmt entfalten kann.

Wer solche gesellschaftlichen Veränderungen beabsichtigt, mag überdies autoritär, reaktionär und militaristisch gesinnt sein, sicherheitspolitische Angstbilder propagieren und vielleicht auch außenpolitische Konflikte begrüßen, um damit die eigene Machtposition zu stabilisieren. Aber erstens kommt derlei politisches Wollen auch ohne "Schocks" aus, und zweitens tut man den Neoliberalen in ihrer Mehrheit unrecht, wenn man Ihnen derartige Ideen für die Organisierung des gesellschaftlichen Miteinanders unterstellt. Auch ist der IWF inzwischen von seiner Politik eines neoliberalen "shock treatment" abgekehrt.

Naomi Klein irrt sich also elementar.

Nichtsdestotrotz ist der Neoliberalismus (in seiner Gesamtheit und Vielfalt) eine weitgehend realitätsferne und in der Wirkung für die Mehrheit der Bevölkerung eine wohlstandsfeindliche Ideologie. Neoliberalismus entdemokratisiert Gesellschaften und begünstigt, zumal bei radikaler Umsetzung, tatsächlich faschistoide Strukturen.

Dazu kommt, dass dort, wo Institutionen ausgehend von Ideologemen des Neoliberalismus "reformiert" werden, sich diese i.d.R. auf eine recht menschenfeindliche Weise verändern. Naomi Klein hätte ein besseres Buch geschrieben, wenn sie diese Prozesse beschrieben hätte.

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